Es ist über zwei Jahre her, dass die britische Polizei Julian Assange aus der ecuadorianischen Botschaft herausschleppte. Einen unrasierten, elend aussehenden, gebrochen wirkenden, gealterten Mann. Seit zwei Jahren sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Osten Londons. Zwei Jahre nach seiner Verhaftung steht er immer noch in Großbritannien vor Gericht. Der Stand der Dinge ist zwiespältig. Einerseits wurde seine Auslieferung in die USA abgelehnt. Andererseits lehnte das Gericht Assanges Freilassung auf Kaution ab. Die Verhinderung der Auslieferung ist nicht wirklich ein Sieg, und es geht um mehr.
Gut ist, dass Julian Assange nicht an die USA ausgeliefert wurde. Allerdings wird das mit der angegriffenen Gesundheit des Häftlings begründet und nicht mit Zweifeln an seiner Schuld. Das birgt die Gefahr, dass, wenn der Mann wieder in besserem Zustand ist und die USA eine korrekte Behandlung zusichern, Großbritannien ihn dann doch ausliefern könnte.
Es spricht schon Bände, dass der britische Richter die Auslieferung ganz offen mit der Begründung abgelehnt hat, dass die „brutalen Haftbedingungen“ in den USA Julian Assanges Zustand verschlimmern würden.
Denn die USA, immer ganz vornedran, was die Propagierung „westlicher Werte“ betrifft, gehen mit Häftlingen wie Julian Assange nicht gut um. „Guantanamo“ ist in der ganzen Welt zum Synonym für unmenschliche Behandlung, Folter, Willkür und Vergewaltigung geworden. Julian Assange würde einer grauenhaften Zukunft entgegengehen. Sicherlich würde man ihn anfangs korrekt behandeln. Die Medien und verschiedene Organisationen, wie Amnesty international würden eine Weile darüber wachen und berichten. Aber irgendwann erlahmt das Interesse, und dann …
Julian Assanges Umfeld befürchtet, er werde sich im Falle einer Auslieferung an die USA umbringen. Man wird allerdings dann erstaunlicherweise feststellen, dass es ihm in diesem Fall so lange nicht gelingen wird, wie man dort noch Informationen aus ihm herauspressen kann. So unterstützend, wie im Fall Jeffrey Epstein, dass man ihm etwas in der Zelle lässt, das er zum selbstmorden benutzen kann, alle Kameras ausschaltet und das Personal sich freundlich zurückzieht, so dass der Mann die Gelegenheit zum „Selbstmord“ geboten bekommt … so nett wird man in den USA nicht sein. Später wahrscheinlich schon, wenn Assange völlig zerstört worden ist. Denn so ein gequältes Wrack vorzuführen ist nicht gut für den Ruf der USA.
Sollte Julian Assange ausgeliefert werden, drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft, wenn nicht die Todesstrafe. Käme er in „God‘s own Country“ vor ein Gericht, würde er wegen Beihilfe zum Hacking-Angriff auf die US-Regierung angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, Chelsea Manning beim Knacken eines Passwortes geholfen zu haben, so dass sie an Geheimmaterial zu Militäreinsätzen kamen. Darunter befindet sich das berüchtigte Video „Collateral Murder“ (Kollateralmord), das von einem US-Kampfhubschrauber aus in einer irakischen Stadt aufgenommen wurde und zeigt, wie die Besatzung einfach Zivilisten abknallt und das noch bejubelt. Dummerweise waren darunter auch zwei Journalisten von Reuters, deren Kameras die Helikopterbesatzung für Waffen hielt.
Weitere siebzehn Anklagepunkte sind „Spionagetätigkeit“ und „Veröffentlichung von Geheimmaterial“, durch die das Leben von Informanten und die Sicherheit der USA gefährdet worden sein könnte. Viele der Vorwürfe sind zwar umstritten, dürften aber in einem Gerichtsverfahren in den USA kaum ernsthaft geprüft werden.
Journalistenverbände üben harsche Kritik an dem Umgang mit Julian Assange. Einige der Anklagepunkte sind im Prinzip eine grundsätzliche Kriminalisierung investigativer Journalisten. Und genau hier hat das britische Gericht den USA sogar Recht gegeben. Laut dem britischen Urteil ist das, was Assange getan hat, nicht von der Pressefreiheit gedeckt. Nicht nur in den USA sei das strafbar, sondern auch in Großbritannien sei das Vorgehen von Assanges WikiLeaks gemäß dem Official Secrets Act eine Straftat. Ein Desaster für den freien Journalismus. Denn Journalisten dürften demzufolge keine geheimen Dokumente mehr von Informanten annehmen, wenn sie sich nicht strafbar machen wollen und lebenslangen Gefängnisstrafen entgegensehen.
Der schwedisch-schweizerische UN-Diplomat Nils Melzer hat sich des Falles des Wikileaks-Gründers Julian Assange angenommen. Er ist UN-Sonderberichterstatter, was bedeutet, dass er den Status eines UN-Experten innehat. Die Berliner Zeitung hatte ein Interviewmit ihm, und Herr Nils Melzer beschreibt seinen Beruf so:
„Man hat den Status eines UN-Experten. Er genießt diplomatische Immunität und verkehrt üblicherweise auf dem Level des Außenministers. Der größte Vorteil: Der UN-Sonderberichterstatter ist unabhängig. Niemand kann ihm Weisungen erteilen. Ich bin nur dem Menschenrechtsrat in Genf verpflichtet. Eine solche Unabhängigkeit hat man auf diesem Niveau nur selten. Selbst Regierungschefs und Minister sind abhängig von Weisungen. Der Sonderberichterstatter ist ein unbezahltes Ehrenamt.“
Nils Melzer reist in Kriegsgebiete, setzt sich für Menschenrechte ein, kämpft gegen Folter und Willkür-Urteile und unmenschliche Haftbedingungen. Das wird durchaus nicht immer unterstützt. Gerade im Fall Assange, den er zuerst gar nicht annehmen wollte, dann aber doch die Dimension sah, sticht er in ein Wespennest:
„Bei einem Diplomatendinner wurde mir verklausuliert gesagt, es sei ein Fehler, den Fall anzunehmen. Als ich gesagt habe, Assange werde gefoltert, und von den Staaten Rechenschaft forderte, gab es von den westlichen Staaten plötzlich keine Forschungsgelder mehr für mein Mandat. Die Regierung von Norwegen hat verlangt, dass ich 100.000 US-Dollar zurückzahle, mit der fadenscheinigen Begründung, das Geld sei im Budget-Jahr nicht ausgegeben worden.
Die massivste Reaktion kam, als ich zu den schwedischen Vergewaltigungsvorwürfen gegen Assange einen kritischen Artikel geschrieben habe. 300 Feministinnen haben mich scharf kritisiert. Das lag daran, dass der Artikel verkürzt und daher missverständlich war. Ich habe das korrigiert, und wir haben das Missverständnis im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst. Mir wurde klar, welche starke Emotionen da eingebunden sind. Mir war aber auch klar: Ich musste über dieses Tabu sprechen. Nur so konnte ich erreichen, dass das Narrativ am Ende wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen ist. Die schwedischen Behörden haben nach zehn Jahren alle Ermittlungen aus Mangel an Beweisen eingestellt.“
Nils Melzer sagt, dass Julian Assange ein politischer Gefangener ist. Dass Folter, die ohne direkte Gewaltanwendung dennoch Folter ist, nur eben „weiße Folter“. Und dass Assange aus dem Antrieb heraus gehandelt hat, Transparenz und Menschenrechten zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Menschen sollen wissen, was hinter den Kulissen vorgeht. Dabei sei Wikileaks ja selbst kein Whistleblower, sondern eine journalistische Plattform, die Informationen von Whistleblowern veröffentlicht. Herr Melzer umreißt in dem Interview mit der Berliner Zeitung auch klar seine eigene Sichtweise in Bezug auf Julian Assange:
„Wikileaks hat diese Aufgabe von klassischen Medien übernommen, die diese nicht mehr wahrgenommen haben. Wikileaks und Assange haben sicher nicht alles perfekt gemacht. Aber darum geht es hier gar nicht. Es geht um Kriegsverbrechen, die nicht verfolgt und bestraft werden. Es ist doch eines der westlichen Prinzipien, dass wir Rechtsstaatlichkeit haben. Es liegt hier ein systemisches Versagen im Westen vor. Was getan werden müsste, ist zu fragen: Was wollt ihr mit den Folterkellern? Wann werden die Schuldigen bestraft? Wann gibt es Entschädigungen für die Opfer? Darüber müsste die Öffentlichkeit diskutieren und nicht, ob sie Assange nun sympathisch oder unsympathisch findet. Es war für mich erschreckend zu sehen, dass selbst westliche Regierungen nur mit den Achseln zucken, wenn ein von ihnen selbst bestellter UN-Vertreter kommt und Beweise für schwere Menschenrechtsverletzungen vorlegt. Was soll ich denn bei den Russen und Chinesen, wenn ich schon bei den westlichen Demokratien, die meine Alliierten sein sollten, mit dem Rücken zur Wand stehe? Wenn wir systemisch etwas retten wollen, dann müssen wir im Westen ansetzen. Denn wenn wir Journalisten und Whistleblower bestrafen und nicht diejenigen, die im Namen eines Staates Verbrechen begangen haben, dann begeben wir uns in eine ganz gefährliche Spirale der Gewalt: Wir tolerieren Gewaltexzesse von staatlichen Stellen, und zwar immer und überall.“
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