Vor ziemlich genau drei Jahren schrieb ich einen kleinen bösen Text mit dem Titel „Klimarevolution: ein Morgen im Leben des B. und des G.“, in welchem ich die aktuelle Entwicklung an der politischen Verbotsfront und der ideologisch langsam durchdrehenden Kinderveranstaltung „Fridays for Future“ zu einer bevorstehenden Dystopie nach dem Vorbild von „Schöne neue Welt“ oder „1984“ konstruierte. B., ein nicht gerade systemkonformer Sonderling bekommt es darin mit G., seinem Nachbarn und subalternen Blockwart der energiegewendeten Postmoderne zu tun. Der Text war aus der Sicht des renitenten B. geschrieben und der Tag ging wirklich nicht gut für ihn aus. Ich solle doch bitte einen weiteren Text aus der anderen Perspektive, der des Mitläufers und Profiteurs dieser gar nicht so schönen neuen Welt schreiben, lautete ein Wunsch. Die aktuellen politischen Entwicklungen machten dies nun nicht nur möglich, sondern notwendig. Man muss den ersten Text nicht unbedingt gelesen haben, um den zweiten zu verstehen – aber es hilft. Ich finde es erstaunlich, wie viel perfider und in ihrer Inhumanität vollständiger sich die Ausgangslage heute im Vergleich zu 2019 darstellt. Drei Jahre sind eine lange Zeit, wenn sie in die Hände ideologisch verbohrter Weltverschlechterer geraten. Folgen wir also den Gedanken des G. und schauen uns an, wie sein Morgen im Vergleich mit dem des B. verläuft, irgendwann, in einer hoffentlich nie existenten, ge-albträumten Zukunft.
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Für G. war der Tag mit der Verhaftung seines Nachbarn gut gestartet. Wie lange schon hatte er versucht, B. auf die Schliche zu kommen? Wie oft hatte er versucht, ihm in vertraulichen Gartenzaungesprächen ein Geständnis eines seiner Kohlenstoff-Verbrechens zu entlocken, ihm, der als einziger im Dorf kein Solardach hatte und der nie die Regenbogenfahne mit der grünen, gleichsam verbindenden Schärpe hisste, wenn die monatlichen Aufmärsche der Klimajugend stattfanden und der sein altes, dummes Benzinauto so lange gefahren hatte, bis er sich die Bezugsscheine nicht mehr leisten konnte und die letzte verblieben Apotheke mit Benzinzulassung 30 Kilometer entfernt lag. Aber da konnte B. sich längst schon die Steuern nicht mehr leisten, die das Klimasicherheitshauptamt in Brüssel seit einigen Jahren auf Autos erhob, die nicht via Internet an das ISA angeschlossen waren – alles im Dienste der Sicherheit, versteht sich! Nun war B. ein heimlich betriebener Spirituskocher zum Verhängnis geworden und er, Jan-Malte Grandler, hatte den CO2-Sünder zur Strecke gebracht!
Lautlos setzte sich der Elektrobus in Bewegung, die halbe Stunde bis zum Ministerium für Klimakampf gedachte G. im Halbschlaf zu verbringen. Natürlich lief wegen der kalten Temperaturen die Heizung im Bus nicht, Ankommen war wichtiger als bourgeoiser Komfort. G. zog die Schultern hoch und versank noch ein Bisschen tiefer in seinem Mantel. Es dauerte nicht lange, bis das Fenster zur linken durch seinen Atem beschlug und draußen nichts mehr zu erkennen war. Die feinen Wassertröpfchen an der Scheibe vernebelte seinen Blick, der bald schläfrig in die Ferne und zurück in der Zeit wanderte. Er durcheilte in Gedanken Beförderungen, motivierende Reden und beifallschwangere Parteitage und langte schließ da an, wo alles begann. In seiner Jugend und in jener Zeit, als sich die Menschheit in der fortschrittlichen EU anschickte, dem Egoismus der Individualität den Kampf anzusagen. Es war – er weiß es noch genau – der 6. Juli 2022.
Die Anfänge
Hannes war schon eine große Nummer bei den Grünen, als G. ihn 2022 kennenlernte. Referent einer Bundestagsabgeordneten und Betreuer zahlreicher Aktionen von „Essen Retten“. Auf der Straße saß die „letzte Generation“, Hannes hingegen plante für die Zukunft. „Wir machen hier Aktion, richtig. Aber wenn du mich fragst, ist das alles nur Ablenkung. Wichtig, ja, aber eben als Ablenkung.“ G. verstand nicht ganz, was Hannes meinte. Sie hatten sich gerade mit fünf anderen auf die A100 geklebt und warteten auf die Polizei, während die wütenden Autofahrer vor ihnen fluchten und ein Hupkonzert veranstalteten.
Hannes Kinn zuckte kurz in Richtung der Autos und er rief: „Denen geht’s bald an den Kragen und die haben keine Ahnung, was bald passieren wird! Brüssel macht die permanente Geschwindigkeitsüberwachung zur Pflicht. Ab 6. Juli 2022 muss die Technik in allen Neufahrzeugen eingebaut sein. Da wird alles aufgezeichnet, auch jede Geschwindigkeitsübertretung und jeder Tropfen Benzin, der verbraucht wird. Die Technik kann das Auto sogar abbremsen oder ganz zum Stillstand bringen.“ Und zu G. gewandt fügte er hinzu: „Überleg mal, was das für Möglichkeiten sind! Nicht du musst dich mehr irgendwo festkleben, wir kleben einfach DIE fest!“
Hannes Finger will beim „DIE“ den wütenden Berliner Taxifahrer geradezu durchbohren, der nun auf sie zukommt. G. hatte schon von diesem Gesetz gehört, auch von den geplanten Verschärfungen durch Wegfahrsperren und verpflichtende Alkoholtests vor jeder Fahrt. Der Taxifahrer wohl auch.
Der stand nun direkt vor Hannes. „Macht datt ihr hier wegkommt, sonst knallt‘et! Und wat deene Überwachungsscheiße inne Zununft anjeht…det Zeuch kannste ooch abschalten, wa! Ick lass mir nisch hinterherspionian!“
Hannes grinste G. breit an, als der Taxifahrer sich wieder entfernte. „Noch!“ sagte er leise. „Noch kann man das System abschalten. Und noch wird nur aufgezeichnet und nicht automatisch an eine Zentrale geschickt. Zusammen mit Koordinaten und Benzinverbrauch lässt sich ein hübsches Bewegungsprofil ermitteln und wer weiß, ob dieser Typ dann seine Taxi-Lizenz nicht schneller los sein wird als er „verpiss dich“ sagen kann. Gewählt hat der uns ja sowieso nicht.“
G. erinnerte sich noch gut, wie beeindruckt er damals war von Hannes Weitsicht. Und die Barrieren der Ewiggestrigen Autofahrer fielen in der Folgezeit tatsächlich wie die Dominosteine. Zunächst waren die Benzinverschwender dran. Im Juni 2022 stimmte das EU-Parlament für das Verbot von Verbrennungsmotoren in Neuwagen ab 2035. Einen Beschluss, den Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) begeistert begrüßte. Begeistert zeigte sich auch die deutsche Automobilindustrie, hoffte sie doch in Zukunft auf reichlich Absatz der teuren, subventionierten E‑Autoflotte. Da könnten vergleichsweise billige Benzinmodelle – womöglich sogar aus dem Ausland – nur hinderlich sein. Auch die Automobilclubs schwiegen, glaubten sie doch, immer noch die Lobby-Vertretung der Autofahrer zu sein, ganz egal, wie die Fahrzeuge angetrieben wurden. Ahnungslos allesamt!
Starkes Bremsen des Busses ließ G. kurz aus dem Halbschlaf hochschrecken. Sicher wieder ein Fahrradfahrer, der sich trotz Kälte der 20 Kilometer entfernten Stadt entgegen strampelte. Sicher nicht freiwillig, sondern aufgrund einer verhängten Disziplinarmaßnahme und dem Verlust der Beförderungsberechtigung. Eine Woche oder einen Monat strampeln war die häufigste Strafe, welche die Klimagerichte nach Anzeige durch Aktivisten oder Ministeriumsbeamte wie ihn auf dem Verordnungsweg verhängten. Per Meldi, welches bei sich zu tragen erste Bürgerpflicht war, erhielt der Täter Kenntnis von seiner Betrafung und weil sich ohne Iris-Scan mit dem Gerät keine Bustür öffnete und man es zur Identifizierung im Alltag für so ziemlich alles brauchte, war die Wirkung dieser Disziplinierung sehr mächtig.
Der Bus beschleunigte endlich wieder und G. dämmerte weiter vor sich hin. Schon drei Jahre nachdem er Hannes getroffen hatte, fand er sich, ausgestreckt auf einem bequemen Schreibtischsessel und die Hände hinter dem Kopf verschränkt, im Kontrollcenter des allgemeinen Verkehrswohlfahrtsausschusses für die Region Norddeutschland wieder. Es war gekommen, wie Hannes gesagt hatte: nun sendeten die Autos pausenlos Daten über Standort und Fahrverhalten ihrer Nutzer. Ein Dutzend Monitore vor G. zeigte in Punkten, Kurven und Balken die Messwerte des nun zum ISA+ (Intelligent Speed Assistant) ausgebauten Systems und er lernte schnell das gute Gefühl schätzen, einen der von grün auf gelb umspringenden Punkte anzutippen, sich Informationen über den Fahrer anzeigen zu lassen, welcher die Höchstgeschwindigkeit für mehr als 10 Sekunden überschritten hatte und wie ein römischer Kaiser den Daumen nach oben oder unten zu strecken. Oder, und das war noch lustiger, wenn ein Punkt in rascher Folge mehrfach von grün zu gelb und wieder zu grün wechselte, wie einst Robespierre „wer zittert, ist schuldig“ ausrufend das Auto auf rot zu stellen und damit stillzulegen. Das war fast so befriedigend wie SUVs die Luft abzulassen.
Der Spaß währte leider nicht lange, denn je mehr neue Autos zum Überwachungsprogramm hinzukamen, umso schwieriger war es für die Wächter, mit all den Verstößen fertig zu werden. Das System wurde schließlich automatisiert und auf seine neue Verwendung vorbereitet. Der Benzinpreis war inzwischen auf 12 Euro angestiegen, immer weniger Verbrenner aber immer mehr Elektroautos kamen ins System. Die E‑Fahrer freuten sich, auch noch als 2025 verpflichtend wurde, dass ihre Autos am Netz nicht nur laden, sondern auch entladen werden können. 2028, G. war da längst ins Ministerium für Klimakampf gewechselt, beschloss die EU-Kommission, dass nun auch E‑Autofahrer ihren Beitrag zur Rettung des Klimas leisten müssten, indem sie, statt egoistisch viele Kilometer zu fahren, etwas zur Netzstabilität beitragen und bei Bedarf eine ihnen zugewiesene Ladestation ansteuern mussten, um den kostbaren Saft zur Stabilisierung des Stromnetzes einzuspeisen. ISA++ ermittelte in Echtzeit den kürzesten Weg und an der Entladestation angelangt verhinderte die Software das Weiterfahren.
Die Proteste der privilegierten E‑Autobesitzer waren schwach und kamen kaum über materialistische Einwände wie „Aber die Abnutzung! Wer ersetzt mir die Ladezyklen? Und meine Zeit! Ich musste acht Stunden auf einem Parkplatz bei Buxtehude verbringen! Ich kann mein Auto ja fast nicht mehr fahren!“ hinaus. Welche Schwäche! Und schwach waren sie auch in der Zahl, denn auf die Solidarität der längst in Bus und Bahn gezwungenen ehemaligen Benzinfahrer konnten die Elektrischen ohnehin nicht rechnen. Eigentum verpflichtet eben, zu was, regelt ein tagesaktueller Erlass. „Aber…aber sollten in Deutschland, um die 100%-Erneuerbaren-Quote zu erreichen, nicht mindestens 20 TWh Speicher errichtet werden, damit hier nicht alles zusammenbricht?“ Greinten die Teslafahrer dann. „Die Studie wurde doch sogar mal im ZDF bei „Die Anstalt“ zitiert. Das war doch alles ausgerechnet! Warum habt ihr das denn nicht gemacht?“
Und G., der Beamte im Klimakampfministerium antwortete: „Aber das haben wir doch! Der Speicher wurde gebaut! Noch nicht genug, gewiss, aber wir haben gebaut. Genauer gesagt haben wir bauen lassen, denn dein E‑Auto, du Egoist, ist der Speicher, den wir brauchen. Und er ist alles, was wir jetzt haben. Wenn dir das nicht passt, kannst du den Bus nehmen.“
Der Bus bremste erneut, diesmal sanfter. G. sah durch die vereiste Scheibe schemenhaft den hohen Zweckbau des Ministeriums. Zufrieden rieb er sich den Schlaf aus den Augen und stieg aus. Der Arbeitstag konnte beginnen. Heute Abend würde er sich den Campingkocher aus dem Haus des B. holen, B. braucht ihn ja nicht mehr, dort, wo er jetzt hinkommen würde. G. freute sich schon auf die Tasse Tee, die er sich damit bereiten konnte, wenn mal wieder überall das Licht ausging. Schade, dass er den Campingkocher nicht mit in den Bus nehmen konnte. Es war immer so kalt dort.
Quelle: unbesorgt.de