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Vera Lengsfeld: Mehr Abbruch wagen – Was die „Fort­schritts­ko­alition“ will

Im Grunde stand es schon im viel kür­zeren Stra­te­gie­papier, das vor Beginn der Koali­ti­ons­ver­hand­lungen her­aus­ge­geben wurde und jetzt steht es, ver­kleidet in  beru­hi­gendes Wort­ge­klingel in der Prä­ambel des Koali­ti­ons­ver­trages von SPD, Grüne und FDP: Deutschland, ein in der Ver­gan­genheit wegen seiner Effi­zienz, seiner Wirt­schafts­kraft, seiner Inno­va­ti­ons­fä­higkeit, seines Bil­dungs­ni­veaus, seiner Rechts­staat­lichkeit und seines sozialen Netzes in der Welt viel bewun­dertes Land, soll total umge­krempelt werden. Angeblich sei das not­wendig, um in einer sich rapide ver­än­dernden Welt bestehen zu können. Es geht aber nicht um Anpas­sungen, sondern um Abbruch und Neu­aufbau gemäß ideo­lo­gi­scher Vor­gaben. Dies soll so schnell wie möglich geschehen, indem alle „Hin­der­nisse“, sprich rechts­staat­liche Ver­fahren, beseitigt werden. Das Vor­haben der Ampel­ko­ali­tionäre ähnelt Maos großem Sprung, wird auch im Vertrag ähnlich genannt: „Trans­for­mation“ oder „große Transformation“.

Im Neu­sprech der Koali­tionäre: „Es gilt, die soziale Markt­wirt­schaft als eine sozial-öko­lo­gische Markt­wirt­schaft neu zu begründen. Wir schaffen ein Regelwerk, das den Weg frei macht für Inno­va­tionen und Maß­nahmen, um Deutschland auf den 1,5‑Grad-Pfad zu bringen. Wir bringen neues Tempo in die Ener­gie­wende, indem wir Hürden für den Ausbau der Erneu­er­baren Energien aus dem Weg räumen. Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeit­alter, auch, indem wir den Koh­le­aus­stieg idea­ler­weise auf 2030 vor­ziehen und die Tech­no­logie des Ver­bren­nungs­motors hinter uns lassen“.

Ein neues Land braucht offenbar auch neue Men­schen. So wollen die Koali­tionäre dafür sorgen:

„Die nötigen Fach­kräfte wollen wir durch bessere Bil­dungs­chancen, gezielte Wei­ter­bildung, die Erhöhung der Erwerbs­be­tei­ligung sowie durch eine Moder­ni­sierung des Ein­wan­de­rungs­rechts gewinnen“. Deutschland sei eine „viel­fältige Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft. Um der gesell­schaft­lichen Wirk­lichkeit Rechnung zu tragen, ermög­lichen wir gleich­be­rech­tigte Teilhabe und moder­ni­sieren die Rechts­normen – vom Fami­li­en­recht bis hin zum Staats­bür­ger­schafts­recht. Jeg­licher Dis­kri­mi­nierung wirken wir ent­gegen“. (6)

Die Koalition macht sich stark, damit die Neu­bürger schnell und unbü­ro­kra­tisch ins Land kommen können: „Wir bekennen uns zu unserer huma­ni­tären Schutz­ver­ant­wortung und wollen die Ver­fahren zu Flucht und Migration ordnen“. Neu­ordnung heißt, das hat Kathrin Göring-Eckardt schon früher mit aller Deut­lichkeit aus­ge­sprochen, für legale Fluchtwege zu sorgen. In Weiß­russland hat Alex­ander Lukaschenko das bereits vor­ge­macht, indem er Flüge für Migranten nach Minsk orga­ni­sierte, von wo aus sie dann an die EU-Grenzen geschickt wurden, um „Asyl“ bean­tragen zu können. Leider spielten die Polen und die Litauer da nicht mit, selbst einigen EU-Kom­mis­saren däm­merte es, dass einen neues 2015 kon­tra­pro­duktiv werden könnte. Die Ampel­ko­ali­tionäre scheinen weit von dieser Erkenntnis ent­fernt zu sein. Ihnen liegt die Erschließung neuer Wäh­ler­schichten näher.

Wie soll der neue Staat aus­sehen? Es soll ein totaler Für­sor­ge­staat werden, der seine Bürger von der Wiege bis zur Bahre „unter­stützt“, wie es im Koali­ti­ons­sprech heißt. Wer geglaubt hat, das mit dem Zusam­men­bruch des Sozia­lismus die staat­liche Bevor­mundung der Ver­gan­genheit ange­hören würde, muss zur Kenntnis nehmen, dass sie im Ampel-Koali­ti­ons­vertrag fröh­liche Urständ feiert. Mit freund­licher Hilfe der FDP, die damit ihre Grund­prin­zipien über Bord wirft.

Im Koali­ti­ons­sprech: „Deutschland muss hand­lungs- und leis­tungs­fähig sein, ins­be­sondere in Kri­sen­zeiten. Der Staat muss vor­aus­schauend für seine Bür­ge­rinnen und Bürger arbeiten. Dazu wollen wir ihn moder­ni­sieren, so dass er Chancen ermög­licht und Sicherheit gibt. Ein Staat, der die Koope­ration mit Wirt­schaft und Zivil­ge­sell­schaft sucht, mehr Trans­parenz und Teilhabe in seinen Ent­schei­dungen bietet und mit einer unkom­pli­zierten, schnellen und digi­talen Ver­waltung das Leben der Men­schen ein­facher macht.

Für die vor uns lie­genden Auf­gaben braucht es Tempo beim Infra­struk­tur­ausbau. Die Ver­fahren, Ent­schei­dungen und Umset­zungen müssen deutlich schneller werden. Wir werden deshalb Pla­nungs- und Geneh­mi­gungs­ver­fahren moder­ni­sieren, ent­bü­ro­kra­ti­sieren und digi­ta­li­sieren sowie die Per­so­nal­ka­pa­zi­täten ver­bessern. Indem wir Bür­ge­rinnen und Bürger früher betei­ligen, machen wir die Pla­nungen schneller und effek­tiver“. (S.8)

Wie die Bür­ger­be­tei­ligung nach Abschaffung rechts­staat­licher „Hin­der­nisse“ aus­sehen soll., lässt der Vertrag offen. Die Grünen, die selbst sich zu Meistern ent­wi­ckelt haben, durch wie­der­holte recht­liche Ein­sprüche Vor­haben zu ver­zögern oder ganz zu ver­hindern, wissen genau, was sie besei­tigen müssen, um die große Trans­for­mation effektiv durch­ziehen zu können. „Wir haben Lust auf Neues und werden tech­no­lo­gische, digitale, soziale und nach­haltige Inno­va­ti­ons­kraft befördern. Durch bessere Rah­men­be­din­gungen für Hoch­schule, Wis­sen­schaft und For­schung wollen wir den Wis­sen­schafts­standort krea­tiver und wett­be­werbs­fä­higer machen. Wis­sen­schafts- und For­schungs­freiheit sind der Schlüssel für kreative Ideen, die dazu bei­tragen, die großen Her­aus­for­de­rungen unserer Zeit zu bewäl­tigen“. (S.9)

Der Staat setzt nicht mehr nur die Rah­men­be­din­gungen und sorgt dafür, dass sich seine Bürger unge­stört betä­tigen können, nein, er ist nach den Vor­stel­lungen (auch der FDP!) nun auch der Ideen­geber und Treiber der Inno­va­ti­ons­kraft. Wohin diese Idee im Sozia­lismus geführt hat, war 1989/90 in allen sozia­lis­ti­schen Ländern zu besich­tigen, ist aber offenbar ver­gessen. Wer der schönen neuen Welt der Koali­tionäre wider­spricht, muss sich auf etwas gefasst machen. Unter modernem Staat und Demo­kratie ver­stehen die Ampel-Macher vor allem Aus­schluss von Andersdenkenden:

„Wir wollen einen grund­le­genden Wandel hin zu einem ermög­li­chenden, ler­nenden und digi­talen Staat, Wir wollen eine neue Kultur der Zusam­men­arbeit eta­blieren, die auch aus der Kraft der Zivil­ge­sell­schaft heraus gespeist wird […] Um die Inte­grität des Öffent­lichen Dienstes sicher­zu­stellen, werden wir dafür sorgen, dass Ver­fas­sungs­feinde schneller aus dem Dienst ent­fernt werden können“. (S.9)

Wenn sie ihr Vor­haben ernst nehmen würden, müssten sie sich selbst schnellstens „ent­fernen“, denn der Koali­ti­ons­vertrag ist ein ein­ziger Angriff auf das Grundgesetz.

In der „modernen Demo­kratie“ soll es nach dem Vorbild der Regierung Merkel, die fach­fremde „Ethik­kom­mis­sionen“ ein­ge­setzt hat, um dem Atom- und Koh­le­aus­stieg ohne Ein­spruch von Fach­kräften zu ermög­lichen, „Bür­gerräte“ geben:

„Wir wollen die Ent­schei­dungs­findung ver­bessern, indem wir neue Formen des Bür­ger­dialogs wie etwa Bür­gerräte nutzen, ohne das Prinzip der Reprä­sen­tation auf­zu­geben. Wir werden Bür­gerräte zu kon­kreten Fra­ge­stel­lungen durch den Bun­destag ein­setzen und orga­ni­sieren. Dabei werden wir auf gleich­be­rech­tigte Teilhabe achten“. Gleich­be­rech­tigte Teilhabe, statt Fach­wissen. diese Bür­gerräte sollen helfen, die „Hin­der­nisse“ zu besei­tigen, aber für eine demo­kra­tische Camou­flage sorgen. (S.10)

Ent­larvend auch, was die Koali­tionäre unter „Schutz der Inte­grität des poli­ti­schen Wett­be­werbs“ ver­stehen: Sie wollen gegen „Beein­träch­tigung durch ver­deckte Wahl­kampf­fi­nan­zierung mittels so genannter Par­al­lel­ak­tionen“ vor­gehen. „Dies soll unter Ein­be­ziehung mög­lichst aller demo­kra­ti­schen Frak­tionen geschehen“ (S.10)

Das heißt ganz klar, dass demo­kra­tisch gewählte, aber miss­liebige Par­teien per Dekret für immer aus­ge­schlossen werden. Das war schon vorher Praxis, indem der AfD in den Par­la­menten ihnen zuste­hende Sitze einfach ver­weigert wurden, was bisher aber immer mit einem unde­mo­kra­ti­schen Geschmäckle ver­sehen war. Nun wird des zur modernen demo­kra­ti­schen Norm, denn der Koali­ti­ons­vertrag steht nach Ansicht seiner Macher über dem Gesetz. Nicht anders kann man die jüngste Ein­lassung von Robert Habeck ver­stehen, der die bay­ri­schen Abstands­regeln für Wind­räder mit dem Hinweis kippen will, dass in dieser Ver­ein­barung zwi­schen drei Par­teien, mehr ist es ja nicht, steht, dass die Erneu­er­baren künftig “im öffent­lichen Interesse“ und damit pri­vi­le­giert seien.

Die Oppo­sition soll nicht nur aus­ge­grenzt, sie soll auch finan­ziell aus­ge­trocknet werden. Dafür soll die Par­tei­en­fi­nan­zierung „moder­ni­siert“ werden. „Die Arbeit und Finan­zierung der poli­ti­schen Stif­tungen wollen wir rechtlich besser absi­chern. Dies soll aus der Mitte des Par­la­ments geschehen unter Ein­be­ziehung mög­lichst aller demo­kra­ti­schen Frak­tionen“. (S.11)

Heißt im Klartext, dass die als unde­mo­kra­tisch bezeichnete Fraktion nicht beteiligt wird.

Wenn es um den Erhalt von Pri­vi­legien geht, halten die Koali­tionäre an über­lebten Gesetzen fest: „Wir stehen zum Bonn-Berlin-Gesetz. Hierzu wird der Bund mit der Region Bonn sowie den Ländern Nord­rhein-West­falen und Rheinland-Pfalz eine ver­trag­liche Zusatz­ver­ein­barung abschließen.“ (S.11)

Gibt es gar nichts Gutes im Koali­ti­ons­vertrag? Doch. Ein Lichtblick:

„Wir werden die „Kom­mission zur Reform des Bun­des­wahl­rechts und zur Moder­ni­sierung der Par­la­ments­arbeit“ erneut ein­setzen. Die Kom­mission wird sich mit dem Ziel einer pari­tä­ti­schen Reprä­sentanz von Frauen und Männern im Par­lament befassen und die recht­lichen Rah­men­be­din­gungen erörtern. Die Kom­mission wird zudem Vor­schläge zur Bün­delung von Wahl­ter­minen, zur Ver­län­gerung der Legis­la­tur­pe­riode auf fünf Jahre sowie zur Begrenzung der Amtszeit des Bun­des­kanzlers / der Bun­des­kanz­lerin prüfen.“

Die Begrenzung der Amtszeit des Bun­des­kanzlers wäre ein echter Fort­schritt und könnte sogar gelingen, weil Olaf Scholz aus Alters­gründen keine dritte Amtszeit anstreben dürfte.

Warum bin ich so sicher, dass die Koalition bis dahin durchhält?

Ganz einfach. Sie wird sich zur Macht­si­cherung radikal neue Wäh­ler­schichten erschließen. Wir werden das aktive Wahl­alter für die Wahlen zum Euro­päi­schen Par­lament auf 16 Jahre senken. „Wir wollen das Grund­gesetz ändern, um das aktive Wahl­alter für die Wahl zum Deut­schen Bun­destag auf 16 Jahre zu senken. Wir wollen die Aus­übung des Wahl­rechts für im Ausland lebende Deutsche erleichtern. (S.12)

Während im Jugend­straf­recht die Alters­grenze immer weiter nach oben ver­schoben wird, weil junge Men­schen noch nicht in der Lage wären, ihre Taten richtig ein­zu­schätzen, sollen die gleichen Jugend­lichen imstande sein, weit­rei­chende poli­tische Ent­schei­dungen zu treffen. Dass die Befür­worter der Absenkung des Wahl­alters iden­tisch sind mit jenen, die für eine Erhöhung der Alters­grenze im Jugend­straf­recht streiten und sich diese Kli­entel nicht genötigt sieht, zu diesem Wider­spruch Stellung zu nehmen, spricht für die Arroganz der Macht, die sich anschickt, uns zu beherrschen.

Niemand sollte sich damit trösten, dass es schon nicht so schlimm kommen wird, Alle geschicht­liche Erfahrung spricht dagegen.

Wer schweigt, stimmt zu!


Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de