WikiLeaks-Gründer Julian Assange auf dem Balkon der ecuadorianischen Botschaft in London. Bild: Wikimedia Commons, Snapperjack. Bildlizenz: CC BY-SA 2.0,

Julian Assange: Mit ihm wird der inves­ti­gative Jour­na­lismus kriminalisiert

Es ist über zwei Jahre her, dass die bri­tische Polizei Julian Assange aus der ecua­do­ria­ni­schen Bot­schaft her­aus­schleppte. Einen unra­sierten, elend aus­se­henden, gebrochen wir­kenden, geal­terten Mann. Seit zwei Jahren sitzt er im Hoch­si­cher­heits­ge­fängnis Bel­marsh im Osten Londons. Zwei Jahre nach seiner Ver­haftung steht er immer noch in Groß­bri­tannien vor Gericht. Der Stand der Dinge ist zwie­spältig. Einer­seits wurde seine Aus­lie­ferung in die USA abge­lehnt. Ande­rer­seits lehnte das Gericht Ass­anges Frei­lassung auf Kaution ab. Die Ver­hin­derung der Aus­lie­ferung ist nicht wirklich ein Sieg, und es geht um mehr.

Gut ist, dass Julian Assange nicht an die USA aus­ge­liefert wurde. Aller­dings wird das mit der ange­grif­fenen Gesundheit des Häft­lings begründet und nicht mit Zweifeln an seiner Schuld. Das birgt die Gefahr, dass, wenn der Mann wieder in bes­serem Zustand ist und die USA eine kor­rekte Behandlung zusi­chern, Groß­bri­tannien ihn dann doch aus­liefern könnte.

Es spricht schon Bände, dass der bri­tische Richter die Aus­lie­ferung ganz offen mit der Begründung abge­lehnt hat, dass die „bru­talen Haft­be­din­gungen“ in den USA Julian Ass­anges Zustand ver­schlimmern würden.

Denn die USA, immer ganz vor­nedran, was die Pro­pa­gierung „west­licher Werte“ betrifft, gehen mit Häft­lingen wie Julian Assange nicht gut um. „Guan­tanamo“ ist in der ganzen Welt zum Synonym für unmensch­liche Behandlung, Folter, Willkür und Ver­ge­wal­tigung geworden. Julian Assange würde einer grau­en­haften Zukunft ent­ge­gen­gehen. Sicherlich würde man ihn anfangs korrekt behandeln. Die Medien und ver­schiedene Orga­ni­sa­tionen, wie Amnesty inter­na­tional würden eine Weile darüber wachen und berichten. Aber irgendwann erlahmt das Interesse, und dann …

Julian Ass­anges Umfeld befürchtet, er werde sich im Falle einer Aus­lie­ferung an die USA umbringen. Man wird aller­dings dann erstaun­li­cher­weise fest­stellen, dass es ihm in diesem Fall so lange nicht gelingen wird, wie man dort noch Infor­ma­tionen aus ihm her­aus­pressen kann. So unter­stützend, wie im Fall Jeffrey Epstein, dass man ihm etwas in der Zelle lässt, das er zum selbst­morden benutzen kann, alle Kameras aus­schaltet und das Per­sonal sich freundlich zurück­zieht, so dass der Mann die Gele­genheit zum „Selbstmord“ geboten bekommt … so nett wird man in den USA nicht sein. Später wahr­scheinlich schon, wenn Assange völlig zer­stört worden ist. Denn so ein gequältes Wrack vor­zu­führen ist nicht gut für den Ruf der USA.

Sollte Julian Assange aus­ge­liefert werden, drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft, wenn nicht die Todes­strafe. Käme er in „God‘s own Country“ vor ein Gericht, würde er wegen Bei­hilfe zum Hacking-Angriff auf die US-Regierung ange­klagt. Ihm wird vor­ge­worfen, Chelsea Manning beim Knacken eines Pass­wortes geholfen zu haben, so dass sie an Geheim­ma­terial zu Mili­tär­ein­sätzen kamen. Dar­unter befindet sich das berüch­tigte Video „Col­la­teral Murder“ (Kol­la­te­ralmord), das von einem US-Kampf­hub­schrauber aus in einer ira­ki­schen Stadt auf­ge­nommen wurde und zeigt, wie die Besatzung einfach Zivi­listen abknallt und das noch bejubelt. Dum­mer­weise waren dar­unter auch zwei Jour­na­listen von Reuters, deren Kameras die Heli­ko­pter­be­satzung für Waffen hielt.

Weitere siebzehn Ankla­ge­punkte sind „Spio­na­ge­tä­tigkeit“ und „Ver­öf­fent­li­chung von Geheim­ma­terial“, durch die das Leben von Infor­manten und die Sicherheit der USA gefährdet worden sein könnte. Viele der Vor­würfe sind zwar umstritten, dürften aber in einem Gerichts­ver­fahren in den USA kaum ernsthaft geprüft werden.

Jour­na­lis­ten­ver­bände üben harsche Kritik an dem Umgang mit Julian Assange. Einige der Ankla­ge­punkte sind im Prinzip eine grund­sätz­liche Kri­mi­na­li­sierung inves­ti­ga­tiver Jour­na­listen. Und genau hier hat das bri­tische Gericht den USA sogar Recht gegeben. Laut dem bri­ti­schen Urteil ist das, was Assange getan hat, nicht von der Pres­se­freiheit gedeckt. Nicht nur in den USA sei das strafbar, sondern auch in Groß­bri­tannien sei das Vor­gehen von Ass­anges Wiki­Leaks gemäß dem Official Secrets Act eine Straftat. Ein Desaster für den freien Jour­na­lismus. Denn Jour­na­listen dürften dem­zu­folge keine geheimen Doku­mente mehr von Infor­manten annehmen, wenn sie sich nicht strafbar machen wollen und lebens­langen Gefäng­nis­strafen entgegensehen.

Der schwe­disch-schwei­ze­rische UN-Diplomat Nils Melzer hat sich des Falles des Wiki­leaks-Gründers Julian Assange ange­nommen. Er ist UN-Son­der­be­richt­erstatter, was bedeutet, dass er den Status eines UN-Experten innehat. Die Ber­liner Zeitung hatte ein Inter­viewmit ihm, und Herr Nils Melzer beschreibt seinen Beruf so:

„Man hat den Status eines UN-Experten. Er genießt diplo­ma­tische Immu­nität und ver­kehrt übli­cher­weise auf dem Level des Außen­mi­nisters. Der größte Vorteil: Der UN-Son­der­be­richt­erstatter ist unab­hängig. Niemand kann ihm Wei­sungen erteilen. Ich bin nur dem Men­schen­rechtsrat in Genf ver­pflichtet. Eine solche Unab­hän­gigkeit hat man auf diesem Niveau nur selten. Selbst Regie­rungs­chefs und Minister sind abhängig von Wei­sungen. Der Son­der­be­richt­erstatter ist ein unbe­zahltes Ehrenamt.“

Nils Melzer reist in Kriegs­ge­biete, setzt sich für Men­schen­rechte ein, kämpft gegen Folter und Willkür-Urteile und unmensch­liche Haft­be­din­gungen. Das wird durchaus nicht immer unter­stützt. Gerade im Fall Assange, den er zuerst gar nicht annehmen wollte, dann aber doch die Dimension sah, sticht er in ein Wespennest:

„Bei einem Diplo­ma­ten­dinner wurde mir ver­klau­su­liert gesagt, es sei ein Fehler, den Fall anzu­nehmen. Als ich gesagt habe, Assange werde gefoltert, und von den Staaten Rechen­schaft for­derte, gab es von den west­lichen Staaten plötzlich keine For­schungs­gelder mehr für mein Mandat. Die Regierung von Nor­wegen hat ver­langt, dass ich 100.000 US-Dollar zurück­zahle, mit der faden­schei­nigen Begründung, das Geld sei im Budget-Jahr nicht aus­ge­geben worden. 

Die mas­sivste Reaktion kam, als ich zu den schwe­di­schen Ver­ge­wal­ti­gungs­vor­würfen gegen Assange einen kri­ti­schen Artikel geschrieben habe. 300 Femi­nis­tinnen haben mich scharf kri­ti­siert. Das lag daran, dass der Artikel ver­kürzt und daher miss­ver­ständlich war. Ich habe das kor­ri­giert, und wir haben das Miss­ver­ständnis im gegen­sei­tigen Ein­ver­nehmen auf­gelöst. Mir wurde klar, welche starke Emo­tionen da ein­ge­bunden sind. Mir war aber auch klar: Ich musste über dieses Tabu sprechen. Nur so konnte ich erreichen, dass das Nar­rativ am Ende wie ein Kar­tenhaus in sich zusam­men­ge­fallen ist. Die schwe­di­schen Behörden haben nach zehn Jahren alle Ermitt­lungen aus Mangel an Beweisen eingestellt.“

Nils Melzer sagt, dass Julian Assange ein poli­ti­scher Gefan­gener ist. Dass Folter, die ohne direkte Gewalt­an­wendung dennoch Folter ist, nur eben „weiße Folter“. Und dass Assange aus dem Antrieb heraus gehandelt hat, Trans­parenz und Men­schen­rechten zu ihrem Recht zu ver­helfen. Die Men­schen sollen wissen, was hinter den Kulissen vorgeht. Dabei sei Wiki­leaks ja selbst kein Whist­le­b­lower, sondern eine jour­na­lis­tische Plattform, die Infor­ma­tionen von Whist­le­b­lowern ver­öf­fent­licht. Herr Melzer umreißt in dem Interview mit der Ber­liner Zeitung auch klar seine eigene Sicht­weise in Bezug auf Julian Assange:

„Wiki­leaks hat diese Aufgabe von klas­si­schen Medien über­nommen, die diese nicht mehr wahr­ge­nommen haben. Wiki­leaks und Assange haben sicher nicht alles perfekt gemacht. Aber darum geht es hier gar nicht. Es geht um Kriegs­ver­brechen, die nicht ver­folgt und bestraft werden. Es ist doch eines der west­lichen Prin­zipien, dass wir Rechts­staat­lichkeit haben. Es liegt hier ein sys­te­mi­sches Ver­sagen im Westen vor. Was getan werden müsste, ist zu fragen: Was wollt ihr mit den Fol­ter­kellern? Wann werden die Schul­digen bestraft? Wann gibt es Ent­schä­di­gungen für die Opfer? Darüber müsste die Öffent­lichkeit dis­ku­tieren und nicht, ob sie Assange nun sym­pa­thisch oder unsym­pa­thisch findet. Es war für mich erschre­ckend zu sehen, dass selbst west­liche Regie­rungen nur mit den Achseln zucken, wenn ein von ihnen selbst bestellter UN-Ver­treter kommt und Beweise für schwere Men­schen­rechts­ver­let­zungen vorlegt. Was soll ich denn bei den Russen und Chi­nesen, wenn ich schon bei den west­lichen Demo­kratien, die meine Alli­ierten sein sollten, mit dem Rücken zur Wand stehe? Wenn wir sys­te­misch etwas retten wollen, dann müssen wir im Westen ansetzen. Denn wenn wir Jour­na­listen und Whist­le­b­lower bestrafen und nicht die­je­nigen, die im Namen eines Staates Ver­brechen begangen haben, dann begeben wir uns in eine ganz gefähr­liche Spirale der Gewalt: Wir tole­rieren Gewalt­ex­zesse von staat­lichen Stellen, und zwar immer und überall.“