Der mys­te­riöse Divi-Überfall: War es die RAF der vierten Generation?

Ein Bau­ernhof Ende der 1980er-Jahre irgendwo zwi­schen Münster und Bremen. Es ist Abend, und in der kleinen Küche des ein­samen Anwesens sitzen drei Männer am Tisch. Vor sich haben sie damp­fende Kaf­fee­becher, Ziga­ret­ten­rauch steigt an die Zim­mer­decke. Auf dem Tisch liegen aus­ge­breitete Stadt­pläne, Stifte und Papier. Viel­sagend blicken sich die Drei immer wieder an, machen Notizen, mar­kieren bestimmte Punkte auf den Plänen.

Was auf den ersten Blick wie die Vor­be­rei­tungen einer Urlaubs­reise aus­sieht, sind die letzten theo­re­ti­schen Schritte eines bru­talen Ver­bre­chens, bei dem Men­schen­leben keine Rolle spielen. Das Ziel der Männer: das Ruhr­gebiet. Dort wollen sie eine Filiale der Super­markt­kette „Divi“ über­fallen. Sie rechnen mit meh­reren Hun­dert­tausend als Beute. Es ist schon kurz vor Mit­ter­nacht, als sie ihre Uten­silien vom Tisch räumen und ihre Tassen aus­trinken. Morgen wollen sie topfit sein. Start ist um acht Uhr.

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In aller Ruhe arbeiten sich die Männer durch den mor­gend­lichen Berufs­verkehr Richtung Ruhr­gebiet. Die Zeit drängt nicht, denn der Coup ist erst für den kom­menden Tag geplant. Zunächst werden sie Station in Essen machen und bei Unter­stützern Quartier beziehen. Zu risi­ko­reich wären Anreise und Tat zusammen an einem Tag. Die Kon­zen­tration könnte bei dem einen oder anderen oder allen nicht auf der erfor­der­lichen Höhe sein. Ein län­gerer Stau oder gar ein Unfall könnte sich ereignen. Des­wegen haben sie auch ihre Waffen nicht im Wagen – zu gefährlich. Ein dummer Zufall und die ganze Sache wäre geplatzt, bevor sie richtig begonnen hätte.

Die Männer sind Profis, bereiten sich cool und auf lange Sicht vor. Mittags sind sie an ihrem Ziel und nehmen bei Freunden erst einmal eine Dusche. Dann setzen sie sich in ein gemüt­liches Cafe im Essener Stadtteil Hols­ter­hausen. Sie müssen schmunzeln, denn sie sind nur wenige Meter vom Poli­zei­prä­sidium Essen ent­fernt und noch kürzer ist der Weg zum Kli­nikum, wo sie Unter­stützer, wahr­scheinlich von den Gen-For­schungs­gegnern, haben. Auch Gefängnis und Gericht sind nicht weit weg. Doch die Männer sind sich sicher: In einem der Gebäude werden sie später nicht landen. Als der Überfall-Alarm bei der Polizei in Bochum ein­läuft, sind die Täter längst vom Divi-Park­platz im Stadtteil Wat­ten­scheid geflohen und befinden sich auf dem Weg nach Essen-Kray. Alles hat wie am Schnürchen geklappt. Geld­boten abge­passt, abkas­siert und ab durch die Mitte.

Im Hörster Feld, einer Tra­ban­ten­stadt in Essen, stoßen die Gangster auf die Polizei. Es kommt zu einer Schie­ßerei, bei der ein Täter ver­letzt und ein anderer unver­letzt fest­ge­nommen wird. Ein dritter Mann kann fliehen. Er soll sich Jahre später, nach der Ver­jährung der Tat, stellen. In den Taschen der Gangster – wie sich später her­aus­stellt – finden sich Hin­weise auf Per­sonen aus dem Umfeld der RAF. So liegen darin nicht nur ein Teil der Beute, sondern auch Pläne eines Weges entlang der A 40 von Wat­ten­scheid zum Uni-Kli­nikum Essen, wo es das links­ge­richtete „Gen-Archiv“ gibt. Dort ver­liert sich die Spur, doch die Ermittler sind davon über­zeugt, dass es im Gen-Labor tat­kräftige Helfer der Gangster gibt, die aus dem ter­ro­ris­ti­schen Umfeld der RAF stammen.

Außerdem waren die Täter im Besitz von Schlüsseln, mit denen sich die rot-weißen Sperr­pfosten entlang des Flucht­weges auf­schließen ließen. Schließlich ent­sprach ihr Flucht­wagen exakt dem Aus­sehen eines Zivil­wagens der Polizei mit dem dazu gehö­rigen Kenn­zeichen. Des­wegen ver­mu­teten die Behörden zeit­weise Helfer der Gangster in den Reihen der Polizei.

Lange Zeit später vor Gericht sagt ein Jus­tiz­mit­ar­beiter einem Reporter: „Das war eine Geld­be­schaf­fungs­aktion aus Kreisen der RAF.“ Die schlug in den 1990er-Jahren erneut bei einem Divi-Warenhaus zu, dieses Mal in Essen. Die Täter konnten flüchten, setzten den Flucht­wagen in Brand und ver­schwanden spurlos.

Mög­li­cher­weise war hier die vierte Gene­ration der RAF am Werk. Die Dritte hatte sich in einem Schreiben von 1998 als auf­gelöst erklärt, obwohl heute noch, 2021, Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst Volker Staub als Reste-RAF gesucht werden. Sie gehören zur soge­nannten vierten Gene­ration. Nach der Selbst­auf­lösung ver­suchen mah­nende Stimmen in dieser Phase die Euphorie der Behörden zu bremsen. Sie ver­weisen darauf, dass noch immer Reste der RAF aktiv sind. Die Fahnder gehen von noch nicht ent­deckten Erd­depots und einer geheimen Logistik der Ter­ro­risten aus, wobei eines der Depots erst kürzlich ent­deckt wurde. Dabei könnten sog. „Fei­er­abend-Ter­ro­risten“ eine Rolle spielen, die zu den „Revo­lu­tio­nären Zellen“ (RZ) zählen. Dazu gehören Men­schen, die bür­ger­lichen Berufen nach­gehen und in der Freizeit zu Ter­ro­risten werden, und es gibt Hin­weise darauf, dass sich eine neue Gruppe um Garweg, Klette und Staub gebildet hat, die sich in Nord­deutschland aufhält.

Die drei Gesuchten wurden wahr­scheinlich in einem Bus der Stadt­werke Osna­brück gefilmt. Das BKA geht davon aus, dass sich die Gesuchten im benach­barten Ausland (Holland, Belgien oder Italien) auf­halten und ihre Raubzüge in Deutschland begehen, wo sie sich aus­kennen und vor allem akzentfrei sprechen können.

Damit ist die Fahndung nach der RAF noch immer aktuell.

Die von der RAF bevor­zugte Waffe, die auch ihr Symbol war: Kalaschnikow.