Befindet sich die Welt in den Fängen einer tech­no­kra­ti­schen Nomen­klatura? (+Podcast)

Interview mit Antony P. Mueller über sein neues Buch „Tech­no­kra­ti­scher Totalitarismus“

Ludwig von Mises Institut Deutschland (LvMID): Lieber Herr Müller, bereits im Mai ver­öf­fent­lichten Sie ihr Buch „Tech­no­kra­ti­scher Tota­li­ta­rismus. Anmer­kungen zur Herr­schaft der Feinde von Freiheit, Frieden und Wohl­stand“. Was hat Sie bewogen, so kurz nach Ihrem letzten Buch ein neues umfang­reiches Werk zu schreiben? Sind Sie etwas auf die Spur gekommen?

Antony P. Mueller (APM): Ich glaube schon. Die Aus­dehnung des Staates tritt beim Ein­zelnen unmit­telbar in Form der Büro­kratie und der Steuer- und Abga­ben­be­lastung in Erscheinung. Diese Ent­wicklung stößt auf all­ge­meine Ablehnung, aber trotzdem nimmt die Staats­tä­tigkeit zu. Seit langer Zeit schon spricht man von der Poli­tik­ver­dros­senheit, was daran liegt, dass die Poli­tiker gegen den Wäh­ler­willen handeln. Damit stellt sich die Frage, welche Trieb­kräfte am Werk sind, die dazu führen, dass der Zugriffs­be­reich des Staates immer mehr wächst, obwohl die Bürger in der Mehrzahl das gar nicht wollen. Es reicht nicht aus, die Büro­kratie zu beschul­digen, die ja aus­führt, was die Gesetze, Ver­ord­nungen und Richt­linien vor­schreiben. Es muss also noch einen anderen Faktor geben, der die Staats­aus­weitung vor­an­treibt und die Markt­wirt­schaft zurück­drängt. Ich iden­ti­fi­ziere diesen Faktor als die Technokratie.

LvMID: Wie würden Sie Tech­no­kratie defi­nieren? Und was ist der Unter­schied zur „nor­malen“ Büro­kratie oder zum „Estab­lishment“?

APM: Wer bestimmt die Geld­po­litik, wenn nicht die Zen­tralbank-Tech­no­kraten? Wer heckt immer neue Reformen der Gesundheits‑, Sozial- und Bil­dungs­po­litik aus? Es sind die Tech­no­kraten, und die Poli­tiker und die Büro­kratie dienen ihnen als Pro­pa­gan­disten und Erfül­lungs­ge­hilfen. Die Büro­kratie ist kein eigen­stän­diger Faktor und das soge­nannte „Estab­lishment“ hat an Ein­fluss ver­loren. Diese Macht­fak­toren wurden zusammen mit der Politik von der Tech­no­kratie ver­drängt. Man betrachte zum Bei­spiel solche Bereiche wie die Sozi­al­po­litik, den Gesund­heits­sektor oder das Bil­dungs­system. Das sind Sek­toren, die seit dem Beginn des 20. Jahr­hun­derts nicht nur quan­ti­tativ enorm gewachsen sind, sondern sich als eigen­ständige Macht­zentren eta­bliert haben. Der Soziologe Niklas Luhmann (1927 – 1998) hat ver­sucht, diesem Phä­nomen mit seiner Sys­tem­theorie auf die Spur zu kommen, er hat sich dabei aber in Abs­trakt­heiten ver­loren. Er hat das gemeinsame Kenn­zeichen dieser Sub­systeme, tech­no­kra­tisch zu sein, nicht erkannt und sie als Mittel der Reduktion von Kom­ple­xität eher ver­harmlost. Es geht aber um Herrschaft.

LvMIDWo liegen die phi­lo­so­phi­schen und geschicht­lichen Wurzeln der Tech­no­kratie? Gibt es ein beson­deres his­to­ri­sches Ereignis, bei welchem die Tech­no­kratie – wie wir sie heute kennen – das erste Mal ihr Gesicht zeigte?

APM: Als Ober­be­griff würde „Tech­no­kratie“ die Priester- und Mili­tär­herr­schaft der Antike ebenso umfassen wie das chi­ne­sische Man­da­ri­nen­system. Im Unter­schied zu diesen Vor­gängern ist das Kenn­zeichen der modernen Tech­no­kratie ihre vor­geb­liche Legi­ti­mation durch Wis­sen­schaft­lichkeit, genauer gesagt durch den Szi­en­tismus. Bis in die Vor­antike zurück­gehend hat sich die Tech­no­kratie als Pries­ter­herr­schaft getarnt. In der Antike zeigte darüber hinaus das Mili­tär­wesen tech­no­kra­tische Macht­ent­faltung. Inter­essant ist das Legi­ti­ma­ti­ons­prinzip der Man­darine in China, nämlich die Gelehr­samkeit. Bis zum Beginn der Neuzeit, in China noch viel länger, gelang es diesen Vor­formen der Tech­no­kratie, die Aus­breitung der Markt­wirt­schaft zu hemmen oder ganz zu unter­binden. Erst vor etwas mehr als zwei­hundert Jahren kam es zum Durch­bruch von gewinn­ori­en­tierten unter­neh­me­risch geführten Firmen. Die damit ver­bundene indus­trielle Revo­lution brachte einen vorher nie gekannten Wohl­stand, gerade für die Massen. Aber im heu­tigen Staats­ka­pi­ta­lismus wird die kapi­ta­lis­tische Dynamik von der Tech­no­kratie wieder beschränkt.

Als Ober­be­griff würde „Tech­no­kratie“ die Priester- und Mili­tär­herr­schaft der Antike ebenso umfassen wie das chi­ne­sische Mandarinensystem.

LvMIDWas ist Staats­ka­pi­ta­lismus, welche Rolle spielen Tech­no­kraten dabei und warum kann er lang­fristig nicht gutgehen?

Im 20. Jahr­hundert wurde der Kapi­ta­lismus zunehmend vom um sich grei­fenden „Welfare-Warfare State“ ver­ein­nahmt. Die dahinter lie­gende Trieb­kraft ist die Tech­no­kratie. Dass der Wohl­fahrts­staat immer weiter wuchert und dass das Ende des Kalten Krieges nicht zu einer neuen Frie­dens­ordnung geführt hat, ist aus dieser Sicht keine Über­ra­schung, sondern war so zu erwarten. Ebenso war zu erwarten, dass mit jeder Finanz­krise der Regu­lie­rungs­an­spruch der Finanz­tech­no­kratie wächst. Nicht anders ist es im Bil­dungs- oder Gesund­heits­wesen. Die tech­no­kra­tische Führung dieser Sub­systeme pro­du­ziert Dau­er­krisen. Je mehr Krisen, umso mehr tech­no­kra­ti­scher Regu­lie­rungs­bedarf wird ange­meldet. In der ame­ri­ka­ni­schen Lite­ratur spricht man vom „admi­nis­trative state“ und es gibt hierzu zahl­reiche Studien, die seine immense Aus­dehnung empi­risch belegen. Besser als „Ver­wal­tungs­staat“ trifft aber der Begriff „tech­no­kra­ti­scher Staats­ka­pi­ta­lismus“ den Wesens­inhalt des aktu­ellen Wirt­schafts­systems. Kenn­zeichen dieses Systems ist, dass die Tech­no­kratie über den Staats­ap­parat verfügt und über diesen immer tiefer und immer umfang­reicher in die Wirt­schaft, die Gesell­schaft und selbst in das Pri­vat­leben ein­greift. Je mehr der freie Kapi­ta­lismus zum Staats­ka­pi­ta­lismus umge­formt wird, desto geringer wird die wirt­schaft­liche Wachs­tumsrate. Die Pro­duk­ti­vität pro Arbeits­einheit geht zurück und damit sinkt das Lohn­niveau. Mit der Sta­gnation kommt die Ver­armung. Deshalb ist dieses System nicht dauerhaft.

Je mehr der freie Kapi­ta­lismus zum Staats­ka­pi­ta­lismus umge­formt wird, desto geringer wird die wirt­schaft­liche Wachs­tumsrate. Die Pro­duk­ti­vität pro Arbeits­einheit geht zurück und damit sinkt das Lohn­niveau. Mit der Sta­gnation kommt die Ver­armung. Deshalb ist dieses System nicht dauerhaft.

LvMIDWie hängen Tech­no­kratie und Szi­en­tismus zusammen?

APM: Der Tech­nokrat als Sozi­al­in­ge­nieur ver­tritt den Anspruch, die Gesell­schaft durch die Anwendung von Wis­sen­schaft auf posi­ti­vis­ti­scher Grundlage zu ver­ändern. Indem dabei die anderen wich­tigen Aspekte der Lebens­wirk­lichkeit aus­ge­schlossen werden, ver­kümmert die tech­no­kra­tische Her­an­ge­hens­weise zum Szi­en­tismus. Diese ein­ge­engte Sicht­weise ver­kennt das Grund­problem, dass es im mensch­lichen Leben – und Ent­spre­chendes gilt für die Gesell­schaft – nicht um gültige Ant­worten auf spe­zi­fische Fragen geht, sondern um per­sön­liche Wert­ent­schei­dungen. Menschlich und damit auch die gesell­schaft­lichen Pro­bleme kennen keine „Lösungen“ im mathe­ma­ti­schen Sinn. Pra­xeo­lo­gisch gesprochen ist das Indi­viduum stets mit dem Problem der Unzu­frie­denheit kon­fron­tiert und der Mensch strebt nach sub­jek­tiver Ver­bes­serung seiner per­sön­lichen Lage. Im Unter­schied dazu will der Tech­nokrat die Gesamt­ge­sell­schaft durch die Anwendung der szi­en­tis­ti­schen Methode umge­stalten. Das Ide­albild ist die perfekt funk­tio­nie­rende Maschine. Dieses Modell wird auf die Gesell­schaft und sogar auf den Men­schen über­tragen. Das Ideal der Tech­no­kratie ist nicht erreichbar. Im Gegenteil: Die Tech­no­kratie ver­spricht eine Eutopie („guter Ort“), aber der Versuch, diesen Ort des Glücks zu schaffen, endet stets in einer Dys­topie, in einem Ort des Elends.

Die Tech­no­kratie ver­spricht eine Eutopie („guter Ort“), aber der Versuch, diesen Ort des Glücks zu schaffen, endet stets in einer Dys­topie, in einem Ort des Elends.

LvMIDVon welchem „Gesell­schaftsbild“ gehen die Tech­no­kraten aus? Was sind ihre Ziele?

APM: Die ange­messene Her­an­ge­hens­weise für indi­vi­duelle und gesell­schafts­po­li­tische Pro­bleme ist pra­xeo­lo­gisch. Ent­spre­chend der Pra­xeo­logie geht es beim mensch­lichen Handeln nicht um richtig oder falsch im exakt wis­sen­schaft­lichen Sinn, sondern um sub­jektive Prä­fe­renz­ord­nungen und um die indi­vi­duelle Bewertung von Zielen und Mitteln. Ohne dies hier weiter zu ver­tiefen, folgt schon aus diesen anfäng­lichen Bemer­kungen die Befür­wortung einer Gesell­schafts­ordnung, die dem Ein­zelnen mög­lichst viel Spielraum lässt, seine indi­vi­du­ellen Ziele koope­rativ zu ver­folgen. Ganz anders ist es um das Gesell­schaftsbild der Tech­no­kraten bestellt. Sie wollen ihre pseu­do­wis­sen­schaft­lichen Schein­erkennt­nisse für die gesamte Gesell­schaft ver­bindlich machen. Darin liegt ihre tota­litäre Tendenz.

LvMID: Sieht man auf die deutsche Energie- und Wirt­schafts­po­litik, so läuft diese nach Ansicht mancher auf eine Deindus­tria­li­sierung hinaus. Handelt es sich hierbei Ihrer Meinung nach um ein gewünschtes Ziel der Tech­no­kraten oder einen Kollateralschaden?

Nicht anders als ihre frü­heren Formen, betrachtet auch die moderne Tech­no­kratie Wirt­schaft und Gesell­schaft als Objekte, die der tech­no­kra­ti­schen Gestal­tungs­macht unter­worfen sind. Der Ansatz­punkt ist also kol­lek­ti­vis­tisch und hier­ar­chisch und steht im Gegensatz zu einer echten Demo­kratie und zum richtig ver­stan­denen Kapi­ta­lismus und dem frei­heit­lichen Men­schenbild schlechthin. Mit dem Gespenst der Kli­ma­krise hat sich die Tech­no­kratie einen umfas­senden Tätig­keits­be­reich geschaffen, und es ist nicht zu ver­kennen, dass die Tech­no­kratie damit ihre Macht­aus­weitung enorm vor­an­treibt. Die Markt­wirt­schaft und die indi­vi­duelle Selbst­be­stimmung werden ent­spre­chend ein­ge­schränkt. Der Tech­nokrat betrachtet sich nicht nur als dem gemeinen Volk über­legen, sondern auch den am Markt ope­rie­renden Unter­nehmern. Er will die Kon­su­menten bevor­munden und das Angebot steuern. Die Macht des Staats­ap­parats – ein­schließlich der Justiz – dient dazu als Mittel. Kenn­zeichen der Tech­no­kratie ist ihre kol­lek­ti­vis­tische Geis­tes­haltung und als deren Kon­se­quenz eine anti­ka­pi­ta­lis­tische und anti­de­mo­kra­tische Ori­en­tierung. Es handelt sich bei der Tech­no­kratie um ein Phä­nomen der Herr­schaft. Der ein­zelne Mensch zählt nicht. Ganz der szi­en­tis­ti­schen Metho­do­logie ent­spre­chend ver­schwindet das Indi­viduum in der Statistik.

Der Tech­nokrat betrachtet sich nicht nur als dem gemeinen Volk über­legen, sondern auch den am Markt ope­rie­renden Unter­nehmern. Er will die Kon­su­menten bevor­munden und das Angebot steuern.

LvMIDHeute spielen NGOs in der poli­ti­schen Szene eine große Rolle. Diese „regie­rungs­nahen Orga­ni­sa­tionen“ ver­suchen, die „offi­zielle“ Politik an vielen Stellen links zu über­holen. Wie ist ihre Rolle im tech­no­kra­ti­schen Totalitarismus?

APM: Hinter vielen NGOs stehen finan­ziell gut aus­ge­stattete Stif­tungen und nicht selten ein­zelne Mäzene. Manche NGOs hatten ursprünglich idea­lis­tische Ziele und wurden von ehren­werten Per­sonen geleitet. Am Bei­spiel von Green­peace kann man aber sehen, wie diese Orga­ni­sa­tionen gekapert wurden. Als solche inte­grieren sich die NGOs in das Spielwerk der Tech­no­kratie und stehen in enger Ver­bindung mit dem Lob­by­ismus. Beiden geht es darum, die Wirt­schaft mög­lichst umfassend zu regu­lieren. Durch die Ver­breitung von Hor­ror­sze­narien, die von der soge­nannten „Bevöl­ke­rungs­bombe“ über „peak oil“ bis zum dro­henden Hit­zetod reichen, strebt man an, die Bürger zu ent­mün­digen und die Markt­wirt­schaft in ihre Schranken zu weisen. Die Tech­no­kratie soll das Zepter tragen und die Kon­su­men­ten­sou­ve­rä­nität ebenso ein­ge­schränkt werden wie das freie Unternehmertum.

Ande­rer­seits gibt auch bemer­kenswert viele NGOs, die nicht regie­rungsnah sind, liberale und libertäre Think Tanks wie die weltweit agie­renden Mises-Institute zählen hierzu. Aber deren Ein­sichten passen nicht in das Weltbild der Tech­no­kratie. Sie werden von der Tech­no­kratie igno­riert und ent­spre­chend auch von der Politik nicht auf­ge­nommen. Der Weg über den Staat, durch den die regie­rungs­nahen NGOs Wirk­samkeit erzielen, ist den libe­ralen Denk­fa­briken ver­wehrt. Diese können nicht die Abkürzung über die Tech­no­kratie und den Lob­by­ismus wählen. Statt­dessen müssen sie öffent­lich­keits­wirksam sein.

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LvMIDWie gehen die heu­tigen Tech­no­kraten typi­scher­weise vor? Gibt es Muster in ihrem Handeln?

APM: Die Politik und die Büro­kratie sind ideenarm. Bei der Büro­kratie ist das kein Mangel, aber die Politik will inno­vativ sein. Man muss sich im demo­kra­ti­schen Wett­bewerb ver­markten. Dazu braucht man Ideen. Die Tech­no­kratie liefert sie. So wird dann zum Bei­spiel ein neues Ren­ten­modell aus­ge­heckt oder ein Katalog von Maß­nahmen zum Kli­ma­schutz ent­wi­ckelt. Wenn dann die Regie­rungs­mehrheit steht, erhält die Tech­no­kratie das Plazet zur Planung, welche Maß­nahmen dann von der Büro­kratie umge­setzt werden. Dem szi­en­tis­ti­schen Wesen der Tech­no­kratie ent­spricht es, gegenüber den Zielen offen zu sein. Der Mili­tär­tech­no­kratie, die auch unter dem Namen „mili­tä­risch-indus­tri­eller Komplex“ bekannt ist, ist es zum Bei­spiel egal, wer der Feind ist, Haupt­sache es gibt einen Feind.

Darüber hinaus gibt es auch die all­um­fas­senden Ziel­vor­stel­lungen, zum Bei­spiel die natio­nal­so­zia­lis­tische oder kom­mu­nis­tische Trans­for­mation der Gesell­schaft. Wenn solche tota­li­tären Gesell­schafts­vor­stel­lungen domi­nieren, sind das die hohen Zeiten der Tech­no­kratie. Die tech­no­kra­ti­schen Struk­turen der Sowjet­union und des Dritten Reiches sind unverkennbar.

Mit dem Kli­ma­schutz wurde für unsere Zeit ein gesell­schaftlich derart all­um­fas­sendes Projekt gefunden, das – wenn auch von anderer Prägung – einen Weg in den Tota­li­ta­rismus eröffnet.

Der Mili­tär­tech­no­kratie, die auch unter dem Namen „mili­tä­risch-indus­tri­eller Komplex“ bekannt ist, ist es zum Bei­spiel egal, wer der Feind ist, Haupt­sache es gibt einen Feind.

LvMIDKönnen Sie uns einige nationale, supra­na­tionale oder inter­na­tionale Orga­ni­sa­tionen nennen, die wesens­ty­pische tech­no­kra­tische Merkmale aufweisen?

APM: Ein Stan­dard­bei­spiel wäre die Euro­päische Union. Sie wurde von Anfang an als tech­no­kra­tische Orga­ni­sation kon­zi­piert. An ihr sieht man auch, wie so ein Apparat beständig auf Macht­er­wei­terung aus ist. In dieser Sicht war es zu erwarten, dass die „Euro­kraten“ sich mit der Schaffung einer Wirt­schafts­ge­mein­schaft nicht zufrie­den­geben würden. Es musste eine poli­tische Gemein­schaft mit einer gemein­samen Währung ange­strebt werden. Dem Macht­an­spruch der Tech­no­kratie ent­spre­chend wurde die Aus­dehnung der Union bei gleich­zei­tiger Ver­tiefung immer weiter vor­an­ge­trieben. Die Euro­kraten haben mit diesen Pro­jekten inzwi­schen eine unvor­stellbare Macht­fülle inne. Die Gefahren dieser Ent­wicklung liegen auf der Hand.

Für die Tech­no­kratie zählen keine demo­kra­ti­schen Beschrän­kungen und auch Ver­träge werden kei­neswegs für gültig erachtet. Aus den im Grunde sinn­vollen indus­tri­ellen Nor­mie­rungen ist in den Händen der Euro­päi­schen Kom­mission ein Instrument geworden, um in das Leben jedes ein­zelnen Bürgers massiv ein­zu­greifen. Die tota­li­tären Züge sind hier unver­kennbar. Aber die EU ist nur ein Mus­terfall. Durchaus ähn­liche Formen der Herr­schafts­aus­weitung der Tech­no­kratie kann man bei den Uni­ver­si­täten und im gesamten Bil­dungs­be­reich ebenso beob­achten wie beim Gesund­heits­system. Allen diesen Ein­rich­tungen, ein­schließlich von Mili­tär­bünd­nissen, ist es gemeinsam, dass das Eigen­in­teresse der Tech­no­kratie zum domi­nie­renden Faktor wird. Ent­spre­chend werden die Anliegen des Ein­zelnen, privat und als Staats­bürger, ob als Pro­duzent oder Kon­sument, ob als Lehrer, For­scher oder Student, ob als Arzt oder Patient, immer weniger respek­tiert. Als Folge haben wir eine um sich grei­fende all­ge­meine Ver­dros­senheit im Hin­blick auf den tech­no­kra­tisch-poli­ti­schen Teil des Gemeinwesens.

LvMIDWir befinden uns in einer Zeit, in der Kli­ma­wandel oder Öko­lo­gismus, der Verlauf von Krank­heits­wellen oder auch trans­hu­ma­nis­tische Ziele vor­ge­geben werden, um Zwangs­maß­nahmen zu begründen oder poli­tische Pro­gramme. Welche Rolle spielen die Tech­no­kraten hierbei?

APM: Diese The­ma­tiken sind ideale Pro­jekte für die Aus­weitung der Macht der Tech­no­kratie. Den Öko­lo­gismus haben wir schon ange­sprochen. Den Kli­ma­schutz her­an­ziehend, lässt sich so gut wie alles regeln und ver­bieten. Alle Aspekte der mensch­lichen Lebens­weise werden zum Gestal­tungs­objekt. Das­selbe trifft bei erklärten Pan­demien zu. Auch hiermit lassen sich alle erdenk­lichen Zwangs­maß­nahmen begründen. In beiden Fällen kommt der Tech­no­kratie nicht nur die Macht­fülle zu, wie man im Falle eine Pan­demie oder Kli­ma­krise zu ver­fahren hat, sondern sie bestimmt bereits vorher und letzt­ver­bindlich, ob solche Not­fälle über­haupt vor­liegen. Die neuen Pläne der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sation – eine durch und durch tech­no­kra­tische Orga­ni­sation – würden, wenn ihre Initiative der „Bereit­schaft und Wider­stands­fä­higkeit gegenüber neu auf­tre­tenden Bedro­hungen“ (PRET) von den Mit­glieds­ländern rati­fi­ziert wird, eine globale Tyrannei ermöglichen.

Der Tech­nokrat will als Sozi­al­in­ge­nieur die Gesell­schaft umfassend umge­stalten und der Trans­hu­ma­nismus ist dafür ein inte­graler Bestandteil. Was in der Ver­gan­genheit die reli­giösen Systeme waren, ist für den tech­no­kra­ti­schen Szi­en­tismus der Trans­hu­ma­nismus. Er geht weit über die frü­heren Formen der Bewusst­seins­ver­än­derung hinaus. Der Trans­hu­ma­nismus will nicht nur Über­redung und Bekehrung ein­setzen, sondern vor allem Tech­no­logie und Wis­sen­schaft, um die intel­lek­tu­ellen, phy­si­schen und psy­cho­lo­gi­schen Fähig­keiten des Men­schen zu ver­ändern. Tech­no­kratie und Trans­hu­ma­nismus teilen so eine gemeinsame Zukunftsvision.

LvMIDLudwig von Mises (1881 – 1973) soll einmal gesagt haben, er habe Reformer werden wollen, sich aber später in der Rolle eines Chro­nisten des Unter­ganges gesehen. Was befürchten oder erhoffen Sie sich für die Zukunft? Haben Sie einen opti­mis­ti­schen Aus­blick für unsere Leser parat?

APM: Für Ludwig von Mises ist mit der öster­rei­chisch-unga­ri­schen Dop­pel­mon­archie eine Welt unter­ge­gangen, die er liebte und die Jahre zwi­schen dem Ersten und dem Ende des Zweiten Welt­krieg waren in der Tat schlimme anti­li­berale Zeiten. Aber zumindest in den USA und West­europa kehrte die Markt­wirt­schaft wieder zurück und ent­spre­chend erlebte zum Bei­spiel meine Gene­ration bis heute ein hohes Maß an Wohl­stand und Freiheit. Bis in die 1980er Jahre hinein herrschte noch das Bewusstsein, dass solche Zeiten kei­neswegs selbst­ver­ständlich sind. Aber inzwi­schen ist das Ver­ständnis, dass Freiheit, Wohl­stand und Frieden keine Selbst­ver­ständ­lich­keiten sind und dass Kapital nicht von sich aus Ein­künfte liefert, ver­lo­ren­ge­gangen. Es wird Kapi­tal­verzehr betrieben. Das Kon­sum­niveau ist zwar noch relativ hoch, aber seine Basis schwindet. Daraus folgt, dass der Wohl­stand zurückgeht. Die Ver­tei­lungs­kämpfe werden ent­spre­chend zunehmen. Um von den inneren Pro­blemen abzu­lenken, wird dann nicht selten ein außen­po­li­ti­sches Feindbild auf­gebaut. Man spielt leicht­fertig mit dem Frieden. Die Kriegs­gefahr steigt. Wir sind jetzt in diesem Stadium ange­langt. So wie Ludwig von Mises zu seiner Zeit, dürfen aber auch wir nicht auf­geben. Er selbst konnte es nicht mehr mit­er­leben, welche Wirk­kraft seine Schriften in den letzten Jahr­zehnten erreicht haben. Dank seiner Ein­sichten halten wir heute das Rezept einer Wende zu Frieden, Freiheit und Wohl­stand in der Hand. Mehr frei­heit­licher Kapi­ta­lismus ist der Weg.

LvMIDLieber Herr Müller, herz­lichen Dank für dieses Interview!

Das Interview für das Ludwig von Mises Institut Deutschland führte Andreas Tiedtke.

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Antony Peter Mueller ist pro­mo­vierter und habi­li­tierter Wirt­schafts­wis­sen­schaftler der Uni­ver­sität Erlangen-Nürnberg, wo er von 1994 bis 1998 das Institut für Staats- und Ver­si­che­rungs­wis­sen­schaft in Erlangen leitete. Antony Mueller war Ful­bright Scholar und Asso­ciate Pro­fessor in den USA und kam im Rahmen des DAAD-Aus­tausch­pro­gramms als Gast­pro­fessor nach Brasilien.

Bis 2023 war Dr. Mueller Pro­fessor für Volks­wirt­schafts­lehre, ins­be­sondere Makro­öko­nomie und Inter­na­tionale Wirt­schafts­be­zie­hungen, an der bra­si­lia­ni­schen Bun­des­uni­ver­sität UFS. Nach seiner Pen­sio­nierung ist Dr. Mueller wei­terhin als Dozent an der Mises Academy in São Paulo tätig und als Mit­ar­beiter beim glo­balen Netzwerk der Mises­in­stitute aktiv. Darüber hinaus ist er wis­sen­schaft­licher Beirat der Partei „Die Liber­tären“.

In deut­scher Sprache erschien 2023 sein Buch „Tech­no­kra­ti­scher Tota­li­ta­rismus. Anmer­kungen zur Herr­schaft der Feinde von Freiheit und Wohl­stand“ als E‑Book (Kindle Direct Publi­shing, KDP 2023). 2021 ver­öf­fent­lichte Antony P. Mueller das Buch „Kapi­ta­lismus, Sozia­lismus und Anarchie. Chancen einer Gesell­schafts­ordnung jen­seits von Staat und Politik“ (KDP 2021).  2018 erschien sein Buch „Kapi­ta­lismus ohne Wenn und Aber. Wohl­stand für alle durch radikale Markt­wirt­schaft“  (Über­ar­beitete Neu­ausgabe KDP 2021).

Zu den lau­fenden Publi­ka­tionen sowie seinen Kom­men­taren zum Zeit­ge­schehen siehe seine Facebook Autoren­seite und sein Twit­ter­konto. E‑Mail: antonymueller@gmail.com


Quelle: misesde.org