In der letzten Woche verloren die Aktien von GE an einem Tag über sieben Prozent und notieren mittlerweile auf dem Niveau von 1995. Was für ein Absturz für die einstige Industrieikone, die im August 2000 eine Marktkapitalisierung von 594 Milliarden US-Dollar hatte und heute mit weniger als 70 Milliarden nur noch im Mittelfeld des Aktienindex S&P 500 liegt. Das einstmals wertvollste Unternehmen der Welt und Gründungsmitglied des Dow-Jones-Index flog schon im letzten Sommer nach 111 Jahren Zugehörigkeit aus dem Index. Eine Entwicklung, die noch vor wenigen Jahren undenkbar erschien.
Unter Führung des legendären Jack Welch war GE das Vorbild für die Schaffung von Shareholder Value in diversifizierten Unternehmen. Welch bereinigte das Geschäftsportfolio und führte effiziente Managementmethoden ein, die schnell zum Vorbild für Unternehmen aller Branchen wurden und Geschäftsprozesse revolutionierten. Mindestens ebenso bedeutsam waren Aktienrückkäufe, die Erhöhung des Verschuldungsgrades (Leverage) und schließlich aggressive Bilanzierung. Wohl kein Unternehmen widerspiegelt damit das Zeitalter des Financial Engineerings so wie GE.
Die Börse honorierte es mit immer höheren Kursen – um beeindruckende 4000 Prozent stieg die Aktie in den 20 Jahren seiner Amtszeit. Jack Welch und seine Manager wurden reich. Kein Wunder, dass GE damit einen Trend für die Gesamtwirtschaft auslöste, der bis heute anhält. Praktisch kein börsennotiertes Unternehmen in den USA kann es sich leisten, bei dem Spiel nicht mitzumachen.
Financial Engineering kann – wie der Fall GE zeigt – helfen, dass Maximale aus einem Unternehmen herauszuholen. Es kann aber nicht dauerhaft strategische und operative Probleme im Unternehmen kaschieren. Unter der noch glänzenden Oberfläche wachsen die Probleme. Sobald sie sichtbar werden, drehen die bis dahin positiven Effekte des Financial Engineerings in das Gegenteil. Schulden, die gestern noch als tragbar erschienen, sind es heute nicht mehr.
Zweifel an der Bilanzierung
Schulden sind vor allem dann nicht mehr tolerabel, wenn Zweifel an der Bilanzierung aufkommen. Der Experte Harry Markopolos, der mit seiner Studie den Kurssturz in der vergangenen Woche auslöste, ist kein Unbekannter. Schließlich war er es, der vor den Manipulationen des Bernie Madoff warnte, und zwar schon lange, bevor die SEC mit den Untersuchungen begann. Immerhin das (bisher) größte Ponzi-Schema der Weltgeschichte.
Markopolos spricht nun von einem „Bilanzskandal, der größer ist als die bisherigen Großfälle Enron und Wordcom zusammen“. Insgesamt sollen die Buchhaltungsprobleme, die ihren Ursprung noch in der Zeit von Jack Welch haben, bei GE 38 Milliarden US-Dollar ausmachen, rund 40 Prozent der verbliebenen Marktkapitalisierung. Kein Wunder, dass GE diese Anschuldigungen zurückweist und mit Blick auf die Zusammenarbeit Markopolos mit einem Hedgefonds, der gegen GE spekuliert, von einer versuchten Marktmanipulation spricht.
Das Problem für GE ist erheblich. Selbst wenn sich nur ein Teil der Kritik von Markopolos als wahr herausstellt, ist das derzeitige Rating nicht mehr zu halten. Schon im letzten Herbst wurde GE von den führenden Ratingagenturen herabgestuft. Von Moody‘s um zwei Stufen auf Baa1 und von S&P Global Ratings und Fitch Ratings auf BBB+. Obwohl die Ratingagenturen einen stabilen Ausblick geben, also keine weitere Abstufung erwarten, sah das der Kapitalmarkt schon vor den Ereignissen der letzten Woche anscheinend anders und handelte die Anleihen des Unternehmens bereits wie BBB.
Das liegt zwar noch im Investment-Grade-Bereich, doch man mag sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn die Anleihen des Unternehmens auf Junk-Niveau (also BB oder schlechter) herabgestuft würden. Viele institutionelle Investoren wären dann gezwungen, die Anleihen zu verkaufen, was die Krise des Unternehmens verstärken würde. Wenig beruhigend ist da, dass bei GE in den kommenden zwölf Monaten mehr Anleihen fällig werden, als bei jedem anderen BBB-gerateten Unternehmen.
Da Markopolos offen einen möglichen Konkurs von GE in den Raum stellt, müssen bei allen Investoren die Alarmglocken schellen. Denn nicht nur Anleihen von GE würden dann erheblich unter Druck geraten, sondern das gesamte BBB-Segment der US-Unternehmensanleihen stünde vor einer Neubewertung.
Nicht nur GE manipuliert
Der Bilanzskandal um GE hat das Zeug, den gesamten Markt für Unternehmensanleihen in Mitleidenschaft zu ziehen, mit ungeahnten Folgen für Finanzsystem und Realwirtschaft. Eine Rezession in der Welt wäre dann nicht nur sehr wahrscheinlich – wie heute schon – sondern sicher. Dies liegt auch daran, dass GE nicht allein ist. Schon seit Jahren arbeiten Unternehmen und Analysten an der Wall Street mit selbst definierten Gewinnen. Diese zeigen kontinuierlich nach oben – auch bedingt durch die Welle an Aktienrückkäufen auf Kredit, die die Gewinne pro Aktie nach oben treiben. Das ist zwar alles legal und keine strafbare Manipulation, es ist jedoch schon ein Irreführen der Investoren.
Derweil sieht es mit den wirklichen Gewinnen nicht so gut aus, wie gern verbreitet. Die letzten Zahlen des US-Statistikamtes waren mehr als ernüchternd: Die Gewinne der US-Unternehmen fallen seit einiger Zeit und liegen unter dem Niveau von 2014. Besorgniserregend ist auch das Ausmaß der Korrektur durch die Statistiker. So wurden die Gewinne des Jahres 2018 um immerhin 188 Milliarden US-Dollar bzw. 8,3 Prozent nach unten korrigiert. Im gleichen Zeitraum sind die Gewinne, die an der Wall Street gehandelt werden, weiter gestiegen. Aktien sind also (noch) teurer und Anleihen (noch) unsolider, als wir denken.
Anfälliger Bond-Markt
Seit 2009 ist das Volumen an BBB-Bonds in den USA um fast 230 Prozent auf nunmehr 2500 Milliarden US-Dollar angewachsen. Immerhin die Hälfte aller Investment-Grade Anleihen haben nur noch ein BBB-Rating. Gut 1000 der 2500 Milliarden Dollar-Anleihen, die noch mit BBB geratet sind, haben einen Verschuldungsgrad auf Junkbond-Niveau, müssten also ihr Rating verlieren. Ein Rating, das – wie im Falle von GE – von Ratingagenturen kommt, die schon in der letzten Finanzkrise erst nachlaufend ihre Einschätzung ändern. Investoren sollten sich also nicht darauf verlassen.
Kommt es zu einer Welle an Herabstufungen, drohen massive Kursverluste im Anleihebereich. Zwangsverkäufe treffen auf keine oder unzureichende Nachfrage. Nicht zuletzt als Folge der Regulierung nach der Finanzkrise nehmen die Banken ihre frühere Rolle als Market Maker, die immer für Liquidität sorgen (wenn auch zu einem saftigen Preis), nicht mehr wahr.
Ein Margin Call nimmt sich im Vergleich zu diesem Szenario als Spaziergang aus. Es käme zu deutlichen Kursverlusten bei Anleihen und Aktien, weil die Risikoprämie für die Anleihen nach oben schießt. Die Notenbanken würden zwar versuchen dagegenzuhalten, dürfen aber in den meisten Fällen selbst nur im Investment-Grade-Bereich investieren. Eine weitere Senkung der Zinsen für – als risikofrei angesehene – Staatsanleihen würde da wirkungslos verpuffen. Die Notverkäufe würden auch andere Regionen und Assetklassen erfassen, zusätzlich dadurch beschleunigt, dass nicht wenige Investoren – im Versuch, die mageren Renditen zu verbessern – die Anleihen wiederum auf Kredit gekauft haben. Es wäre die Wiederholung der Ereignisse von 2008 – allerdings bei deutlich höherer weltweiter Verschuldung und Zinsen, die bereits nahe oder unter null liegen.
Vorsicht bei Unternehmensanleihen
Schon seit Monaten zeichnet sich bei den Aktien eine Rotation in Unternehmen mit geringerer Verschuldung ab – ein untrügliches Zeichen für ein baldiges Ende des Aufschwungs. Der Anleihenmarkt zeigt sich davon jedoch noch unbeeindruckt. Obwohl sich die Anzeichen für ein Ende der Aktienhausse mehren und die schlechte Finanzlage der US-Unternehmen allgemein bekannt ist – immerhin hat sogar der IWF diesbezüglich gewarnt – ist der Risikozuschlag („Spread“) für High-Yield-Anleihen (also Anleihen von Unternehmen, die nicht mehr Investment Grade sind) nur geringfügig gestiegen.
Das Fazit dieser Überlegungen liegt auf der Hand: Wir stehen vor erheblichen Verlusten im Markt für Unternehmensanleihen, unabhängig vom konkreten Risiko bei GE. Besonders gefährdet sind Junk-Bonds und Anleihen von Unternehmen, die von den Ratingagenturen besser eingestuft werden, als es ihrem Verschuldungsgrad entspricht. Der Absturz hätte das Zeug, die Weltfinanzkrise wiederzuerwecken, der vonseiten der Notenbanken nicht mehr viel entgegengesetzt werden kann.
Kein Wunder, dass die Rufe nach aggressiven Maßnahmen immer lauter werden. Zuletzt reihte sich der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock in den Kreis jener ein, die die direkte Finanzierung der Staaten durch die Notenbanken befürworten.
Das monetäre Endspiel steht bevor.
Dr. Daniel Stelter –www. think-beyondtheobvious.com
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