Kata­lonien: Was die “Wer­te­ge­mein­schaft” darf, dürfen andere noch lange nicht

In diesem Teil der Son­der­reihe wollen wir uns einmal die Lage in Kata­lonien anschauen. Das wird besonders inter­essant, wenn wir die Reaktion von Politik und Medien mit anderen Pro­testen vergleichen.
In Kata­lonien geht es um die Frage der Unab­hän­gigkeit von Spanien. Das müssen wir also erst einmal juris­tisch ein­ordnen und uns die Hin­ter­gründe anschauen. Wenn die Kata­lanen den Wunsch haben, sich von Spanien unab­hängig zu erklären, dann gibt ihnen das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker dazu das Recht. In einem Kom­mentar hat ein Leser darauf hin­ge­wiesen, dass das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker in solchen Fällen nicht anwendbar wäre, weil „Sub­jekte des Völ­ker­rechts“ in der Regel nur Staaten sind und Volks­gruppen ohne eigenen Staat sich daher nicht auf dieses Recht berufen können. Das stimmt seit dem Urteil des Inter­na­tio­nalen Gerichts­hofes zum Kosovo nicht mehr, denn das Gericht hat dort unmiss­ver­ständlich fest­ge­stellt, dass eine Unab­hän­gig­keits­er­klärung nicht gegen das Völ­ker­recht ver­stößt, auch wenn sie nach den Gesetzen des Staates illegal ist.
Das ist im Falle von Kata­lonien der Fall. Nach spa­ni­schem Recht darf Kata­lonien sich nicht unab­hängig erklären, nach dem Völ­ker­recht aber schon. Und in Kata­lonien wurde 2017 ein Refe­rendum über die Unab­hän­gigkeit abge­halten, was Spanien zu ver­hindern ver­sucht hat, wor­aufhin der spa­nische Staat gewaltsam ein­ge­griffen und die Ver­ant­wort­lichen ver­haftet hat.
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Vor zehn Tagen wurde diese Leute nun zu lang­jäh­rigen Haft­strafen ver­ur­teilt und das war der Grund für die aktu­ellen Pro­teste in Katalonien.
In den Medien wird es so dar­ge­stellt, als seien die Demons­tranten radikal und gewalt­bereit. Und das dürfte für einen Teil auch stimmen, aber die Mehrheit demons­triert friedlich. Aller­dings ist die Polizei dort ganz und gar nicht zim­perlich, wie man zum Bei­spiel hier sehen kann (Achtung, nichts für schwache Nerven!). Und solche Videos bekomme ich mas­senhaft geschickt. Das ein solches Ver­halten der Polizei die Demons­tranten radi­ka­li­siert, ist kaum vermeidbar.

Erinnern Sie sich an den zweiten Teil dieser Son­der­reihe über Hongkong? Dort haben west­liche Poli­tiker und Medien alles Ver­ständnis der Welt für die Gewalt der Demons­tranten auf­ge­bracht, weil die Polizei dort ja angeblich so brutal ist. Im Falle von Spanien, wo die Polizei tat­sächlich aus­ge­sprochen brutal ist, fehlt den Poli­tikern Medien dieses Ver­ständnis hin­gegen vollkommen.
Nach offi­zi­ellen Zahlen, die am 20. Oktober, also nach der ersten Pro­test­woche, ver­öf­fent­licht wurden, sind in Kata­lonien über 600 Men­schen ver­letzt und 194 ver­haftet worden. Auch wenn es Gott sei Dank noch keine Toten gegeben hat, sind dies aber Zahlen, die eher an einen Bür­ger­krieg erinnern, als an Demonstrationen.
Erinnern Sie sich noch an die Pro­teste in Moskau diesen Sommer? Was gab es da für einen Medi­enhype und wie laut waren die Pro­teste der Bun­des­re­gierung! Wenn man jedoch die Fakten ver­gleicht, wird schnell klar, wie geheu­chelt das war: In Moskau sind ca. zehn Men­schen tat­sächlich zu Haft­strafen ver­ur­teilt worden, für alle anderen blieb es Ord­nungs­wid­rig­keiten. Und obwohl die Medien ständig über die angeblich so brutale, rus­sische Polizei berichtet haben, gab es nur einen Fall von Poli­zei­gewalt, der akten­kundig wurde. Und über den haben die deut­schen Medien nicht einmal berichtet, weil dann ja klar geworden wäre, dass es die angeb­liche Poli­zei­gewalt in Moskau gar nicht gegeben hat, über die sie täglich berichtet haben.
In Moskau gab es eine Ver­letzte, in Kata­lonien schon über 600. In Moskau wurden ca. 20 Men­schen in Unter­su­chungshaft genommen und ca. zehn zu Haft­strafen ver­ur­teilt, in Kata­lonien sind 194 in Poli­zei­ge­wahrsam, man wird abwarten müssen, was ihnen vor­ge­worfen wird und zu welchen Strafen das führt. Aber trotzdem waren Medien und Politik bei den Pro­testen in Moskau außer Rand und Band und in Kata­lonien finden sie das alles irgendwie okay. Was ist das, wenn nicht messen mit zwei­erlei Maß?
Aber ehr­li­cher­weise muss man ein­ge­stehen, dass das auch offen zuge­geben wird. Auf der Bun­des­pres­se­kon­ferenz hat die Regierung mit­ge­teilt, dass man sich ja mit Spanien in einer „Wer­te­ge­mein­schaft“ befindet. Das gilt natürlich nicht für Russland. Das muss man wohl so ver­stehen, dass Poli­zei­gewalt, mas­sen­hafte Fest­nahmen und hun­derte Ver­letzte, dar­unter übrigens ca. 60 Jour­na­listen, völlig in Ordnung sind und mit den „Werten“ irgendwie in Ein­klang stehen. So zumindest muss man wohl die Erklä­rungen ver­stehen, die die Regie­rungs­sprecher der deut­schen Bun­des­re­gierung auf Jour­na­lis­ten­fragen abgeben.

Man stelle sich einmal vor, was wohl in den deut­schen Medien los gewesen wäre, wenn in Moskau auch nur ein ein­ziger Jour­nalist ver­letzt worden wäre. Aber in Spanien – und auch übrigens in Frank­reich – ist das für die „Wer­te­ge­mein­schaft“ anscheinend kein Problem. Über­haupt habe ich ja in dieser Son­der­reihe schon fest­ge­stellt, dass für Frank­reich noch einmal ganz andere Regeln zu gelten scheinen, denn über die Pro­teste da und auch die Poli­zei­gewalt wird in Deutschland gar nicht berichtet, wie zuletzt die Pro­teste der Feu­er­wehr­leute in Frank­reich gezeigt haben, die unbe­achtet von der deut­schen Presse brutal nie­der­ge­knüppelt wurden. 


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“