50 shades of green oder das Schweigen der Lemminge

Nichts liegt mir ferner als jemanden davon abzu­halten, zur Wahl zu gehen. Doch weigere ich mich aus Prinzip, Wahl­emp­feh­lungen abzu­geben und dies­be­züg­liche Nach­fragen von Freunden beant­worte ich meist aus­wei­chend. Irgendwie muss ich aber einen schlechten Ein­fluss auf meine Umgebung haben, denn jeder ist eifrig bemüht mir zu ver­si­chern, dass man selbst­redend niemals die Grünen wählen werde! Und weil meine Nach­frage, welche der vielen grünen Par­teien gemeint sei, nur Ver­wirrung stiftet, lasse ich es meist gleich bleiben mit der Ironie. Mach was du willst, Freund, es ändert ohnehin nichts. Ich bin, meine Leser wissen es, mit der Gesamt­si­tuation unzufrieden.

Dass sich die Grünen mit ihren 14,5% in Nie­der­sachsen gerade als Wahl­sieger gerieren, sieht auf den ersten Blick nach Grö­ßenwahn aus, ist auf den zweiten Blick jedoch völlig korrekt. Denn die poli­tische Agenda wird in den nächsten fünf Jahren von eben dieser Partei gesetzt werden. Für das Kern­kraftwerk Emsland etwa sieht es jetzt noch düs­terer aus als vor der Wahl ohnehin schon. Noch grund­sätz­licher dürfte für die neue Lan­des­re­gierung jedoch das Beharren auf dem „Nein“ zur Gas­för­derung in Nie­der­sachsen ausfallen.

Ich würde einen Batzen Zen­tral­bankgeld darauf wetten, dass auf der Ange­bots­seite der Ener­gie­ver­sorgung Ent­spannung nicht mal mehr denkbar ist, weil kein Befehl Habecks die Ablehnung des Landes zum Fracking über­stimmen könnte. Ganz abge­sehen davon, dass kein Unter­nehmen so selbst­mör­de­risch sein wird, unter dem Damo­kles­schwert grüner Dekar­bo­ni­sie­rungs­pläne Inves­ti­tionen in Bereichen zu tätigen, die zum bal­digen Abschuss frei­ge­geben sind. Kohle, Gas und Atom sind in Nie­der­sachsen seit Sonntag zum Tode ver­ur­teilt, denn weitere fünf Jahre auf diesem Pfad sind nun gewiss. Wobei schon in wenigen Wochen oder Monaten die Klippen erreicht sein könnten.

Deutschland und die absolute Idee

Von Friedrich Sieburg, dem man seine zeit­weilig geistige Nähe zum NS-Regime nicht ver­zeihen muss, um ihn dennoch für einen der letzten großen Sti­listen der deut­schen Sprache zu halten, stammt fol­gender schaurige Satz: „Ein Volk muss von Zeit zu Zeit der Abso­lutheit einer Idee unter­worfen werden.“ Er schrieb dies 1935 in seinem Buch „Robes­pierre“ und hatte dabei neben dem Terror der Jako­biner sicher im Sinn, dass Deutschland sich zu dieser Zeit selbst gerade mal wieder im Wür­ge­griff einer solchen „abso­luten Idee“ befand. Bedenkt man den Ausgang der Fran­zö­si­schen Revo­lution und den des Dritten Reiches, besteht kein Zweifel an der Gefahr jeder solcher abso­luten Ideen. Ebenso daran, dass sich Deutschland – das wohl besonders anfällig zu sein scheint für den Abso­lu­tismus – längst wieder einer solchen Idee unter­worfen hat. Nach der braunen und roten Idee folgt dieses Land nun der grünen und wird dies bis in den nächsten Untergang weiter tun.

Führen ohne Machtergreifung

Ver­blüfft wird fest­ge­stellt, dass die „Abstrafung“ der Ber­liner Ampel zwar in Nie­der­sachsen die SPD redu­ziert und die FDP hal­biert hat, die Grünen, die ja auch Teil der Ampel sind, jedoch Zuge­winne ver­zeichnen konnten. Und dies, obwohl es die grüne Ener­gie­po­litik ist, deren Folgen dieses Land gerade in Form von Deindus­tria­li­sierung und Ener­gie­mangel an den Rand des Abgrundes treibt. Und doch halten die Wahl-Lem­minge offenbar an der Vor­stellung fest, dass es nicht die Grünen sind, die die Politik maß­geblich gestalten. Stellt nicht die SDP den Kanzler wie auch den Minis­ter­prä­si­denten von Nie­der­sachen? Ist nicht die SPD die Partei der kleinen Leute, der Arbeit und des sozialen Aus­gleichs? Die durch­grünte Politik der Genossen ist jedoch Gift für alles, wofür die SPD einst stand und selbst die gerade anrol­lende mas­sen­weise Ver­nichtung von Arbeits­plätzen weckt die alten Reflexe nicht mehr. Müde wie die Gewerk­schaften sehen die Genossen dem grünen Treiben tatenlos zu und nicken eifrig ab, was in grünen Ober­stübchen aus­ge­brütet wird. Die Hell­grünen exe­ku­tieren die Politik der Dun­kel­grünen und wenn es schief geht, waren die Hell­grünen eben nicht grün genug.

Unter­dessen arbeitet sich ein anderer Grüner, der Oppo­si­ti­ons­führer und Vor­sit­zende der noch etwas hell­grü­neren CDU, an der Rest­op­po­sition ab. Dabei geht die von ihm richtig pro­gnos­ti­zierte Desta­bi­li­sierung der Demo­kratie nicht von den Schwe­fel­buben aus, die auch mit 10 oder 20 Prozent noch poli­tisch bedeu­tungs- und ein­flusslos bleiben werden, sondern von den Grünen und ihrem Kampf gegen die Physik.

Für Nie­der­sachsen bedeutet der Wahl­ausgang eine stärkere Gän­gelung der Land­wirt­schaft und noch mehr Wind­rädchen. Für Deutschland, die viel­leicht letzte Chance ver­passt zu haben, das Ruder in Sachen Ener­gie­si­cherheit noch einmal her­um­zu­reißen. Und für die Demo­kratie ganz all­gemein? Chur­chill wird die Aussage zuge­sprochen, dass die Demo­kratie die schlech­teste aller Regie­rungs­formen sei – mit Aus­nahme aller anderen, die noch schlechter seien. Die offen­sicht­liche Unfä­higkeit, in diesem Land mittels demo­kra­ti­scher Wahlen vor der Klippe halt zu machen und über­le­bens­wichtige poli­tische Kurs­kor­rek­turen zu voll­ziehen, lässt mich jedoch ver­muten, dass sich Deutschland bereits in einer Art Spät­phase der Demo­kratie und im Übergang zu etwas anderem befindet. Hier einige Merkmale, die ich vor­sichtig als Thesen bezeichnen möchte.

1) Statt das Mittel zur Her­stellung von Reprä­sen­tation zu sein, dient Demo­kratie in ihrer aktu­ellen Aus­prägung dazu, der Exe­kutive einen Blan­ko­scheck der Recht­fer­tigung und dem Wähler ein Blan­ko­verbot prin­zi­pi­eller Kritik zu verschaffen.

2) Deshalb ist eine Wahl auch nicht der Anfang einer Legis­lative, sondern das vor­weg­ge­nommene Ende derselben.

3) Das Ergebnis von Wahlen ist somit keine Legis­lative im eigent­lichen Sinne, sondern die Sicher­stellung der Legi­ti­mität von Machtausübung.

4) Das „gewählt worden sein“ in dieser…nennen wir es „späten Demo­kratie“ ent­bindet von jeder Haftung und Ver­ant­wortung und ähnelt somit eher dem „aus­er­wählt sein“ mon­ar­chi­scher Tradition.

5) Dies kor­re­liert auf­fallend mit dem Wegfall jedes meri­to­kra­ti­schen Prinzips, das durch ideo­lo­gische „Abstammung“, also durch Gesinnung und Treue zur abso­lu­tis­ti­schen Idee, ersetzt wird.

6) Wo zur Her­stellung von Legi­ti­mität die Gesinnung nicht genügt, wird – ähnlich wie in der Mon­archie – eine der Masse nicht zugäng­liche Instanz bemüht. Die Mon­archie bezog sich hierzu auf Gott, die „späte Demo­kratie“ bezieht sich auf „die Wissenschaft“.

Ich kann weder sagen, dass mir gefällt, was sich da ent­wi­ckelt, noch weiß ich, ob meine Thesen das Problem über­haupt richtig erfassen. Es sind meine Beob­ach­tungen, Andere mögen zu anderen kommen. Doch finde ich es auf­fallend, dass es der deut­schen Politik nie an Legi­ti­mierung mangelt. Die lässt sich durch Wahlen immer noch mühelos her­stellen – wenn man mal von Berlin absieht. Jedoch kommt durch Wahlen offenbar keine Kom­petenz mehr zustande, die Pro­bleme des Landes zu lösen und weil in der Politik nichts ohne einen Zweck geschieht, muss dieser ein ver­bor­gener sein, der im Grund­gesetz jeden­falls nicht zu finden ist.


Quelle: unbesorgt.de