Uner­wähnte Opfer der Pan­demie: Tiere als Zeit­ver­treib werden jetzt einfach entsorgt

Lockdown ist öde, man kann kaum raus, das Fern­seh­pro­gramm bringt‘s auch nicht und hämmert einem nur R‑Faktoren, gru­selige Bilder von Inten­siv­sta­tionen, Impf­spritzen und Inzi­denz­zahlen ins Hirn. Alle sind gereizt daheim, die Kinder lang­weilen sich und quengeln. Ihre Freunde dürfen sie nicht sehen, Kin­der­ge­burtstage gibt‘s auch nicht. Na, dann bekommen wir halt einen Hund, da haben die Kinder Beschäf­tigung und mit Fiffi darf man ja auch spät­abends noch raus und um den Block. Und nun, wo der Lockdown (vorerst) vorbei ist … na, dann ent­sorgen wir Fiffi gleich mal, denn jetzt haben wir ja wieder was anderes zu tun. Jessica, guck doch mal, wo das nächste Tierheim ist!

Die Locke­rungen und das schöne Som­mer­wetter haben einen Run auf die Tier­heime aus­gelöst. Der nette Zeit­ver­treib während des Lock­downs für die ganze Familie wird nun nicht mehr gebraucht und das liebe Tierchen ist jetzt lästig. Ab dafür ins Tierheim, wozu sind die denn da?

Das Tierheim Bremen hat mitt­ler­weile einen Auf­nah­me­stopp ver­hängt. Die Pres­se­spre­cherin des Heims, Gaby Schwab umreißt die Situation so:

„Wir haben Platz für etwa 60 Hunde. Alle unserer Zwinger, die sich Hunde, die sich ver­tragen und gut ver­stehen, zumindest teilen können, sind voll. Das war auch schon vor Corona so. Wir sind aber mitt­ler­weile an unsere Aus­las­tungs­grenze gestoßen und können nur noch einen Hund auf­nehmen, wenn wir gerade wieder einen ver­mittelt haben.“ 

Zwar trifft die Abschie­be­welle über­wiegend Hunde, aber auch Katzen und Klein­tiere kommen in Zahlen, die die Kapa­zität der Tier­heime über­fordern, nicht nur in Bremen. Derzeit sind es 120 Katzen und Hundert Kaninchen, Meer­schweinchen und Hamster. Laut Gaby Schwab, Spre­cherin des Tier­heims Bremen, war plötzlich der Bestand an Hunden und anderen Tieren in den Heimen während des Lock­downs dras­tisch redu­ziert. Das sei überall so gewesen. Nur noch die schwer ver­mit­tel­baren Hunde blieben übrig. Diese Zeit, erzählt sie, benutzten die Mit­ar­beiter für Reno­vie­rungs­ar­beiten. Ein neues Meer­schwein­chen­gehege wurde gebaut, das Exo­tenhaus schön aus­gebaut, Kat­zen­stuben neu gestrichen und die Lager aufgeräumt.

Manche Eltern haben ganz offen ange­fragt, ob sie einen Hund für ihre Kinder zum Spielen bekommen können … nur für ein paar Monate. Das geht natürlich nicht. Nur: Die wenigsten sagen das klar und offen, dass es ihnen nur um die Zeit des Lock­downs geht. Dann bekommen sie natürlich gern ein Tier. Man ahnte aller­dings schon, dass da viele Lockdown-Lang­weile-Ent­schei­dungen dabei waren, aber man sieht es den Leuten halt nicht an. Bald gab es kaum noch Tiere in den Heimen.

Die Folge: Der illegale Hun­de­handel blühte, und nun sind diese armen Wesen hier gestrandet und werden in die  Heime abge­schoben. Die unglück­lichen, „ältesten Freunde des Men­schen“ erfahren gerade die Kehr­seite ihrer zwei­bei­nigen Freunde, denen sie ihr ganzes Herz geschenkt haben:

„Corona scheint bald vorbei zu sein, die Eltern gehen wieder ins Büro, Familien wollen in den Som­mer­urlaub fahren – also muss der Hund weg.“ resü­miert Gaby Schwab bitter.

In der Lock­downzeit war der Wunsch nach einem bedin­gungs­losen Kame­raden und lie­be­voller Nähe groß: ein Hund oder eine Katze zum Kuscheln, Spielen, Spaß haben. Mit Hund durfte man ja trotz Aus­gangs­sperre abends hinaus und das lie­be­volle Hun­deherz, die rück­haltlose Hingabe an die Familie ist wun­der­schön. Eine ver­schmuste Katze, ihre drol­ligen Spiele, das char­mante und pfiffige Wesen der Stu­ben­tiger bring Leben in die Bude – nur fordern unsere bepelzten Fami­li­en­mit­glieder dann auch unsere Soli­da­rität und Treue. Aber genau darum werden gerade so viele Tier­seelen und ‑herzen kalt betrogen.

Ein füh­lendes Lebe­wesen ist kein Spaß­ar­tikel. Es ist nichts dagegen ein­zu­wenden, sich in der Lockdown-Zeit ein neues Fami­li­en­mit­glied auf vier Pfoten zu holen. Wun­derbar, wenn einem Tier aus dem Heim eine neue Familie geboten wird. Aber dann IST es ein Fami­li­en­mit­glied, und kein Gegen­stand, den man nicht mehr braucht! Liebe Leser, tun Sie so etwas bitte nicht und reden Sie auch den­je­nigen ins Gewissen, die so etwas planen.

Es trifft nicht nur Kuschel­tiere. Sogar Fische werden einfach als „Spielzeug“ ange­schafft, nach dem Motto, da hat man Ablenkung und es sieht auch noch schick aus. Einem Aqua­ristik-Händler platzte der Kragen und er postete Fol­gendes auf den sozialen Medien: 

„Ich habe mir kurz überlegt, ob ich das hier mal berichten soll — aber ich bin der festen Über­zeugung: das war erst der Anfang, und ja, das sollte man wissen! Es war letzten Samstag in der Arbeit, wir öffnen, wie immer, um 9:30 Uhr. Und kurz nach Öffnung fing es an. Kol­legin brachte mir das Telefon, das vorher wieder einmal Sturm geklingelt hatte: 

Kunde: “Spreche ich mit der Aquaristik?”

Ich: “ja, wie kann ich Ihnen helfen?”

  1. “Wissen Sie, Corona ist jetzt fast vorbei, die Kinder gehen wieder zur Schule und bei uns endet nächste Woche die Kurz­arbeit. Wir hatten den Kindern ein Aquarium mit Fischen gekauft, das muss jetzt wieder weg! Das ver­stehen Sie doch, wir haben keine Zeit mehr”.…

Ca eine Stunde später der nächste Anrufer, selbes Thema – Fischabgabe.

30 min später — wieder dasselbe.

Leute, das ging den G A N Z E N TAG so!!!

Nur Aus­reden, nur Rum­re­derei, nur Ausflüchte …

“Das war halt Beschäf­tigung für die Kinder”

“Wir wollen wieder FREI sein”

“Wir wollen unge­stört in den Urlaub”

“Wir dachten nicht, DAS DIE VIECHER SO LANGE ÜBERLEBEN (!!!)”

“Kind hat Interesse verloren”

“Alles zu viel Arbeit” 

Über die Hälfte habe ich abge­lehnt — aber nur, weil solche Leute noch ernsthaft glauben, dass man ihnen Geld dafür bezahlen würde! Denen, die mit ihren Eimern, Plas­tik­beuteln und Bechern ankamen, nahm ich wortlos die Tiere aus der Hand und schüt­telte nur mit dem Kopf — und so mancher wollte dann noch rum­dis­ku­tieren, “warum ich denn jetzt so sei?!”… Ich zeigte immer nur auf den Pack­tisch, sodass sie die Tiere darauf abstellen und bitte gleich wieder gehen sollten … 

Ich rief ein paar Stamm­kunden an, so dass einige der “unge­wollten” Fische gleich ins neue Zuhause umziehen konnte.“