Nachstehend ein Vortrag, den Thorsten Polleit auf der 10. Mark Banco Anlegertagung in Lübeck am 21. August 2020 gehalten hat:
1.
Die Briten haben eine heitere Weise, um auf das Offensichtliche hinzuweisen, und zwar den „Duck-Test“, den Enten-Test:
„If it looks like a duck, swims like a duck, and quacks like a duck, then it probably is a duck.“
Wenn Sie den Eindruck haben, dass sich hinter Klimawandel, Coronavirus und Lockdown-Krise ein neomarxistischer Umsturzversuch verbirgt; dass es sich um eine Neuauflage der Marx‘schen Verelendungstheorie handelt, die mit Panikmache Dinge durchzusetzen versucht, die die freie Gesellschaft, den Kapitalismus (oder das, was von ihm noch übrig ist) zertrümmern; dann sollten sie – dem Enten-Test folgend – nicht leichtfertig ihrem Eindruck misstrauen.
Die geistigen Fingerabdrücke einer neomarxistischen (oder kulturmarxistischen) Agitation sind unübersehbar, dies- und jenseits des Atlantiks.
Die Ziele des Neomarxismus sind nicht zu überhören: Es wird von „großer Transformation“, „neuer Weltordnung“, „Umbau der Wirtschaft“, „Neustart“ (oder: „Reset“) gesprochen.
Ein Wortrepertoire, das nicht von Ungefähr (und dunkel) an die Zeiten von Mao Tse-tungs „Kulturrevolution“ erinnert.
2.
Eine seit langem gehegte und gepflegte Saat der geistigen Verirrung und Verwirrung geht auf, und ihre ideengeschichtliche Spur ist zweifelsfrei auszumachen.
Sie führt beispielsweise zum italienischen Marxismus-Theoretiker Antonio Gramsci (1891–1937).
Er vertrat die Auffassung, dass der Marxismus sich im Westen (anders als in Russland) nicht durch einen blutigen Umsturz errichten lasse.
Man müsse hier anders vorgehen, und zwar müsse man das bürgerliche Moral- und Wertesystem umstürzen, die bürgerliche Gesellschaft zerrütten.
Ehe, Familie, Eigentum, Recht, Grenzen, Nation und christlicher Glaube sind zu relativieren und zu diskreditieren.
Dazu sind Konflikte herbeizureden und zu schüren – zwischen Arm und Reich, Frau und Mann, Weißen und Schwarzen; Geschichte wird umgedeutet; Denkmäler werden umgerissen; die Sprache wird neu geregelt; das freie und vernünftige Denken wird abgewürgt.
Und als Ursache aller gesellschaftlicher Übelstände, die zu beklagen sind, wird der Kapitalismus, das System der freien Märkte, gebrandmarkt: Der Kapitalismus sei das Übel und müsse durch den Staat gebändigt, entmachtet, durch den Sozialismus ersetzt werden.
Die Massen müssen, so Gramsci, marxistisch indoktriniert werden, und wenn die marxistische Kultur-Hegemonie errungen ist, dann ist auch der Weg in den Sozialismus frei.
Gramscis Ideen haben natürlich Berührungspunkte mit der „Kritischen Theorie“ der Frankfurter Schule (Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse).
Dass (neo-)marxistische Ideen heute noch hoch im Kurs stehen (auch nach dem Scheitern des Ostblocks), ist in erheblichem Maße auch der Frankfurter Schule zu verdanken (zumindest ihrer radikalen Rezeption[1]).
3.
Es ist wirklich erstaunlich, wo marxistische Ideen den Weltenlauf in concreto beeinflussen.
Beispielsweise ist die Idee, eine Zentralbank zu errichten, die das Monopol über das Geld innehat, eine marxistische.
Im „Manifest der Kommunistischen Partei“ aus dem Jahr 1848 nennt Karl Marx (1818–1883) zehn „Maßregeln“, die zum Kommunismus führen.
Maßregel Nummer fünf heißt: „Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol“.
Marx scheint geahnt zu haben, was alles möglich wird, wenn der Staat erst einmal die Geldproduktion in den Händen hält.
Es sollte zwar noch etwas dauern, bis Marx‘ Vision Wirklichkeit werden sollte, aber Anfang der 1970er Jahre war es dann so weit:
Die Golddeckung der Währungen wurde von den Staaten aufgehoben, und damit wurde ein weltweites ungedecktes Geldsystem, ein Fiatgeldsystem, aus der Taufe gehoben.
4.
Das lateinische Wort „fiat“ bedeutet „so sei es“. Fiat-Geld ist demnach verordnetes, diktiertes Geld.
Es zeichnet sich durch drei Eigenschaften aus:
(1) Fiat-Geld ist staatlich monopolisiertes Geld. Die staatlichen Zentralbanken haben das Produktionsmonopol inne.
(2) Fiat-Geld wird durch Kreditvergabe aus dem Nichts geschaffen: Wenn Banken Kredite vergeben, geben sie neues Geld in Umlauf.
Und (3): Fiat-Geld ist entmaterialisiertes Geld. Es hat die Form von bunt bedruckten Papierzetteln (genauer: Baumwollläppchen) und Einträgen auf Computerfestplatten (Bits und Bytes).
Ob US-Dollar, Euro, chinesischer Renminbi, japanischer Yen, Britisches Pfund oder Schweizer Franken: Sie alle sind Fiat-Geld.
Das Fiat-Geld ist ökonomisch und ethisch defekt.
(i) Fiat-Geld ist inflationär. Es verliert seine Kaufkraft im Zeitablauf, weil seine Menge von den staatlichen Zentralbanken unablässig und nach politischen Erwägungen vermehrt wird.
(ii) Fiat-Geld begünstigt einige auf Kosten vieler, es ist sozial ungerecht. Es sorgt für eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen, indem es die Erstempfänger des neuen Geldes begünstigt auf Kosten derjenigen, die die neue Geldmenge erst später erhalten oder gar nichts von ihr abbekommen (das ist der „Cantillon Effekt“).
(iii) Fiat-Geld sorgt für Wirtschaftsstörungen, für Boom-und-Bust.
(iv) Fiat-Geld treibt die Volkswirtschaften in die Überschuldung: Die Schuldenlasten wachsen im Zeitablauf stärker an, als die Einkommen zunehmen.
(v) Fiat-Geld lässt den Staat auswuchern – zu Lasten der Freiheit der Bürger und Unternehmer.
(vi) Fiat-Geld beschädigt die Moral- und Wertevorstellungen der Menschen, führt zu einer „Umwertung aller Werte“, um eine Formulierung von Friedrich Nietzsche (1844–1900) zu gebrauchen.
5.
Für alle Gegner der freien Gesellschaft und Wirtschaft war (und ist) die Einführung von Fiat-Geld ein großer Wurf (oder, wie Mao Tse-Tung vielleicht sagen würde: ein „großer Sprung nach vorn“.)
Warum? Die Antwort gibt uns der österreichische Ökonom Ludwig von Mises (1881–1973). Er erkannte frühzeitig, wohin die Verwendung von Fiatgeld letztlich führt:
Es wäre ein Irrtum, wollte man annehmen, daß der Bestand der modernen Organisation des Tauschverkehres für die Zukunft gesichert sei. Sie trägt in ihrem Innern bereits den Keim der Zerstörung. Die Entwicklung des Umlaufsmittels (gemeint ist Fiatgeld, A. d. V.) muss notwendigerweise zu ihrem Zusammenbruche führen.
Mises sagt uns also (und er formulierte diese Worte bereits im Jahr 1912), dass das Fiat-Geld das freie Gesellschafts- und Marktsystem kaputtmacht.
Das nächste Zitat ist vom US-amerikanischen Ökonomen und Gesellschaftsphilosophen Murray N. Rothbard (1926–1995), der bei Mises‘ gelernt hat. Rothbard schrieb:
[I]f fiat money could not continue indefinitely, I would not have to come here to plead for its abolition.
Übersetzt heißt das: „Wenn das Fiat-Geld nicht unendlich weiterbestehen könnte, wäre ich nicht erschienen, um für seine Abschaffung zu plädieren.“
Rothbard glaubt also nicht, dass das Fiat-Geld eine vorübergehende Erscheinung sei, dass es sich irgendwann sozusagen selbstzerstört.
Um das Fiat-Geld loszuwerden, so lassen sich Rothbards Worte interpretieren, braucht es eine bewusste Entscheidung, dass Fiat-Geld zu beenden und es durch besseres Geld zu ersetzen.
6.
Doch den Weg zu besserem Geld versperrt der Staat (wie wir ihn heute kennen). Er ist der territoriale Monopolist mit der Letztentscheidungsmacht über alle Konflikte auf seinem Gebiet, ausgestattet mit der Macht zur Besteuerung.
Ein solcher Staat ist stets – ob in der Form der Monarchie oder der Demokratie – das Ergebnis von Zwang und Gewalt.
Und er kann sich auch nur durch Zwang und Gewalt erhalten.
Schließlich lebt er von der Hände Arbeit seiner Untergebenen: Alles was der Staat bekommt und ausgeben kann, muss er zuvor produktiven Menschen weggenommen haben.
Diese Plünderung kann verschiedene Formen annehmen. Für den Staat ist die Ausgabe von Fiat-Geld besonders lukrativ (und natürlich auch für seine „Freunde“, beispielsweise die Banken).
Der Staat schafft neues Geld aus dem Nichts und kauft damit den Produktiven ihre Güter ab. Er und alle von ihm Begünstigten profitieren, die Fleißigen sind die Dummen.
Warum, so werden Sie fragen, lassen sich die Produktiven das gefallen? Zum einen wissen vermutlich viele von ihnen gar nicht, dass sie durch das Fiatgeld geprellt werden.
Zum anderen verbirgt der Staat geschickt sein wahres Gesicht. Er tritt den Menschen nicht nur als Räuber gegenüber, sondern auch als gebende Hand: Er teilt seine Beute mit den Beraubten.
Wer dem Staat hilfreich erscheint, wird belohnt, und wer ihm lästig ist, wird benachteiligt. Auf diese Weise erkauft der Staat sich seine Gefolgschaft.
7.
Das gilt insbesondere für den demokratischen Staat. Denn hier müssen die Regierenden um die Gunst der Wähler buhlen, und die lässt sich am besten erkaufen.
Und daher ist es nicht verwunderlich, dass in einem demokratischen Staat, der nicht zwischen Mein und Dein unterscheiden kann, der demokratische Sozialismus aufblüht.
Der demokratische Sozialismus will die Eigentumsverhältnisse nicht wie der russische Sozialismus durch blutige Revolution umstürzen.
Er will den Sozialismus vielmehr nach und nach mittels parlamentarischer Mehrheiten herbeiführen, ihn in kleinen Schritten Wirklichkeit werden lassen.
Die demokratischen Sozialisten sagen, dass niemand Anspruch auf 100% der Erträge seiner Arbeit und seines Eigentums hat, sondern dass ein Teil davon der Gemeinschaft gehört und an den Staat abzuführen ist.
Der demokratische Sozialismus ist die unangefochtene Ideologie unserer Zeit. Er findet sich – wenngleich auch in unterschiedlicher Ausprägung – in allen Teilen der Welt: in den USA, Europa, Japan, Lateinamerika, Afrika.
Er sorgt dafür, dass der Staat immer stärker in Wirtschaft und Gesellschaft eingreift – wie zum Beispiel in Bildung (Kindergarten, Schule, Universität), Gesundheit, Pensionen, Medien, Recht und Sicherheit, Geld und Kredit, Transport, Umwelt.
Der demokratische Sozialismus ist das Rezept par excellence, um einen „tiefen Staat“ („Deep State“) entstehen zu lassen; er ist eine Strategie zur Gewinnung und Ausweitung von Herrschaftsmacht, die sich vieler Anhänger erfreut.
Hinter ihm scharen sich gemäßigte Sozialdemokraten, radikale Neo- oder Kulturmarxisten, aber auch viele andere herrschaftssüchtige Geister, die ihren Mitmenschen Befehle erteilen und sie lenken wollen.
8.
Die demokratischen Sozialisten können recht ungestört ihre Sache voranbringen, weil die meisten Menschen meinen, alles sei gut, solange es demokratisch zugehe.
Was dabei jedoch leider übersehen wird, ist, dass es in der Demokratie zu einer Oligarchisierung kommt: zu einer Herrschaft einiger weniger über die vielen.
Diese Einsicht formulierte der Soziologe Robert Michels (1876–1936) in „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie“. In diesem im Jahr 1911 erschienen Buch formuliert Michels das „eherne Gesetz der Oligarchie”.
In Demokratien bilden sich, so argumentiert Michels, Parteien heraus. Parteien sind Organisationen, und sie bedürfen der festen Führung.
Die übernimmt eine kleine Gruppe von Menschen – die besonders gewieft ist und den unbedingten Willen zur Macht hat. Über kurz oder lang sind es die wenigen, die den Parteiapparat beherrschen.
Es entsteht eine oligarchisierte Parteielite. Weil sie den Parteiapparat von unten bis oben beherrscht, kann sie sich auch gegen Kritik von innen und außen wirksam immunisieren.
Die Parteielite kann sich vom Partei- und Wählervotum entfernen, eigne Ziele verfolgen, mit Lobbygruppen („Big Business“) kooperieren, und der Wählerwille bleibt auf der Strecke.
Es bildet sich zudem ein Kartell zwischen den Parteien heraus, das den Weg zur Oligarchisierung der Demokratie ebnet und den Parteioligarchen weitgespannte Handlungsspielräume eröffnet.
Die Parteiendemokratie – wenn man sich von ihr die Selbstbestimmung der Wähler erhofft – ist also eine große Illusion, so Michels: In der Demokratie kommt es vielmehr zur Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über die Auftraggeber.
Extreme Politiken lassen sich dann umsetzen, die auf basis-demokratischem Wege nicht so ohne weiteres möglich wären – wie der Abbau nationalstaatlicher Souveränität zu Gunsten supra-nationaler Institutionen oder die „Politik der offenen Grenzen“.
9.
Es entsteht nicht nur ein nationales, sondern auch ein internationales Kartell der Parteieliten – so lassen sich Michels Überlegungen weiterdenken.
Internationale Institutionen wie beispielsweise die Vereinten Nationen, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank, aber auch Foren wie die G‑7 und die G‑20 sind das Ergebnis der politischen Kartelldynamik.
Was alle demokratischen Sozialisten eint, ist, dass die Menschen ihr Leben nicht frei und selbstbestimmt führen dürfen; dass ihre Geschicke politisch zu steuern sind – und zwar gemäß kollektivistischen-sozialistischen Idealen.
Die demokratischen Sozialisten aller Schattierungen dulden oder drängen daher auch darauf, einen weltweiten demokratischen Sozialismus zu errichten.
Allein schon deswegen, weil die Leistungsfähigkeit isolierter demokratisch-sozialistischer Systeme nicht mithalten kann mit der von kapitalistischen.
Doch wie lässt sich ein demokratischer Weltsozialismus schaffen?
Die demokratischen Sozialisten könnten zum Beispiel versuchen, die Arbeitsmärkte oder die Besteuerung von Unternehmen international zu vereinheitlichen; oder die Nationalstaaten abzuschaffen, etwa durch politisch gesteuerte Migration.
Doch beides ist schwierig und langwierig. Es scheint eine Abkürzung zu geben: Und zwar das Geld auf der Welt zu vereinheitlichen; also dafür zu sorgen, dass alle Menschen das gleiche Geld verwenden.
Diese Idee haben die demokratischen Sozialisten bereits „im Kleinen“ in Europa realisiert.
Hier haben 1999 elf Regierungen beschlossen, ihre nationalen Währungen in eine Einheitswährung, den Euro, zu überführen.
Mit dem Euro haben die demokratischen Sozialisten die Blaupause geliefert, um das, was ihnen „im Kleinen“ in Europa gelungen ist, auch weltweit „im Großen“ umzusetzen.
Die Idee, dass alle Menschen auf der Welt das gleiche Geld verwenden, ist ökonomisch gesehen durchaus vernünftig. Sie ist sogar optimal.
Denn die Wirtschaftsrechnung, die in Geld ausgeführt wird, lässt sich dann bestmöglich ausschöpfen, zum Wohle aller, die in die internationale Arbeitsteilung eingebunden sind.
So sinnvoll eine Weltwährung aber auch ökonomisch ist, die entscheidende Frage lautet: Wer soll das Einheitsgeld bereitstellen? Der Staat oder die freien Märkte?
Stand heute ist die Frage rein rhetorisch, denn die Staaten haben das Geldmonopol inne – und wollen es nicht mehr hergeben.
10.
Genauer gesagt: Die staatlichen Zentralbanken, die im Dienste der oligarchisierten Demokratien stehen, sind die Herren über das Geld.
Zwar wetteifern auch andere machtvolle Gruppen darum, das Geldmonopol für ihre eigenen Zwecke einzuspannen – wie „Big Business“ und „Big Banking“.
Doch in einer Welt, in der der demokratische Sozialismus zur mehrheitlich akzeptierten Ideologie aufgestiegen ist, erwächst daraus kein grundsätzlicher Konflikt.
Regierungen und Großunternehmen und Großbanken sind sich vielmehr einig und befürworten die Schaffung eines Welteinheitsgeldes: Denn es stellt mehr politische Machtzentralisierung und größere Märkte und Gewinne in Aussicht.
Rein praktisch gesehen lässt sich ein politisiertes Welteinheitsgeld im Grunde nur aus den bereits vorhandenen Fiat-Währungen konstruieren.
Deshalb setzen die Zentralbanken auch alles daran, dass internationale Fiatgeldsystem zu erhalten.
So verwundert es nicht, dass die Zentralbanken seit Ende 2008 auf den internationalen Kreditmärkten nichts mehr anbrennen lassen. „Liquidität-Swap-Abkommen“ heißt ihre Wunderwaffe.
Im Zuge von Liquidität-Swap-Abkommen leihen Zentralbanken sich untereinander ihre Währungen in unbegrenzter Höhe, damit sie sie an ihre heimischen Geschäftsbanken weiterreichen können, wenn diese auf den Märkten keine Fremdwährungskredite mehr bekommen.
Die großen Zentralbanken der Welt haben ein Kartell gebildet, um mit vereinten Monopolkräften den wunden Punkt im internationalen Fiatgeldsystem auszumerzen: den Kreditausfall im großen Stil.
Liquidität-Swap-Abkommen sind im Grunde nichts anderes als eine Vorstufe zu einer vereinheitlichten Weltgeldpolitik.
11.
Rufen wir uns an dieser Stelle die Botschaften von Ludwig von Mises und Murray Rothbard noch einmal in Erinnerung:
Fiat-Geld zerstört die freie Markt- und Gesellschaftsordnung; und es schafft sich nicht selbst ab.
Wie wahr! In den Dekaden des entfesselten Fiat-Geldes ist das, was von der freien Markt- und Gesellschaftsordnung noch übrig war, immer weiter zurückgedrängt worden.
Und keine Finanz- und Wirtschaftskrise hat vermocht, das Fiat-Geldsystem aus den Angeln zu heben.
Doch kommt vielleicht jetzt der Kollaps? Ist die Lockdown-Krise der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt? Um diese Fragen zu beantworten, ist es hilfreich zu betonen, dass Krise nicht gleich Krise ist.
Die Krise 2008/2009 war eine Kreditkrise: Investoren hatten Sorge, dass Schuldner ihren Schuldendienst nicht mehr leisten könnten.
Eine erneute Kreditkrise kann und wird das internationale Zentralbankkartell sehr wahrscheinlich verhindern.
Die Investoren gehen bereits davon aus, dass die Zentralbanken ein „Sicherheitsnetz“ aufgespannt haben, dass alle systemrelevanten Schuldner gerettet werden, dass es keine Großpleite geben wird.
In der Tat: Die Zentralbanken haben – und das ist eine wichtige Einsicht – die Korrekturkräfte der Kapitalmärkte lahmgelegt.
Ein Zinsanstieg, der die Schuldenpyramide umstoßen, der den großen gefürchteten Bust auslösen könnte, ist quasi verunmöglicht.
Allerdings ist eine Währungskrise viel wahrscheinlicher geworden, da immer mehr Geld in Umlauf gebracht werden muss, um das System über Wasser zu halten.
Eine Währungskrise bedeutet, dass die Menschen dem Geld nicht mehr trauen, weil sie fürchten, dass es seine Kaufkraft verliert. Es kommt zu einer „Flucht aus der Währung“.
Doch eine Währungskrise besiegelt nicht schon notwendigerweise das Ende des Fiatgeldes. Selbst wenn es zu sehr hoher Inflation oder gar Hyperinflation kommt.
Die Währungsgeschichte zeigt viele Beispiele, in denen die Kaufkraft des Geldes durch Hyperinflation zwar stark herabgesetzt wurde, die Währung aber dennoch weiter umlief.
Man denke etwa an die österreichische Krone in den frühen 1920er Jahren; den chinesischen Yuan in der ersten Hälfte der 1940er Jahre; den israelischen Shekl in den frühen 1970er und 1980er Jahren; den Russischen Rubel und den brasilianischen Real zu Beginn der 1990er Jahre. Sie alle hyperinflationierten, aber sie alle gibt es heute noch.
Die gruselige deutsche Erfahrung mit der Hyperinflation in den 1920er Jahren ist so gesehen ein Extremszenario – denn die Papiermark ging dabei tatsächlich unter.
Die Reichsbank druckte so viele neue Banknoten, dass die Menschen davon ausgehen mussten, die Geldmengenvermehrung werde sich immer weiter beschleunigen, werde gar nicht mehr aufhören. Die Papiermark verlor ihre Geldfunktion.
Wenn die Zentralbankräte jedoch gerissen genug sind (und nicht so plump vorgehen wie die Reichsbankräte in den 1920er Jahren), dann können sie eine Inflation fabrizieren, ohne dass das Fiatgeld untergeht.
Denn die Zentralbankräte haben ganz erhebliche Spielräume: Die Währungsgeschichte lehrt, dass die Preisinflation zeitweise auch schätzungsweise 10 bis 15 Prozent pro Jahr betragen kann, ohne dass dadurch die Menschen aus dem Geld fliehen.
12.
Ein weiterer wichtiger Gedanke an dieser Stelle: Inflation kann dem Staat und den von ihm begünstigten Sonderinteressengruppen dazu verhelfen, noch machtvoller zu werden.
Denn was passiert, wenn die Inflation kräftig anzieht, wenn alles teurer wird, wenn die breite Bevölkerung sich das Gewohnte nicht mehr leisten kann?
Es werden Sündenböcke gesucht. Und vielleicht werden der amtierende Präsident oder die regierende Kanzlerin zum Teufel gejagt.
Aber in der Stunde der Not fordern die Massen wahrscheinlich nicht weniger Staat und auch nicht das Ende des Fiat-Geldes – zumindest wenn man von der heute vorzufindenden Gesinnung in Politik und Gesellschaft ausgeht.
Es wird vermutlich nach einem besseren Staat und nach besseren Politikern gerufen!
Krisen, besonders große Krisen, sind ein Wachstumselixier für den Staat – und sie treiben auch die Schaffung einer Welteinheitswährung, insbesondere wenn sie zur „Crash-Verhinderung“ angepriesen wird, voran.
13.
Es gibt eine ganze Reihe von Prognosen zu den wirtschaftlichen und finanziellen Folgen von Corona und der Lockdown-Krise.
Mir scheint, dass viele von diesen Zukunftseinschätzungen die Krisenträchtigkeit des Fiatgeldsystems sehr wohl und gut durchschaut haben.
Was allerdings häufig unterschätzt wird, so mein Eindruck, ist die Macht und die Ruchlosigkeit der oligarchisierten Demokratien, wenn es gilt, ihr System vor dem Einsturz zu bewahren.
Das ist auch der Grund, warum ich die Wahrscheinlichkeit für einen unmittelbar bevorstehenden Währungs-Crash, für ein baldiges Ende des Papiergeldes, als relativ gering einschätze. Wohlgemerkt: Nicht auf null Prozent, aber doch eben recht gering.
Mir erscheint es viel wahrscheinlicher, dass den Regierenden und Regierten kein Preis zu hoch sein wird, den Papiergeld- und Systemkollaps abzuwenden durch einen quasi unbegrenzten „Bail Out“.
Er wird bekämpft, indem zum Beispiel die Daumenschrauben der finanziellen Repression noch stärker angezogen werden.
Man gibt Helikoptergeld aus, spült der Bevölkerung neues Geld (zum Beispiel als bedingungsloses Grundeinkommen) auf ihre Konten, lässt sie damit teilhaben an der Geldmengenvermehrung und verlängert so ihre Systemtreue.
Systemrelevanten Banken werden unbegrenzte Finanzspritzen verabreicht.
Bankkunden können vermutlich schon bald ihre Guthaben 1:1 in digitales Zentralbankgeld eintauschen, die Sorge vor einem Bank Run ist damit passé.
Großunternehmen, aber auch kleinere und mittlere Firmen bekommen neue Kredite, wo nötig auch eine staatliche Hilfsbeteiligung.
Wie das finanziert wird? Mit neuen Staatsschulden, die die Zentralbank mit neu geschaffenen Geld bezahlt.
Das wird natürlich die Güterpreisinflation in die Höhe treiben – in Form von Konsumgüterpreisinflation oder Vermögenspreisinflation, wahrscheinlich aber einer Kombination aus beiden.
Und sollte die Güterpreisinflation zu stark ansteigen, führt man Preiskontrollen oder Preisstopps ein – für zum Beispiel Lebensmittel, Mieten und Löhne (so wurde beispielsweise in den USA Anfang der 1970er Jahre vorgegangen).
Das bittere Ergebnis all dessen ist: Der Kampf gegen den Kollaps des Papiergeldsystems und der Auswüchse, die es gebracht hat, transformiert die westliche Welt in eine Lenkungs- und Befehlswirtschaft – ganz ähnlich der, die die Nationalsozialisten im Dritten Reich errichteten.
Hier galt: Das Eigentum an den Produktionsmitteln blieb zwar formal erhalten, doch der Staat – durch Gesetze, Regulierungen und Vorgaben – lenkte Produktion und Verteilung zusehends nach seinem Willen.
Dieser Weg – der Weg in die Befehls- und Lenkungswirtschaft – lässt sich, so fürchte ich, noch einige lange Jahre beschreiten, ohne dass es zu einem Ende des Fiatgeldes, zu einem System-Crash kommt.
Und damit haben Sie nun auch die Erklärung, warum der Vortrag den Titel trägt: „Ohne Bail-Out System-Crash. Mit ihm die Knechtschaft“.
14.
Abschließend noch ein paar Gedanken über die Geldanlage in den 1 bis 2 Jahren, die vor uns liegen.
Eine der größten Herausforderungen für Anleger ist es, mit dem Geldwertschwund umzugehen. Die Kaufkraft von US-Dollar, Euro und Co wird schrumpfen, und zwar sehr viel stärker als in den letzten zwei Dekaden.
Eine Möglichkeit, der Geldentwertung zu entgehen, ist das Halten von Gold und Silber (in physischer Form). Gold kann nicht von der Zentralbankpolitik entwertet werden.
Es trägt auch kein Zahlungsausfallrisiko. So gesehen ist Gold eine Versicherung mit Wertsteigerungspotential. Es wird ganz bestimmt auch eine neuerliche Papiergeldentwertung überstehen.
Wenn Sie meine Zukunftseinschätzung teilen, dann sollten Sie auch darüber nachdenken, in Aktien zu investieren, im einfachsten Fall in einen diversifizierten Weltaktienmarkt-Index.
Warum? Wenn Sie Produktivitätskapital besitzen, nehmen sie am Wohlstandszuwachs teil – und der ist auch in einer Lenkungswirtschaft noch möglich, wenngleich stark vermindert. (Beispiel: Von 1933 bis 1939 stieg der deutsche Aktienmarkt um jahresdurchschnittlich etwa 6,3% ohne Dividenden.)
Zudem werden die Kurse auf dem Aktienmarkt (wie auch die Preise für Immobilien) sehr wahrscheinlich durch den fortgesetzten Nullzinswahnsinn weiter ansteigen.
Den Grund dafür erklärt diese Formel:
P = D / i.
Sie besagt, dass der Preis (P) eines Vermögensgutes (Aktien, Anleihe oder Haus) sich errechnet, indem man alle künftigen Einzahlungen (D) mit dem Zins (i) abdiskontiert.
Beispiel: Sie bekommen jedes Jahr 1000 Euro bis in die Unendlichkeit. Ist der Zins 5%, dann ist der Barwert der Zahlungsreihe 20.000 Euro (also 1000 / 0,05).
Fällt der Zins auf 4%, steigt der Barwert auf 25.000 Euro. Und rutscht der Zins auf 1% ab, klettert der Barwert auf 100.000 Euro.
Die Null- und Negativzinspolitik ist zwar längst dabei, die Vermögenspreise in die Höhe zu treiben – Aktien, Häuser, Grundstücke –, und verstärkt wird das noch durch das Ausweitgen der Geldmenge.
Doch dieser Prozess ist, so denke ich, noch nicht abgeschlossen. Eine ganze Reihe von Zinsen in den Konsumenten- und Unternehmenskredit- und Hypothekarmärkten kann (und wird) noch gesenkt werden.
Konsequent zu Ende gedacht führt das, was ich hier angedacht habe, in eine Nullrenditewelt – in der nicht nur die Zinsen auf der Nulllinie liegen, sondern auch die Vermögenspreise so stark inflationieren, dass diejenigen, die sie zu diesen inflationierten Niveaus kaufen, keine positive Rendite mehr werden erzielen können.
15.
Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren, damit bin ich am Ende meines Vortrages.
Die Zukunft ist für uns Menschen weitgehend unsicher. Das gilt auch für meine in die Zukunft gerichteten Einschätzungen, die ich Ihnen vorgetragen habe.
Das liegt nicht nur an der Unsicherheit künftiger Geschehnisse, sondern auch am Phänomen der Selbstnegation, das es im Bereich des menschlichen Handels gibt: Die Prophezeiung tritt deshalb nicht ein, weil ihre Verkündung die Menschen veranlasst, ihr Verhalten zu ändern.
Ich jedenfalls wäre höchst erfreut, wenn meine Ausführungen genau dazu einen wirksamen Beitrag leisten: dass es anders kommt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
[1] Siehe hierzu z. B. Brandt, T., Miltimore, J. (2019), Herbert Marcuse: The Philosopher Behind the Ideology of the Anti-Fascists, Foundation for Economic Education, 1 February.
Thorsten Polleit, Jahrgang 1967, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa. Er ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist zudem aktiv als Investor und Investment Advisor für institutionelle Investoren. Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.com. Hier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.
Quelle: misesde.org
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