Im Netz fand ich die Überschrift „Russland wird Deutschland als fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt überholen“. Das konnte ich nicht glauben und habe recherchiert.
(Von Thomas Röper)
Die Schwierigkeit dabei ist, dass man das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach sehr unterschiedlichen Methoden messen kann, ironisch gesagt nach dem Motto „Glaube nur der Statistik, die du selber gefälscht hast“. Die Frage ist immer, was man eigentlich messen bzw. überprüfen will. Daher müssen wir vor dem eigentlichen Faktencheck ein wenig trockene Theorie ansehen.
Es gibt zunächst das nominale und das reale BIP. Beim nominalen BIP geht es um den Wert aller Waren und Dienstleistungen in Marktpreisen. Das bedeutet, dass steigende (Markt-)Preise, also Inflation, das BIP erhöhen. So kann selbst bei sinkender Produktion das nominale BIP steigen, wenn nur die Inflation hoch genug ist.
Um diesen Effekt auszuschließen, gibt es das reale BIP. Dabei wird durch die Festsetzung von Basispreisen die Inflation herausgenommen, man bekommt also einen klaren Einblick in die Entwicklung der Produktion und Dienstleistungen.
Nun ist aber auch hier die Schwierigkeit offensichtlich, wenn man verschiedene Länder mit verschiedenen Währungen vergleichen will. Schließlich legen die Länder unterschiedliche Basispreise fest und das auch noch in unterschiedlichen Währungen, die im Laufe des Berechnungszeitraums auch noch ihre Wechselkurse verändern.
Um diesen Effekt auszugleichen, gibt es noch die Messung des BIP nach Kaufkraftparität (KKP oder englisch PPP). Der Punkt ist nämlich, dass ein und dasselbe Produkt in verschiedenen Ländern teurer oder billiger sein kann und dies auch das gleiche auch für die Löhne gilt. In der Schweiz sind die Löhne höher als in Deutschland, aber wer mal da war, der sieht, dass dort dafür auch alles viel teurer ist. Von ihren höheren Löhnen haben die Schweizer nur dann einen Vorteil, wenn sie ins Ausland zum Einkaufen oder in den Urlaub fahren, im Alltag zu Hause heben die höheren Preise die höheren Löhne auf.
Das BIP kann also auf sehr unterschiedliche Weise gemessen werden und da können auch sehr unterschiedliche Ergebnisse bei rauskommen. Richtig oder falsch ist keine Methode. Wer zum Beispiel die Entwicklung in einem Land über die Jahre messen will, der ist mit dem realen BIP gut bedient. Wenn man aber verschiedene Länder vergleichen will, hat das reale BIP seine Schwächen und das BIP nach KKP ist aussagekräftiger. Denn bloß weil eine Tasse Kaffee in der Schweiz das Doppelte kostet, wie in Deutschland, ist es trotzdem immer noch die gleiche Tasse Kaffee. Wer also das BIP, sprich die Summe der produzierten Güter und Dienstleistungen (vereinfacht gesagt, die Anzahl an verkauften Tassen Kaffee), in verschiedenen Ländern vergleichen will und nicht die Preisunterschiede, der muss nach KKP gehen.
Ich will jetzt keine volkswirtschaftliche Abhandlung schreiben, aber ich musste die kurze Erklärung vorschicken, damit verständlich wird, warum Russland Deutschland demnächst überholen und auf Platz fünf der größten Volkswirtschaften der Welt aufsteigen könnte.
Wenn man das nominale BIP nimmt, dann steht Deutschland 2017 in der Welt auf Platz 5 mit 3.684 Milliarden Dollar und einem Wirtschaftswachstum von 5%. Daran sieht man die oben genannten Schwächen des nominalen BIP, denn wir alle wissen, dass die deutsche Wirtschaft nicht um 5% pro Jahr wächst. Russland steht demnach auf Platz 12 mit 1.527 Milliarden und einem Wachstum von 12%, was ebenfalls jenseits der Realität ist.
Wenn man das BIP aber nach KPP berechnet, dann steht Deutschland mit 4.170 Milliarden auf Platz 5 und Russland auf Platz 6 mit 4.007 Milliarden, wie man auf dem Screenshot sieht.
Das liest man in der Presse nie, dort wird gemeldet, Russland leide furchtbar unter westlichen Sanktionen. Und diese Zahlen waren auch für mich eine Überraschung, es sind aber alles Zahlen des IWF, einmal die Liste der Volkswirtschaften nach nominalem BIP und nach BIP nach KKP. Diese Daten kann jeder überprüfen, ich habe sie von Wikipedia genommen und die angegebenen Quellen beim IWF gegengeprüft. Es stimmt also.
Und wenn man nun noch berücksichtigt, dass dies Zahlen von 2017 sind und dass das deutsche Wirtschaftswachstum sich momentan verlangsamt, die russische Wirtschaft aber nach der Krise von 2014/2015 wieder Fahrt aufnimmt, ist es gut möglich, dass Russland demnächst an Deutschland vorbeizieht, denn es trennen sie kaum noch 4%.