Es wird immer ungemütlicher, sich über irgendwelche Soziale Medien untereinander auszutauschen. Das Parlament hat gerade einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der die Bekämpfung des Rechtsextremismus und der „Hassrede“ auf allen Kanälen auf ein neues Spitzelniveau hebt. „Sicherheitsbehörden“ sollen künftig die Herausgabe der Dazen von „Verdächtigen“ verlangen können. Da ist alles dabei, was wirklich unter Datenschutz fällt: IP-Adressen und Passwörter.
Überdies haben alle sozialen Netzwerke die Pflicht, strafbare Inhalte, z.B. Hassrede, Terrorismusverherrlichung, Drohungen sowie alle Arten von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs nicht mehr einfach nur zu löschen, sondern sofort proaktiv mit Personendaten, wie Internetkennungen, sogar die Port-Nummern, an das Bundeskriminalamt (BKA) zu melden.
Nicht nur Name und Anschrift können Polizei und Geheimdienste damit bald sofort herausfinden, sondern auch Passwörter und alle Zugangsdaten, mit denen der Zugriff geschützt wird auf Nutzerkonten, Endgeräte und auch Internetspeicher, von E‑Mailanbietern wie Mail.de, Web.de Yahoo oder Clouds, von Sozialen Medien, Chatdiensten, Spiele-Apps, Suchmaschinen, Shops und privaten Seiten im Web, Podcasts und Flirt-Communities sind dann ohne Probleme für die Sicherheitsbehörden und damit auch für die Geheimdienste problemlos zugänglich.
Seit Jahren wogt der Kampf um die so genannte „Bestandsdatenauskunft“ – und ist nun verloren. Das Bundeskriminalamt sammelt im Dienst ausländischer Behörden allerhand Daten und Informationen über Bundesbürger, auch über Leute, die nicht einmal im Verdacht stehen, Straftaten zu begehen. Das enthüllte die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff in einem internen Bericht, der Ende September 2019 bekannt wurde.
Wie weit die Ausspähungen und die Weitergabe von sensiblen Informationen ging, fasste die Seite „Bestandsdatenauskunft“ zusammen:
Die Bundesdatenschutzbeauftragte weist in ihrem Bericht insbesondere auf Folgendes hin:
- Das BKA habe teilweise auf unsubstantiierte Anfragen ausländischer Behörden Daten abgefragt.
- Teilweise würden allgemein Netzwerke beteiligter Personen zu einer Szene abgefragt, ohne dass ein Tatverdacht vorliege. So wurden Daten über „Anarchisten“ mit der Unterstellung erhoben, es handele sich um linke Gewalttäter. Auch bei „extremistischen Vereinigungen“ sei teils nicht ersichtlich, welche Straftat oder ob überhaupt ein Strafverfahren vorliegt.
- Es genüge schon ein Kontakt zu einem Beschuldigten, um abgefragt zu werden.
- Ausländische Abfragen könnten auch einer „allgemeinen geheimdienstlichen Lageeinschätzung“ dienen, zu denen Bestandsdatenabfragen nicht zugelassen sind. Teilweise seien bei Anfragen aus dem Ausland Geheimdienste direkt beteiligt. Es gebe in diesen Fällen keine strikte Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst.
- Wegen einer verdächtigen Person seien in einem Fall auch alle anderen Bewohner ihres Hauses abgefragt worden.
- Teilweise seien Informationen über Personen erhoben worden, die nur Zeugen oder Kontaktpersonen waren.
- In einem Fall seien Bestandsdaten (Telekommunikationsdaten) zu einem „weiten Umkreis“ der Zielperson abgefragt worden.
- Die lange Aufbewahrungsdauer von 10 Jahren beim BKA sei „sehr fragwürdig“. Die Dokumentation was, warum, wie lange gespeichert wird sei mangelhaft.
Das bedeutet: Wie ein Geheimdienst kundschaftet das BKA mithilfe der Bestandsdatenauskunft Personen aus, die einer Straftat nicht einmal ansatzweise verdächtig sind, und liefert diese an ausländische Behörden aus – mit ungewissen Konsequenzen.
Nun kommt noch die neue, verschärfte Variante dazu. Der gläserne Bürger ist perfekt. Jetzt braucht es überhaupt keinen Anlass mehr, sondern die Sozialen Medien selber müssen Blockwart spielen. Man kann sich schon im Vorhinein denken, dass diese lieber zu viel als zu wenig melden, um sich nur ja keine Probleme ins Haus zu holen. „Twitter“ und Co. zwitschern nicht mehr, sie verpfeifen jeden gellend.
Es wird keine Ausnahmen geben: Google-Mail, Facebook, WhatsApp, Tinder, Instagram, TikTok, Twitter usw. usf. haben dem Gesetz Folge zu leisten.
Zusätzlich soll schon das “Billigen” oder Androhen von Straftaten in sozialen Netzwerken kriminalisiert werden, wenn der Post geeignet ist, den „öffentlichen Frieden“ zu stören. Auch Drohungen mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, gegen die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen Sachen von bedeutendem Wert, die sich gegen die Betroffenen oder ihnen nahestehende Personen richten, sollen demnächst strafbar sein. Wer im Internet öffentlich andere beleidigt, der kann einer Haftstrafe bis zu zwei Jahre entgegensehen. Das alles fällt unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Überdies wird noch ein Delikt namens „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“ dazukommen.
Das alles lässt weiten Interpretationsspielraum. Am besten, man tauscht nur noch Plätzchenbackrezepte aus. Oder Anleitungen zum Topflappenhäkeln, wenn man nicht in einer ausufernden „Verdachtsdatenbank“ des BKA aufscheinen will. So geht das heute. Da muss nicht mehr, wie im Film „Das Leben der Anderen“ ein Lauscher auf dem Dachboden mühsam mithorchen.
(Den ganzen Film kann man hier ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=6XVOr8OgFqc)
Die Begründung für diese rigide Schnüffelei bis in die letzten Ecken des persönlichen Umfeldes sollen die Anschläge in Halle, Kassel und Hanau sein, die dem Rechtsextremismus zugeschrieben werden. Das hat die Große Koalition beschlossen und einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht.
An IP-Adressen und Nutzernamen – und damit auch deren Adressen, können die zugriffsberechtigten Behörden und Dienste vollkommen frei herankommen, eine richterliche Genehmigung braucht es dazu nicht. Ein Feigenblättchen ist (noch) da: Passwörter und Sicherheitskennungen zu kapern braucht noch einen Richterbeschluss. Und nicht jede Behörde ist abfrageberechtigt. In erster Linie dürfen das Strafverfolgungsbehörden. Auch Behörden, die zuständig sind für die „Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung“, erhalten leicht eine richterliche Genehmigung. Nur wissen wir ja, dass schon in der Vergangenheit von Behörden und Ermittlern gern persönlichste Daten ausgeschnüffelt und Passwörter erlangt und benutzt wurden – ohne dass das lupenrein nach Recht und Gesetz erfolgte.
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