Alt­bun­des­prä­sident Gauck meint “Merkel wird noch gebraucht” und fordert von Thü­ringer CDU Offenheit für Linkspartei

Der ehe­malige Bun­des­prä­sident Joachim Gauck plä­diert dafür, dass die CDU nach der Land­tagswahl in Thü­ringen auch mit der Links­partei spricht. “Ich muss doch imstande sein, einen Hardcore-Kom­mu­nisten, der Mit­glied in der Linken ist, zu unter­scheiden von einem Minis­ter­prä­si­denten, der aus der gewerk­schaft­lichen Tra­dition stammt und der doch gezeigt hat, dass er mit einem linken Profil dieser Gesell­schaft nicht schadet”, sagte Gauck der RTL/n‑tv-Redaktion. Er spielte damit auf Thü­ringens Minis­ter­prä­si­denten Bodo Ramelow (Linke) an.“Das heißt, dass wir unter Umständen auch mal neu hin­schauen müssen und unsere frü­heren Abgren­zungen nochmal über­prüfen. Auch par­tei­po­li­tisch”, so der Alt­bun­des­prä­sident weiter. Thü­ringen wählt am 27. Oktober einen neuen Landtag. Es wird ein knappes Ergebnis erwartet. Laut den Umfragen liefern sich Links­partei, AfD und CDU ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Wahlsieg. Unklar ist, ob die der­zeitige rot-rot-grüne Koalition unter Ramelow wei­ter­re­gieren kann. “Wir müssen unseren Tole­ranz­be­griff erweitern”, for­derte Gauck. Dann gehe es soweit, “dass ich manche Dinge, die exis­tieren, über­haupt nicht mag. Ich finde sie sogar abstoßend oder reak­tionär”. Solange sie aber auf dem Boden des Grund­ge­setzes stünden und nicht zu Hass und Men­schen­feind­lichkeit auf­riefen, müsse man das tole­rieren, so der frühere Bun­des­prä­sident weiter. “Ich nenne das kämp­fe­rische Toleranz. Das heißt, ich streite mit den Leuten”, sagte Gauck, der von 2012 bis 2017 Bun­des­prä­sident war. Zuletzt brachte er das Buch “Toleranz: einfach schwer” heraus. Regie­rungs­ver­ant­wortung hat nach der Meinung Gaucks die Links­partei ver­ändert: “Wenn sie in der Oppo­sition ist, hat sie alle Unzu­frie­denheit der Welt zusam­men­ge­tragen und diese und jene For­de­rungen gestellt. Wo sie mit­re­giert, kann sie auch ganz gut sparen”, so der Alt­bun­des­prä­sident. Die Partei habe begriffen, dass es ein Unter­schied ist, ob sie Pro­kla­ma­tionen raushaue oder tat­sächlich Politik ver­ant­wor­tungs­be­wusst gestalte. Eine Regie­rungs­be­tei­ligung der AfD lehnt Gauck dagegen ab. “Ich teile die Auf­fassung der poli­ti­schen Men­schen, die in Deutschland die Zeit noch nicht für gekommen sehen, die AfD als eine Partei, mit der man jetzt koalieren kann, zu betrachten. Ich bin da sehr skep­tisch”, so der ehe­malige Bun­des­prä­sident. In der Partei tummele sich alles Mög­liche, es brauche einen Prozess der Iden­ti­fi­zierung. “Sie müssen sich klarer zu erkennen geben. Wenn sie den demo­kra­ti­schen Rechts­staat als offene Gesell­schaft mit­ge­stalten wollen, dann sollen sie das zeigen”, sagte Gauck der RTL/n‑tv-Redaktion. Das würde aber heißen, bestimmte Themen, bestimmte Wörter, bestimmte Begriff­lich­keiten und den “Gestus nahe der Nazi-Pro­pa­ganda” gänzlich aus der Partei zu ver­bannen. “Ich gehöre zu denen, die das noch nicht sehen”, so der Alt­bun­des­prä­sident weiter. 
Gauck ist eben­falls der Ansicht, dass Bun­des­kanz­lerin Angela Merkel (CDU), die bei der Bun­des­tagswahl 2021 nicht noch einmal kan­di­dieren will, Zeit braucht, um sich nach ihrer Kanz­ler­schaft zu erholen. “Es ist eine unglaub­liche Arbeits­leistung, die diese Frau über Jahr­zehnte geschultert hat. Aber ich kann mir auch nicht vor­stellen, dass sie dann nur auf dem Land sitzt und guckt, was der Rasen macht oder die Blümchen. Sie wird schon noch gebraucht werden”, sagte Gauck in der Sendung “Früh­start” der RTL/n‑tv-Redaktion.Merkel gehöre zwar “ganz gewiss zu den Frauen, die keine Tipps von älteren Männern brauchen, um ihr Leben zu gestalten”, so der Alt­bun­des­prä­sident weiter. Für alle, die besonders aktiv waren im Berufs­leben, sei die Rente aber eine Zeit des Lernens: “Wir alle müssen lernen, wie viel Freiheit und pures Rent­ner­dasein für unsere Psyche gut ist und wie viel Akti­vität noch belebend wirkt”, sagte Gauck, der von 2012 bis 2017 Bun­des­prä­sident war. Zudem ist Gauck erleichtert, dass er nicht mehr so große Ver­ant­wortung tragen muss wie zu seiner Amtszeit: “Ja, das bin ich, denn ich werde dem­nächst 80”, sagte er. Er verwies auf die viel­fäl­tigen Tätig­keiten des deut­schen Staats­ober­haupts. “Das ist eine ganze Fülle von Auf­gaben, aber auch Wissen, das man sich aneignen muss, weil man in die unter­schied­lichsten Gebiete der Debatten hin­ein­gerät und oftmals auch hin­ein­ge­raten will”, so der Alt­bun­des­prä­sident weiter. Dazu gehöre, vor­be­reitet zu sein und sich sehr intensiv auf Themen ein­zu­lassen. Zudem erwar­teten sehr viele Men­schen, dass der Bun­des­prä­sident Präsenz zeige. “Das ist richtig Arbeit”, sagte Gauck. Da freue man sich dann auch, wenn es mal ruhiger werde. Die Auf­merk­samkeit, die er als Bun­des­prä­sident erhielt, ver­misst Gauck nicht: “Das hatte ich reichlich”, sagte er. Wenn er etwa ein Buch ver­öf­fent­liche, habe er zudem wei­terhin die Mög­lichkeit, Men­schen zu treffen und darüber zu debat­tieren. Zuletzt brachte Gauck im Juni sein Buch “Toleranz: einfach schwer” heraus. “Und es gibt eine Fülle von Ein­la­dungen aus den unter­schied­lichsten Bereichen. Ich kann die gar nicht alle wahr­nehmen”, so der ehe­malige Bun­des­prä­sident weiter. Er müsse das begrenzen. “Ich bin am Lernen: wie viel Rentner und wie viel Dienst. Und das ist manchmal gar nicht so einfach”, sagte Gauck in der Sendung “Früh­start” der RTL/n‑tv-Redaktion. Auf die Frage, was er am Leben in Schloss Bel­levue, dem Amtssitz des Bun­des­prä­si­denten, ver­misse, nannte er “die Fülle der wirklich enga­gierten Mitarbeiter”.
Berlin (dts Nach­rich­ten­agentur) — Foto: Joachim Gauck, über dts Nachrichtenagentur