Chinas feh­lende Babys – dik­ta­to­rische Gesell­schafts­po­litik ist hochgefährlich

Ende des zweiten Welt­krieges hatte das große China eine Bevöl­kerung von 550 Mil­lionen Ein­wohnern. Heute leben etwa 1,4 Mil­li­arden Chi­nesen in der Volks­re­publik China, ein­schließlich des wieder ein­ver­leibten Hong­kongs. Aber die Gesell­schaft ist massiv über­altert. Die von der chi­ne­si­schen Regierung auf­ge­zwungene Ein-Kind-Politik erweist sich als fatal. Man hat, wie in Dik­ta­turen üblich, nicht mit der Natur des Men­schen gerechnet. 2015 wurde endlich die Zwei-Kind-Familie ange­priesen, doch die Gebur­ten­zahlen sanken weiter. Jetzt pro­pa­giert man die Drei-Kind-Familie, aber die Chi­nesen wollen und können nicht.

Auf dem Höhe­punkt der Gebur­ten­freu­digkeit erblickten Anfang der sech­ziger Jahre mehr als vierzig Neu­ge­borene (43,37) pro Jahr auf 1000 Ein­wohner das Licht der Welt. Nach dem kom­mu­nis­ti­schen „Großen Sprung nach vorn“, bei dem die Todes­zahlen nach oben schossen und die Gebur­ten­zahlen in den Abgrund fielen, sprang die Gebur­tenrate nach oben. Man schöpfte wieder Hoffnung, es war wieder Frieden und man machte Kinder.

Das waren auch bei uns die „Babyboomer“-Zeiten. Danach sank die Gebur­tenrate fast überall ab, auch in China. Die Gebur­tenrate sank auf deutlich unter die Hälfte: Etwa achtzehn (18,21) Geburten pro Jahr auf 1000 Ein­wohner. Dennoch ver­ordnete die Kom­mu­nis­tische Partei 1980 dem Volk die „Ein-Kind-Famile“, um das Bevöl­ke­rungs­wachstum zu bremsen. Bei einem zweiten Kind bekamen die Familien schon Nach­teile zu spüren, bei einem dritten Kind wurde es brutal: Zwangs­ab­trei­bungen, wirt­schaft­liche Strafen, Schi­kanen. Die Gebur­tenrate stieg dennoch erst leicht an, um aber dann unter den staat­lichen Druck sich auf ca. zwölf (12,14) Geburten pro Jahr auf 1000 Ein­wohner einzupendeln.

Die sys­tem­kon­forme Ein-Kind-Familie wurde gehät­schelt. Es gab monat­liche Prämien bis zum 14. Lebensjahr des Kindes, bessere Mög­lich­keiten und Hilfe im Bildungs‑, Gesund­heits- und im Woh­nungs­be­reich. Bei Nicht­ein­haltung der staatlich ver­ord­neten „Fami­li­en­planung“ hagelte es finan­zielle Strafen. Ein Teil des Gehaltes der Eltern wurde abge­zogen, die Familie musste emp­find­liche Nach­teile bei der Woh­nungs­zu­teilung hin­nehmen und das “unge­plante” Kind wurde ständig im Bil­dungs- und Gesund­heits­be­reich benach­teiligt. Eltern, die ein außer­plan­mä­ßiges zweites Kind bekamen, mussten in manchen Regionen umge­rechnet 365 $ zahlen, was – je nach Region — dem Vier­fachen eines Jah­res­ein­kommens ein­facher Bauern entspricht.

All diese Schi­kanen waren hoch effektiv zur Abschre­ckung im Sinne der Geburtenkontrolle.

Die chi­ne­sische Gebur­tenrate ent­spricht 1,3 Kinder pro Frau und liegt in dem­selben Bereich, wie die Gebur­tenrate in Europa und Nord­amerika. Nur, dass das hier kein Thema ist, sondern im Gegenteil, uns noch ein­ge­bläut wird, wir seien in unserer grau­en­haften Überzahl dem Pla­neten eine töd­liche Last.

Die rigorose Ein-Kind-Politik Chinas war erfolg­reich, ein Punk­tesieg des Kom­mu­nismus, der fast sämt­liche Frei­heiten, Bür­ger­rechte und Selbst­ver­ant­wortung des Men­schen beseitigt. Die Volks­re­publik duldete auch keine Kritik an dieser Politik. So wurde der Men­schen­rechts­ak­tivist Chen Guang Cheng, der seit dem Jahre 2005 auf die Gewalt bei der Durch­setzung der Ein-Kind-Politik auf­merksam macht, im Januar 2007 zu vier Jahren Gefängnis ver­ur­teilt. Auch seine Frau Yuan wurde beob­achtet, schi­ka­niert und ein­ge­schüchtert. Wie “Radio Free Asia” (RFA) berichtete, griffen Mit­ar­beiter chi­ne­si­scher Behörden Reporter der ARD am 24. Januar 2008 an, als sie sich mit Frau Yuan treffen wollten.

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Doch solche Erfolge sind Pyrrhus-Siege. Fünf­und­dreißig Jahre nach der bru­talen Durch­setzung der Ein-Kind-Politik zeigt sich, dass die Gesell­schaft über­altert. Die Zwei-Kind-Politik wird aus­ge­rufen, doch das Volk zieht nicht mit.

Die Über­al­terung ist nur eine Seite. Da in China Frauen ab 55 und Männer ab 60 Jahren in Rente gehen können, wäre eine Anhebung des Ren­ten­alters kein Problem und würde die Pro­duk­ti­vität und die Staats­fi­nanzen pro­blemlos auf­recht erhalten – zumindest für noch eine ganze Weile. Auch hier in Deutschland beab­sichtigt man, die Leute einfach noch länger arbeiten zu lassen, weil die Ren­ten­kassen vor dem Kollaps stehen und all die Migranten, die man ein­ge­laden hat, sich zum Großteil nicht, wie erhofft, als Ein­zahler, sondern als zusätz­liche Inan­spruch­nahme der Sozi­al­kassen erweisen. China dagegen erlaubt kei­nerlei Ein­wan­derung und könnte die gut aus­ge­bil­deten Älteren deutlich länger im Arbeits­prozess halten.

Nein, das Problem mit den zu nied­rigen Geburten liegt in China auf einem anderen Gebiet. Trotz aller Pro­pa­ganda ist es in China immer noch so, dass von alters her nur der männ­liche Nach­komme den Fami­li­en­stammbaum wei­ter­führen kann. Das ist nicht nur in China so. Auch in Europa wurde die Geburt eines Sohnes bis in die Mitte des letzten Jahr­hun­derts als das Erscheinen des „Stamm­halters“ gefeiert. Auch hier gab es das Sprichwort „Der Wunsch nach dem Sohn ist der Vater vieler Töchter“.

Ange­sichts der beschrie­benen Schi­kanen für „unge­plante Kinder“ stieg die Abtrei­bungsrate steil an – was auch staat­li­cher­seits unter­stützt wurde. Vor allem aber wollte man, wenn schon nur ein Kind erlaubt war, unbe­dingt einen Sohn. Daher waren die aller­meisten Abtrei­bungen unge­borene Mädchen. Dieser „Femizid“ hat nun dazu geführt, dass fast 40 Mil­lionen chi­ne­sische Männer keine Chance haben, eine Frau zu finden.

Das wie­derum führt zu gro­tesken gesell­schaft­lichen Phä­no­menen. Die Eltern erwach­sener Männer (sel­tener Frauen) preisen ihre Söhne auf selbst­or­ga­ni­sierten Hei­rats­märkten in Parks an. Ein Elternteil bleibt bei dem „Ange­bots­zettel“ stehen, der andere Elternteil defi­liert an den Zetteln oder Pla­katen vorbei, auf denen die Vorzüge des jungen Mannes ange­priesen werden und son­diert de Kon­kurrenz. Nicht immer wollen die jungen Leute das, oft wissen sie gar nichts davon. Sie wollen zual­lererst einmal Kar­riere machen und beruflich Meriten sammeln. Doch irgendwann fängt die Uhr an zu ticken, und dann erst erfahren die Männer, wie schwer es geworden ist, eine Frau zu finden, die auch noch willens ist, Kinder zu gebären und ihre Kar­riere zu opfern.

Weil die Arbeits­be­lastung und die Arbeits­zeiten in China sehr hoch sind, haben die Leute kaum Zeit und meist keine Lust, einen Partner zu suchen. Daher werden nun auch die Arbeit­geber tätig, junge Leute zu ver­kuppeln. Und ins­be­sondere die noch vor­han­denen Frauen wollen oft einfach nicht:

Das sind oft pro­mo­vierte Frauen, die zwar eine her­vor­ra­gende aka­de­mische Aus­bildung haben, dabei aber zu ‚alt‘ geworden und deren Ansprüche so groß geworden sind, dass die Menge der poten­ti­ellen Kan­di­daten extrem klein ist. Ebenso finden sich junge erfolg­reiche Business-Männer dar­unter, die vor lauter Geld­ver­dienen das Hei­raten ver­gessen haben.

In den Städten ist es noch nicht so schlimm, wie auf dem Land. Hier ist es für viele Männer fast unmöglich, eine Frau zu finden.

Die Pro­vinz­re­gierung im süd­chi­ne­si­schen Guangdong stellte in einer Befragung aus dem Jahr 2007 fest, dass 32 Prozent der befragten Erwach­senen ohne Partner waren. Die Sta­tis­tiker gehen davon aus, dass es 2030 in China 25 Mil­lionen mehr Männer als Frauen geben könnte, die dann ver­geblich nach einer Hei­rats­kan­di­datin suchen werden.“ 

Wahr­scheinlich bewegt sich die Zahl der über­zäh­ligen Männer aber eher in Richtung 40 Mil­lionen. So schreibt Wang Xiangwei auf „This week in Asia“, dass das, was die chi­ne­sische Regierung nun unter­nimmt, um die Gebur­tenrate wieder zu stärken, „too little, too late“ (zu wenig, zu spät) sei. So habe die Nationale Gesund­heits­kom­mission, zu deren Auf­ga­ben­be­reich die Fami­li­en­planung gehört, sogar die nord­öst­lichen, eher schwach besie­delten Pro­vinzen der Volks­re­publik mit den nied­rigsten Gebur­ten­raten auf­ge­fordert, aus­führ­liche sozio-öko­no­mische Studien durch­zu­führen, die Gebur­ten­kon­trolle aus­zu­setzen und effektive Pilot­pro­jekte zur Gebur­ten­an­hebung zu ent­werfen.  Wang Xiangwei sieht da wenig Erfolg und im Prinzip nur wieder büro­kra­tische Monster, die wenig Effekt bei den Men­schen haben.

Es gibt nämlich nicht nur „über­flüssige Männer“ und akuten Frau­en­mangel. Die Jagd nach künf­tigen Müttern für den Fami­li­en­nach­wuchs der Söhne beginnt schon im Baby­alter. Eltern von Mädchen kleiden ihre kleinen Töchter schon im Kin­der­wagen wie Jungs, damit das Töch­terchen ihnen nicht gestohlen wird. Die Mädchen werden auf dem Schwarz­markt ver­kauft. Familien, die ein solches Mädchen kaufen, lassen es dann als „Tochter“ oder bei Ver­wandten groß werden und Besorgen sich so die spätere Braut für ihren Sohn.

Offi­ziell sind es etwa 10.000 Ent­füh­rungen. Tat­sächlich könnten es aber um die 70.000 sein. Viele werden auf das Land ver­kauft, wo enormer Mäd­chen­mangel herrscht. Da tra­di­tionell die Eltern in China immer das letzte Wort bei der Part­nerwahl haben, wider­setzen sich die jungen Leute auch kaum.

China hatte Erfolg mit seinen dik­ta­to­ri­schen Maß­nahmen. Aber zu welchem Preis? Die Gesell­schaft ist schwer beschädigt und trau­ma­ti­siert, der natür­liche Wille zur uralten mensch­lichen Familien-Lebens­weise fehl­ge­leitet, ent­gleist, ver­stümmelt. Und gleich­zeitig blühen die ille­galen Sabo­ta­ge­stra­tegien, die schwarzen Märkte, der Unter­grund, die Kri­mi­na­lität und private Aus­weich­mo­delle. So etwas pas­siert immer und überall: Wenn sich erst einmal solche Unter­grund-Struk­turen gebildet haben, bleiben sie. Selbst wenn man das „Geschäfts­modell“ orga­ni­sierter Banden unter­bindet, die den Men­schen das ver­schaffen, was sie wollen und was der Staat ver­bietet, weichen sie auf andere Felder aus. Die Mafia wurde in den USA mit ille­galem Alkohol groß, als der Staat die Pro­hi­bition (Alko­hol­verbot) ein­führte. Die Pro­hi­bition wurde abge­schafft, die Mafia blieb. Die Bevöl­kerung aber hat eben­falls das „inof­fi­zielle Leben“, die Aus­weich­stra­tegien, das „unter dem Laden­tisch“ gelernt und eingeübt.