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Exklusiv: »Blut & Tränen« – Kin­der­gla­dia­toren in Pattaya (Teil 1)

Eine inves­ti­gative Reportage von Guido Grandt

Ein kahler Raum in einem schmud­de­ligen Hin­terhof einer gott­ver­dammten Bierbar, irgendwo in Pattaya. Die vor Dreck und Ruß strot­zenden Stein­wände, die vor einer halben Ewigkeit bessere Zeiten gesehen haben, dünsten Blut und Tränen aus. So jeden­falls kommt es einem vor. Hier herein verirrt sich nicht einmal die schwüle Tro­pen­nacht. Geschweige denn das Mond­licht. Nur eine fla­ckernde Steh­lampe leuchtet den unwirt­lichen Raum aus. In der Ecke, direkt neben der über­füllten Müll­tonne, wuselt eine gigan­tische Kakerlake über den Stein­boden. Mos­kitos surren umher, ange­lockt vom Schweiß der Kinder, die stehen, sitzen oder liegen. Die ältesten von ihnen sind zwölf, die jüngsten gera­demal fünf.

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Kein Mucks. Beinahe atemlose Stille und Kon­zen­tration auf das bevor­ste­hende Ereignis: die Thaibox-Kämpfe. Muay Thai. Die Kin­der­kämpfe. Aus­ge­tragen in der Arena einer bil­ligen Abschlepp-Bar, wie sie es hier zu dut­zenden gibt. Die Väter sind gleich­zeitig auch die Trainer. Mit fle­ckigen, abge­tra­genen Kla­motten und vor Armut gezeich­neten Gesichtern mas­sieren sie ihren Kindern spe­ckiges Minzöl ein. Damit soll, davon sind sie über­zeugt, ihr Blut schneller durch die Adern peit­schen und ihre Atmung ver­bessert werden.

Als die Alten ihren Jungen die Box­ban­dagen anlegen klimmt in ihren ansonsten des­il­lu­sio­nierten Augen so etwas wie Stolz auf. Stolz auf Tochter oder Sohn, die für eine kleine Gage ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, damit sie auf dem Karussell des Lebens wei­ter­fahren können. Wenn auch nur ganz, ganz langsam. Aber wenigstens ein paar Runden mehr.

Nur der sie­ben­jährige Prasong[1] muss sich selbst die Ban­dagen anlegen. Niemand hilft ihm. Sein Vater ist vor kurzem gestorben. Aus der Not heraus muss er nun für sich und seine Mutter boxen, um wenigstens etwas Geld für Essen zu ver­dienen. Heute schwä­chelt er. Er ist krank. Eine Erkältung. Tro­ckener Husten, lau­fende Nase, pfei­fende Bron­chien. Doch es hilft nichts. Er hat sich ange­meldet und muss raus in den Ring.

Der Countdown läuft. Auf dem Mond­be­schie­nenen Park­platz des Hin­terhofs ver­sammeln sich die kleinen Fighter. Neben uralten Schrott­mühlen, neuen Toyotas und Tuk Tuk-Taxis. Sie umringen den Ver­an­stalter, Bar­be­sitzer und Schieds­richter. Trotz seiner nur ein Meter sechzig ragt er aus der Reihe der Kinder heraus. Er stellt die ein­zelnen Kämpfer nicht nach Gewichts­klassen, sondern nach Größe zusammen. Eine Waage gibt es hier nicht. Aber das inter­es­siert niemanden.

Nicht in Pattaya, an der Ost­küste des Golfs von Thai­lands gelegen. Gera­demal zwei Auto­stunden südlich von Bangkok ent­fernt. Mit etwas über 100.000 Ein­wohnern gilt das einstige Fischerdorf als die „ver­ru­fenste“ Stadt des Landes. Hier gaben und geben sich seit Jahren Sex­tou­risten und Pädo­phile aus der ganzen Welt ein Stell­dichein. Leben das aus, wonach ihre dunklen, per­versen Seelen ver­langen. Trotz zuneh­mender Polizeikontrollen.

Selbst an einigen der unzäh­ligen Ver­kaufs­stände an der Beachroad liegen unter nach­ge­machten Marken-Jeans‑, T‑Shirts‑, Uhren und Raub­kopien von CDs und DVDs abscheu­liche Kin­der­pornos. Man muss nur wissen wo. Übelster, bru­talster Brechreiz-Schund für umge­rechnet ein paar Euro. Von halb­wüch­sigen »Teenies« bis »petite« und »very young«. »Hard« oder »soft«. »With or without animals«. Und gleich gegenüber an der Strand­pro­menade und auch anderswo stehen sie, die jungen und die ganz jungen Girlies und Boys. Auf­ge­brezelt mit Bauch­na­bel­kurzen Mini­röcken und end­losen High­heels. Bereit zum Abschleppen. Für eine halb­herzige Nummer mit einem alten Sack aus Übersee.

Ein Toast auf die Glo­ba­li­sierung und die Billigflieger.»Lolita meets Grandpa«. Das reimt sich sogar und ist doch nur noch zum Abkotzen.

Das alles weiß und sieht auch die neun­jährige Joy. Jeden Tag aufs Neue. Vor allem während der High Season von November bis April. Sie lebt hier in Pattaya. Ihre Eltern betreiben eine kleine Gar­küche. Doch das Geld reicht hinten und vorne nicht. Und so schleppt ihr Vater sie zu fast jedem Kin­der­kampf in einer der vielen Touristenbars.

Auch um ihr das Schicksal der Mädchen auf der Beachroad oder in den Clubs in der Walking Street, der legen­därsten Sex-Meile der Welt, zu ersparen. Auch heute Abend steht sie wieder mit den anderen Kindern auf dem nächt­lichen Hin­terhof. Nachdem der Kampf­richter die jewei­ligen Box­partner ein­ge­teilt hat, geht’s ab durch die Hin­tertür der Bierbar.

Der Geruch, der ihnen ent­ge­gen­schlägt, ist immer der­selbe: Eine Mischung aus säu­er­lichem Män­ner­schweiß, süßem Gir­lie­parfüm, bil­ligem Chang-Beer, schnellem Sex und unter­drückter Aggression. Hier treffen die Urtriebe des Men­schen auf­ein­ander, ver­setzen die ein­hei­mi­schen Frauen und die fremden Männer, die farangs, die Aus­länder, in einen ursprüng­lichen Markt­rausch aus Angebot und Nach­frage. Aus Geben und Nehmen. Not­ge­drungen und unkom­pli­ziert auf der einen Seite, trieb­ge­steuert und spaß­halber auf der anderen.

Fal­sches Lächeln gegen echte Bahts. Oder Himmel und Hölle für alles oder nichts. In diesen offenen Anbag­gerbars ist die Euro­krise so weit weg wie der schwarze Mann im Mond von der guten alten Erde.

Auch für den gewich­tigen Peter aus Münster. Er arbeitet auf einem Amt. Wo genau verrät er nicht, aber hier und jetzt pfeift er auf deutsche Tugenden, deutsche Büro­kratie und vor allem auf deutsche Frauen. Auf diese ewig nör­gelnden, bes­ser­wis­se­ri­schen, fri­giden Weiber, die ihm das Leben so schwer gemacht und sein üppiges Beam­tensold in Unter­halts­zah­lungen ver­wandelt haben. Nach zwei Ehen. Zwei geschei­terten Ehen, wohlgemerkt.

Nur auf das deutsche Essen will und kann er auch hier nicht ver­zichten. So geht er einmal am Tag rüber zu »Antons« oder »Ger­hards« oder »Inas Bistro & Bier­garten« oder gleich zum »Pfälzer Bier­stüble«. Jetzt aber sitzt Peter auf einem Plas­tik­stuhl an der Bierbar. Der kleine Ven­ti­lator auf der Bar­theke bläst ihm direkt in das auf­ge­dunsene Gesicht, bewegt kein Härchen auf seinem Kopf. Weil er keines mehr hat. Dennoch schwitzt er. Und dann diese Musik, die aus den über­di­men­sio­nalen Laut­spre­cher­boxen direkt über ihm aus den Boxen dröhnt: Quir­liger Asia-Rock ver­quirlt mit west­lichen Retro-Songs. Nur hier klingt sie so ein­zig­artig. So schrill. So ätzend. Und doch so auf­put­schend und  erhebend. Seine dicken Hände mit den deut­schen Wurst­fingern umfassen das zier­liche Bargirl von hinten, das sich mit ihrem kleinen Po eng an ihn schmiegt.

Peter ist 63. Sie 45 Jahre jünger. Min­destens. Doch genau so und nicht anders will er es haben. Aus diesem Grund kommt er zweimal im Jahr aus seinem tristen und ver­stockten Amt in Münster nach Pattaya. Um hier, zum Teufel noch mal, richtig die Sau raus zu lassen.

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Und richtig heißt richtig.

An ihm vorbei schlendern jetzt die jungen Kin­der­gla­dia­toren. Nur kurz wirft er einen Blick auf eines der drei Mädchen. Es ist hübsch, ein wahres Stunner, wie man hier sagt, eine »Granate«: Kurz­ge­schnit­tenes schwarzes Haar, schlank und Angelina Jolie-Lippen. Peters Griff um die Taille seines Thai-Girls ver­stärkt sich. Aber noch hat er alles und vor allem sich unter Kon­trolle. Zwei Bier noch, viel­leicht auch drei, dann ab ins Hotel und die Hosen fliegen lassen. Scheiß auf Deutschland. Scheiß auf die Moral. Roll on Fucking Tour. Roll on.

Bis auf zwei Kinder ver­schwinden alle zum Umziehen im hin­teren Teil der Bar. Joy und Prasong steigen in den Ring. In die Kampf­arena. Nur mit Box­hand­schuhen geschützt – anderen Schutz für Körper‑, Kopf‑, Mund‑, Fuß- und Schienbein gibt es nicht – und viel zu weiten kurzen Hosen.

Joy hat noch ein rotes Top an. Beide tragen auf ihren schmalen Köpfen das tra­di­tio­nelle Mong Kon, einen Stirnreif aus Stoff­fäden. Es soll den Kämpfern Glück bringen und sie vor Gefahren und Ver­let­zungen schützen. Die Götter mit ihnen.

Hof­fentlich.

Die zwei Jahre ältere Joy ist etwas größer als der sie­ben­jährige Prasong. Das ist nun deutlich zu sehen, als sie neben­ein­ander stehen. Doch sie ist nur ein Mädchen. Das gleicht den Grö­ßen­un­ter­schied aus, meinte der Kampf­richter vorhin bei der Auswahl im Hin­terhof. Die ein­hei­mi­schen Zuschauer wetten laut, teil­weise aggressiv. Wer wird gewinnen? Mädchen oder Junge?

Als die tra­di­tio­nelle Flö­ten­musik erklingt, begleitet von einer Trommel, wird es schlag­artig still. Sie ist Zeichen für die Kämpfer nun mit den Bewe­gungs­formen Whai Khru und Ram Muay zu beginnen. Dazu knien sie sich in der Ring­mitte auf den Boden, ver­beugen sich dreimal mit ihren mageren Ober­körpern. Zollen so Fami­li­en­an­ge­hö­rigen, Freunden und Lehrern Respekt.

Gleich darauf führen sie klas­sische Form­tänze ver­schie­dener Stile aus um auch noch Trainer und Gym zu ehren. Danach legen sie das Mong Kon wieder ab.

Beim Thai­boxen ist alles erlaubt: Faust­schläge ins Gesicht und Fuß­tritte gegen den Kopf. Knie- und Ell­bo­gen­stöße gegen den Körper. Ringen und Werfen. Haupt­sache gewinnen. Schä­del­prel­lungen, gebro­chene Rippen, innere Ver­let­zungen – all inclusive.

Dann geht es los: Kleines Mädchen gegen kleinen Jungen. Irgendwie auf erwachsen getrimmt. In der Kin­der­gla­dia­toren-Arena einer schä­bigen Bierbar. Umringt von Sex­tou­risten, Nutten und wett­geilen Ein­hei­mi­schen, die alle laut grölen und wild schreien. Die Spannung steigt.

Fort­setzung folgt

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[1] Alle Namen vom Autor geändert


Guido Grandt — Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Autors www.guidograndt.de