Wis­sen­schaft & Geheim­dienste: »So wurden Men­schen & Tiere kon­di­tio­niert!« — Teil 2

Der ame­ri­ka­nische Psy­chologe und Begründer des Beha­vio­rismus John Broadus Watson (1878 – 1958) ent­wi­ckelte diese Kennt­nisse, wie in Teil 1 geschildert, zu neuen Prin­zipien des Lernens um, auf denen man eine echte wis­sen­schaft­liche Psy­cho­logie auf­bauen konnte.

Bei­spiels­weise kon­di­tio­nierte er »Furcht« bei einem elf Monate alten Säugling: Der kleine »Albert« fürchtete sich kei­neswegs vor einer zahmen Ratte, mit der er häufig in seinem Zimmer spielen durfte. Doch Watson wollte dies expe­ri­mentell ändern. Indem er nahe dem Ohr des Babys laut auf eine Eisen­stange schlug, erzeugte er starken Lärm, der beim kleinen Albert Erschrecken und Tränen auslöste.

Die Kon­di­tio­nierung bestand nun aus wie­der­holten Kop­pe­lungen von einem kon­di­tio­nierten und unkon­di­tio­nierten Sti­mulus. Dem Baby wurde die Ratte gezeigt und gleich danach ertönte der Lärm. Nach wenigen Wie­der­ho­lungen begann Albert allein beim Anblick des Nage­tiers zu weinen, also bevor der Krach über­haupt auf­klang. Letztlich war es Watson mit seinem bar­ba­ri­schen Versuch gelungen, eine soge­nannte »expe­ri­men­telle Neurose« bei Baby Albert zu kon­di­tio­nieren.[iii]

Der Gebrauch des Wortes Neurose im obigen Zusam­menhang ist etwas spe­ku­lativ, denn im All­ge­meinen wird der Begriff eher auf psy­cho­dy­na­mische Zustände ange­wandt, die eine effektive Anpassung an das täg­liche Leben erschweren. Doch die in diesem Bei­spiel ver­wendete Auf­fassung von Neurose als Angst, die zu Stimuli kon­di­tio­niert wurde, die bei nor­malen Men­schen eben keine Angst (unan­ge­brachte Furcht) aus­lösen, ist weit ver­breitet.[iv]

Das Prinzip der Sti­mu­lus­ge­ne­ra­li­sierung bewies aller­dings, dass das Kind (Baby Albert) danach auch Furcht vor anderen pel­zigen Objekten, ein­schließlich eines Kanin­chens zeigte.[v] Die Reaktion (in diesem Bei­spiel die Furcht des Kindes) kann durch die Zunahme der Stärke des Reflexes weiter bekräftigt werden, er wird sozu­sagen »ein­ge­schliffen«.

Eine solche Kon­di­tio­nierung kann jedoch auch wieder gelöscht werden. Um beim kleinen »Albert« zu bleiben. Eine solche könnte erleichtert werden, wenn man dem Baby die Ratte zunächst aus großer Ent­fernung und ohne Lärm gezeigt hätte. Sobald seine Angst nach­lässt, könnte man das Tier näher her­an­lassen. Bei­spiels­weise beim Ein­nehmen der Mahl­zeiten. Dieses Ver­fahren wird »Gegen­kon­di­tio­nieren« genannt. Mary Cover Jones, einer Stu­dentin Watsons, wandte eine solche erfolg­reich bei einem anderen Kind an.[vi]

Aber auch sprach­liche Modelle können zu kon­di­tio­nierten Reizen umfunk­tio­niert werden.

Das wird dem Leser bei der Dar­stellung des ritu­ellen Miss­brauchs immer wieder begegnen. Vor allem dann, wenn die Rede davon sein wird, weshalb Kinder »einfach so« mit unbe­kannten Erwach­senen mit­gehen. Selbst nur durch Worte kann Angst kon­di­tio­niert werden. Diese soge­nannte Seman­tische Kon­di­tio­nierung konnte 1962 von Epstein bei Fall­schirm­jägern nach­ge­wiesen werden. Schon alleine die Nennung der Worte »Himmel«, »Sturz« und »Leine« genügte, um bei den Fall­schirm­jägern in der Aus­bildung Angst­re­ak­tionen her­vor­zu­rufen. Der Psy­chologe maß zu diesem Expe­riment die Ver­än­derung des Haut­wi­der­standes und konnte damit Angst­re­ak­tionen fest­stellen (der soge­nannte psy­cho­gal­va­nische Reflex der Haut ist ein Indi­kator für Angst).[vii]

Einen anderen Weg, um Men­schen beein­flussbar zu machen, ist die Indu­zierung von Schuld­ge­fühlen.[viii] Darauf komme ich noch einmal zurück.

Der Psy­chologe E. H. Schein hat in seiner 1956 ver­öf­fent­lichten Arbeit The Chinese indoc­tri­nation program for pri­soners of war[ix]  seine aus­führ­lichen Unter­su­chungen über die soge­nannte Gehirn­wäsche der Chi­nesen im Korea­krieg erläutert.

Bezüglich der Errei­chung von Gehor­samkeit fand er heraus, dass man die anfäng­liche gering­fügige Bereit­schaft ständig aus­weitet und zusätzlich Schuld­ge­fühle erzeugen muss. Hinzu kamen bei den Kriegs­ge­fan­genen psy­chische Belas­tungen durch soziale Iso­lierung sowie raf­fi­nierter Anwendung von lern­theo­re­ti­schen Erkennt­nissen. So wurden die Gefan­genen andauernd verhört, gede­mütigt, erniedrigt und gleich­zeitig für jeg­lichen Gehorsam, jede Kom­pli­zen­schaft und Anpassung mit Ver­güns­ti­gungen belohnt.[x] Auch darauf wird der Leser im Zusam­menhang mit ritu­ellem Miss­brauch immer wieder stoßen.

Burrhus Fredric Skinner[xi] (1904–1990) war einer der füh­renden ame­ri­ka­ni­schen Beha­vio­risten in der Tra­dition von J. B. Watson. Seine Psy­cho­logie ist die »Wis­sen­schaft der Mani­pu­lation des Ver­haltens«; ihr Ziel ist, die am effek­tivsten anwend­baren rein­force­ments (Ver­stärk­erwir­kungen) her­aus­zu­finden, um ein »bestimmtes« Ver­halten her­vor­zu­rufen. Oder anders aus­ge­drückt: eine gewünschte Ver­hal­tens­weise zu formen und zu beein­flussen.[xii]

Skinner setzte der ein­fachen (»klas­si­schen«) Kon­di­tio­nierung im Pawlow’schen Sinne die »ope­rante« Kon­di­tio­nierung ent­gegen. Das bedeutet, dass der Expe­ri­men­tator (wenn es von seinem Stand­punkt aus wün­schenswert ist) ein unkon­di­tio­niertes Ver­halten belohnt oder bestraft. Übrigens hielt Skinner rein­force­ments durch Belohnung wirk­samer als durch Bestrafung. Er und auch andere Wis­sen­schaftler haben die Tech­niken der »ope­ranten Kon­di­tio­nierung« in Hun­derten von Expe­ri­menten nach­ge­wiesen. Durch die richtige Anwendung von rein­force­ments konnte das Ver­halten von Men­schen und Tieren in einem erstaun­lichen Grad ver­ändert werden.[xiii]

Das Kon­di­tio­nieren ist deshalb ein grund­le­gendes Gebiet der Psy­cho­logie, weil es zum einen mentale Pro­zesse, die zuvor als sub­jektiv erschienen, objek­ti­viert. Und zum anderen, ein Ver­fahren zum Studium der ele­men­taren Phä­nomene des Lernens bietet.[xiv] Soge­nannte »Mind Con­troller« arbeiten mit unter­schied­lichen Kon­di­tio­nie­rungs­me­thoden, die dazu dienen, kon­di­tio­nierte Reak­tionen im Unter­be­wusstsein der Opfer zu ver­ankern. Durch eine Kop­pelung mit Sug­ges­tionen oder post­hyp­no­ti­schen Befehlen werden »Aus­löser« (»Trigger«) gesetzt. Ent­weder durch bestimmte Berüh­rungen, eines Wortes, eines Tones, eines Hand­zei­chens, eines Symbols … Dieser kon­di­tio­nierte Reiz löst eine dem­entspre­chende kon­di­tio­nierte Reaktion hervor. Bei­spiels­weise die Ein­leitung einer Hypnose, sexuell zu Diensten sein, einen zuvor pro­gram­mierten Per­sön­lich­keits­anteil abzu­rufen und so weiter. Dabei gilt: Jeder, der von der Pro­gram­mierung und dem Trigger Kenntnis hat, kann demnach das Mind-Control-Opfer mani­pu­lieren, sprich: steuern.[xv]

Der Psy­chologe Dr. James Randall Noblitt fand heraus, dass Pati­enten sich an den Miss­brauch durch Täter erin­nerten, nachdem sie durch ein bestimmtes Wort, einen Satz oder andere Signale (z.B. einen Hand­griff oder eine Berührung im Gesicht) in einen wehr­losen Zustand ver­setzt wurden. Die Kli­enten berich­teten ferner davon, dass spe­ziell Tele­fon­anrufe oder ein rhyth­mi­sches Klopfen an der Tür eine ihrer Innen­per­sonen zum Vor­schein gebracht hätte.

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Quellen: [iii] Watson, J. B./Rayner, R.: Con­di­tioned emo­tional reac­tions. JOURNAL OF EXPE­RI­MENTAL PSY­CHOLOGY, 1920, 3, 1–14 und Benesch, Band 3, S. 17ff.///[iv] Benesch, H. (Hrsg.): Grund­lagen der Psy­cho­logie, Band 3: Lern- und Gedächt­nis­psy­cho­logie, Weinheim 1992, S. 15, 17///[v] Benesch, H. (Hrsg.): Grund­lagen der Psy­cho­logie, Band 3: Lern- und Gedächt­nis­psy­cho­logie, Weinheim 1992, S. 21///[vi] Jones, M. C.: The Eli­mi­nation of Children’s Fear. J. Exp. Psychol., l, 1924, 382 – 390///[vii] Lück, H. E./Rippe, H.-J./Timaeus, E.: Ein­führung in die Psy­cho­logie, Hagen 1984, 141f.///[viii] Lück, H.: Psy­cho­logie der sozialen Beein­flussung, Kon­for­mität und Gehor­samkeit, Hagen 1984, S. 17///[ix] Erschienen in Psych­iatry, 19, S. 149–172///[x] Vgl. auch Lück: Psy­cho­logie der sozialen Beein­flussung, S. 17///[xi] Vgl. auch Simmons, J.: Who ist Who der Wis­sen­schaften, Ber­gisch Gladbach 1999, 580ff.///[xii] Erich Fromm: Ana­tomie der mensch­lichen Destruk­ti­vität, Stuttgart 1997, S. 52///[xiii] Vgl. Erich Fromm: Ana­tomie der mensch­lichen Destruk­ti­vität, Stuttgart 1997, S. 53ff. Mehr dazu bei Skinner, B. F.: Science and Human Behavior, New York 1953 (dt.: Wis­sen­schaft des mensch­lichen Ver­haltens, München 1973); Beyond Freedom and Dignity, New York 1971 (dt.: Jen­seits von Freiheit und Würde, Reinbek b. Hamburg 1973)///[xiv] Benesch, H. (Hrsg.): Grund­lagen der Psy­cho­logie, Band 3: Lern- und Gedächt­nis­psy­cho­logie, Weinheim 1992, S. 26ff.///[xv] James Randall Noblitt/Pamela Perskin Noblitt: Cult and Ritual Abuse – Nar­ra­tives, Evi­dence, and Healing Approaches, Praeger, 3rd edition, 2014, S. 86, 87///[xvi] James Randall Noblitt/Pamela Perskin Noblitt: Cult and Ritual Abuse – Nar­ra­tives, Evi­dence, and Healing Approaches, Praeger, 3rd edition, 2014, S. 260, 90ff.


Guido Grandt — Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Autors www.guidograndt.de