WORLD ECONOMIC FORUM/swiss-image.ch/Photo Michele Limina - CC BY-NC-SA 2.0

Was will Macron? Inter­es­sante diplo­ma­tische Initia­tiven aus Paris, aber kein Wort in den deut­schen Medien

In der Iran-Krise gab es in den letzten Stunden span­nende Ent­wick­lungen, die jedoch wohl am Ende zu nichts geführt haben. Macron hat einen Versuch gemacht, Bewegung in die Krise zu bringen.
Zur Erin­nerung: Die USA haben mit dem Bruch des Atom­ab­kommens mit dem Iran im Mai 2018 und ihren fol­genden Sank­tionen die aktuelle Krise aus­gelöst. Die EU, die sich gemäß Abkommen ver­pflichtet hatte, den Handel mit dem Iran zu ermög­lichen, kri­ti­siert die USA zwar medi­en­wirksam, aber trotzdem nur halb­herzig, und tut gleich­zeitig nichts, um den Handel mit dem Iran zu retten. Damit ver­stößt auch die EU gegen ihre im Atom­ab­kommen über­nom­menen Ver­pflich­tungen. Der Iran hat trotzdem mit einer Reaktion ein volles Jahr gewartet. Eine Zusam­men­fassung der Chro­no­logie und Stand­punkte der betei­ligten Länder finden Sie hier.
Als der Iran dann im Mai 2019 ver­kündet hat, er werde nun auch Teile des Abkommens nicht mehr umsetzen, warf man ihm vor, gegen das Abkommen zu ver­stoßen. Das ist absurd, denn erstens haben die USA das Abkommen schon ein Jahr zuvor gebrochen und zweitens erlaubt Artikel 26 des Abkommens dem Iran aus­drücklich, seine Ver­pflich­tungen aus dem Abkommen aus­zu­setzen, wenn ein Ver­trags­staat Sank­tionen gegen ihn ver­hängt. Das haben die USA getan und der Iran hat trotzdem ein volles Jahr abge­wartet, wie die EU reagiert, bevor er diesen Schritt gegangen ist.
Der Iran hat immer wieder ver­kündet, er würde das Abkommen wieder voll­ständig umsetzen, wenn zumindest die EU ihren Teil des Abkommens erfüllt. Inzwi­schen ist der Iran sogar noch zurück­hal­tender geworden und fordert von der EU lediglich, ira­ni­sches Öl zu kaufen, dann würde er seine Ver­pflich­tungen aus dem Atom­ab­kommen sofort wieder voll­ständig erfüllen. Die deutsche Presse erzählt ihren Lesern diesen Teil der Geschichte jedoch nicht und spricht statt­dessen von ira­ni­schen „Ulti­maten“, gerade so, als würde der Iran etwas völlig unge­heu­er­liches fordern.
Und zur Erin­nerung: Der Iran könnte wei­terhin von der EU volle Ver­trags­treue fordern und gleich­zeitig das Abkommen aus­setzen, denn der Ver­trags­bruch der USA und ihre Sank­tionen erlauben dem Iran, sein Atom­pro­gramm voll­ständig wieder auf­zu­nehmen. Der Iran zeigt also große Kompromissbereitschaft.
Offen­sichtlich ist der Iran an einer Aus­weitung seines Atom­pro­grammes nicht inter­es­siert, der Iran fordert ja sogar nur noch eine teil­weise Ver­trags­treue von der EU. Von der Ermög­li­chung des voll­stän­digen Handels durch die EU ist im Iran derzeit nicht mehr die Rede, obwohl die EU das umsetzen müsste. Der Iran fordert nur noch die Abnahme seines Öls, um zur Umsetzung des Atom­ab­kommens zurückzukehren.
In den letzten Wochen spielte der fran­zö­sische Prä­sident Macron eine sehr undurch­sichtige Rolle. Er stellte sich in Sachen Inter­net­steuer gegen die USA, traf unmit­telbar vor den G7-Treffen den rus­si­schen Prä­si­denten Putin, während des G7-Treffens reiste der ira­nische Außen­mi­nister Zarif an und traf sich mit Macron. Und letzte Woche hielt Macron eine sehr bemer­kens­werte Rede über das Ende der west­lichen Vor­herr­schaft und darüber, dass es für Europa exis­ten­ziell wichtig sei, endlich die Bezie­hungen zu Russland zu nor­ma­li­sieren. Er sprach sogar von der Errichtung einer gemein­samen Front mit Russland, um den beiden heu­tigen Super­mächten USA und China wider­stehen zu können. Er nannte das Zusam­men­gehen mit Russland den ein­zigen Weg, die „euro­päische Zivi­li­sation“ zu retten.
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Ich habe noch nicht ver­standen, ob Macron tat­sächlich für eine völlig neue Politik steht oder ob es sich hierbei um poli­tische Win­kelzüge handelt. Wir werden wohl abwarten müssen, was Macron tat­sächlich umsetzt. Aber seine poli­ti­schen Coups der letzten Zeit waren bemerkenswert.
Gestern kam ein neuer Coup von Macron. 
Er hat dem Iran 15 Mil­li­arden Dollar Kredit von der EU ange­boten, wenn der Iran im Gegenzug wieder das Abkommen einhält. Auf den ersten Blick ist das ein „ver­gif­tetes“ Angebot. Warum soll der Iran Zinsen auf einen Kredit zahlen, wenn er auch Öl für 15 Mil­li­arden ver­kaufen könnte? Aber die 15 Mil­li­arden sind quasi Vor­kasse für Öl, das der Iran später irgendwann liefert, wenn der Streit mit den USA bei­gelegt ist. Und wenn darauf keine Zinsen anfallen (was möglich ist, die Details sind nicht bekannt), wäre das ein Kompromiss.
Im Iran gab es Stimmen, die sich bereit erklärt haben, in diesem Fall die Ver­pflich­tungen aus dem Atom­ab­kommen wieder zu erfüllen.
Der Haken an der Sache: Macron hat den Kredit (oder die Vor­kasse) nur ange­boten, wenn die USA nichts dagegen haben. Und damit war klar, dass daraus wohl nichts wird. Und tat­sächlich: Die USA haben den Vor­schlag zur Dees­ka­lation der Krise abge­lehnt.
Der Iran hat dar­aufhin mit­ge­teilt, das Geld auch gar nicht haben zu wollen. Gleich­zeitig ver­kündete der Iran, dass er, sollte die EU nicht endlich ihre über­nom­menen Ver­pflich­tungen umsetzen, dem­nächst weitere Ver­pflich­tungen aus dem Abkommen aus­setzen wird.
Soweit die Fakten. Über diese Initiative Macrons und die Ent­wick­lungen der letzten 24 Stunden, habe ich bisher in den deut­schen „Qua­li­täts­medien“ nichts gefunden. Lediglich in der FAZ habe ich heute Morgen einen Artikel zum Iran gefunden, jedoch stand dort kein Wort über Macrons Versuch einer Kom­pro­miss­lösung zu lesen. Die FAZ berichtet lediglich, der Iran werde die Besatzung des vor einiger Zeit beschlag­nahmten Tankers freilassen.
Fühlen Sie sich jetzt auch gut infor­miert von den deut­schen „Qua­li­täts­medien“?
 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“