Hun­ger­blo­ckade 1917/1918: »Ver­schwie­genes bri­ti­sches Kriegs­ver­brechen!« — Teil 2

Im Ersten Welt­krieg kam es mit zu einem der größten Kriegs­ver­brechen gegen deutsche Zivi­listen. Und wieder einmal wurde und wird genau dieses von der hie­sigen, aber auch von der aus­län­di­schen Presse aus­ge­blendet: Die bri­tische Hun­ger­blo­ckade gegen das Deutsche Kaiserreich.

Im Winter 1916/17 ver­schärfte sich die Lage noch, weil die Kar­tof­fel­ernte (des Jahres 1916) lediglich nur bei rund 50 Prozent des Frie­dens­er­trags lag, was der schlechten Wit­terung und einer Kar­tof­fel­fäulnis geschuldet war. Die genießbare Menge hin­gegen wurde an die Front geschickt oder blieb bei den Bauern. Als Kar­tof­fel­ersatz wurden, wie bereits erwähnt, an die Bevöl­kerung Kohl- und Steck­rüben aus­ge­geben, die kaum Nährwert hatten und deren Ver­teilung zudem schlecht orga­ni­siert war.

Im Januar 1917 betrugen die Kalorien der Rationen, die den Men­schen zum Über­leben aus­reichen sollten, lächer­liche 1.313. In der Folge wurden die Kalorien jedoch noch weiter reduziert.

Auf den »Hun­ger­winter« 1917 folgte ein »Hun­ger­sommer«, weil bezüglich der Getrei­de­ernte es nicht nur gänzlich an Dün­ge­mittel fehlte, sondern – kriegs­be­dingt – ebenso mensch­liche und tie­rische Arbeits­kräfte für die Felder. So lag die Grund­ver­sorgung der Stadt­be­völ­kerung bei nur noch 1.000 Kalorien pro Tag. Roland Sommer: »Selbst diese mehr als kargen Rationen werden im wei­teren Kriegs­verlauf gekürzt, so dass im Oktober 1918 der Ber­liner Poli­tiker Schei­demann davon spricht, dass man vor einem völ­ligen Rätsel stehe, wenn man sich frage, wovon die Ber­liner Arbeiter lebten.‘ Die Nah­rungs­mit­tel­ra­tionen von Fleisch betragen im 2. Halbjahr 1918 nur noch 12 Prozent des Frie­dens­ver­brauchs, bei Fisch sind es gar nur noch 5 Prozent. Aber auch bei den Grund­nah­rungs­mitteln kommt es zu einem dra­ma­ti­schen Rückgang. Die Rationen für Müh­len­pro­dukte machen mit 47 Prozent nicht einmal mehr die Hälfte des Konsums in Frie­dens­zeiten aus, Butter und Pflan­zen­fette sind mit 28 bzw. 17 Prozent des Frie­dens­ver­brauchs eben­falls zu Luxus­gütern verkommen.«

Her­kömmlich ver­schwiegen wird auch, dass besonders Insassen geschlos­sener Anstalten (also von Heil- und Pfle­ge­an­stalten) von der per­ma­nenten Hun­gersnot betroffen waren. Die Über­sterb­lichkeit lag dort bei bis zu 20 Prozent!Ein ver­trau­licher Bericht des Leiters der Ober­frän­ki­schen Heil- und Pfle­ge­an­stalt Bay­reuth an das Königlich Baye­rische Staats­mi­nis­terium des Inneren vom Sep­tember 1917 macht das ganze Ausmaß der Kata­strophe deutlich. Darin heißt es unter anderem: »Das ständige Geschrei der Kranken bzw. ihre unauf­hör­lichen Klagen über Hunger, ihre beim Gar­ten­besuch zutage tre­tende Gier nach unreifem Obst, ja selbst nach Gras, Blumen, Laub, Eicheln, Kas­tanien etc. ange­sichts der Unmög­lichkeit der Abhilfe« seien ein »die Nerven stark ergrei­fendes Moment«.

Auch der Direktor der Kgl. Heil- und Pfle­ge­an­stalt Regensburg berichtete im Sep­tember 1917, dass die Kranken »in ihrem Hun­ger­gefühl Kar­toffeln mit der Schale, Abfälle und Ersatz­stoffe, wo sie solche erha­schen konnten, zum Bei­spiel Gras, Blu­men­zwiebeln, ver­zehrten, in unru­higen Abtei­lungen um die Nah­rungs­mittel mit Mit­kranken förmlich rauften.«

Kein Wunder also, dass die Ster­be­zahlen zunahmen, wie etwa in den Badi­schen Heil- und Pfle­ge­an­stalten. In Wiesloch stieg die Anzahl der Anstalts­toten von 123 im Jahre 1915 auf 177 Ende 1916; in Emmen­dingen von 137 auf 167. Gründe dafür waren zudem, dass keine krank­heits­an­ge­mes­senen Diäten ver­ordnet werden konnten und wegen der all­ge­meinen Schwä­chung der Kranken die Tuber­ku­lo­se­an­fäl­ligkeit schnell zunahm und es ebenso zu Hun­ge­rödemen kam.

Auch das unfassbare Hun­ge­relend der Kinder jener Zeit findet kaum Beachtung, obwohl diese auf­grund regel­mä­ßiger Schul­ge­sund­heits­un­ter­su­chungen (die es bereits in der Vor­kriegszeit gab) gut doku­men­tiert sind.

Adolf Bag­insky, Päd­iater (Kin­derarzt bezie­hungs­weise Arzt mit einer Fach­arzt­aus­bildung in Päd­iatrie (Kin­der­heil­kunde)) aus Berlin erklärte: In wirklich »ein­ge­weihten Kreisen« habe man die Schäden der man­gel­haften Ernährung schon offen­sichtlich werden sehen, als sich in den Kin­der­gärten »der Hunger in langsam geübter Form« ein­ge­stellt habe.

In Berlin nahmen die Schul­spei­sungen, um dem bereits offen­kun­digen schlei­chenden Nah­rungs­mangel ent­ge­gen­zu­wirken, von August bis Sep­tember 1914 von 21.497 auf 26.700 zu und erreichten Ende 1916 die Anzahl von 35.000.

Die Lage für die Kleinen war so dra­ma­tisch, dass es sogar zu Aus­lands­ver­schi­ckungen von Kindern in die Nie­der­lande, nach Dänemark und in die Schweiz kam. Der dies­be­züg­liche Höhe­punkt war 1917 mit 307.390 Ver­schi­ckungen gesund­heitlich bereits geschä­digter Jungen und Mädchen.

Danach wurde auch diese Maß­nahme beinahe unmöglich, weil nahezu alle Trans­port­ka­pa­zi­täten der Eisenbahn für Trup­pen­ver­schie­bungen, Muni­ti­ons­lie­fe­rungen und den Ver­wun­de­ten­ab­schub benötigt wurden.

Von nun an hun­gerten die Kinder über­wiegend zu Hause, zeigten eine durch­schnitt­liche Gewichts­ab­nahme von etwa zwei Kilo­gramm bei Vier­zehn­jäh­rigen auf sowie ein im Durch­schnitt um zirka zwei Zen­ti­meter ver­min­dertes Län­gen­wachstum bei Volks- und Mit­tel­schülern. Im Fol­gejahr belief sich der Wachs­tums­rück­stand bereits auf drei Zen­ti­meter. Mehr noch: 1918/19 wurden bei Schul­an­fängern dreimal so viel »aus­ge­sprochen kleine Kinder« als zu Frie­dens­zeiten« registriert.

Ber­liner Schul­me­di­ziner bekun­deten, dass »Kinder erfah­rungs­gemäß den Hunger [see­lisch] nicht lange« aus­hielten und ihre Körper zunächst mit »Blut­armut« und dann mit Tuber­kulose darauf reagierten. Der Hunger wurde geradezu zum »Siechtum« der Kleinen, der nicht nur zur Unter­ernährung führte, sondern auch zu deut­lichen Leis­tungs­ab­fällen in der Schule und somit zum »Nach­lassen der geis­tigen Kräfte.« Mit diesem Verfall ein­her­ge­gangen seien »geistige Min­der­wer­tigkeit und sitt­liche Ver­wahr­losung«, wie man sie ins­be­sondere an der hun­ger­be­dingten Zunahme der Jugend­kri­mi­na­lität erkennen könne (Wolfgang U. Eckart).

Wie schlimm die Ver­hält­nisse waren, bekannte später der bri­tische General Herbert Plumer. Er beschwerte sich darüber, dass die Besat­zungs­truppen den Anblick nicht mehr ertragen konnten von »Horden von dünnen auf­ge­dun­senen Kindern, die um die Abfälle der bri­ti­schen Unter­künfte bettelten.«

FORT­SETZUNG FOLGT!


Guido Grandt — Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Autors www.guidograndt.de