China zieht die Zen­sur­zügel weiter an: Auch Unter­haltung und Kultur wird jetzt auf Linie gebracht

Früher schauten wir in Europa auf „Amerika“. Was da pas­siert, das haben wir zehn Jahre später hier auch, hieß es. „Amerika“ — sprich, die USA – ist heute auf dem abstei­genden Ast. Die kra­chende Nie­derlage in Afgha­nistan, wo ein bet­tel­armes, zer­störtes Land die Welt­macht Nr. 1 besiegte, machte das schlag­licht­artig für die ganze Welt sichtbar. Jetzt über­nimmt China die Füh­rungs­rolle auf der Welt. Grund genug sich anzu­sehen, wie die Gesell­schaft dort funk­tio­niert. 

Schüler hören seit 1945 im Geschichts­un­ter­richt mit Schaudern, mit welcher Härte die deutsche Regierung der Zeit zwi­schen 1933 und 1945 zen­sierte, ver­folgte und unter­drückte, was nicht in ihr Weltbild – heute würde man sagen „Nar­rativ“ – passte. Dis­ziplin, Genüg­samkeit, Gehorsam, Sau­berkeit, Patrio­tismus, Selbst­auf­op­ferung, Härte – das waren die Tugenden des Natio­nal­so­zia­lismus. Dazu passte keine deka­dente, „ent­artete“ Kunst und Kultur. Alles hatte sich dem einen, großen Ziel unter­zu­ordnen: Das Deutsche Reich groß zu machen. Bücher, Filme, Kunst, die nicht das Pathos des Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Welt­bildes unter­stützten, wurden ver­brannt, ver­nichtet, ver­boten. Kritik, andere Sicht­weisen weg­zen­siert. Unbot­mäßige bestraft und ver­folgt, auch oft inhaf­tiert und getötet. Schreck­liche, ent­setz­liche Zeiten waren das, sagten uns die Lehrer. Wie froh und dankbar waren wir, in einer freien Gesell­schaft leben zu können! Und dass so etwas NIE WIEDER pas­sieren wird und darf! Und WIE gut, dass die USA, der Ritter in der sil­bernen Rüstung und mora­li­scher Welt­po­lizist, „the land of the free“ (das Land der Freien) uns befreit hat und Vorbild und Welt­macht Nummer 1 ist.

Werfen wir also einen Blick auf die neue Welt­macht Nummer 1, China.

Das Land der Freien war es bisher schon nicht. Es gab schon immer Zensur, wie das unter dik­ta­to­ri­schen Regie­rungen immer ist. Es gab noch keinen sozialistisch/kommunistischen Staat, der nicht dik­ta­to­risch ist. Es gibt Abstu­fungen, in China vor allem nach oben. China steigert nun die Über­wa­chung, die Zensur und die Kon­trolle über die Gedanken seiner Bürger.

Jetzt wird auch die Unter­haltung, Kunst und Kul­tur­branche dis­zi­pli­niert und zen­siert. Das Voka­bular erinnert fatal an unseren Geschichts­un­ter­richt: Die Regierung will „defor­mierten“ Geschmack und „ver­weich­lichte Ästhetik“ unter­binden. Das ist nicht im Sinne der Volks­er­ziehung. Es müsse eine „patrio­tische Atmo­sphäre“ geschaffen werden. Kul­tur­schaf­fende mit „inkor­rekten, poli­ti­schen Posi­tionen“ sind in Fern­sehen und Radio nicht mehr erlaubt. Auch kul­tu­relle Sen­dungen müssen nun auf „poli­tische Kor­rektheit“ über­prüft werden. Jetzt wird auf­ge­räumt. Inhalte und Dar­stel­lungs­weisen, die nicht gut sind für die Volks­ge­sundheit, müssen unter­bunden werden. Beliebte Kino‑, Fernseh- und Radio­stars sollen nicht mehr so hohe Gagen erhalten.

Ein rotes Tuch für unsere staatlich geför­derte Gender-Agenda dürfte die For­derung der chi­ne­si­schen Regierung sein, dass Jungen wieder männ­licher werden müssen. Stark geschminkte Stars würden ein weib­liches Image ver­mitteln und einer „ver­weich­lichten Ästhetik“ Vor­schub leisten.

Es ist nicht so, dass es in China keine Medien gibt, die auch kri­tisch und auf hohem Niveau schreiben, zum Bei­spiel die „Sou­thern Weekly“ (南方周末) aus dem süd­chi­ne­si­schen Guangzhou oder das Wirt­schafts­ma­gazin „Caijing“ (财经). Diese Medien konnten sogar unbe­schadet sehr kri­tische Ent­hül­lungen publi­zieren, wie bei­spiels­weise Bör­sen­ma­ni­pu­la­tionen oder Kor­ruption in Politik und Wirt­schaft. Ob die neue „ideo­lo­gische Säu­be­rungs­welle“ ihnen den Garaus machen wird, ist noch nicht klar. Chinas Prä­sident hat es bisher bei „Auf­for­de­rungen“, sich gegenüber der Kom­mu­nis­ti­schen Partei Chinas loyal zu ver­halten, bewenden lassen.

Die deutsche Bun­des­zen­trale für poli­tische Bildung schreibt (Beitrag von 2018):

„Chinas Medi­en­an­gebot ist reich­haltig, unter­liegt aber einer strengen staat­lichen Zensur, die auch auf die Arbeit inter­na­tio­naler Medi­en­ver­treter Ein­fluss zu nehmen ver­sucht. Die Ver­breitung des Internets hat eine kri­tische Öffent­lichkeit ermög­licht, aber gleich­zeitig nutzen staat­liche Stellen den tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt zunehmend, um die Bevöl­kerung lückenlos zu überwachen.“

Die Medi­en­land­schaft in China ist viel­fältig. Anders, als früher in sozia­lis­ti­schen Ländern, ist bei den staat­lichen Medien die Optik, die Pro­gramm­farben und die ganze Auf­ma­chung durchaus nicht alt­backen und hölzern, wie früher in Russland und der DDR und heute noch in Nord­korea. Nein, es ist schick, modern, gut gemacht. Im Gegensatz zu uns hier in Deutschland müssen die Chi­nesen auch keine „GEZ-Gebühren“ bezahlen, und sie werden auch nur teil­weise vom Staat unter­stützt, sondern finan­zieren sich größ­ten­teils aus Wer­be­ein­nahmen. Der Nationale Staats­sender CCTV sendet auf 20 Kanälen, was aber auch der Tat­sache geschuldet ist, dass es im Rie­sen­reich Chinas ver­schiedene, regionale Sprachen gibt und nicht alle länd­lichen Chi­nesen das offi­zielle Man­darin sprechen. Staatlich „vor­ge­schrieben“ sind die all­abend­lichen Hauptnachrichten.

Die staat­lichen Rund­funk­an­stalten senden meistens Shows, Fami­li­en­sen­dungen und Unter­haltung, die sowieso schon auf „Par­tei­linie“ sind.

Ich war ein paar Wochen in der Volks­re­publik China und hatte das Glück, mit einem sehr gut eng­lisch spre­chenden Chi­nesen unterwegs zu sein, der mir vieles erklären und ver­ständlich machen konnte. Wir haben hier im Westen wenig Ahnung davon, wie Chi­nesen denken und wie das Leben dort funktioniert.

Der Regierung Chinas ist die Freiheit in den sozialen Medien ein Dorn im Auge, wie den west­lichen Regie­rungen ja mitt­ler­weile auch. Hier kann man Meinung machen, ohne offen als Staats­gewalt auf­treten zu müssen. Ex-Prä­sident Donald Trump hat das bei seinem Wahl­kampf 2016 auf Facebook ein­ge­setzt. Hier­zu­lande wird genauso alles weg­zen­siert, was sich kri­tisch mit der Covid-Impfung, Kli­ma­wandel, 5G oder der Zuwan­derung befasst. Wer mehrmals unan­genehm mit „abwei­chenden Mei­nungen“ auf­fällt, bekommt sein Konto erst einmal gesperrt und dann weggelöscht.

Wenn die „Tages­schau“ sich also darüber mokiert, dass die chi­ne­sische Regierung „Mil­lionen von frei­wil­ligen und ange­stellten Mei­nungs­ma­chern in den sozialen Netz­werken ein­setzt, um die Stimmung auf Par­tei­linie zu bringen“, schreibt das gerade der richtige Laden. Der ARD Staatsfunk bringt das Volk genauso auf Regie­rungs­linie der CDUSPDFDPGRÜNE-Einheitspartei.

Auch und gerade die regie­rungs­treue Süd­deutsche ereifert sich: Die chi­ne­sische Regierung hat die Inter­net­seite der Süd­deut­schen (und wei­terer Sys­tem­seiten) in China gesperrt:

„Nachdem die oberste Inter­net­be­hörde CAC in den ver­gan­genen Wochen mehrere Inter­net­seiten von aus­län­di­schen Medien gesperrt hat, ist seit dieser Woche in China auch die Inter­net­seite der Süd­deut­schen Zeitung nicht mehr zu erreichen. Betroffen sind auch die Apps des Ver­lages, mit denen die Nutzer auf den Online-Auf­tritt sowie die digitale Ausgabe der Zeitung zugreifen können. Zuletzt waren auch die Inter­net­seiten der Tages­schau, des ZDF und des Schweizer Radio und Fern­sehens zen­siert worden. Auch Spiegel Online ist nicht mehr zu erreichen. Die Chef­re­daktion von ARD-aktuell kün­digte an, das weitere Vor­gehen prüfen zu wollen.“

Welche Über­ra­schung! Nein, die Gründe der Sperrung sind nicht unklar, liebe Süd­deutsche. Und die chi­ne­sische Inter­net­be­hörde CAC reagiert deshalb nicht, weil sie weiß, dass Ihr wisst, warum Ihr alle gesperrt worden seid. Richtig und demo­kra­tisch ist das natürlich nicht. Aber es sind auf­fal­len­der­weise alles die besonders sys­tem­treuen Medien, die sich auf Befehl Berlins wie kläf­fende Hunde auf China stürzen und in den Waden des chi­ne­si­schen Prä­si­denten ver­beißen. Wenn ihr schon selbst der chi­ne­si­schen Regierung Tyrannei, Dik­tatur und Zensur und den Familien der hohen Funk­tionäre Chinas frag­würdige Off­shore-Geschäfte vor­werft, könnt Ihr Euch doch nicht ernsthaft darüber wundern, wenn China Euch den Saft abdreht, oder?

Und mal ehrlich: Ja, es ist ein Ein­griff in das Pri­vat­leben der Chi­nesen … aber so abwegig ist es nicht, dass die Regierung den unter 18Jährigen die Online-Spiele auf dem Com­puter nur noch jeweils eine Stunde an Frei­tagen, Sams­tagen und Sonn­tagen erlaubt. Das wird viele Eltern freuen, die schon an ihrem Nach­wuchs ver­zweifeln. Tat­sächlich ist diese Dad­delei bei Teen­agern überall auf der Welt, wo sie Zugang dazu haben, ein echtes Problem. Die jungen Leute werden damit in eine Aso­zia­lität, Bewe­gungs­armut, Spiel-Sucht und Rea­li­täts­verlust gelockt. Und das aus­ge­rechnet in dem Alter, wo wichtige Weichen für die Per­sön­lich­keits­ent­wicklung und das weitere Leben gestellt werden.

Ganz besonders skurril wird es, wenn n‑tv ent­setzt berichtet, die chi­ne­sische Regierung tarne ihre Unter­drü­ckung als Corona-Schutz. Die rigo­rosen Corona-Schutz-Maß­nahmen seien vielfach immer noch in Kraft, obwohl es kaum noch Corona-Infek­tionen gebe. Es gebe auch Über­wa­chung und Kün­di­gungen. Beob­achter schlagen Alarm. Und wie furchtbar: Poli­zei­präsenz und OH GRAUS: Ein Gesund­heitscode auf dem Handy gibt den Men­schen das Recht, überall hin­zu­gehen und gibt der Regierung die Mög­lichkeit, die Kon­takte zu über­prüfen. Das kennen wir ja hier gar nicht.

Haus­arrest mit Kamera haben wir (noch) nicht und auch keine Qua­ran­tä­ne­lager. In Aus­tralien, einem demo­kra­ti­schen Land des Westens, gibt es das aber schon. Nur wird darüber nicht berichtet. Eine Men­schen­recht­lerin von Amnesty Inter­na­tional Hongkong berichtet im n‑tv-Video, die Regierung benutze das Argument des Gemein­wohls, um Men­schen weg­zu­sperren und Medien mehr denn je zu zensieren.

Kommt uns das nicht alles irgendwie bekannt vor? Wir haben es hier noch in einer mil­deren Form. Die ein­heits­par­tei­treuen Haupt­medien sollten sich viel­leicht einmal wieder auf ihre eigent­lichen Auf­gaben besinnen. Die Kritik an China geht nach hinten los.