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Thorsten Polleit: Die falsche Pries­ter­herr­schaft der Intel­lek­tu­ellen und die Macht der Ideen (+Video)

Dieser Beitrag wurde am 8. Juli 2023 beim Mises Karma Event im Bitcoin Hotel Princess in Plochingen als Vortrag gehalten. — von Thorsten Polleit

Ein­leitung

Um es vorab her­aus­zu­stellen: Dieser Aufsatz ist keine Schmähung der Intel­lek­tu­ellen. Er ist eine theo­re­tische Kritik an Intel­lek­tu­ellen auf Abwegen, also an Intel­lek­tu­ellen, die sich poli­tisch ein­spannen lassen oder die auf der Welle fal­scher Wis­sen­schaft mit­schwimmen, und auch der­je­nigen, die im Gewand einer fal­schen Pries­ter­schaft daher­kommend, ihre eigenen Inter­essen auf Kosten der anderen ver­wirk­lichen wollen und dadurch großen Schaden anrichten. Und da ich meine zu erkennen, dass es dieses Problem mit einigen (nicht allen) Intel­lek­tu­ellen gibt, halte ich dieses Referat. Es gliedert sich in fünf Schritte.

In einem ersten Schritt zeige ich mit logi­schen Mitteln auf, dass das mensch­liche Handeln von Ideen bewirkt wird. In einem zweiten Schritt behaupte ich, dass einige Men­schen Herr­schaft über andere gewinnen und ver­fes­tigen wollen, und ich stelle Ver­mu­tungen an, welche Rolle die Intel­lek­tu­ellen dabei spielen.

In einem dritten Schritt greife ich auf die Arbeit von Helmut Schelsky zurück, der eine Theorie anbietet, wie die Intel­lek­tu­ellen sich quasi ver­selbst­stän­digen, gegen die Inter­essen der breiten Bevöl­kerung agieren, selbst zur Priester- bezie­hungs­weise Herr­scher­kaste auf­steigen wollen und der Unfreiheit den Weg ebnen.

Im vierten Schritt gebe ich ein Anwen­dungs­bei­spiel, und zwar anhand des „Great Reset“. Am Ende, im fünften Schritt, stelle ich Vor­schläge zur Lösung der von mir aus­ge­brei­teten Pro­blemlage vor.

Schritt 1

Mensch­liches Handeln bedeutet, im wei­testen Sinne, einen Zustand durch einen anderen, einen als ver­gleichs­weise besser emp­fun­denen Zustand zu ersetzen.[1]

Was bestimmt das mensch­liche Handeln? Antwort: Es sind Ideen oder Theorien.

Du hast bei­spiels­weise eine Idee darüber, wie Dinge zusam­men­hängen, oder ob das Resultat einer bestimmten Handlung für dich wün­schenswert ist oder nicht.

Dass es Ideen sind, die dein und mein Handeln bestimmen, ist keine beliebige Aussage, sie lässt sich erkennt­nis­theo­re­tisch begründen.

Die Aussage, dass Ideen (also etwas Geis­tiges) unser Handeln bestimmen, lässt sich zunächst einmal nicht sinnvoll bestreiten.

Bestreitet man sie, muss man eine andere Erklärung für die (Letzt-)Ursache des mensch­lichen Han­delns anführen. Welche aber könnte das sein?

Nun, man müsste behaupten, dass das mensch­liche Handeln von objek­tiven, externen Fak­toren (phy­si­ka­li­scher, che­mi­scher oder bio­lo­gi­scher Art) bestimmt wird.[2] Doch das müsste man beweisen – etwa in der Form, dass der externe Faktor X immer und überall eine bestimmte mensch­liche Handlung Y erzeugt.

Ein solcher Beweis konnte bisher jedoch nicht erbracht werden. Und man kann ihn auch nicht erbringen.

Denn mit logi­schen Mitteln lässt sich zeigen, dass mensch­liches Handeln sich nicht mit externen Fak­toren erklären und pro­gnos­ti­zieren lässt. Der han­delnde Mensch ist nämlich lern­fähig – und das ist eine a priori gültige, eine nicht mit logi­schen Mitteln bestreitbare Aussage.[3]

Eine a priori Aussage ist eine nicht-empi­rische Aussage, die not­wen­di­ger­weise wahr ist, und die All­ge­mein­gül­tigkeit bean­sprucht, die also keine Aus­nahme zulässt. Eine Aussage a priori lässt sich nicht wider­spruchsfrei ver­neinen, denn dadurch würde man ihre Gül­tigkeit schon vor­aus­setzen. Ein Bei­spiel für ein a priori ist der Satz vom aus­ge­schlos­senen Dritten (tertium non datur) in der Logik: Eine Aussage kann nicht zugleich wahr und falsch sein.

Kurz gesagt: Wenn man lern­fähig ist, dann kann man nicht schon heute das künftige Wissen, dass das künftige Handeln bestimmt, kennen. Die Aussage, dass das mensch­liche Handeln durch Ideen bestimmt wird, ist keiner Letzt­be­gründung mehr zugänglich, sie kann als ein ulti­mativ Gege­benes ein­ge­stuft werden.

Sie werden fragen: Woher stammen unsere, Ihre und meine Ideen?

Die meisten Ideen, die sich sprich­wörtlich „in unseren Köpfen“ befinden, haben wir von anderen über­nommen: von Freunden, Eltern, Lehrern. Nur ganz wenige von uns ersinnen neue Ideen, die meisten von uns folgen den Ideen anderer.

Die Bedeutung der Ideen für unser Handeln kann gar nicht stark genug betont werden. Wenn Men­schen bei­spiels­weise der Idee anhängen, den Sozia­lismus zu errichten, dann werden sie sich auf­machen, dieses Ziel zu erreichen.

Die Ideen, die Sie und ich, die die Men­schen in sich tragen, sind von aller­größter Bedeutung für die Gestaltung unseres Miteinanders.

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Schritt 2

Es gibt nur zwei Mög­lich­keiten, wie du und ich mit­ein­ander in Beziehung treten können.

Ent­weder durch Frei­wil­ligkeit oder durch Zwang und Gewalt. Frei­wil­ligkeit bedeutet, dass ich dir etwas anbiete, das du aus freien Stücken annimmst oder ablehnst. Ich biete dir etwa einen Apfel im Tausch für 1 Euro an, und du kaufst oder kaufst nicht.

Oder durch Zwang und Gewalt: Ich zwinge dich, etwas zu tun, was du frei­willig nicht machen willst. Und wenn du dich meinem Willen wider­setzt, bestrafe ich dich.

Die Mensch­heits­ge­schichte zeigt leidvoll, dass es immer wieder Men­schen gibt, die nicht auf Frei­wil­ligkeit beim Zusam­men­leben mit ihren Mit­men­schen setzen, sondern die Zwang und Gewalt aus­zuüben wün­schen; die über ihre Mit­men­schen herr­schen wollen.

Das führt zur Frage: Wie ist es möglich, dass die nach Herr­schaft Stre­benden (in der Regel ist das eine ver­gleichs­weise kleine Men­schen­gruppe) Zwang und Gewalt über die vielen anderen bringen können?

Ein Weg dazu ist die Anwendung roher Gewalt, mit Schwert und Feuer sozu­sagen werden die anderen gegen ihren Willen unter­worfen und niedergehalten.

Das aber ist für den nach Herr­schaft Stre­benden ein mit­unter gefähr­liches Unter­fangen: Schließlich kann er im Zuge eines solchen Gewalt­prinzips nicht sicher sein, dass nicht ein noch Rück­sichts­lo­serer daher­kommt und ihn überwindet.

Ein anderer Weg ist es für den nach Herr­schaft Stre­benden, Unter­stützer für seine Sache zu finden. Etwa indem er den einen etwas weg­nimmt und die Beute dann mit anderen teilt, sie zu Kom­plizen macht.

Ein wei­terer Weg besteht darin, dass die, die andere beherr­schen wollen, die­je­nigen, die beherrscht werden sollen, dazu bringen, ihrer Beherr­schung zuzu­stimmen, sie am besten sogar her­bei­zu­sehnen. Wie aber kann das erreicht werden?

Es kann dadurch erreicht werden, dass man die Beherrschten davon über­zeugt, dass es gut und richtig ist, dass sie beherrscht werden; wenn man sie glauben macht, dass es ohne Beherr­scher nicht geht, dass das Gemein­wesen sonst im Chaos versinkt.

Und wenn die Beherrschten gar nicht erkennen, dass sie beherrscht werden, dann bleibt der Wider­stand gegen die Beherr­schung aus.

Johann Wolfgang von Goethe wusste darum, als er schrieb:

Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein.

An dieser Stelle bringe ich den „Staat“ (wie wir ihn heute kennen) ins Spiel. Der Begriff Staat hat bei unter­schied­lichen Per­sonen in der Regel unter­schied­liche Bedeutung. So denken viele bei Staat an „wir alle“, an die Gemein­schaft der Men­schen, an die beschüt­zende Hand von „Vater Staat“.

Ich ver­wende hier jedoch eine andere, eine positive Defi­nition des Staates, eine Defi­nition also, die sagt, was der Staat wirklich ist, was er tat­sächlich tut. Danach lässt sich der Staat ver­stehen als ein ter­ri­to­rialer Zwangs­mo­no­polist mit der Letzt­ent­schei­dungs­macht über alle Kon­flikte auf seinem Gebiet, und der sich das Recht nimmt, Steuern zu erheben.

Der Staat darf demnach etwas, was jeder anderen Person ver­boten ist: Er darf anderen Geld­be­träge abknöpfen, denen keine direkte Gegen­leistung gegen­über­steht – Steuern erheben, nennt man das. (Da kann man nur staunen: Wenn ich Ihnen 100 Euro aus ihrer Geld­börse gegen ihren Willen und ohne direkte Gegen­leistung ent­nehme, wie würden sie das nennen?)

Und der Staat ist der Schieds­richter über alle Kon­flikte, die zwi­schen seinen Unter­tanen auf­treten, und auch der­je­nigen, die zwi­schen ihm, dem Staat, und seinen Unter­tanen zwangs­läufig entstehen.

Nun wird wohl kaum jemand behaupten, dass alle, die heute in (oder unter) einem sol­cherart defi­nierten Staat leben, frei­willig ihre Zustimmung dazu gegeben hätten. Es gibt bei­spiels­weise keinen ent­spre­chenden Vertrag, den sie oder ich unter­schrieben hätten.

Um es an dieser Stelle kurz zu halten: Der Staat (wie wir ihn heute kennen) ist nicht aus dem Prinzip der Frei­wil­ligkeit, sondern aus dem Prinzip von Zwang und Gewalt ent­standen, und seine Fort­existenz fußt ebenso auf Zwang und Gewalt.

Inter­es­san­ter­weise haben das sozia­lis­tisch-kom­mu­nis­tische Denker offen aus­ge­sprochen. So schrieb Lenin:

(V)ergesst nicht, dass der Staat auch in der demo­kra­tischsten Republik, und nicht nur in einer Mon­archie, nichts anderes ist als eine Maschine zur Unter­drü­ckung einer Klasse durch eine andere.[4]

Ver­mutlich werden jetzt einige im Publikum empört sagen: Der Staat als Beherr­schungs­ap­parat? Doch nicht bei uns! Schließlich regieren wir uns doch selber! Diese Antwort würde mich nicht überraschen.

Denn der Staat (ob als Feu­dal­system, als Mon­archie oder als moderne Demo­kratie) gab sich seit je her viel Mühe, die Erkenntnis über sein wahres Wesen zu ver­schleiern. Dazu bedient er sich der Hilfe der Intel­lek­tu­ellen. Dazu Gedanken von Murray Rothbard.

Er schreibt,

dass seit den frü­hesten Anfängen des Staates seine Herr­schenden als not­wendige Unter­stützung ihrer Herr­schaft ein Bündnis mit der gesell­schaft­lichen Klasse der Intel­lek­tu­ellen anstrebten. Die Massen erzeugen nicht ihre eigenen abs­trakten Ideen oder denken über diese Ideen unab­hängig nach; sie folgen passiv den Ideen, die von den Intel­lek­tu­el­len­kreisen, den wir­kungs­vollen Mei­nungs­ma­chern in der Gesell­schaft, ange­nommen und ver­breitet werden. Und weil es genau dieses Erzeugen von Mei­nungen im Sinne der Herr­schenden ist, das der Staat dringend benötigt, for­miert dies das uralte Bündnis zwi­schen den Intel­lek­tu­ellen und den herr­schenden Klassen des Staates. Das Bündnis gründet auf einem quid pro quo. Auf der einen Seite ver­breiten die Intel­lek­tu­ellen unter den Massen, dass der Staat und seine Herr­schenden weise, gut, manchmal göttlich und vor allem unver­zichtbar und besser als jede denkbare Alter­native seien. Als Gegen­leistung für die Ver­kün­digung seiner Ideo­logie macht der Staat die Intel­lek­tu­ellen zu einem Teil der herr­schenden Elite, er gibt ihnen Macht, sozialen Status, Ansehen und mate­rielle Sicherheit.[5]

Wer aber sind diese Intel­lek­tu­ellen? Eine Frage, die gar nicht so einfach zu beant­worten ist. In der Lite­ratur hat es einige Ver­suche dazu gegeben, nicht alle sind über­zeugend. Für unsere Zwecke mag es hier jedoch genügen, die Gruppe der Intel­lek­tu­ellen als Per­sonen zu begreifen, die eine oder mehrere der fol­genden Eigen­schaften besitzen:

1.) Die Intel­lek­tu­ellen sind (oder halten sich für) relativ gut gebildet; 2.) sie üben eine Mei­nungs­füh­rer­schaft aus, ihre Aus­sagen, ihre Ideen, werden von vielen anderen Men­schen als rich­tungs­weisend ange­sehen; 3.) sie beur­teilen, welche Ideen Ver­breitung finden und welche nicht, welche vor­han­denen Ideen durch andere Ideen zu ersetzen sind.

Nicht immer sind die Intel­lek­tu­ellen Schöpfer von neuen Ideen, oftmals sind sie nur so etwas wie „Second Hand Dealer of Ideas“, wie Friedrich August von Hayek es nannte.

Zur Gruppe der Intel­lek­tu­ellen sind bei­spiels­weise zu zählen Lehrer, Gelehrte wie Pro­fes­soren – Natur‑, Medizin und Wirt­schafts­wis­sen­schaftler –, Lite­raten, Jour­na­listen, TV- und Radio-Mode­ra­toren, Musiker, Schau­spieler, aber heut­zutage auch so mancher Unter­neh­mens­führer und „Influencer“ in den Social Media.

Dass Poli­tiker, Regie­rungen und Staaten wie auch Son­der­in­ter­es­sen­gruppen eine ganz besondere Vor­liebe für die Intel­lek­tu­ellen ent­wi­ckeln, liegt auf der Hand. Denn, wie Rothbard es bereits aus­ge­sprochen hat, wer die Ideen maß­geblich beein­flusst, sie vorgibt, der beein­flusst auch das Handeln der Menschen.

In Politik, Regie­rungs­kreisen und bei Son­der­in­ter­es­sen­gruppen sind die­je­nigen Intel­lek­tu­ellen daher besonders beliebt, deren Ideen helfen, Herr­schafts­macht zu legi­ti­mieren bezie­hungs­weise zu scheinlegitimieren.

Das gilt vor allem dann, wenn die Intel­lek­tu­ellen aus der Wis­sen­schaft von der Öffent­lichkeit als unab­hängig, als neutral, als ver­trau­ens­würdig, als makellose, selbstlose Instanzen ange­sehen werden, denen man kri­tiklos Glauben schenken darf und sollte.

Und da viele Intel­lek­tuelle – vor allem die in der Wis­sen­schaft tätigen – auf der staat­lichen Lohn­liste stehen, ist es nicht ver­wun­derlich, dass die­je­nigen von ihnen auf groß­zügige För­derung hoffen dürfen (in Form von Ein­kommen, For­schungs­geldern, Repu­tation und Status), die Brauch­bares aus Sicht von Politik und Son­der­in­ter­es­sen­gruppen in die Öffent­lichkeit tragen.

Doch man greift zu kurz, wenn man meint, die Intel­lek­tu­ellen könnten – im ungüns­tigen Fall – lediglich (oder aus­schließlich) ein Spielball der Mäch­tigen und Son­der­in­ter­es­sen­gruppen sein.

Und damit meine ich nun nicht, dass es so etwas gibt wie die Unab­hän­gigkeit von For­schung und Lehre, die die Wis­sen­schaftler unter den Intel­lek­tu­ellen davor schützt, sich durch externe Inter­es­sen­gruppen von ihrer Wahr­heits­suche ablenken zu lassen.

Was ich vielmehr meine, ist, dass die Intel­lek­tu­ellen selbst eine aktive Rolle anstreben und ein­nehmen können, um wirt­schaft­liche und gesell­schaft­liche Geschicke nach ihren eigenen Inter­essen zu beeinflussen.

Genau das ist eine Über­legung, die der deutsche Soziologe Helmut Schelsky (1912–1984) in seinem 1975 erschienen Buch Die Arbeit tun die anderen. Klas­sen­kampf und Pries­ter­herr­schaft der Intel­lek­tu­ellen aus­ge­breitet hat.

Doch bevor ich Schelskys Über­le­gungen vor­stelle, soll noch die kri­tische Aus­ein­an­der­setzung mit der Rolle der Intel­lek­tu­ellen, die es in der öko­no­mi­schen Lite­ratur gibt, kurz zur Sprache kommen.

Die Intel­lek­tu­ellen werden hier als so etwas wie „Weg­be­reiter des Sozia­lismus“ ein­ge­stuft. So etwa bei Joseph Alois Schum­peter (1833 – 1950).

In seinem Buch „Kapi­ta­lismus, Sozia­lismus, Demo­kratie“[6] (1944) skiz­ziert Schum­peter das Problem mit den Intel­lek­tu­ellen wie folgt: Der Kapi­ta­lismus bringt Wohl­stand. Der wie­derum bewirkt eine ver­stärkte öffent­liche Bereit­stellung von Bildung. Dadurch werden jedoch zu viele Intel­lek­tuelle her­an­ge­bildet. Viele von ihnen finden keine Anstellung in ihrem Exper­ten­be­reich, sie müssen mit einem anderen, fach­fremden Brot­erwerb vor­lieb­nehmen. Das macht sie unzu­frieden, sie wenden sich gegen das kapi­ta­lis­tische System, trachten danach, es abzuschaffen.

Friedrich August von Hayek (1899–1992) argu­men­tierte, dass Intel­lek­tuelle zu groß­ar­tigen, hoch­fah­renden, phan­tas­ti­schen Gesell­schafts­ent­würfen neigen, und dass sie sich daher ins­be­sondere mit sozia­lis­ti­schen Heils­ver­sprechen anfreunden können.[7] Viele Intel­lek­tuelle, so Hayek, sind daher im sozia­lis­ti­schen Ideen­lager zuhause.

Ludwig von Mises (1881–1973) sprach von einer „anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Men­ta­lität“, die sich vor allem auch der Intel­lek­tu­ellen bemächtigt.[8] Die Intel­lek­tu­ellen emp­finden eine Abneigung gegen den Kapi­ta­lismus, weil sie meinen, dass sie nicht gebührend, nach ihrem eigent­lichen Wert (den sie sich selbst zusprechen) ent­lohnt und gewürdigt werden. Sie emp­finden Neid und Miss­gunst im kapi­ta­lis­ti­schen System, in dem der fleißige und betriebsame Kaufmann finan­ziell viel besser fährt als sie selber. Sie wollen daher den Kapi­ta­lismus abschaffen.

Diese Erklä­rungen über die Rolle der Intel­lek­tu­ellen lassen sich nicht nur in die Über­le­gungen von Helmut Schelsky inte­grieren, sie lassen sich durch Schelskys Theorie auch dra­ma­ti­sieren, von jed­weder ver­blie­benen Harm­lo­sigkeit entkleiden.

Schritt 3

In seinem 1975 erschie­nenen Buch „Die Arbeit tun die anderen. Klas­sen­kampf und Pries­ter­herr­schaft der Intel­lek­tu­ellen“ wartet Schelsky mit fol­gender These auf: In den modernen, tech­nisch-wis­sen­schafts­ori­en­tierten Gesell­schaften bildet sich ein Klas­sen­kampf eigener Art heraus. Die Front­linie ver­läuft dabei zwi­schen den Intel­lek­tu­ellen und der arbei­tenden Bevöl­kerung. Es handelt sich um den Kampf um Herr­schaft, der nicht mit phy­si­schem, sondern mit psy­chi­schem Zwang geführt wird, in dem es um „Macht­aus­übung durch Sinn­gebung“[9] geht. In Anlehnung an die Reli­gi­ons­so­zio­logie Max Webers (1864–1920) ist Schelskys Aus­gangs­punkt, dass die Men­schen grund­sätzlich in ihrem welt­lichen Dasein nach einer Sinn­stiftung suchen, nach einem Heils­ver­sprechen. Das gilt vor allem in den hoch ent­wi­ckelten säku­la­ri­sierten Gesell­schaften, in denen eine Nach­frage nach einer sozialen Religion ent­steht.[10]

 

Sie bildet das Fun­dament für die Berufs­gruppe der „Sinn­ver­mittler“, der „Refle­xi­ons­elite“, zu denen auch die Intel­lek­tu­ellen (im wei­testen Sinne) zählen. Sie betä­tigen sich in den wach­senden Funk­ti­ons­be­reichen der Ver­mittlung von Infor­ma­tionen, Wis­sen­schafts­er­kennt­nissen und „Ori­en­tie­rungs­wissen“, sie ent­wi­ckeln sich, so Schelsky, zu einer „Pries­ter­kaste“. Ihr selbst­ei­gen­nüt­ziges Ziel ist es, ein (in den Worten von Friedrich Schlei­er­macher [1768–1834]) „Bewusstsein schlecht­hin­niger Abhän­gigkeit“ in der breiten Bevöl­kerung zu erzeugen, das wie­derum „Schutz- und Vor­mund­schafts­be­dürf­nisse“ der „Sozi­al­heils­gläu­bigen“ her­vor­bringt und sie auf diese Weise emp­fänglich macht für die Ver­hei­ßungen einer bes­seren Welt, nach einem Leben in Har­monie und Ordnung und Gerech­tigkeit, eines „himm­li­schen Sozia­lismus“ auf Erden.

Die Ver­künder des Heils haben zur Durch­setzung ihrer Herr­schafts­macht ein Interesse daran,

dass die Gegenwart, der Alltag, als ‚Elend‘, als Not­si­tuation und als uner­träglich emp­funden wird, denn davon hängt ihre Ein­fluss­mög­lichkeit ab. Sie ver­künden daher niemals nur das Heil, sondern sie pre­digen und fördern zugleich das Bewusstsein des Elends; sie sind nicht nur der Not­helfer, sondern zugleich Not­pro­pa­gan­disten. Denn wie ihr ‚Heil‘ ein Gut in der Vor­stellung von Men­schen ist, so besteht auch die Bedürf­nis­grundlage dieser ‚Heils­herr­schaft‘ in der Auf­recht­erhaltung eines Not- und Elends­be­wusst­seins unab­hängig von den realen Bedin­gungen und Umständen.[11]

Das Mittel, das die Sinn­ver­mittler sich zu Eigen machen, ist nicht – wie gesagt – die phy­sische Gewalt­an­wendung, sondern die ent­las­tende und erlö­sende Sinn­gebung, es handelt sich um eine „Macht­aus­übung durch Sinn­gebung“[12].

Die Sinn­ver­mittler und Sozi­al­heils­spender stellen sich gegen die pro­duktive Bevöl­kerung, leben aber sprich­wörtlich von ihr, also von den Men­schen, so Schelsky, „die sich der Bewäl­tigung der prak­ti­schen Auf­gaben in einer Gesell­schaft annehmen.“[13] Sie betreiben so etwas wie „Pries­ter­betrug“: Sie halten das Bild vom „alten Klas­sen­kampf“ auf­recht, tun also etwas, was den Inter­essen der arbei­tenden Schichten in keiner Weise (mehr) entspricht:

Das Image des Links­extre­mismus oder ‚kon­se­quenten‘ Mar­xismus bietet einen Vorhang, hinter dem ein ‚auto­nomer‘ Herr­schafts­an­spruch auf­gebaut und ein neues Klas­sen­in­teresse zum Zuge kommen kann, das sich wenigstens vor­läufig Beifall und Zulauf der Arbei­ter­seite der alten Klas­sen­front sichern zu können glaubt.[14]

In Schelskys Worten:

Die außer­or­dentlich gewachsene Bedeutung der Ver­mittlung von Infor­mation, von Nach­richten, wis­sen­schaft­lichen Erkennt­nissen, Aus­bil­dungs- und Ori­en­tie­rungs­wissen in einer kom­plexen und groß­or­ga­ni­sa­to­ri­schen Gesell­schaft ermög­licht es dieser Gruppe, sofern sie diese neuen Formen des Pro­duk­ti­ons­wissens und der Herr­schafts­mittel mit einer eigenen sozialen und poli­ti­schen Ziel­setzung ver­bindet, einen neuen Herr­schafts­an­spruch durch­zu­setzen und sich in der Mono­po­li­sierung dieser Pro­duk­tions- und Herr­schafts­mittel neuer Art als Klasse zu begründen. Auf der Grundlage der Beherr­schung und Mono­po­li­sierung dieser polit-öko­no­mi­schen Wir­kungs­mög­lich­keiten und in Ver­bindung mit einer neuen ‚Heils­lehre‘ bildet sich eine neue Klasse der poli­tisch und öko­no­misch sich durch­set­zenden ‚Sinn-Ver­mittler‘ und ‚Heils­lehrer‘ heraus, die sich im inter­es­sen­haften Klas­sen­ge­gensatz zu allen denen befinden, die der Pro­duktion von Gütern im Sinne der Lebens­be­frie­digung, des Wohl­standes und des Funk­tio­nierens eines gesell­schaft­lichen Systems dienen. Es ist ein Klas­sen­ge­gensatz, den wir vor­läufig auf die Formel der Aus­ein­an­der­setzung zwi­schen der Klasse der ‚Sinn- und Heils­ver­mittler‘ mit den ‚Pro­du­zenten von lebens­wich­tigen Gütern‘ bringen wollen.[15]

Schelsky hebt nun etwas ganz Wich­tiges hervor:

Es geht darum, ob die ‚Sinn-Ver­mittler‘ ihre eigenen Herr­schafts­ziele durch­zu­setzen ver­mögen oder ob sie sich mit der die­nenden Stellung einer Sinn­aus­deutung der gesell­schaftlich Arbei­tenden begnügen. Es geht also um das herr­schaft­liche oder das die­nende Selbst­ver­ständnis der ‚Sinn­ver­mittler‘.[16]

Wie passen die Öko­nomen – die ich hier bei­spielhaft als Ver­treter der sinn­ver­mit­telnden Intel­lek­tu­el­len­klasse her­aus­greifen möchte – in dieses Gedan­kenbild, welche Rolle nehmen sie ein, wie lautet ihr Eigeninteresse?

Die Rolle des Öko­nomen in einem freien Markt­system wäre ziemlich unbe­deutend – denn die Pro­gno­se­fä­higkeit der öko­no­mi­schen Theorie, ange­wandt in der Praxis, ist gering.[17] Die Ver­dienst­mög­lich­keiten des Öko­nomen sind ver­gleichs­weise gering – im Ver­gleich zu einer Situation, in der der Staat (genauer: der Net­to­steu­er­zahler erzwun­ge­ner­maßen) die öko­no­mische Lehre und For­schung finanziert.

Um in den Genuß staat­licher Zuwen­dungen zu kommen, ist es für die Öko­nomen erfor­derlich, eine grund­sätzlich staats­zu­ge­wandte und –befür­wor­tende (Lehr-)Haltung ein­zu­nehmen, also vor allem eine mit wis­sen­schaft­lichen Mitteln (scheinbare) Legi­ti­mation des Staates (wie wir ihn heute kennen) bereit­zu­stellen. Zudem bedarf es auch einer öko­no­mi­schen Legi­ti­mierung, die dem Staat Auf­gaben zuweist und die nur er angeblich zufrie­den­stellend erfüllen kann. Dazu zählt zum Bei­spiel, dass der Staat das Geld­mo­nopol inne­haben soll; dass nicht ein Warengeld, sondern staat­liches unge­decktes Geld zu ver­wenden ist; dass Geschäfts­banken pri­vi­le­giert sein sollen, mit einer Teil­re­serve zu ope­rieren; dass der Staat Straßen und Schulen und Uni­ver­si­täten bereit­zu­stellen hat; dass er die Alters­vor­sorge regeln soll; und so weiter und so fort. Und je mehr Auf­gaben der Staat über­nehmen kann, desto größer wird der Ein­fluss­be­reich der Ökonomen.

Die Öko­nomen müssen dabei vor allem eines über­zeugend erklären: Dass das System der freien Märkte nicht alles leisten kann, dass es vielmehr Dinge gibt, für deren Regelung der Staat unver­zichtbar ist, die er regeln muss, wenn ein fried­volles und pro­duk­tives Zusam­men­leben der Men­schen in der Gemein­schaft möglich sein soll. Dazu führen sie zum Bei­spiel „Markt­ver­sagen“, „Monopole“, „externe Effekte“, „Markt­macht“, „öffent­liche Güter“ und anderes mehr ins Feld, die die Existenz bezie­hungs­weise die Staats­tä­tigkeit angeblich unaus­weichlich machen.

Damit ist es so gut wie aus­ge­schlossen, dass die – staat­lichen finan­zierten – Öko­nomen uner­schro­ckene Befür­worter des Systems der freien Märkte sein können, sie müssen sich zumindest als Inter­ven­tio­nisten posi­tio­nieren: also befür­worten, dass der Staat zumindest fall­weise in das Wirt­schafts- und Gesell­schafts­leben ein­greift, um bestimmte Ziele zu erreichen. Diese Grund­po­sition wird die Lehr­tä­tigkeit dieser Öko­nomen in Schule und Hoch­schule und auch ihr Sen­dungs­be­wusstsein auf ihren Berufs­wegen (in Ver­waltung, Stabs­ab­tei­lungen, Medien etc.) prägen.

Es ist sicherlich nicht allzu weit her­geholt zu ver­muten, dass (auch) die Öko­nomen der Ver­su­chung unter­liegen, nicht nur leh­rende und for­schende Intel­ligenz zu sein, sondern auch zur heils­ver­kün­denden Intel­ligenz auf­zu­steigen. Gerade das zuse­hends wis­sen­schafts­hörige Dis­kurs­klima bietet dazu ja auch man­nig­faltige Gele­gen­heiten. Denn hier gehört es quasi schon zum guten Ton, jedwede Streit­frage – ob in Wirt­schaft, Gesell­schaft, Gesundheit oder Umwelt – unter Berufung auf wis­sen­schaftlich begründete Erkennt­nisse lösen zu wollen. Oftmals handelt es sich jedoch nur um per­sön­liche Mut­ma­ßungen, die zu Wis­sen­schafts­fragen hoch­sti­li­siert werden. Das wie­derum führt dazu, dass der­jenige, dessen Argu­mente am engsten mit den eta­blierten Wis­sen­schaftserkennt­nissen, dem Konsens, ver­bunden sind, auch die über­legene Lösung zu haben scheint. Doch über­zeugen kann das so ohne wei­teres nicht.

Schließlich wird dadurch die Streit­frage, wer hier Recht hat und wer nicht, auf eine erkennt­nis­theo­re­tische Ebene ver­schoben (bleibt weiter unge­klärt, die Sache wird ver­kom­pli­ziert, der Diskurs erschwert). Und nur weil es in einer Streit­frage eine „herr­schende Meinung“ gibt, heißt das nicht, dass diese die richtige ist (die Wahrheit hängt nicht von der Mehr­heits­meinung ab).

Auf zwei Wegen kann es dem Öko­nomen gelingen, zur heils­ver­kün­denden Intel­ligenz aufzusteigen.

Erstens: Die Öko­nomen pro­ble­ma­ti­sieren die vor­herr­schenden Ver­hält­nisse, ob nun gerecht­fertigt oder nicht, enga­gieren sich als Elendspro­pa­gan­disten. Sie sagen bei­spiels­weise, die Wirt­schaft sei zu kri­sen­an­fällig, die Ein­kommen der Arbeit­nehmer wären zu gering, die Unter­schiede zwi­schen Arm und Reich seien zu groß, die Gesund­heits­ver­sorgung sei unzu­rei­chend, die Umwelt werde zu stark belastet etc. Das macht selbst­ver­ständlich die­je­nigen, die diese Bot­schaften ver­nehmen und ihnen Glauben schenken, emp­fänglich für Lösungs­vor­schläge der heils­ver­spre­chenden Öko­nomen –die dann sagen, dass mit diesen oder jenen Poli­tik­maß­nahmen des Staates künftig alles besser werde. Die Öko­nomen müssen also per se inter­ven­tio­nis­tisch gesinnt sein.

Zweitens: Die Öko­nomen miss­in­ter­pre­tieren gezielt die Ursachen der beklagten Miss­stände. Bei­spiels­weise werden Finanz- und Wirt­schafts­krisen erklärt als Folge der unge­zü­gelten freien Märkte, des Kapi­ta­lismus, der Gier der Finanz­in­ves­toren, der unge­re­gelten Glo­ba­li­sierung etc. Ver­schwiegen wird geflis­sentlich, dass für die unbe­streitbar bestehenden Übel­stände der Staat, der staat­liche Inter­ven­tio­nismus ver­ant­wortlich ist und nicht das System der freien Märkte.

Gerade die anti­ka­pi­ta­lis­tische Kritik, die heut­zutage auf frucht­baren Boden fällt, muss ver­wundern: Denn in der west­lichen Welt gibt es schlichtweg kein System der freien Märkte, keinen Kapi­ta­lismus. Es herrscht vielmehr Inter­ven­tio­nismus vor. Und folglich können auch alle zu beob­ach­tenden Miss­stände nicht dem Kapi­ta­lismus ange­lastet werden, sondern die Ursache der Pro­bleme ist im staat­lichen Inter­ve­nieren zu suchen (und zu finden). Wenn die Öko­nomen mit ihrer Miss­in­ter­pre­tation in der Öffent­lichkeit jedoch durch­dringen, dann ist ihnen der Zuspruch des Staates (wie wir ihn heute kennen), seiner Reprä­sen­tanten und der Son­der­in­ter­es­sen­gruppen, die den Staat für ihre Zwecke ein­spannen (wollen), so gut wie sicher.

Nicht nur Lob und Belohnung wird sol­cherart ori­en­tierten Öko­nomen zuteil (wie Sitze in Bera­tungs­gremien der Regierung, neue For­schungs­auf­träge etc.). Sie steigen auch zu Heils­ver­kündern auf: Man spricht ihnen auf­grund ihrer (ver­meint­lichen) Kom­petenz als Ursa­chen­er­klärer der Pro­bleme nun auch die Um- und Weit­sich­tigkeit zu, die rich­tigen Pro­blem­lö­sungen vor­zu­schlagen. Die­je­nigen, die Posi­tionen im Staat bekleiden (sei es als Regie­rungs- oder Oppo­si­ti­ons­po­li­tiker, Büro­kraten), die vom Staat leben (wie öffent­liche Ange­stellte, Betriebe, die staat­liche Auf­träge erhalten) oder die ihn für ihre Zwecke ein­spannen wollen (Stich­worte: Lob­by­gruppen oder Big Business, Big Banking, Big Tech, Big Pharma), werden Beifall klat­schen. Alle diese Son­der­gruppen pro­fi­tieren davon, wenn die Heils­ver­kündung der Öko­no­men­zunft lautet: Der Staat muss beauf­tragt und befähigt werden, für Gutes zu sorgen, die Miss­stände im Wirt­schafts- und Gesell­schafts­leben aus der Welt zu schaffen – denn das System der freien Märkte sei das Problem, und der Staat und seine Tat­kraft seien die Lösung.

Wohin das führt, hat Ludwig von Mises unmiss­ver­ständlich mit seiner „Kritik des Inter­ven­tio­nismus“ im Jahr 1929 for­mu­liert: Wenn der Staat ein­greift, um Pro­bleme zu lösen, um bestimmte wün­schens­werte Ziele zu erreichen, wird er diese Ziele ent­weder nicht erreichen; oder er wird sie erreichen, aber nur indem er Pro­bleme schafft, die vorher nicht da waren, oder die da waren, aber durch nun den staat­lichen Ein­griff ver­größert und ver­schlimmert werden. Das wie­derum löst weitere Inter­ven­tionen aus. Eine Inter­ven­ti­ons­spirale kommt in Gang. Wenn man sie nicht zum Still­stand bringt, sie zurück­schraubt, dann wird das Wirt­schafts- und Gesell­schafts­system früher oder später voll­um­fänglich durch den Staat gelenkt und gesteuert sein, werden die Reste des freien Markt­systems, die heute noch vor­handen sind, auch noch zer­stört werden; eine staat­liche Len­kungs­wirt­schaft tritt an ihre Stelle.

Zum Status des Heil­ver­künders steigen die Öko­nomen aller­dings nicht auf, wenn sie die Volks­wirt­schafts­lehre rein logisch, also als soge­nannte aprio­rische Hand­lungs­wis­sen­schaft konzeptualisieren.

Der Schlüssel zum Erfolg ist vielmehr, die Volks­wirt­schafts­lehre als Erfah­rungs­wis­sen­schaft ein­zu­ordnen und zu betreiben. Dann nämlich können im Grunde alle Arten von staats­dien­lichen Maß­nahmen, wenn sie gut und ver­hei­ßungsvoll klingen, zur Umsetzung emp­fohlen werden, wie zum Bei­spiel: Die Zen­tralbank muss den Zins in den Nega­tiv­be­reich drücken, das unter­stützt Pro­duktion und Beschäf­tigung; oder: Die Aus­weitung der unge­deckten Geld­menge macht die Volks­wirt­schaft reicher; oder: Steu­er­erhö­hungen schwächen nicht etwa das Wirt­schafts­wachstum, vielmehr helfen sie, es zu befördern.

Zudem lassen sich Erfah­rungs­tat­be­stände nach poli­ti­schem Gusto recht einfach umin­ter­pre­tieren: Nicht die staat­liche Zen­tralbank sorgt für Inflation, sondern stei­gende Ener­gie­preise; oder: Der Kapi­ta­lismus ver­ur­sacht Finanz- und Wirt­schafts­krisen, nicht der Inter­ven­tio­nismus; und so weiter.

Als Teil der Refle­xi­ons­elite, der heils­ver­kün­denden Intel­ligenz haben die inter­ven­tio­nis­tisch gesinnten Öko­nomen kein die­nendes Selbst­ver­ständnis, sondern ein herr­schaft­liches. Und in ihren Händen wird die Volks­wirt­schafts­lehre zu einem scharfen Instrument, um bestehende Herr­schafts­ver­hält­nisse zu begründen oder neue zu legi­ti­mieren. Helmut Schelsky benannte die Pro­ble­matik der Intel­lek­tu­ellen in der Rolle der Heilsverkünder:

Die Wir­kungs­macht dieser Träger einer neuen sozialen Heils­ver­kündung beruht darauf, daß sie zugleich sozial unauf­gebbare gesell­schaft­liche Leis­tungen erfüllen und diese ihren sub­jek­tiven mei­nungs- oder glau­bens­haften Letzt­werten unter­ordnen und von daher gesell­schafts­geg­ne­risch prak­ti­zieren können. Die ‚Intel­lek­tu­ellen‘ sind von den Selbst­be­haup­tungs­in­ter­essen der Gesell­schaft her gesehen funk­tional ebenso unent­behrlich wie gefährlich.[18]

Die Mög­lichkeit ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Intel­lek­tu­ellen, die zur Klasse der Herr­schenden gehören wollen, einen Anreiz haben, den Staat in ihrem Sinne zu gestalten, indem in Büro­kratie, Par­teien, Schulen, Uni­ver­si­täten, For­schungs­an­stalten ihre Jünger plat­ziert werden. Die falsche Pries­ter­schaft über­nimmt quasi den Staat nach und nach von innen heraus. Dabei wird die Wis­sen­schaft, solange sie noch als Auto­rität gilt, für Herr­schafts­zwecke instru­men­ta­li­siert. Der Herr­schafts­an­spruch, dem sich alle unter­werfen sollen, lautet: „Follow the science“.

Schritt 4

Sie suchen nach einem kon­kreten Anwen­dungs­bei­spiel für die Instru­men­ta­li­sierung der Intel­lek­tu­ellen bezie­hungs­weise ihren Herr­schafts­an­spruch? Kein Problem: Denken wir nur einmal an den „Great Reset“.

Bei ihm handelt es sich um die Idee, die Welt­wirt­schaft und Welt­ge­sell­schaft umzu­bauen. Oder, wie ich es begreiflich zu machen suche: Hinter dem Begriff „Great Reset“ ver­birgt sich ein Macht- und Herr­schafts­an­spruch. Ihm zufolge sollen die Men­schen auf dem Pla­neten ihre Geschicke nicht in einem freien Markt­system gestalten, sondern ihr Handeln, ihre Hand­lungs­mög­lich­keiten sollen von zen­traler Stelle – einer zen­tra­lis­ti­schen-kor­po­ra­tis­ti­schen-tech­no­kra­ti­schen Grup­pierung oder Elite, die sich der staat­lichen Macht bedient – gelenkt werden.

Der Great Reset setzt sich aus einer Reihe von Bau­steinen zusammen.[19] Hier die wichtigsten:

„Stake­holder capi­talism“. Dar­unter ist zu ver­stehen, dass die Eigen­tümer der Unter­nehmen nicht mehr nur ihre eigenen Inter­essen, sondern vor allem auch die Inter­essen Dritter bedienen sollen. Stake­holder Capi­talism ist im Grunde ein Euphe­mismus für eine Ein­schränkung (wenn nicht gar Teil­ent­eignung) der Eigen­tums­rechte der Unternehmenseigner.

„Envi­ron­mental, Social, and Cor­porate Gover­nance“ („ESG“): Kapi­tal­an­leger werden gedrängt, in Unter­nehmen zu inves­tieren, die das ESG-Siegel tragen – und ein gutes ESG-Siegel wird nur ver­liehen an die Unter­nehmen, die sich an poli­tisch vor­ge­gebene Kri­terien halten. ESG läuft also auf poli­tische Lenkung der Kapi­tal­in­ves­ti­tionen hinaus.

„Wokeismus“: Dahinter ver­birgt sich die psy­cho­lo­gische Idee, Kon­flikte zwi­schen den Men­schen her­bei­zu­reden, den fried­vollen Zusam­menhalt der Men­schen zu zer­setzen, den Men­schen Schuld- und Min­der­wer­tig­keits­kom­plexe ein­zu­reden, etwa dass es ihnen nur gut geht, weil es dafür anderen schlecht geht; dass es gut und richtig ist, weniger zu wollen. Wokeismus sorgt unter anderem dafür, dass die Men­schen sich innerlich vom Kapi­ta­lismus, vom Leis­tungs­prinzip, vom Streben nach einem bes­seren mate­ri­ellen Leben verabschieden.

„Klima-Kata­stro­phismus“: Er ist in ganz beson­derer Weise eine Art Neu­auflage der mar­xis­ti­schen Ver­elen­dungs­theorie, der zufolge die Erde und ihre Bewohner sterben, wenn nicht die Staaten das Ruder über­nehmen und umsteuern, und zwar indem sie das System der freien Märkte, die indi­vi­duelle Freiheit ein­hegen, zurück­drängen, aussetzen.

„Trans­hu­ma­nismus“: Die Idee, die Mög­lich­keiten des Men­schen durch den Einsatz moderner Tech­no­logien zu erweitern, genauer: Das, was das Menschsein aus­macht, zu „Hacken“, sein geis­tiges Wesen zu Computerisieren.

„Vierte Indus­trielle Revo­lution“ („4‑IR“): Das ist die Umwälzung der herr­schenden Pro­duk­tions- und Gesell­schafts­ver­hält­nisse durch neue Tech­no­logien (Künst­liche Intel­ligenz, Robotik, Genetik), Machine-to-machine-Com­mu­ni­cation, Smart Con­tracts, Internet of Things, Internet-of-Bodies, Aug­mented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und Mixed Reality (MR), das Meta­verse etc.

Nun könnte man die Bau­steine des Great Reset durchaus als so etwas wie Zukunfts­vi­sionen ein­stufen, als über­stei­gerte techno-futu­ris­tische Luft­schlösser, die nur vor­über­gehend unsere Auf­merk­samkeit erhei­schen und sich bald in nichts auflösen.

Ja, wäre da nicht das immer stärkere Inein­an­der­greifen von Staat und Groß­un­ter­nehmen, das unver­fänglich klin­gende Public-Private-Part­nership, das die Ein­griffs­mög­lich­keiten des Staates in Wirt­schaft und Gesell­schaft gewaltig aus­weitet; und das auch Groß­un­ter­nehmen erlaubt, sich der Staats­macht für die eigenen Zwecke zu bedienen.

Und das ist es, was den Great Reset bedrohlich macht: Der Staat, eine Groß­un­ter­nehmen-Staats-Ver­mi­schung gelangt an alle Daten der Men­schen, erhält unge­ahnte Überwachungs‑, Kon­troll- und Len­kungs­macht. Der Great Reset, in die Praxis umge­setzt, so wie es sich die Ver­treter des World Eco­nomic Forum erträumen, führt zu einer Dys­topie, die George Orwells „1984“ harmlos aus­sehen lässt.

Doch der Great Reset ist „nur“ eine Idee, die den Men­schen als gut und richtig, als weg­weisend, wün­schenswert und unum­gänglich ser­viert wird – und zwar maß­geblich auch (nicht nur, aber vor allem auch) von wis­sen­schaft­lichen Intel­lek­tu­ellen, die den Great-Reset-Plan mit­ent­werfen, ihn zu ver­breiten helfen, seine Kri­tiker in die Schranken weisen, dif­fa­mieren und diskreditieren.

Der Great-Reset-Plan wird ange­priesen von (nicht nur, aber auch) intel­lek­tu­ellen Elendspro­pa­gan­disten und Heils­ver­spre­chern mit Hinweis auf Wis­sen­schaft­lichkeit, ins­be­sondere im Bereich von Klima und Gesundheit, aber vor allem auch mit Blick auf wirt­schafts­po­li­tische Weichenstellungen.

Die Befür­worter und Antreiber des Great Reset-Plans setzen unver­kennbar auf die für viele Men­schen immer noch beein­dru­ckende, nicht in Zweifel zu zie­hende Über­zeu­gungs­kraft der Wis­sen­schaft. Ohne die Rücken­de­ckung der Intel­lek­tu­ellen wäre das Vor­dringen des Great-Reset-Plans in dieser Weise kaum denkbar; und wohl auch nicht ohne die Annahme, dass zumindest einige Intel­lek­tuelle einem Herr­schafts­an­spruch nach­jagen, zur Pries­ter­kaste auf­steigen wollen.

Sie, liebe Leser, sind an dieser Stelle viel­leicht inter­es­siert, meine per­sön­liche öko­no­mische Deutung des Great-Reset zu hören? Nun, mit Blick auf die gesell­schafts­theo­re­ti­schen Grund­po­si­tionen meine ich, deut­liche Fin­ger­ab­drücke erkennen zu können, die darauf ver­weisen, dass es sich beim Great Reset in letzter Kon­se­quenz um so etwas wie einen Neo­mar­xis­ti­schen Umsturz­entwurf der bestehenden Wirt­schafts- und Gesell­schafts­ver­hält­nisse handelt.

Der Idee der mar­xis­ti­schen Ver­elen­dungs­theorie folgend, wird den Men­schen Furcht und Schrecken ein­gejagt (der Planet über­hitzt, alle werden sterben, wenn der Staat nicht handelt; Viren werden unsere Gesundheit zer­stören, wenn wir uns nicht iso­lieren und impfen), um sie gefügig, steu­erbar zu machen.

Und gleich­zeitig werden die nega­tiven Folgen, die enormen Miss­brauchs­mög­lich­keiten, die bei­spiels­weise mit der Digi­ta­li­sierung des Mensch­seins ver­bunden sind, klein­ge­redet, Kritik wird ver­ächtlich gemacht, aus dem Diskurs gedrängt.

Doch nicht nur Furcht und Schrecken sowie Zensur der Kritik setzen die Staaten (und die Son­der­in­ter­es­sen­gruppen, die sich des Staates bedienen) ein, sie ver­weisen vor allem auch auf Wis­sen­schafts­er­geb­nisse – denn die sind in den Augen der Men­schen (zumindest bisher) immer noch von großer Überzeugungskraft.

Doch sind die Wis­sen­schafts­er­geb­nisse, die der Staat und die Son­der­in­ter­es­sen­gruppen finan­zieren, ver­trau­ens­würdig? Ist auf den Rat der gekauften Intel­lek­tu­ellen Verlass? Skepsis ist ange­raten. Denn das, was der Great-Reset ver­klau­su­liert errichten will, ist ein Sozia­lismus-Feu­da­lismus, die Ent­eignung der Eigen­tümer, der Umsturz der Wirt­schafts- und Gesell­schafts­ordnung, die Herr­schaft der einen über die anderen. Und als Ökonom kann man sagen, was das Ergebnis sein wird: Mangel, Chaos, Gewalt, Terror und für viele Men­schen ein vor­zei­tiges Ende.

Schritt 5

Sie werden jetzt ver­mutlich fragen: Was soll und kann man dagegen machen? Wie kann man ver­hindern, dass – nimmt man Schelskys Analyse als zutreffend an – die Volks­wirt­schaften durch die Pries­ter­herr­schaft der Intel­lek­tu­ellen in die Unfreiheit, in wirt­schaft­liche und zivi­li­sa­to­rische Dege­ne­ration abgleiten?

Wenn der Staat (bezie­hungs­weise die Net­to­steu­er­zahler gezwun­ge­ner­maßen) die Heer­scharen von Intel­lek­tu­ellen nicht mehr finan­zieren, dann ist das Problem der Pries­ter­herr­schaft der Intel­lek­tu­ellen ver­mutlich bereits wei­test­gehend gelöst.

Es läuft also darauf hinaus, den Markt für Bildung zu pri­va­ti­sieren. Schulen und Uni­ver­si­täten müssten sich fortan im freien Markt bewähren.

Und kann man mit dem Intel­lek­tu­el­len­dasein seinen Lebens­un­terhalt nicht mehr bestreiten, weil es keine frei­willige Zah­lungs­be­reit­schaft für das gibt, was der Intel­lek­tuelle anzu­bieten hat, werden auch ent­spre­chend wenige ein Dasein als Intel­lek­tu­eller fristen wollen und können – und sich Tätig­keiten zuwenden, die von anderen frei­willig nach­ge­fragt werden.

Und vor allem muss der Staat auf das Stärkste schrumpfen. Schwindet seine Macht, schwinden auch die Mög­lich­keiten, dass Son­der­in­ter­es­sen­gruppen die Macht des Staates für eigene Zwecke ein­nehmen können. Die Dienste der Intel­lek­tu­ellen zur Beein­flussung der Öffent­lichkeit werden ent­spre­chend weniger nach­ge­fragt. Der Mög­lichkeit, dass die Pries­ter­herr­schaft der Intel­lek­tu­ellen in die Ränge der Staats­macht auf­steigt, den Staat nach eigener Inter­es­senlage von innen heraus umformt, wird ein Riegel vorgeschoben.

Ein nicht minder wich­tiger Schritt ist ein erkennt­nis­theo­re­ti­scher: Die Men­schen müssen wieder darüber auf­ge­klärt werden, dass es Grenzen der Wis­sen­schaft­lichkeit gibt, dass es Dinge und Phä­nomene gibt, die wir zwar gern mit wis­sen­schaft­lichen Mitteln in Erfahrung bringen wollen, es aber leider nicht können.

Ein wich­tiger Ansatz­punkt dabei ist, die Über­schätzung des Erfah­rungs­wissens zu kor­ri­gieren. In vielen wis­sen­schaft­lichen Anwen­dungen kann man sich nicht auf Erfah­rungs­wissen verlassen.

Der Grund ist der Fol­gende: Nur weil man in der Ver­gan­genheit eine bestimmte Beob­achtung gemacht hat (wie: Wenn A, dann B), dann heißt das nicht, dass dieser Zusam­menhang auch künftig gelten wird; und wenn man in der Ver­gan­genheit niemals „Wenn A, dann B“ beob­achtet hat, dann heißt das nicht, dass man künftig nicht viel­leicht doch „Wenn A, dann B“ beob­achten wird.

In der Kli­ma­wis­sen­schaft bedient man sich in nicht uner­heb­lichem Maße – und ich darf sagen: feh­ler­haf­ter­weise – des Erfah­rungs­wissens. Man ver­wendet etwa his­to­rische Daten, um Zusam­men­hänge zu erkunden – und Rück­schlüsse für künftige Folgen zu ergründen. Ein solches Vor­gehen kann – aus erkennt­nis­theo­re­ti­schen Gründen – keine wis­sen­schaftlich exakten Erkennt­nisse in der Art bereit­stellen, wie sie der breiten Öffent­lichkeit weis­ge­macht werden sollen.

Vor allem ist auch ver­ständlich zu machen, dass die Wirt­schafts­wis­sen­schaft keine Erfah­rungs­wis­sen­schaft ist, dass sie sich wider­spruchsfrei nur als aprio­rische Hand­lungs­wis­sen­schaft kon­zep­tua­li­sieren lässt.

In der Öko­nomik lassen sich mit logi­schem Denken Gesetz­mä­ßig­keiten auf­spüren. Wir können bei­spiels­weise mit Gewissheit sagen: Der Sozia­lismus lässt sich nicht durch­führen; die Erhöhung der Geld­menge ver­ringert die Kauf­kraft der Geld­einheit; das Her­un­ter­ma­ni­pu­lieren des Markt­zinses durch die Zen­tralbank löst einen Boom aus, der in einem Bust enden muss; der staat­liche Inter­ven­tio­nismus endet, wenn man sich nicht von ihm abkehrt, im Sozia­lismus. Um das zu wissen, muss man keine Tests durch­führen, man kann es durch reines Nach­denken ergründen.

Wenn die Öko­nomik als aprio­rische Hand­lungs­wis­sen­schaft akzep­tiert wird, dann können falsche Hoff­nungen und Ver­spre­chungen durch strenges Nach­denken ent­zaubert werden. Für eine falsche Pries­ter­herr­schaft der Intel­lek­tu­ellen – der instru­men­ta­li­sierten und instru­men­ta­li­sie­renden Öko­nomen – bleibt in wirt­schafts­theo­re­ti­schen und wirt­schafts­po­li­ti­schen Fra­ge­stel­lungen dann kein Raum mehr.

Damit, sehr ver­ehrte Leser, bin ich am Ende meiner Aus­füh­rungen angelangt.

Begonnen haben wir mit der Ein­sicht, dass es Ideen sind, die unser Handeln leiten.

Dass die Intel­lek­tu­ellen in beson­derem Maße die Ideen der Men­schen und damit auch deren Hand­lungen beeinflussen.

Und dass sich der Staat und andere Inter­es­sen­gruppen der Intel­lek­tu­ellen bedienen, um die Ideen der Men­schen gemäß ihren Zwecken zu beeinflussen.

Doch die Intel­lek­tu­ellen sind nicht nur Instru­men­ta­li­sierte, sie sind auch Instru­men­ta­li­sie­rende: Sie können die Ideen der Men­schen für ihre Zwecke formen, sich über den Staat selbst ermäch­tigen, an Herr­schafts­macht gelangen, helfen, den Staat all­mächtig werden zu lassen.

Die Lösung dieses Pro­blems ist, (1.) den Intel­lek­tu­ellen die staat­liche Finan­zierung zu ver­sagen, ihnen auf­zu­geben, sich im freien Markt mit ihren Erzeug­nissen zu bewähren. (2.) Den Staat auf das Stärkste zu ver­kleinern, denn dann gibt es keine Macht mehr, mit denen die einen die anderen beherr­schen können.

Es geht letztlich um eine Wie­der­be­lebung der Auf­klärung, wie sie der Königs­berger Phi­losoph Immanuel Kant (1724–1804) schon einmal mit seinem Wahl­spruch der Auf­klärung „sapere aude!“ ein­ge­fordert hat: Habe den Mut, selbst zu denken, und über­winde deine Feigheit und deine Faulheit! Kants Auf­klärung ist eine Absage an obrig­keits­hörige Unter­wür­figkeit, an blind­gläu­bigen Obrig­keits­ge­horsam, ist eine Auf­for­derung an jeden, mit eigenem Denken sein eigenes Leben zu führen. Und wenn wir uns unseres Ver­standes bedienen, dann erkennen wir: Es gibt keine Begründung, dass die einen die anderen beherr­schen sollten oder dürften. Und dass die falsche Pries­ter­herr­schaft der Intel­lek­tu­ellen – auf der die Herr­schaft der einen über die anderen heut­zutage auf­gebaut ist – nichts anderes ist als fauler Zauber. Zuge­geben: meist sehr schlauer, intel­li­genter fauler Zauber, aber eben doch: fauler Zauber.

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[1] Siehe hierzu Mises (1940), Natio­nal­öko­nomie, S. 11 ff. Wer sich etwas aus­kennt mit den erkennt­nis­theo­re­ti­schen Grund­lagen der Öko­nomik, wie sie Ludwig von Mises maß­geblich aus­ge­ar­beitet hat, der kennt den Satz „Der Mensch handelt“. Er klingt trivial. Aber er ist alles andere als das. Man kann den Satz „Der Mensch handelt“ nicht wider­spruchsfrei ver­neinen. Wenn Sie sagen „Herr Polleit, ich bitte sie, der Mensch kann auch nicht handeln“, dann handeln sie und wider­sprechen dem Gesagten. Der Satz „Der Mensch handelt“ ist ein Apriori: Das heißt, er lässt sich nicht ver­neinen, ohne seine Gül­tigkeit dadurch bereits als wahr anzu­er­kennen. Wer den Satz „Der Mensch handelt“ ver­neint, der ver­ur­sacht einen logi­schen Wider­spruch und sagt damit etwas Fal­sches. Dies mag Ihnen bereits ver­deut­licht haben, dass die Logik des mensch­lichen Han­delns – eine a priori wahre Aussage – einen Aus­gangs­punkt bietet, um weitere wahre Sätze ableiten zu können.

[2] Siehe Mises (1957), Theory & History, S. 3–4.

[3] Siehe Hoppe (1983), Kritik der kau­sal­wis­sen­schaft­lichen Sozi­al­for­schung.

[4] https://sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/lenin/1918/wladimir-i-lenin-ueber-demokratie-und-diktatur

[5] Rothbard (2006), For A New Liberty, S.67, eigene Übersetzung.

[6] Siehe Schum­peter (1942), Kapi­ta­lismus, Sozia­lismus, Demo­kratie, S. 145 ff.

[7] Siehe Hayek (1949), The Intellec­tuals and Socialism.

[8] Siehe Mises (1956), The Anti-Capi­talist Men­tality, S. 15 ff.

[9] Schelsky (1975), Die Arbeit tun die anderen, S. 52.

[10] Ibid, S. 116: „Die sich ständig erhö­hende Kom­pli­ziertheit, Ver­floch­tenheit und Abs­traktion der Sozi­al­be­zie­hungen in modernen groß­räu­migen Gesell­schaften mit ihrer Infor­ma­ti­ons­über­flutung, ihrer unbe­schränkten Kri­tik­freiheit und dem Vor­drängen jeg­licher Sub­jek­ti­vität ohne Ver­ant­wor­tungs­zu­rechnung für die realen Folgen bereiten den Boden für die Sozialreligiösität.“

[11] Ibid, S. 56–57.

[12] Ibid, S. 52.

[13] Ibid, S. 143.

[14] Ibid, S. 16.

[15] Ibid, S. 15–16.

[16] Ibid, S. 143–144.

[17] Siehe hierzu Mises (1998), Human Action, S. 866–868.

[18] Ibid, S. 142.

[19] Siehe Rec­tenwald (2023), The Great Reset.

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Pro­fessor Dr. Thorsten Polleit ist seit April 2012 Chef­volkswirt der Degussa, Europas größtem Edel­me­tall­han­delshaus. Davor war er als Ökonom 15 Jahre im inter­na­tio­nalen Investment-Banking tätig. Thorsten Polleit ist zudem Hono­rar­pro­fessor für Volks­wirt­schafts­lehre an der Uni­ver­sität Bay­reuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institut, Auburn, Alabama, Mit­glied im For­schungs­netzwerk „ROME“ und Prä­sident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Im Jahr 2012 erhielt er den The O.P. Alford III Prize In Poli­tical Economy. Thorsten Polleit ist Autor zahl­reicher Auf­sätze und Bücher: „Vom Intel­li­genten Inves­tieren“ (2018), „Mit Geld zur Welt­herr­schaft“ (2020), „Der Anti­ka­pi­talist“ (2020), „Ludwig von Mises. Der kom­pro­misslose Liberale“ (2022) und „Der Weg zur Wahrheit. Eine Kritik der öko­no­mi­schen Ver­nunft“ (2022). Die Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.comHier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.


Quelle: misesde.org