Zur Erinnerung: Die USA haben mit dem Bruch des Atomabkommens mit dem Iran im Mai 2018 und ihren folgenden Sanktionen die aktuelle Krise ausgelöst. Die EU, die sich gemäß Abkommen verpflichtet hatte, den Handel mit dem Iran zu ermöglichen, kritisiert die USA zwar medienwirksam, aber trotzdem nur halbherzig, und tut gleichzeitig nichts, um den Handel mit dem Iran zu retten. Damit verstößt auch die EU gegen ihre im Atomabkommen übernommenen Verpflichtungen. Der Iran hat trotzdem mit einer Reaktion ein volles Jahr gewartet. Eine Zusammenfassung der Chronologie und Standpunkte der beteiligten Länder finden Sie hier.
Als der Iran dann im Mai 2019 verkündet hat, er werde nun auch Teile des Abkommens nicht mehr umsetzen, warf man ihm vor, gegen das Abkommen zu verstoßen. Das ist absurd, denn erstens haben die USA das Abkommen schon ein Jahr zuvor gebrochen und zweitens erlaubt Artikel 26 des Abkommens dem Iran ausdrücklich, seine Verpflichtungen aus dem Abkommen auszusetzen, wenn ein Vertragsstaat Sanktionen gegen ihn verhängt. Das haben die USA getan und der Iran hat trotzdem ein volles Jahr abgewartet, wie die EU reagiert, bevor er diesen Schritt gegangen ist.
Der Iran hat immer wieder verkündet, er würde das Abkommen wieder vollständig umsetzen, wenn zumindest die EU ihren Teil des Abkommens erfüllt. Inzwischen ist der Iran sogar noch zurückhaltender geworden und fordert von der EU lediglich, iranisches Öl zu kaufen, dann würde er seine Verpflichtungen aus dem Atomabkommen sofort wieder vollständig erfüllen. Die deutsche Presse erzählt ihren Lesern diesen Teil der Geschichte jedoch nicht und spricht stattdessen von iranischen „Ultimaten“, gerade so, als würde der Iran etwas völlig ungeheuerliches fordern.
Und zur Erinnerung: Der Iran könnte weiterhin von der EU volle Vertragstreue fordern und gleichzeitig das Abkommen aussetzen, denn der Vertragsbruch der USA und ihre Sanktionen erlauben dem Iran, sein Atomprogramm vollständig wieder aufzunehmen. Der Iran zeigt also große Kompromissbereitschaft.
Offensichtlich ist der Iran an einer Ausweitung seines Atomprogrammes nicht interessiert, der Iran fordert ja sogar nur noch eine teilweise Vertragstreue von der EU. Von der Ermöglichung des vollständigen Handels durch die EU ist im Iran derzeit nicht mehr die Rede, obwohl die EU das umsetzen müsste. Der Iran fordert nur noch die Abnahme seines Öls, um zur Umsetzung des Atomabkommens zurückzukehren.
In den letzten Wochen spielte der französische Präsident Macron eine sehr undurchsichtige Rolle. Er stellte sich in Sachen Internetsteuer gegen die USA, traf unmittelbar vor den G7-Treffen den russischen Präsidenten Putin, während des G7-Treffens reiste der iranische Außenminister Zarif an und traf sich mit Macron. Und letzte Woche hielt Macron eine sehr bemerkenswerte Rede über das Ende der westlichen Vorherrschaft und darüber, dass es für Europa existenziell wichtig sei, endlich die Beziehungen zu Russland zu normalisieren. Er sprach sogar von der Errichtung einer gemeinsamen Front mit Russland, um den beiden heutigen Supermächten USA und China widerstehen zu können. Er nannte das Zusammengehen mit Russland den einzigen Weg, die „europäische Zivilisation“ zu retten.
Ich habe noch nicht verstanden, ob Macron tatsächlich für eine völlig neue Politik steht oder ob es sich hierbei um politische Winkelzüge handelt. Wir werden wohl abwarten müssen, was Macron tatsächlich umsetzt. Aber seine politischen Coups der letzten Zeit waren bemerkenswert.
Gestern kam ein neuer Coup von Macron.
Er hat dem Iran 15 Milliarden Dollar Kredit von der EU angeboten, wenn der Iran im Gegenzug wieder das Abkommen einhält. Auf den ersten Blick ist das ein „vergiftetes“ Angebot. Warum soll der Iran Zinsen auf einen Kredit zahlen, wenn er auch Öl für 15 Milliarden verkaufen könnte? Aber die 15 Milliarden sind quasi Vorkasse für Öl, das der Iran später irgendwann liefert, wenn der Streit mit den USA beigelegt ist. Und wenn darauf keine Zinsen anfallen (was möglich ist, die Details sind nicht bekannt), wäre das ein Kompromiss.
Im Iran gab es Stimmen, die sich bereit erklärt haben, in diesem Fall die Verpflichtungen aus dem Atomabkommen wieder zu erfüllen.
Der Haken an der Sache: Macron hat den Kredit (oder die Vorkasse) nur angeboten, wenn die USA nichts dagegen haben. Und damit war klar, dass daraus wohl nichts wird. Und tatsächlich: Die USA haben den Vorschlag zur Deeskalation der Krise abgelehnt.
Der Iran hat daraufhin mitgeteilt, das Geld auch gar nicht haben zu wollen. Gleichzeitig verkündete der Iran, dass er, sollte die EU nicht endlich ihre übernommenen Verpflichtungen umsetzen, demnächst weitere Verpflichtungen aus dem Abkommen aussetzen wird.
Soweit die Fakten. Über diese Initiative Macrons und die Entwicklungen der letzten 24 Stunden, habe ich bisher in den deutschen „Qualitätsmedien“ nichts gefunden. Lediglich in der FAZ habe ich heute Morgen einen Artikel zum Iran gefunden, jedoch stand dort kein Wort über Macrons Versuch einer Kompromisslösung zu lesen. Die FAZ berichtet lediglich, der Iran werde die Besatzung des vor einiger Zeit beschlagnahmten Tankers freilassen.
Fühlen Sie sich jetzt auch gut informiert von den deutschen „Qualitätsmedien“?
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
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