Schon im April 2021 erschien in der New York Times ein Beitrag, der das Thema adressierte: „How Europe Sealed a Pfizer Vaccine Deal With Texts and Calls“ (“Wie Europa einen Pfizer-Impfstoff-Vertrag mit SMS-Texten und Anrufen besiegelte”) Schon damals war die EU-Kommissionschefin von der Leyen „not amused“, doch auf dieser Seite des Teiches wurde der Sache nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Hauptsache, die Impfdosen waren da, hofften viele. Egal wie. Es war ja zu der Zeit in den Augen der verängstigten Bürger schon ein Bravourstück, überhaupt Impfdosen zu ergattern. Doch nun macht sich Katerstimmung breit. Die Impfung macht eben leider nicht frei. Und jetzt kommen Fragen auf.
Die New York Times berichtete damals sehr verwundert über den höchst ungewöhnlichen Vorgang der Bestellannahme von 1,8 Milliarden Dosen von Pfizer/BioNTechs bejubelter Genspritze: Ein Milliardengeschäft im Namen der EU zwischen Kommissionspräsidentin von der Leyen mit dem Geschäftsführer von Pfizer, Albert Bourla, wurde mal eben per Anruf und SMS verhandelt und auch fest vereinbart. Warum auch nicht. Das macht man doch mal eben so leger á la „Ach, und bring noch ‘ne Pizza mit!“ — „Was willst’n drauf?“ — „Einfach Margherita“ – „Okay“.
Das sei doch ein recht „unkonventioneller Deal“ gewesen. Und das noch über Messenger-Dienste wie Signal oder What’sApp. Besonders letzterer ist alles andere, als sicher. Die New York Times wusste nämlich offensichtlich schon damals, um was es da ging. Und sehr wahrscheinlich wusste sie es nicht von einem Kellner, der da zufällig daneben stand und Frau Kommissionspräsidentin über die Schulter guckte.
Genauso kam es ja dann auch. Das US-deutsche Pharmatandem Pfizer/BioNTech machte ja dann auch den Deal und war damit der wichtigste Impfstofflieferant in Europa. Über vernachlässigbare Kleinigkeiten berichtete die New York Times jedoch nicht: Petitessen, wie viel Milliarden Euro der „Comirnaty-Deal“ gekostet hat, wie die Haftungsfragen geregelt wurden und ob es unter den EU-Ländern bevorzugt belieferte geben sollte. Das spätere Abkommen in Papier wurde notgedrungen offengelegt, allerdings waren wesentliche Verhandlungsdetail geschwärzt worden – also ein im Prinzip gestreckter Mittelfinger.
Netzpolitik.org wollte Genaueres wissen, wurde aber kalt abgeschmettert:
„Die Europäische Kommission möchte mögliche Absprachen zwischen Ursula von der Leyen und dem Pharmariesen Pfizer nicht transparent machen. Das geht aus einer Antwort der Kommission an die EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly hervor, die netzpolitik.org nun veröffentlicht. Konkret geht es um Nachrichten, die EU-Kommissionspräsidentin direkt mit Pfizer-Konzernchef Albert Bourla ausgetauscht haben soll, um einen Impfstoffdeal einzufädeln.“
Die überraschende Begründung: Diese Textnachrichten über Messenger könnten nicht archiviert werden. SMS sowie Nachrichten über Messengerdienste seien nunmal „von Natur aus“ kurzlebig, beschied man die anfragende EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly. Im Gegensatz zu E‑Mails gebe es auch kein technisches System, das eine Archivierung von SMS oder Messenger-Nachrichten ermögliche. Das ist ziemlich frech, denn man braucht nur unter den Eistellungen in „Chat exportieren“ zu gehen, und dann geht das sehr wohl. Auf weitere Nachfragen hin wimmelte die EU weiter ab:
„Es konnten keine Dokumente gefunden werden, die in den Geltungsbereich ihrer Anfrage fallen“, legte Ilze Juhansone, Gneralsekretär der EU-Kommission nach.
Doch „Netzpolitik“ ließ nicht locker:
„Auf unsere konkrete Anfrage bezogen heißt es, es habe mehrfach Nachfragen im Kabinett Von der Leyens gegeben. Dieses habe wiederholt bekräftigt, dass es keine Dokumente gebe, die „die für die Registrierung [im Archiv] erforderlichen Kriterien erfüllen“. Mit dieser nebulösen Antwort entzieht sich die Kommission neuerlich der Frage, ob es den direkten Nachrichtenaustausch zwischen Bourla und Von der Leyen überhaupt gab – und wenn ja, was drinstand.
Ein möglicher Grund für die Zurückhaltung ist, dass Von der Leyen und ihr Team rechtliche Folgen fürchten könnten – geben sie zu, dass die Nachrichten noch auf dem Handy der Kommissionschefin liegen, oder dort gelöscht wurden, macht sie das womöglich für Klagen angreifbar.“
Trotz allen Insistierens ließen sich die wirklich interessanten Einzelheiten des What’S‑App Deals nicht ermitteln. Zwar legte Pfizer eine Vorvereinbarung sowie einen Kaufvertrag vor, doch siehe, auch hier sind ganze Passagen geschwärzt.
Doch EU-Ombudsfrau O’Reillybekam doch noch eine neuere, sechsseitige Antwort von der EU-Kommission, die aber genauso zugeknöpft ist wie die erste. Die Europäische Kommission möchte auch weiterhin die möglichen Absprachen zwischen Ursula von der Leyen und dem Pharmariesen Pfizer nicht transparent machen. Es handelt sich um die Ergebnisse eines Meetings zwischen dem Untersuchungsteam des Europäischen Bürgerbeauftragten und Vertretern der Europäischen Kommission.
Ombudsfrau O’Reilly blieb nichts anderes übrig, als enttäuscht anzumerken, es sei doch klar, „dass Messenger-Apps und SMS für die professionelle Kommunikation genutzt werden, auch für wichtige Angelegenheiten. ‘Wenn der Inhalt dieser Nachrichten jedoch nicht von der Institution aufbewahrt und gespeichert wird, kann die Öffentlichkeit niemals darauf zugreifen.’“ Die EU-Verordnung, die den Dokumentenzugang regelt, spreche ausdrücklich von „Inhalten unabhängig von der Form des Datenträgers“. Dort ist von Dokumenten auf Papier, aber auch solchen in elektronischer Form, sowie Ton- und Bilddokumenten die Rede. Darunter fallen wohl sogar TikTok-Videos.
Immerhin, so berichtet Netzpolitik.org, kündigte EU-Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová vor einigen Tagen an, dass ihre Beamten an neuen Regeln für den Dokumentenzugang arbeiten. Was das für die Archivierung von Nachrichten wie jenen bedeutet, in denen milliardenschwere Impfstoffkäufe angebahnt wurden, ließ Jourová offen.
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