Randale in Hongkong und die Reaktion im Westen

In meiner kleinen Son­der­reihe über Pro­teste, die aktuell in ver­schie­denen Ländern statt­finden, komme ich nun zu Hongkong. An dem Bei­spiel kann man sehr schön sehen, wie gewaltsame Pro­teste in den west­lichen Medien schön­ge­redet werden.
Im ersten Teil der Son­der­reihe bin ich auf Frank­reich ein­ge­gangen und man sieht am Ver­gleich zwi­schen den Pro­testen in Frank­reich und Hongkong sehr schön, wie die Medien ihre Leser beein­flussen wollen. In Frank­reich sind die Pro­testler böse. Wir haben vor knapp einem Jahr viel in den deut­schen Medien darüber gelernt, dass die Gelb­westen wahl­weise anti­se­mi­tisch oder extre­mis­tisch und vor allem gewalt­tätig waren. Von Poli­zei­gewalt, Mas­sen­ver­haf­tungen und Ein­schrän­kungen von Pres­se­freiheit und Demons­tra­ti­ons­recht haben wir hin­gegen nichts in den „Qua­li­täts­medien“ gehört.
Und obwohl die Gelb­westen bis heute wöchentlich demons­trieren und am 15. Oktober auch die Feu­er­wehr­leute demons­triert haben und brutal von der Polizei ange­gangen wurden, hört man davon im Main­stream nichts in Deutschland. Kein Wunder: In Frank­reich gehen die Pro­teste gegen Macron und der ist in den Augen der deut­schen Medien einer von den Guten.
Ganz anders in Hongkong. Dort haben die west­lichen Medien und Regie­rungen sich offen auf die Seite der Demons­tranten gestellt. Und es gab in Deutschland unge­zählte Berichte über die Pro­teste, die alle die Demons­tranten als Frei­heits­kämpfer für Demo­kratie und Men­schen­rechte dar­ge­stellt haben und den chi­ne­si­schen Unter­drü­ckungs­staat scharf ver­ur­teilt haben. Dabei ist Hongkong innen­po­li­tisch autonom und die restrik­tiven Gesetze aus Festland-China gelten dort gar nicht. Auch hatten die Pro­teste zu Anfang gar nichts damit zu tun, es ging um etwas ganz anderes.
Ursprünglich rich­teten sich die Pro­teste gegen ein Gesetz, das die Aus­lie­ferung von Straf­tätern an andere chi­ne­sische Regionen erlauben sollte. Grund war ein Tai­wanese, der in Taiwan wegen Mordes gesucht wurde und sich in Hongkong vor dem Straf­ver­fahren ver­steckt hatte. Die west­lichen Medien stellten es aber so dar, als wenn es um die Aus­lie­ferung von Regime­kri­tikern nach China ginge. Das Gesetz mag auch das ermög­licht haben, aber der Grund für das Gesetz war die Auf­for­derung aus Taiwan, den Mord­ver­däch­tigen aus­zu­liefern. Und Taiwan ist aus Sicht des Westens doch eigentlich einer der „Guten“.
Trotzdem wurde das Gesetz als Grund für die Demons­tra­tionen her­an­ge­zogen. Selbst nachdem die Regierung in Hongkong das Gesetz wieder kas­siert hatte, gingen die Pro­teste weiter. Die Medien ver­mitteln nun den Ein­druck, es ginge gegen angeb­liche Polizeigewalt.
Hinzu kommt, dass der Westen aus­ge­sprochen emp­findlich reagiert, wenn sich ein anderes Land in die eigenen inneren Ange­le­gen­heiten ein­mischt. Der Westen aber meint, er habe das Recht dazu, genau das in anderen Ländern zu tun, was er bei sich selbst streng untersagt. Im Juli zum Bei­spiel war FDP-Chef Lindner in Hongkong und China und er hat sich in Hongkong mit Ver­tretern der Pro­testler getroffen und ihnen Mut zuge­sprochen. Die darauf fol­gende Reise nach Peking hätte er sich sparen können, die Ergeb­nisse dort waren nach dieser groben Ein­mi­schung in die inneren Ange­le­gen­heiten Chinas sinnlos geworden.
Kein Wunder: Man stelle sich vor, ein chi­ne­si­scher Poli­tiker würde sich mit „Oppo­si­ti­ons­ver­tretern“ zum Bei­spiel von Pegida in Deutschland treffen, die nicht nur demons­trieren, sondern ran­da­lieren und das Par­lament stürmen, und würde denen seine Unter­stützung zusi­chern. Die Begeis­terung in Berlin würde sich in sehr engen Grenzen halten, man würde sich im Gegenteil eine solche Ein­mi­schung in inner­deutsche Ange­le­genheit verbitten.
Aber Medien und Politik in Deutschland waren ent­setzt! Wie konnte China so „dünn­häutig“ auf Linders Treffen mit den Demons­tranten reagieren?
Man könnte es ja noch irgendwie ver­stehen, wenn die Demons­tranten in Hongkong friedlich wären, aber das sind sie kei­neswegs. In Hongkong sind bereits große Sach­schäden ent­standen, bei jedem Protest wird ran­da­liert, es werden Schau­fenster zer­trümmert, Geschäfte geplündert, Geld­au­to­maten zer­stört und auch die U‑Bahn wird ange­griffen. Inzwi­schen wird die U‑Bahn vor­sorglich bei den Pro­testen geschlossen, aber trotzdem werfen Demons­tranten Molotow-Cock­tails in U‑Bahn-Sta­tionen.
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Was genau hat ein solches Ver­halten mit fried­lichen Pro­testen zu tun? 
Aber der Westen unter­stützt die Pro­teste öffentlich – siehe zum Bei­spiel FDP-Chef Lindner – und auch hinter den Kulissen. Der Pro­test­führer Wong hat vor kurzem eine Welt­reise gemacht und wurde zum Bei­spiel in Berlin her­um­ge­reicht. Er hat den deut­schen Außen­mi­nister getroffen, wurde zu Emp­fängen ein­ge­laden und über all wurde ihm Unter­stützung zugesagt. Das gleiche geschah danach in Washington. Das ging so weit, dass die USA derzeit ein Gesetz durch die Par­la­mente peit­schen, dass Chi­nesen mit Sank­tionen bedroht, die in Hongkong Dinge tun, die den USA nicht gefallen. Natürlich dürfen die schönen Worte von „Demo­kratie und Men­schen­rechte“ dabei nicht fehlen.
Wie würden wohl die USA reagieren, wenn China per Gesetz jeden mit Sank­tionen belegt, der zum Bei­spiel in den USA die Unter­drü­ckung der Indianer fördert oder die Chan­cen­gleichheit der Schwarzen in den USA behindert? Sie wären empört, wenn sich jemand derart in ihre inneren Ange­le­gen­heiten einmischt.
Aber der Westen tut das in Hongkong ganz offen, da muss man noch nicht einmal über die üblichen, west­lichen NGOs sprechen, die sonst diese Art der poli­ti­schen Drecks­arbeit machen. Deutsche Poli­tiker tun es ganz offen und US-Poli­tiker tun es so offen, dass sie sogar gleich Sank­ti­ons­ge­setze erlassen.
Aber wenn China dem Westen vor­wirft, die Pro­teste zu unter­stützen und anzu­heizen, weist man diese Vor­würfe im Westen auch noch weit von sich.
Und auch die Medien leisten fleißig ihren Teil der Arbeit daran, die öffent­liche Meinung in die gewünschte Richtung zu beein­flussen. Anfang Oktober wurde in Hongkong ein Gesetz akti­viert, dass noch aus der bri­ti­schen Kolo­ni­alzeit stammt, also nicht von den bösen Chi­nesen. Es sieht bei schweren Pro­testen den Aus­nah­me­zu­stand und eine weit­ge­hende Mög­lichkeit vor, die Grund­rechte ein­zu­schränken. Es wurde nicht voll aus­ge­nutzt, im Grunde wurde lediglich ein Ver­mum­mungs­verbot ver­hängt. Und das wurde als etwas ganz Schlimmes dar­ge­stellt, dabei gelten Ver­mum­mungs­verbote auch in Deutschland und den meisten Ländern des ach so freien Westens. Im Spiegel konnte man aber lesen:
„Am Freitag hatte Regie­rungs­chefin Carrie Lam ein Ver­mum­mungs­verbot ver­hängt – im Rahmen einer Not­stands­ver­ordnung, die ihr das Recht ein­räumt, „Vor­schriften jeder Art zu erlassen, die sie im öffent­lichen Interesse für wün­schenswert hält“. (…) Das Gesetz ist per Dekret erlassen worden, ohne Rück­sprache mit der Oppo­sition in Hong­kongs halb demo­kra­ti­schem Par­lament. Dem soll es erst am 15. Oktober vor­gelegt werden. Da die Regie­rungs­par­teien dort über eine Mehrheit ver­fügen, steht prak­tisch fest, dass es bestätigt wird. Das erinnert fatal an das umstrittene Aus­lie­fe­rungs­gesetz (…) Das sei „eine Situation wie unter Heinrich dem Achten“, empörte sich der pro­de­mo­kra­tische Abge­ordnete Dennis Kwok: „Ich bin das Gesetz, und ich sage, wann das Gesetz aufhört zu gelten. So funk­tio­niert unsere Ver­fassung nicht.““
Die Regie­rungs­par­teien haben also eine Mehrheit und machen daher ein Gesetz gegen den Willen der Oppo­sition. Das erinnert mich irgendwie an Deutschland. So funk­tio­niert das nun einmal in einer par­la­men­ta­ri­schen Demo­kratie. Der Spiegel aber for­mu­liert es trotzdem so, als sei das etwas ganz Schlimmes. Dabei gibt es Ver­mum­mungs­verbote auch im Westen und auch im Westen (siehe Frank­reich) wird das Demons­tra­ti­ons­recht ver­schärft, wenn die Regierung findet, dass Pro­teste außer Kon­trolle geraten sind.
Aber in Frank­reich wurde das nicht kri­ti­siert, in Hongkong hin­gegen schon. Ist das objektive und neu­trale Bericht­erstattung oder par­tei­ische Propaganda?
Vor einer Woche hat das rus­sische Fern­sehen eine sehr inter­es­sante Reportage gebracht, in der Demons­tra­tionen in ver­schie­denen Ländern ver­glichen wurden und das auch vor dem Hin­ter­grund, wie der Westen über sie berichtet. Den aus­ge­sprochen lesens­werten Beitrag habe ich über­setzt, Sie finden ihn hier.

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“