Zur Türkei habe ich schon viel geschrieben, dem ist aktuell nichts hinzuzufügen: Schon im Juli hat die Türkei Merkels Flüchtlingsdeal offen in Frage gestellt und angedroht, die Grenze zu Griechenland nicht mehr so streng zu überwachen. Seit dem ist der Zahl der Flüchtlinge, die aus der Türkei nach Griechenland gekommen sind, merklich angestiegen. Erst vor zehn Tagen habe ich ausführlich berichtet, dass die EU nichts dagegen tut, sondern im Gegenteil immer neuen Streit mit der Türkei sucht und dabei ganz offen das Risiko eingeht, dass die Türkei die über drei Millionen Flüchtlinge im Land selbst in Richtung Europa schickt.
Der deutsche Innenminister hat kürzlich offen gesagt, dass das, was da möglicherweise auf uns zukommt, wesentlich schlimmer werden könnte, als die Flüchtlingskrise von 2015.
Wie schlimm die Lage tatsächlich ist, weiß niemand so genau. Fakt ist, dass die Zahl der Flüchtlinge, die aus der Türkei über die Ägäis nach Griechenland kommen, so groß ist, wie seit 2016 nicht mehr. Am Dienstag, 19. November konnte man im Spiegel lesen, dass alleine am vorherigen Wochenende über 1.350 Flüchtlinge auf den griechischen Inseln angekommen seien.
Die Lager auf den Inseln, wo sie untergebracht werden, sind hoffnungslos überfüllt und so werden sie auch auf das Festland gebracht. In dem Spiegel-Artikel ist die Rede von weiteren 20.000, die aktuell auf das Festland gebracht werden sollen. Da sie nicht in Griechenland bleiben wollen, macht sich dann die Mehrzahl von dort aus auf den Weg nach Norden.
Es gibt jedoch eine Dunkelziffer, über deren Größe man nur spekulieren kann. Wer auf die Landkarte schaut, der stellt fest, dass es viel einfacher wäre, als Flüchtling aus der Türkei nach Griechenland zu kommen, wenn man den Landweg nimmt, anstatt mit Schlauchbooten über das offene Meer zu schippern. Jedoch gibt es über diesen Fluchtweg keine Zahlen. Da dürfte daran liegen, dass die Griechen ganz froh sind, wenn sie die Flüchtlinge nicht registrieren und versorgen müssen. Und die Flüchtlinge, die es über die Grenze schaffen, wollen ja auch weiter nach Norden. Also lässt man die, die es geschafft haben, wahrscheinlich einfach ziehen.
Aber die Griechen versuchen, die Grenze dort zu sichern. Und sie wenden dazu illegale Methoden an, sogenannte „Push-Backs“. Das bedeutet, wenn Griechenland einen Flüchtling an dem Grenzfluss zur Türkei aufgreift, wird er einfach zurückgeschickt. Das mag der eine oder andere in Ordnung finden, aber es ist eben illegal. Wer im Land angekommen ist, darf sich nach geltendem Recht um Asyl bewerben.
Die Türkei hat gemeldet, dass Griechenland in den Monaten von Januar bis Ende Oktober 2019 fast 60.000 Flüchtlinge an der Landgrenze einfach wieder in die Türkei zurückgeschickt hat. Das sagt einiges aus, denn zum einen zeigt es, dass die Griechen nicht zimperlich sind und zum anderen zeigt es, dass die Türkei anscheinend an ihrer Grenze nicht mehr allzu genau hinschaut, wenn jemand nach Griechenland will.
Die Balkanroute ist heute gut gesichert. Schon aus Griechenland herauszukommen, ist nicht einfach. Und auch die anderen Grenzen bis zur EU, die in Kroatien beginnt, sind heute gesichert. Trotzdem haben es schon Tausende bis nach Bosnien geschafft, der letzten Station vor der EU.
Bosnien ist ein armes Land, das nicht scharf darauf ist, die Flüchtlinge, die ohnehin dort nicht bleiben wollen, zu versorgen. Die Lager dort sind klein und katastrophal und die Gemeinden wehren sich gegen die Eröffnung neuer Lager. RT-Deutsch berichtete am 1. November über die Lage in Bosnien und teilte mit, dass geschätzt 8.000 illegale Migranten in Bosnien seien.
Es dürften jedoch weit mehr sein. Am 15. November berichtete der Spiegel über Schätzungen der UNO, die allein in der Nähe der bosnischen Stadt Bihac 7.000 Flüchtlinge vermutete. Bosnien hat in den Lagern dem Bericht zufolge eine Ausgangssperre verhängt, die nur eine Ausnahme kennt: Wer mitteilt, dass er nach Norden, in Richtung Kroatien, weiterzieht, der darf die Flüchtlingslager verlassen.
Die Lager in Bosnien sind nicht winterfest, aber in den Bergen des Balkan wird es im Winter sehr kalt. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die Menschen sich demnächst mit dem Mut der Verzweifelten auf den Weg Richtung Kroatien machen.
An der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien sind nun zum ersten Mal Schüsse gefallen. Über die Hintergründe ist nichts bekannt, außer der Tatsache, dass ein Flüchtling von einem Polizisten angeschossen worden ist.
All dies war absehbar. Eingangs habe ich erwähnt, dass es sich schon im Juli abgezeichnet hat. Und Kroatien hat schon Anfang September 1.800 Polizisten aus der Rente zurück in den aktiven Dienst geholt, um die Grenze Richtung Süden zu sichern. Nur in Deutschland gab es damals noch keine Berichte, denn es standen die Landtagswahlen in Ostdeutschland an. Und von solchen Berichten hätte eine Partei profitiert, die das Feindbild der Medien ist.
Erst jetzt, da die Wahlen gelaufen sind, gibt es auch in Deutschland häufiger Berichte über die Zuspitzung der Situation.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“
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