Wir hatten eine Gnadenfrist in diesem Oktober und den ersten Novembertagen, es war warm und sonnig. Doch nun ist Schluss mit den Segnungen der „Klimaerwärmung“, es wird kalt werden. Eine Suche im Netz unter „was tun bei Stromausfall“ fördert viele gute Tipps und ‑zig Angebote von Survival‑, Prepper‑, und Campingausstattern zutage. All das erfordert einiges an Geld, teilweise auch Beweglichkeit und Körpereinsatz und muss bedient werden können. Außer Kerzen anzünden ist kaum etwas dabei, was unseren alten Mitbürgern möglich wäre.
Wie bitte soll Oma Elfriede einen Generator bezahlen und die Treppe hochtragen? Und woher schleppt sie Diesel und Benzin herbei? Und wie geht sie damit um? Was macht der alte Herr, wenn sein Treppenlift nicht mehr funktioniert? Was passiert, wenn die Wasserversorgung ausfällt? Ein sehr alter Mensch kann nicht mit Eimern hantieren und den Inhalt dann draußen zur Kanalisation tragen. Wie kann man von einer Rente, von der man kaum leben kann, noch Vorräte anlegen? Und wenn es wegen Stromausfalls kein Benzin gibt, wie kann die Caritas dann kommen und die alten Herrschaften beim Waschen und Medikamentenstellen unterstützen? Wasser gibt es ja dann auch nicht. Woher kommt dann „Essen auf Rädern?“ Woher die Medikamente nehmen, wenn das Apothekenauto nichts mehr bis an die Tür bringt? Wer von den Senioren hat einen Campingkocher im Haus?
Wer heute alt ist, ist auf Gedeih und Verderb auf das Funktionieren der sozialen Dienste und der sozialen Institutionen angewiesen. Die aber brechen mit dem Stromausfall zusammen. Wer kinderlos ist, ist dann vollkommen verloren, außer er hat gut befreundete Nachbarn, die dann mal ein warmes Essen rüberbringen oder ein paar Kerzen und Vorräte – aber auch das werden wahrscheinlich nur diejenigen tun, die selber gut vorgesorgt haben – und das sind die wenigsten. In solchen Situation ist sich jeder der Nächste und die Alten auf sich gestellt. Wenn die Supermärkte auf unbestimmte Zeit zu sind, gibt kaum einer seine Vorräte ab. Selbst die netten Nachbarn, die immer mal einen Einkauf für die alte Dame nebenan mitgebracht haben oder mit einem Stück selbstgebackenen Kuchen vor der Tür standen, sieht man nicht mehr.
Dazu kommt die Kälte. Selbst wenn sich alte Menschen mehrere Schichten Kleidung noch selbst anziehen können — das dauert. Und wenn ein Gang zur Toilette notwendig wird, dauert es vielleicht zu lange. Was das bedeutet, möchte man sich nicht ausmalen. Aber selbst zwei oder drei Schichten Kleidung helfen wenig, wenn die Wohnung eiskalt ist, und man praktisch bewegungslos darin sitzt.
Ich rede hier von etwas, was ich vor Jahren genau so gesehen habe. Eine alte Nachbarin, eigentlich eine recht zänkische Frau, die deshalb kaum Umgang mit ihrer Nachbarschaft hatte, war plötzlich am Telefon (das natürlich funktionierte, damals gab es noch nicht die Blackout-Gefahren). Sie klang jammerig und hatte ein ungewohnt dünnes Stimmchen. Ob ich mal bitte zu ihr kommen könnte. Die Haustür war unverschlossen, wie damals bei allen Häusern in unserem kleinen Dorf. Sie saß in der Küche auf der Eckbank, in zwei Pullovern und einer Wolldecke eingehüllt, grau im Gesicht. Es war eiskalt im Haus. Sie sagte, die Heizung sei wohl kaputt und ihr Sohn sei seit zwei Tagen nicht gekommen, um das zu beheben. Ob ich mal nachsehen könne. Ich stellte fest, dass der Öltank leer war.
Es war einfach nur die Heizung. Sie hatte durchaus Wasser und Strom, aber der Heizungsausfall reichte schon aus, um die alte Dame – trotz mehrerer Kleiderschichten und Wolldecke – völlig auskühlen zu lassen, weil sie mit all dem Stoff um sich nicht herumlaufen wollte aus Angst zu stürzen, weil sie an sich recht immobil war. Sie blieb einfach seit zwei Tagen da auf der Bank sitzen und hatte nichts gegessen und getrunken hatte, um nicht auf Toilette gehen zu müssen. Und wartete schicksalsergeben auf ihren Sohn. Ein heißer Tee und ein leistungsstarker, elektrischer Heizofen, den ich ihr brachte, wärmte sie selbst und die Küche auf und sie konnte wieder leben und sich Essen zubereiten, selber Tee kochen, auf Toilette gehen und sich an der Spüle waschen, bis neues Heizöl geliefert wurde. Wie gesagt, es gab Strom und Wasser, und es dauert nur wenige Tage. Und doch war die alte Frau schon in einem sehr bedenklichen Zustand der Unterkühlung und Dehydrierung geraten.
Es sind aber nicht nur die alleinlebenden Alten, die bei einem Blackout wirklich sehr schnell in Lebensgefahr kommen. Ein Blackout würde auch in einem Pflege- und Seniorenheim sehr problematisch werden. Die BILD veröffentlichte einen Streifzug durch einige Heime, und was ein Stromausfall über mehr als einen Tag für die betagten und auf Hilfe angewiesenen Bewohner bedeuten würde.
Da ist der Pensionär Johann Kohlmaier, der auf seinen Elektro-Rollstuhl und ein elektrisch betriebenes Sauerstoffgerät angewiesen ist. Auch gesunde Hochbetagte äußern ihre blanke Angst vor einem Blackout und was er für sie bedeuten würde. Bei der 92jährigen Ursula Elsner kommen Alpträume aus ihrer Kinderzeit wieder hoch, und sie sitzt wieder im Jahr 1945 im Luftschutzkeller, Bomben fallen, die Lichter gehen aus, die Mauern wackeln, Menschen neben ihr sterben. Die Angst ist heute wieder wach geworden und so groß wie damals, sagt sie.
Das Problem der Kälte ist gefährlicher, als man denkt. Man kann tatsächlich deutlich über Null Grad erfrieren. Nicht nur, dass eine Unterkühlung die körpereigene Abwehr lähmt und Viren und andere Keime sich ungehindert ausbreiten können. Schon, wenn die Körpertemperatur auf 35 Grad sinkt, sind wir unterkühlt, ab einer Körpertemperatur unter 27 Grad besteht höchste Lebensgefahr.
Bei Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt ist man bei nicht ausreichender Kleidung trotz Bewegung schon innerhalb von 10 Minuten gefährlich unterkühlt. So etwas kann passieren, wenn jemand im tiefen Winter mit dem Auto unterwegs ist, eine Panne hat und das Auto verlassen muss, um Hilfe zu suchen und nicht angemessen durch Kleidung geschützt ist.
Unglücklicherweise wirkt sich schon eine Unterkühlung auf 35 °C Körpertemperatur gefährlich aus: Zuerst fängt das Muskelzittern an, um durch Verbrennung Wärme zu erzeugen. Das hat jeder schon mal erlebt. Man fängt dann ganz von selbst an, auf-und-ab zu hüpfen und sich intensiv zu bewegen, und treibt so die Körpertemperatur wieder hoch. Alte Menschen können das nicht. Dann kommt die Schwäche und geistige Verwirrung. Das ausgekühlte Gehirn funktioniert nicht mehr richtig und der Betroffene kann sich nicht mehr selbst durch mögliche und geeignete Entscheidungen und Maßnahmen aus der Lage befreien. Unter 27 Grad Körpertemperatur treten Herzkammerflimmern, Herzrhythmusstörungen, dann Herzstillstand und Zusammenbruch des Organismus auf. Unter 26 Grad Körpertemperatur besteht normalerweise keine Überlebenschance mehr (es gibt wenige Ausnahmefälle). Weit vor Eintritt des Todes gibt der Mensch auf, er schafft es nicht. Bei Menschen mit sehr schwachem oder geschädigtem Herz kann die tödliche Kaskade weit früher einsetzen.
Besonders tückisch: Gerade im Schlaf können bereits unterkühlte Menschen leicht wegdämmern und bemerken gar nicht, in welcher Todesgefahr sie sind. Das wird sehr wahrscheinlich gerade alleinlebenden, alten Menschen passieren, wenn wir wirklich mehrtägige Blackouts im Winter bekommen und die Heizungen tagelang ausfallen. Wir sollten in solchen Situationen ein Auge auf unsere Umgebung haben, ob da jemand Hilfe braucht. Die staatlichen Strukturen werden da nicht weiterhelfen. Wir müssen zusammenhalten und uns gegenseitig helfen.
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