Der Titel ist eine Anspielung auf den eindimensionalen Menschen, ein Buch, das Herbert Marcuse zum Autor hat. Ein seltsames Buch von einem seltsamen Autor, der ungeachtet oder gerade wegen der vielen inhaltlichen und logischen Fehler, die in sein Buch Eingang gefunden haben, zum Helden der Linken geworden ist, vermutlich deshalb, weil er quantitativer und wertfreier Wissenschaft, also NACHVOLLZIEHBARER und von KOMPETZENZ getragener Wissenschaft, den Kampf angesagt und sein Konzept einer wertenden, reflexiven und “kritischen” Pseudo-Wissenschaft gegenübergestellt hat.
Letztere besteht vornehmlich darin, soziale Probleme als Ergebnis von Kapitalismus auszugeben, um eine “neue Gesellschaft” zu phantasieren, die im Wesentlichen als Negation der bestehenden Gesellschaft konzipiert ist, und die, da die bestehende Gesellschaft von Marcuse grundsätzlich negativ bewertet und abgelehnt wird, eine positiv bewertete Lichtgesellschaft sein muss. Natürlich sind in der Marcuseschen Gesellschaft alle glücklich und gleich reich oder arm und natürlich erfüllt die Marcusesche Gesellschaft alle “vitalen Bedürfnisse”, z.B. Freude, Glück und nicht zu vergessen die “ästhetisch-erotischen Dimensionen”. Unglückliche gibt es in Marcuses Gesellschaft nicht. Wer mit dem Vorgegebenen nicht zufrieden ist, kann entweder “rüber gehen” oder als Klassenfeind ins Gras beißen.
In gewisser Hinsicht steht das folgende Werk, obschon auf quantitativen Daten erstellt, in der Tradition von Marcuse, nicht nur, was die Denkfehler oder die logischen Schnitzer betrifft.
Lassen Sie zunächst die folgenden drei Abbildungen aus diesem “Text” auf sich wirken:
Was hier auf Basis der Daten des SOEP, des Sozioökonomischen Panels, berechnet wurde, sind einfache Kreuztabellen. Die Höhe des Einkommens wurde mit unterschiedlichen Variablen kreuztabuliert, z.B. mit der Lebenszufriedenheit, dem Vertrauen in Institutionen und der Antwort auf die Frage, ob andere auf einem selbst heruntersehen oder zu einem hinaufschauen. Alle dargestellten Korrelationen haben dieselbe Richtung:
- Vertrauen in welche Institution auch immer steigt mit dem verfügbaren Einkommen.
- Lebenszufriedenheit steigt mit dem verfügbaren Einkommen.
- Wertschätzung steigt mit dem verfügbaren Einkommen.
Und aus all dem, so meinen Brülle und Spannagel, die für diesen Krempel verantwortlich sind, könne man nur Folgendes schließen:
“Sowohl dauerhafte als auch temporäre Armut geht dagegen mit materiellen und subjektiven Einschränkungen einher. Die verfestigte Armut hebt sich jedoch in Bezug auf die Einschränkungen im Lebensstandard, die Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation und die geringere Lebenszufriedenheit von allen anderen Gruppen ab. Dauerhaft Arme erleben zudem häufiger die Geringschätzung anderer Menschen, während vor allem Reiche sich häufig von anderen wertgeschätzt fühlen.
Diese Befunde können Erklärungsbausteine dafür sein, dass sich auch das Vertrauen in Institutionen stark entlang des Einkommens unterscheidet. So genießen zentrale politische Institutionen und Akteure in Deutschland im Jahr 2021 zum Teil zu über 50 Prozent der dauerhaft Armen nur noch geringes Vertrauen, während dies in Bezug auf die Institutionen (also die Polizei, das Rechtssystem und den Bundestag) weniger als ein Fünftel der Reichen betrifft. […] Umso klarer zeigen unsere Daten, wie sehr Einkommensungleichheiten an den Pfeilern unserer Demokratie rütteln können. Es ist daher dringend geboten, diesen Entwicklungen politisch entgegenzutreten.”
Das ist eine wilde Assoziationskette.
Lassen wir sie zunächst stehen:
“Arme”, dauerhaft oder temporär, fühlen sich gering geschätzt, haben weniger Lebenszufriedenheit als “Reiche” und weil dem so ist, haben sie weniger Vertrauen in die politischen Institutionen, vor allem in Polit-Kasper und Parteien und weil sie weniger Vertrauen in Polit-Kasper und Parteien haben, deshalb ist die Demokratie gefährdet. Das behaupten Brülle und Spannagel.
Bevor wir diese Assoziationskette zerlegen, hier die Schlussfolgerungen, die die “Autoren” aus ihren Ergebnissen, die wir gerade zusammengefasst haben, ziehen, um der beschrieben Katastrophe für die Demokratie politisch zu entgegenzutreten:
- Mehr Geld für Arme;
- Erhöhung des Mindestlohns;
- Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf;
- Mehr Kinderbetreuung;
- Höhere Steuern für Reiche;
Das scheinen die Musterlösungen aus dem Katechismus des armen Sozialisten zu sein, der schon seit rund 150 Jahren die Runde in entsprechend ideologisierten Zirkeln macht. Und wir bewegen uns hier im entsprechenden Zirkel, denn Brülle und Spannagel arbeiten für die Hans-Böckler-Stiftung, also den “Stiftungs-Arm” des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Und weil dem so ist, verströmen sie den distinkten Stallgeruch gewerkschaftlicher Fortschreibung marxistischer Gleichstellungsutopien, gepaart mit dem eindimensionalen Denken, das Herbert Marcuse ausgezeichnet hat, jenem Denken, das sich auf eine einzige Variable reduzieren lässt: GELD.
GELD ist der Hebel zu allem.
Gib’ den Armen mehr und nimm’ den Reichen viel und die beste aller Gesellschaften ist erreicht.
Sozialistische Wolkenkuckucksheime sind aus/auf Einfalt gebaut.
Indes, auf was sind die Ergebnisse von Brülle und Spannagel gebaut?
Zunächst ist es relevant zu wissen, wer als arm, dauerhaft oder temporär gilt und wer als reich.
- Dauerhaft Arm ist, wer seit 2017 und bis maximal 2021, denn die Daten enden 2021, mit einem Haushaltseinkommen, das 60% unter dem Nettoäquivalenzeinkommen lag, auskommen musste. Temporär arm, wer das 2021, aber nicht davor musste. Die Grenze verläuft hier bei einem Haushaltseinkommen von 1.200 Euro im Monat.
- Wer darüber liegt, hat ein mittleres Einkommen. Es reicht von 1.201 Euro im Monat bis 3.999 Euro im Monat.
- Wer 4.000 Euro im Monat und mehr verdient, IST REICH.
Wie viele Reiche haben wir unter unseren Lesern?
Angesichts dieser Einteilung der zentralen Variable, fragt man sich, was die beiden von der Böckler-Stiftung eigentlich gemessen haben. Werfen wir einen Blick auf Tabelle 2, die Brülle und Spannagel pflichtschuldig in ihre Veröffentlichung gepackt, aber offenkundig nicht angesehen haben.
Zunächst etwas Grundsätzliches:
An keinem Punkt ihrer “Arbeit” rücken die Autoren eine Fallzahl heraus. Auf wie vielen Befragten ihre bivariaten Analysen beruhen, ist unbekannt. Das ist ein erheblicher Verstoß gegen die Standards wissenschaftlichen Arbeitens, aber vielleicht insofern verständlich, als die Fallzahlen beim SOEP sehr schnell in den Keller gehen, so dass man in manchen Zellen noch 15 bis 20 Hanseln, zuweilen auch weniger zur Verfügung hat. Und wer gibt schon gerne zu, dass er Luftnummern rechnet?
Das ist ein Grund, den “Bericht” aus der Böckler-Stiftung zu shreddern.
Weitere Gründe finden sich in den roten Kästen, die wir in die Tabelle der beiden Autoren eingefügt haben. Die Tabelle zeigt die Verteilung sozialstruktureller Merkmale in Bezug zu dem, was die Autoren als Reichtum oder Armut ausgeben. Wir haben uns auf die “dauerhaft Armen” beschränkt. Die “temporär Armen” sind eine Variante dieses Themas.
Arme sind demnach:
- in Ostdeutschland häufiger;
- häufiger Single;
- häufiger mit Migrationshintergrund;
- häufiger mit Hauptschulabschluss;
- häufiger arbeitslos, nicht erwerbstätig oder Rentner
als Reiche.
Wir haben hier ein Mischmasch aus Rentnern und Studenten und Migranten, die von Sozialhilfe leben, und alle drei Gruppen zeichnen sich dadurch aus, nicht erwerbstätig bzw. arbeitslos zu sein. Studenten, die nicht erwerbstätig sind, weil sie von Bafög oder Papa leben, gelten den Autoren demnach als “dauerhaft” arm. Rentner, die trotz jahrzehntelanger Arbeit keine angemessene Rente erhalten, gelten den Autoren als dauerhaft arm und Migranten, die arbeitslos sind, weil ihre Qualifikation nicht ausreicht, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, weshalb sie von Sozialhilfe leben, gelten für die Autoren als dauerhaft arm.
Dass man als Rentner, der ein Leben lang gearbeitet hat und nun in Cents rechnen muss, mit Polit-Darstellern, die mit beiden Händen das Geld von Steuerzahlern aus dem Fenster werfen, nicht zufrieden ist, ist wohl ebenso wenig verwunderlich wie es nicht verwunderlich ist, dass ein Rentner, der nach einem Leben in Arbeit seinen Lebensabend mit einer Hungerrente fristen muss, eher weniger mit seinem Leben zufrieden ist als ein Polit-Kasper, der das fünfzehnfache an Grundgehalt oft genug für dummes Geschwätz erhält, mag auch einleuchtend sein. Dass Migranten, die vielleicht sogar mit dem Vorsatz, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, eingereist sind, um hier auf einen rigiden Arbeitsmarkt zu treffen, auf dem Gewerkschaften alles tun, um die Jobs der eigenen Mitglieder vor Newcomern zu schützen, nicht in gleicher Weise mit ihrem Leben zufrieden sind, wie die gerade beschriebenen Polit-Kasper, ist auch nicht weiter verwunderlich.
Kurz: Die Autoren messen hier Artefakte einer sozialen Situation und interpretieren diese Artefakte als Beleg dafür, dass Armut eine Gefahr für die Demokratie darstelle, eine Interpretation, die voraussetzt, dass man Misstrauen in Polit-Darsteller oder Parteien generell als Problem derjenigen, die es äußern, nicht aber derjenigen, denen es entgegen gebracht wird, ansieht. Offenkundig sind Brülle und Spannagel nicht in der Lage sich vorzustellen, dass man kein Vertrauen zu Polit-Kaspern hat, weil man diese Personen als Gefahr für die Demokratie ansieht. Und natürlich wird die Unzufriedenheit mit Parteien und Polit-Darstellern, die sich aus der eigenen oben beschriebenen Lebenssituation ergibt, in Misstrauen denen gegenüber umschlagen, die dafür verantwortlich sind. Das hat mit Demokratie nur am Rande etwas zu tun. So, wie die derzeitigen Polit-Darsteller und ihre Selbstbedienungseinrichtungen, die als Parteien bezeichnet werden, nur am Rande etwas mit Demokratie zu tun haben.
Und nun, da wir wissen, wer sich in der Kategorie “dauerhaft arm” und “temporär arm” eingefunden hat, betrachten wir noch einmal die Mittel, mit denen die Einfältigen aus der Böckler-Schmiede der von ihnen phantasierten Gefahr für die Demokratie begegnen wollen:
- Mehr Geld für Arme – die Standardlösung aller Sozialisten, weshalb Margaret Thatcher schon vor Jahrzehnten prophezeit hat, dass noch jedem sozialistischen Versuch früher oder später das Geld der anderen ausgehen wird.
- Erhöhung des Mindestlohns – eine Maßnahme, ganz im Sinne der Gewerkschaften, welchen Effekt diese Maßnahme auf nicht erwerbstätige Studenten, arbeitslose Migranten und Rentner hat? Keinen.
- Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Hauptsächlich Singles (Rentner, Studenten) finden sich unter den “dauerhaft und temporär armen”, die werden sich über eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf mindestens so sehr freuen wie sie
- mehr Kinderbetreuung erfreuen wird.
- Höhere Steuern für Reiche lösen zwar keines der Probleme von Studenten, Migranten und Rentnern, die single sind, aber der ein oder andere, der sich keine Aussichten macht, jemals über 4.000 Euro zu verdienen und daher als reich zu gelten, mag darin seine Gehässigkeit befriedigt sehen.
Das passiert, wenn eindimensionale Gesellen, die den Kanon der Gewerkschaftsforderungen so sehr eingetrichtert bekommen haben, dass sie überall Probleme sehen, die man mit Geld und den Standardfloskeln aus der letzten DGB-Richtlinie lösen kann, ihren eigenen Vorurteilen auf den Leim gehen und die eigenen Daten überlesen.
Der Beitrag erschien zuerst hier: sciencefiles.org
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