„Nach­hal­tiger“ Fisch: Nur ein Marketing-Gag?

Kürzlich war ich auf der Suche nach neuen Bade­hosen für einen Urlaub. Da ich sonst nir­gendwo welche finden konnte, trieb es mich in ein „nach­hal­tiges“ Klei­dungs­ge­schäft. Zwei­felsohne ein Laden mit einer Phi­lo­sophie. Ich kaufte die Bade­hosen, die ich dort fand, ohne mir über­haupt im Klaren über ihre Vorzüge zu sein.

(von Jeffrey Tucker)

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Soweit ich weiß, war das alles nichts weiter als eine Ver­kaufs­taktik (Hinweis: ich befand mich in Nord­ka­li­fornien). Doch solange der Ver­käufer Gewinn macht und ich im Gegenzug coole Dinge bekomme, habe ich absolut nichts dagegen. Es ist doch einfach nur herrlich, wie im Kapi­ta­lismus sogar aus albernen linken Bewe­gungen Profit geschlagen wird und natürlich miss­gönne ich keinem Unter­nehmen einen Marketingvorteil.

Am nächsten Tag war es an der Zeit, das Essen im Hafen­viertel Fisherman’s Wharf zu pro­bieren. Jedes Restaurant bewarb seinen Fisch als regional und nach­haltig. Den regio­nalen Gedanken ver­stand ich. Es war eine schöne Vor­stellung, dass der Fisch, den ich aß, dort draußen auf dem Meer gefangen und mit Booten genau hier­her­ge­bracht wurde, während es mir bei Kar­toffeln bei­spiels­weise völlig egal ist, wo sie angebaut wurden.

Aber was ist ‚nach­hal­tiger‘ Fisch? Ich sah mir das leckere Stück Kabeljau auf meinem Teller genauer an. Tot sah es aus, aber nach­haltig? Nein. Wir leben nun mal in sehr poli­ti­schen Zeiten, des­wegen kann die Beti­telung von etwas als „nach­haltig“ auch bei eher unpo­li­ti­schen Leuten viel aus­lösen. Reflex­artig ver­drehte ich die Augen in Anbe­tracht der ver­meid­lichen Albernheit dieses poli­ti­schen Labels.

Nichts weiter als ein Modewort.

Doch wie sich her­aus­stellte, lag ich damit mehr als falsch!

Das Wort „nach­haltig“ bedeutet etwas. Es handelt sich um ein pri­vates Zer­ti­fikat, das ohne den Zwang einer Regierung ent­standen ist und reale Pro­bleme adres­siert. Es ist aus dem Bedürfnis der Ver­braucher ent­standen, sich über die Her­kunft ihrer Lebens­mittel zu informieren.

Wenn Ozeane und andere Gewässer in Pri­vat­besitz wären, gäbe es jeden Anreiz, die Fisch­be­stände regel­mäßig auf­zu­füllen und Beifang zu ver­meiden, so wie das in jedem pri­vaten Unter­nehmen der Fall ist. Die Forst­wirt­schaft sowie andere Arten von Land­wirt­schaft, sind – was das anbe­langt – gute Fall­studien. Alles in einer Saison aus­zu­beuten hätte kata­stro­phale Folgen, es würde sich also alles um Effi­zienz drehen.

Das bedeutet: Nach­hal­tigkeit ist fest im Wesen des freien Marktes verankert.

Doch Pri­va­ti­sierung ist in der Fischerei-Branche nicht die Regel. Es herrscht die Tragik der All­mende und somit ein all­ge­meiner Anreiz zur Ver­schwendung, also mög­lichst viel an sich zu reißen, bevor der andere es tut.

Schon seit Jahr­zehnten ist man­gelnde Nach­hal­tigkeit in der Fischerei ein ernst­haftes Problem. Der World Wildlife Fund schreibt:

Das Fische­rei­wesen ist maß­geblich ver­ant­wortlich für den Popu­la­ti­ons­rückgang bei vielen Mee­res­tieren. Fischfang ist aber nicht von Natur aus böse. Das Problem ist Über­fi­schung, dass Schiffe schneller Fische fangen, als sich die Bestände erneuern können.

Innerhalb eines halben Jahr­hun­derts hat sich die Anzahl der über­fischten Bestände ver­drei­facht. Laut der Ernäh­rungs- und Land­wirt­schafts­or­ga­ni­sation der Ver­einten Nationen wurde ein Drittel der weltweit geschätzten Fisch­be­stände bis an ihre bio­lo­gi­schen Grenzen und darüber hinaus gedrängt.

Über­fi­schung ist eng mit Beifang ver­bunden, also dem Fang uner­wünschter Mee­res­tiere beim Fischen einer anderen Art. Auch das ist eine ernst­hafte Bedrohung für die Meere, durch die Mil­li­arden von Fischen und hun­dert­tau­sende Mee­res­schild­kröten und Wale völlig unnötig ver­loren gehen.

Die Folgen der Über­fi­schung reichen weit über die Grenzen der Ozeane heraus. Mil­li­arden von Men­schen sind auf Fisch als Eiweiß­quelle ange­wiesen, Mil­lionen von Men­schen auf Fischerei als Lebensgrundlage.

Schon jetzt arbeiten viele Men­schen, die als Fischer, Ver­käufer oder Kon­su­menten auf Fisch ange­wiesen sind, daran, die Mee­res­res­sourcen zu bewahren.

Was ist also die Lösung, in Anbe­tracht dessen, dass eine Pri­va­ti­sierung der Ozeane ein eher unwahr­schein­liches Sze­nario ist? Die Antwort ist eine private Kon­trolle, die auf den Ruf eines Unter­nehmens abzielt. Doch wie würde das in der Praxis aussehen?

Schauen wir uns den vor­lie­genden Fall an.

In den 90er Jahren gründete sich eine neue Orga­ni­sation mit dem Namen Marine Ste­wardship Council. Es handelt sich dabei um eine völlig private Orga­ni­sation, die mit wis­sen­schaft­lichen Stan­dards fest­stellt, ob eine bestimmte Fischerei Fisch­po­pu­la­tionen schont und Beifang ver­meidet, sowie Respekt gegenüber der öko­lo­gi­schen Inte­grität des von ihnen genutzten Gewässers auf­weist. Sie ver­fügen über ein Güte­siegel, das Nach­hal­tigkeit attes­tiert und von Fische­reien, Restau­rants und Geschäften ver­wendet werden kann. So ist es möglich, eine klare Ver­bindung der Lie­fer­kette zurück zur Fischerei nachzuweisen.

Die Orga­ni­sation finan­ziert sich über Gebühren und Zah­lungen für Prü­fungen, die je nach Größe zwi­schen 15.000 und 100.000 US-Dollar betragen können. Das Güte­siegel muss alle fünf Jahre erneuert werden. Die Fische­reien, denen das Siegel ver­liehen wurde, können es dann zur Ver­marktung ihrer Pro­dukte nutzen. Nun kommt die Kauf­ent­scheidung der Kon­su­menten ins Spiel: Es möchte niemand Pro­dukte kaufen, die auf Kosten der Zukunft von Umwelt und Industrie gehen.

Der Rat, der aus einer Zusam­men­arbeit von Umwelt­schützern und Unter­nehmern ent­standen ist, hat mitt­ler­weile Büros auf der ganzen Welt und ist ständig damit beschäftigt, das Fische­rei­wesen zu überwachen.

Vom Ozean bis auf den Teller: MSC-zer­ti­fi­zierte Mee­res­früchte werden ver­folgt, klar von nicht zer­ti­fi­zierten Pro­dukten getrennt und gekenn­zeichnet, so dass sie bis zu einer nach­hal­tigen Quelle zurück­ver­folgt werden können. Jedes Unter­nehmen der Lie­fer­kette muss zer­ti­fi­ziert und jährlich über­prüft werden, um die Ein­haltung der strengen Regeln sicherzustellen.

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Was pas­siert, wenn eine Fischerei ihr Siegel ver­liert? Lebens­mit­tel­ge­schäfte wie Whole Foods werden einfach auf­hören, ihre Waren zu kaufen. Das schadet dem Geschäft. Es ist also keine ideo­lo­gische Hetze von Nöten: Nach­hal­tigkeit liegt im öko­no­mi­schen Interesse aller. Durch diese Ein­fluss­nahme kann die Tragik der All­mende über­wunden werden. Es ist ein bril­lantes Bei­spiel dafür, wie Umwelt­pro­bleme ganz ohne Gesetz­gebung, zen­trale Planung und Zwang bewältigt werden können: Durch private Maßnahmen!

Doch wie ver­hindert man Kor­ruption und Schmier­geld­zahlung? Wie können wir sicher sein, dass die Orga­ni­sation ehr­liche Ent­schei­dungen trifft? Sie gewähr­leistet eine Über­prüfung der Fische­reien durch Dritte und wird zudem selber durch andere Umwelt­or­ga­ni­sa­tionen kon­trol­liert. Green­peace zum Bei­spiel hat schon einige Urteile des Marine Ste­wardship Council ange­fochten. Sie haben ihre Mei­nungs­ver­schie­den­heiten vor einem öffent­lichen Gericht ver­handelt und Kom­pro­misse gefunden – und das auf eine Art und Weise, die weder eine Regierung noch Zwang benötigt.

Das Ganze ist ein wei­terer Fall von „Private Gover­nance“ nach Edward Stringham. Die Ergeb­nisse werden der Öffent­lichkeit zugänglich gemacht, damit die Welt sie sehen kann:

Über 15% des welt­weiten Wild­fangs findet im Rahmen eines MSC-Pro­gramms statt.

Fast 900 Zer­ti­fi­zie­rungs­be­din­gungen, die von Fische­reien seit 2000 erfüllt werden, ver­bessern sich stetig in ihrer Ausführung.

Über 1.600 Ver­bes­se­rungen zur Stärkung und Über­wa­chung der Nach­hal­tigkeit in der Fischerei wurden erzielt.

92% der zer­ti­fi­zierten Fische­reien wurden dazu gebracht, wenigsten eine Sache in ihrem Betrieb zu verbessern.

Über 36.000 Pro­dukte mit dem MSC-Siegel wurden verkauft.

Mehr als 38.000 Unter­nehmen weltweit ver­kaufen zer­ti­fi­zierten, nach­hal­tigen Fisch.

Das ist nur ein ein­ziger Fall, aber er ver­deut­licht, wie gesell­schaft­liche Pro­bleme auf pri­vatem Wege und ganz ohne eine Regierung gelöst werden können. Man muss den Markt Lösungen finden lassen. Wie sich zeigt, sind die Men­schen ver­dammt kreativ und die Kon­su­menten recht reak­ti­ons­stark, solange ihnen die Büro­kratie nicht in die Quere kommt. Außerdem ist das eine Lösung, die den meisten Intel­lek­tu­ellen nicht im Traum ein­ge­fallen wäre.

Mitt­ler­weile ver­drehe ich nicht mehr die Augen, wenn mir das Label „nach­haltig“ über den Weg läuft. Es ist etwas sehr Reales und Wich­tiges. Es zeigt, wie Märkte arbeiten, auch wenn die Situation aus­sichtslos scheint.

Können andere Pro­bleme mit Hilfe der Krea­ti­vität der Men­schen gelöst werden? Ganz egal ob Umwelt­ver­schmutzung, Kli­ma­wandel, Rassen- und Geschlech­ter­un­gleich­heiten, Armut oder schlechter Zugang zu Gesund­heits­ver­sorgung – die Lösung dieser Pro­bleme einer Regierung auf­zu­tragen, ist die mit Abstand schlech­teste Idee. Nur Lösungs­an­sätze, die kreativ, markt­ba­siert und aus der Matrix des Aus­tau­sches und der Wahl­freiheit heraus gene­riert sind, sind erfolgsversprechend.

Über meine neuen Bade­hosen bin ich mir aller­dings wei­terhin im Unklaren. Die erste Wäsche haben sie überlebt, was wohl ein gutes Zeichen ist. Ange­sichts meiner neuen Erkennt­nisse über Fisch werde ich auf jeden Fall an der Sache dranbleiben.

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Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Pia Lehrbach. Der Ori­gi­nal­beitrag mit dem Titel Is “Sus­tainable Fish” Real or a Mar­keting Ploy? ist am 24.1.2020 auf der website des Ame­rican Institute for Eco­nomic Research erschienen.

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Jeffrey A. Tucker ist Redak­ti­ons­leiter des Ame­rican Institute for Eco­nomic Research. Er ist Autor von vielen tausend Artikeln und von acht Büchern in 5 Sprachen. Er hält Vor­träge zu den Themen Wirt­schaft, Technik, Sozi­al­phi­lo­sophie und Kultur.


Quelle: misesde.org