Foto: Jochen Zick/action press - CC0 1.0

Bonds — die größte Blase aller Zeiten?

Louis-Vincent Gave, CEO und Mit­gründer von Gavekal Research, äußert sich in einem Interview mit der NZZ zu den Aus­sichten an den Finanz­märkten. Auch er spricht von „Bonds als der größten Blase aller Zeiten“– wie John Plender von der FT, den wir heute Morgen zu dem Thema hatten. Aber damit nicht genug. Ein ins­gesamt wenig erbau­licher Blick auf die Weltlage nach Jahr­zehnten der Schul­den­wirt­schaft und der noten­bank­ge­för­derten Spekulation:
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  • „Noch vor wenigen Wochen han­delten Bonds im Umfang von 17 Bio. $ mit nega­tiver Rendite. (Dafür) gibt es nur drei mög­liche Erklä­rungen: Erstens, die Welt­wirt­schaft steht vor einem Zusam­men­bruch epi­schen Aus­maßes. Zweitens, der Bond­markt ist die größte Blase, die wir je gesehen haben. Und drittens, wir haben in den letzten Wochen eine gewaltige Kauf­panik in Anleihen erlebt.“ – Stelter: wobei das eigentlich kein dritter Grund ist, sondern nur eine Unter­aus­prägung der beiden anderen. Also: Zusam­men­bruch oder Blase? Nun, beides ist aus meiner Sicht durchaus denkbar.
  • „Wir sehen ohne Zweifel eine Ver­lang­samung, besonders in der Industrie. Grund dafür ist eine struk­tu­relle Abschwä­chung im Auto­mo­bil­sektor, die zum Bei­spiel auch den Ein­bruch des ver­ar­bei­tenden Gewerbes in Deutschland erklärt. Ein oft über­se­henes Thema ist das Fiasko mit der Boeing 737 Max, das in zahl­reichen Volks­wirt­schaften die Lie­fer­ketten belastet hat. Unsi­cher­heiten im Zusam­menhang mit dem Han­dels­krieg haben die Inves­ti­ti­ons­ent­scheide der Unter­nehmen gehemmt, und nicht zuletzt ver­langsamt sich die chi­ne­sische Wirt­schaft. Aber: Das ist eine Kon­junk­tur­ab­kühlung und keine Kern­schmelze in der Form, wie der Anlei­hen­markt sie sug­ge­riert.“ – Stelter: Wir wissen, dass es immer kleinere Aus­löser braucht, um an den Finanz­märkten eine Krise aus­zu­lösen. Das ver­gisst er hier. Der immer höhere Leverage macht das System anfälliger.
  • „Chinas Wirt­schaft kämpft zwar mit struk­tu­rellen Pro­blemen – dazu gehören die Ver­schuldung und die Demo­grafie, um zwei zu nennen –, aber ins­gesamt sta­bi­li­siert sich die Kon­junktur. (Das Land wird aber die Welt nicht erneut retten). Das Land hat die Welt­wirt­schaft Ende 2008 und erneut Ende 2015 aus dem Sumpf gezogen, und als Dank erhält es von Donald Trump einen Tritt ans Schienbein. Der zweite Grund ist, dass Sti­mu­lus­mass­nahmen in China bevorzugt über den Immo­bi­li­en­sektor funk­tio­nieren. Aber dieser läuft schon recht heiß, die Städte brauchen nicht noch höhere Immo­bi­li­en­preise.“ – Stelter: Klar ist aber auch, dass der Versuch, die Abhän­gigkeit von neuen Schulden zu redu­zieren, ent­spre­chend dämpfend wirkt.
  • „Der Pri­vat­konsum in den USA ent­wi­ckelt sich wei­terhin erfreulich, China bricht nicht zusammen. In vielen Staaten wird über Fis­kal­pro­gramme dis­ku­tiert. Rund um den Globus senken Zen­tral­banken die Zinsen und Regie­rungen die Steuern. Wie kann all das positiv sein für Anleihen? Daher meine Über­zeugung, dass der Obli­ga­tio­nen­markt die grösste Blase unserer Leb­zeiten ist.“ – Stelter: Wenn er recht hat mit seiner Ein­schätzung bezüglich der kon­junk­tu­rellen Ent­wicklung, stimmt das natürlich. Es hängt von diesem Faktor ab. Und wir haben gesehen, dass es auch Anzeichen gibt für eine Rezession und zugleich für eine immer größere Anfäl­ligkeit für Stö­rungen an den Finanzmärkten.
  • „In jeder Blase braucht es zwei Über­zeu­gungen. Die erste ist der Glaube, dass es diesmal anders ist. Dafür musst man bereit­willig jeg­liche Skepsis über Bord werfen. Der zweite Faktor in jeder Blase ist der Glaube, dass man all diese Ver­mö­gens­werte kaufen kann, weil es immer einen noch grö­ßeren Idioten gibt, der sie in Zukunft zu einem höheren Preis erwerben wird. Diese beiden Über­zeu­gungen sind heute evident.“ – Stelter: Und der Idiot sind im heu­tigen Fall die Noten­banken. Kann doch passieren.
  • Demo­grafie, Deflation und Ver­schuldung sind die drei Fak­toren, die angeblich dazu führen sollen, dass wir für immer Null- oder gar negative Zinsen haben werden. Aber das glaube ich nicht. (…) In den letzten dreissig Jahren hat die Gene­ration der Baby­boomer gespart; sie hat in ihre Vor­sorge und in Lebens­ver­si­che­rungen ein­ge­zahlt – de facto kauften sie Anleihen. (…) Wenn die Baby­boomer in den Ruhe­stand treten, beginnen sie, ihre Pen­si­ons­kas­sen­er­spar­nisse zu liqui­dieren. Für Bonds ist das kei­neswegs vor­teilhaft.“ – Stelter: Das stimmt und wird auch in einigen Studien bereits so ange­nommen. Über einen Pro­zent­punkt sollen dann die Zinsen steigen. Doch haben wir auf der anderen Seite den Aspekt, dass jeder Zins­an­stieg wie ein Margin Call wirkt. Nicht zufällig begannen die Tur­bu­lenzen an den Finanz­märkten in der Ver­gan­genheit bei immer tie­feren Zinsniveaus.
  • „Das Argument der hohen Schulden ist unbe­stritten stark; der welt­weite Schul­den­überhang hemmt das Wachstum. Aber ich halte nichts vom Argument, dass wir überall Deflation sehen. Schauen Sie sich den mitt­leren Kon­su­men­ten­preis­index in den USA an: Er notiert auf einem Zehn­jah­reshoch. Überall auf der Welt sehe ich kleine Revo­lu­tionen, in Frank­reich mit den Gilets Jaunes, in Gross­bri­tannien mit dem Brexit, in Amerika mit der Wahl von Trump. (…) Revo­lu­tionen sind typi­scher­weise das Ergebnis von Inflation. Marx lag in vielen Dingen falsch, aber es stimmt, dass Inflation eine zutiefst desta­bi­li­sie­rende Wirkung hat.“ – Stelter: Vor allem haben wir eine Ver­mö­gens­preis­in­flation. Ande­rer­seits würde ich schon sagen, dass die Schulden nicht nur das Wachstum hemmen, sondern vor allem auch dazu führen, dass wir ein immer anfäl­li­geres Finanz­system haben. Ich denke, über diesen Aspekt geht er zu leicht hinweg.
  • „Wer heute Bonds kauft, glaubt, dass die EZB, die Bank of Japan, und neu­er­dings auch wieder die US-Notenbank, jederzeit ein­greifen und Bonds kaufen werden. (Doch:) Werden die Zen­tral­banken wei­terhin Anleihen kaufen, unab­hängig davon, was pas­siert? Das bringt uns zurück zur Frage der Inflation. (…) wenn die Ener­gie­preise aus irgend­einem Grund in die Höhe schiessen, wird es für die Zen­tral­banken viel schwie­riger, zu behaupten, es gebe keine Inflation. Dann wird es auch schwie­riger für sie, ihre Nega­tiv­zins­po­litik fort­zu­setzen.“ – Stelter: Nun sind wir ja par­allel auf dem Weg, die Abhän­gigkeit von Öl etc. zu redu­zieren. So, wie das in ein­zelnen Ländern gemacht wird, könnte man schon meinen, dass es zu wei­teren Kos­ten­stei­ge­rungen führt, unab­hängig davon wie die Ölpreise sich ent­wi­ckeln. Spreng­stoff genug für soziale Unzufriedenheit.
  • „Wir stehen am Beginn eines neuen kalten Krieges. (…) Die Ame­ri­kaner wollen China zurück­drängen und dafür sorgen, dass die USA die domi­nie­rende Wirt­schafts­macht der Welt bleiben. (…) Washington hat beschlossen, den Kon­flikt in den Bereich der Tech­no­logie zu ver­lagern, denn dort haben die USA einen Wett­be­werbs­vorteil. Wenn es sich tat­sächlich bloss um einen Han­dels­krieg han­delte, würde die US-Regierung dann den Chip­her­stellern ver­bieten, ihre Pro­dukte an Huawei zu ver­kaufen? Natürlich nicht. Wenn es nur ein Han­dels­krieg wäre, würden die Ame­ri­kaner mehr Waren an die Chi­nesen ver­kaufen wollen. Das Schlachtfeld des Krieges ist der Tech­no­lo­gie­sektor.“ – Stelter: Und dieser hätte in der Tat das Potenzial, zu einem Zins-Schock zu führen. Doch selbst da denke ich, dass Noten­banken, die sagen, ich kaufe alles zu einem fest­ge­legten Preis, um die Zinsen sta­bi­li­sieren zu können, bis zu dem Punkt wo das Geld­system kollabiert.
  • „Es ist ver­rückt, dass sich die grossen US-Tech­no­lo­gie­aktien an der Börse immer noch so gut ent­wi­ckeln. Der IT-Sektor wurde zum Schlachtfeld für den neuen kalten Krieg aus­er­koren, und dennoch gehen die Inves­toren hin und kaufen Tech­no­lo­gie­aktien. Das ist ver­rückt. Das ist wie der Kauf von Immo­bilien im Elsass im Juli 1914. Wenn Sie etwas nicht wollen, dann sind es Ver­mö­gens­werte auf dem Schlachtfeld.“
  • „Viele Inves­toren besitzen heute ein frag­wür­diges Port­folio: Sie besitzen Wachs­tums­aktien wie den US-Tech­no­lo­gie­sektor, und sie sichern diese Position mit Anleihen ab. Sie halten also über­be­wertete Aktien und sichern sie mit über­be­wer­teten Bonds ab. Das erscheint mir nicht sehr intel­ligent. Beide Seiten dieses Port­folios schneiden nur in einem Umfeld anhal­tender geld­po­li­ti­scher Lockerung erfreulich ab; beide Seiten wetten darauf, dass die Zen­tral­banken für immer Nega­tiv­zinsen bei­be­halten werden.“ – Stelter: Es wider­strebt mir ja, aber selbst mir fällt es schwer, mir einen Aus­stieg aus dem Nied­rig­zins­umfeld vor­zu­stellen, einfach, weil die Schulden- und Ver­mö­gens­blase dann platzen muss.
  • „Was wäre intel­li­genter? Ich würde Aktien kaufen – mit einem Unter­ge­wicht in den USA –, und ich würde sie mit Ener­gie­werten absi­chern. Statt Bonds zu kaufen, würde ich auf Aktien wie Total, BP und Royal Dutch Shell setzen. Sie bieten eine Absi­cherung, falls die Ener­gie­preise in die Höhe schießen. Zudem offe­rieren sie eine Divi­den­den­rendite von 5 bis 6%. Für mich sind Ener­gie­aktien gewis­ser­maßen die neuen Anleihen. Außerdem würde ich etwas Bargeld in meiner Allo­kation halten.“ – Stelter: Ich habe mich ver­schie­dentlich für Ölwerte aus­ge­sprochen. Zwar geht der Kampf gegen diese Umwelt­sünder erst richtig los und es wird eine Sub­sti­tution geben. Dennoch kann man mit diesen Werten ver­mutlich noch einige Zeit gut Geld verdienen.

  • „Es ist zunehmend wahr­scheinlich, dass die Demo­kraten Elizabeth Warren als Kan­di­datin auf­stellen werden. Und sobald ihre Nomi­nierung klarer wird, werden die Märkte eine Wahr­schein­lichkeit von 50% ein­preisen, dass Warren Trump schlagen wird. Sie könnte das am wei­testen links poli­ti­sie­rende Staats­ober­haupt in der Geschichte der USA werden: Sie will Banken stärker regu­lieren, die grossen Tech-Kon­zerne auf­spalten, und sie ver­spricht, Ölfracking zu ver­bieten. Damit wird sie die wich­tigsten Wett­be­werbs­vor­teile Ame­rikas angreifen: Finanz, Tech­no­logie und Energie. Vor diesem Hin­ter­grund könnten sich viele aus­län­dische Inves­toren etwas von den USA abwenden.“ – Stelter: Hinzu kommt, dass die US-Börse sehr teuer ist.
  • „Der Dollar hatte mehrmals die Gele­genheit, nach oben aus­zu­brechen: etwa 2018, als das Fed die einzige Zen­tralbank weltweit war, die die Zinsen erhöhte. Oder in diesem Sommer, als Dol­lar­an­leihen fast die ein­zigen am Markt waren, die noch eine positive Rendite abwarfen. Und auch vor zwei Wochen, als der Repo-Markt in den USA einfror. Doch der Dollar legte nicht weiter zu. Das zeigt mir, dass wir offenbar einen Dol­lar­mangel in den USA haben, aber keinen Dol­lar­mangel im Rest der Welt. Wenn über­haupt, erwarte ich eine Abschwä­chung des Greenback. Und das wäre positiv für die Schwel­len­länder. Zum einen, weil die Märkte beginnen, das Risiko einer Warren-Prä­si­dent­schaft ein­zu­preisen. Aus­serdem weisen die USA ein enormes Haus­halts­de­fizit auf. Jedes Jahr müssen 1,3 bis 1,5 Bio. $ an neuen Tre­asuries vom Markt absor­biert werden. Da sich immer mehr aus­län­dische Inves­toren von den USA abwenden, denke ich, dass das Fed keine andere Wahl haben wird, als seine Politik der quan­ti­ta­tiven Lockerung wieder auf­zu­nehmen. Es wird wohl zu einer Mone­ti­sierung der Staats­schulden in den USA kommen. Das ist schlecht für den Dollar.“ – Stelter: Genau, wir bekommen das Sze­nario, in dem die USA schneller mone­ta­ri­sieren als die Eurozone. Stär­kerer Euro ist deshalb denkbar, aller­dings nicht, weil er gesünder ist, sondern nur weil der Dollar schneller schlecht wird. Am Ende steht dennoch der Eurokollaps.

Dr. Daniel Stelter – www.think-beyondtheobvious.com