Kon­spi­rative poli­tische Händel zu Ungunsten Südtirols

Wie ein bisher weit­gehend im Dunkel ver­bor­gener Emissär das Nach­kriegs­ge­schehen zwi­schen Wien und Rom hinter den Kulissen zu beein­flussen vermochte

Von Reynke de Vos

Die Brenner-Grenze ist wieder da. Unter völ­ker­wan­de­rungs­artig anschwel­lendem Zustrom afri­ka­nisch-ori­en­ta­li­scher Migranten über die „Italien-Route“ nach Mit­tel­europa nimmt der enge Gebirgs­ein­schnitt wieder seine Rolle als neur­al­gi­sches Kon­troll-Areal am Übergang zum Bun­desland Tirol ein, welches seit dem Schlagbaum-Abbau nach Öster­reichs EWG-Bei­tritt  (1. Januar 1995) als obsolet galt. Ver­schwunden war sie ja nicht wirklich, sondern lediglich „nicht mehr spürbar“, wie eine medial wider­hal­lende ste­reo­ty­pi­sierte Polit­formel besagte und eher ober­fläch­liche Betrachtung von Fahr­zeug­insassen darüber hin­weg­rol­lender Auto­mo­bil­ko­lonnen nahelegte.

Ob unmit­telbar nach dem Zweiten Welt­krieg tat­sächlich die Chance für die in viel­fachen ein­drück­lichen Wil­lens­be­kun­dungen der Bevöl­kerung sowie die in poli­ti­schen und kirch­lichen Peti­tionen zum Aus­druck gebrachte For­derung nach Wie­der­ver­ei­nigung des 1918/19 geteilten Tirols bestand, ist unter His­to­rikern umstritten. Unum­stritten ist, dass das Gruber-De Gasperi-Abkommen vom 5. Sep­tember 1946,  Grundlage für die (weit später erst errungene) Auto­nomie der „Pro­vincia autonoma di Bolzano“, dem die regie­renden Par­teien sowie der zeit­geist­fromme Teil der Oppo­sition in Wien, Inns­bruck und Bozen heute den Rang einer „Magna Charta für Süd­tirol“ zubil­ligen, sich für Öster­reichs Politik jahr­zehn­telang als „furchtbare Hypothek“ (Bruno Kreisky) erwies.

Das Gruber-De Gasperi-Abkommen („Pariser Abkommen“) vom 5. Sep­tember 1946    Foto: R.O.

Gruber und De Gasperi

Allem Anschein nach fügte sich der öster­rei­chische Außen­mi­nister Gruber sei­nerzeit ebenso seinem ita­lie­ni­schen Gegenüber Alcide De Gasperi  wie den drän­genden Sie­ger­mächten, um über­haupt etwas mit nach Hause bringen zu können. Es waren jedoch  nicht allein die aus der (geo)politischen Lage her­rüh­renden Umstände und die Unzu­läng­lich­keiten des damals zur Pariser Frie­dens­kon­ferenz ent­sandten öster­rei­chi­schen Per­sonals sowie das mit­unter selbst­herr­liche Gebaren Grubers respektive der Druck, den die (west)alliierten Sie­ger­mächte auf die Betei­ligten aus­übten und schließlich ein anderes als das von den (Süd-)Tirolern erhoffte Ergebnis zei­tigten. Eine soeben erschienene Doku­men­tation des Linzer Zeit­his­to­rikers  Helmut Golo­witsch zeigt, dass auch hinter den Kulissen Akteure emsig und weit­gehend inko­gnito am Geschehen beteiligt waren.

Fabrikant Rudolf Moser   Foto: Archiv Golowitsch

Ins­be­sondere ein Kärntner Unter­nehmer übte einen bisher weithin unbe­kannten und im Blick auf das von der weit über­wie­genden Bevöl­ke­rungs­mehrheit in beiden Tirol sowie in ganz Öster­reich erhoffte Ende der Teilung des Landes fatalen Ein­fluss aus. Sein laut­loses Mit­wirken inko­gnito erstreckte sich nahezu auf den gesamten für den Süd­tirol-Kon­flikt zwi­schen Öster­reich und Italien bedeut­samen Gesche­hens­ablauf vom Kriegsende bis zur soge­nannten „Paket“-Lösung Ende der 1960er Jahre, bis­weilen lenkte er ihn in bestimmte Bahnen.

Hinter den Kulissen

Der Mann hieß Rudolf Moser, war 1901 in Wien geboren und in der christlich-sozialen Bewegung poli­tisch sozia­li­siert worden. In Sach­senburg (Kärnten) leitete er die „A. Moser & Sohn, Holz­stoff- und Pap­pen­fabrik“, und als Indus­tri­eller gehörte er der vor allem auf die regie­rende Öster­rei­chische Volks­partei (ÖVP) stark ein­wir­kenden Bun­des­kammer der gewerb­lichen Wirt­schaft an. Mit dem ersten Bun­des­kanzler Leopold Figl, den er als seinen „engsten Jugend­freund“ bezeichnete, verband ihn wie er ver­merkte, „in allen Belangen …. stets gegen­seitige und voll­ständige Über­ein­stimmung und Treue“.

  

Im öster­rei­chi­schen Stän­de­staat der Ersten Republik war Rudolf Moser (Bild links) „Gauführer“ der „Ost­mär­ki­schen Sturm­scharen“ in Kärnten-Ost­tirol. Sein Freund, der spätere öster­rei­chische Bun­des­kanzler Leopold Figl (ÖVP), hatte die Funktion in Nie­der­ös­ter­reich inne (Bild rechts). Fotos: Archiv Golowitsch

Der Emissär

In Italien, wohin seine Firma gute Geschäfts­kon­takte unter­hielt, hielt sich Moser häufig für länger auf und kam mit nam­haften Per­sön­lich­keiten des Staates ebenso wie mit katho­li­schen Kreisen und dem Klerus in engen Kontakt. Moser, den auch Papst Pius XII. mehrmals in Rom per­sönlich empfing, wirkte zudem als Ver­trau­ensmann des Vatikans. Insofern nimmt es nicht wunder, dass sich der die ita­lie­nische Sprache mündlich wie schriftlich nahezu perfekt beherr­schende und absolut diskret agie­rende Moser nach 1945  geradezu ideal für die Auf­nahme, Pflege und Auf­recht­erhaltung einer trotz Süd­tirol-Unbill dennoch äußerst belast­baren Ver­bindung zwi­schen ÖVP und Demo­crazia Cris­tiana (DC) eignete, die sich welt­an­schaulich ohnedies nahe­standen. Dazu passte, dass er sich der Rolle des (partei)politischen Pos­tillons und ver­deckt arbei­tenden Unter­händlers mit geradezu mis­sio­na­ri­schem Eifer hingab.

Ver­kaufte „Her­zens­an­ge­le­genheit“

Das erste für das Nach­kriegs­schicksal der Süd­ti­roler bedeu­tende und in seiner Wirkung fatale Wirken Mosers ergab sich im Frühjahr 1946. Während nämlich die öster­rei­chische Bun­des­re­gierung offi­ziell – besonders Kanzler Figl, der in seiner Regie­rungs­er­klärung am 21. Dezember 1945 vor dem Natio­nalrat gesagt hatte: „Eines aber ist für uns kein Poli­tikum, sondern eine Her­zens­sache, das ist Süd­tirol. Die Rückkehr Süd­tirols nach Öster­reich ist ein Gebet jedes Öster­rei­chers“  – die Selbst­be­stim­mungs­lösung mittels Volks­ab­stimmung ver­langte, die Außen­mi­nister Gruber gegenüber den Sie­ger­mächten und dem Ver­treter Ita­liens in Paris bis dahin eini­ger­maßen auf­recht erhalten hatte, wurde Rom auf der Ebene par­tei­po­li­ti­scher Bezie­hungen ver­traulich darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich Wien gege­be­nen­falls auch mit einer Auto­no­mie­lösung anstelle eines Ple­biszits ein­ver­standen erklären könne. Das Signal dazu gab Figl via Moser, der über Ver­mittlung eines  Priesters aus dem Trentino den gebür­tigen Tri­en­tiner De Gasperi am 3. April 1946 im Palazzo del Viminale, dem Amtssitz des ita­lie­ni­schen Minis­ter­prä­si­denten, zu einer aus­gie­bigen geheimen Unter­redung traf.

Als Kanzler Figl (Bild links) in Inns­bruck 155.000 Unter­schriften für die Rückkehr Süd­tirols zu Öster­reich ent­ge­gennahm und  „Wir wollen unser Süd­tirol wieder!“ ausrief, hatte der geheime Emissär  Rudolf Moser (links im rechten Bild) dem ita­lie­ni­schen Minis­ter­prä­si­denten De Gasperi (im Vor­der­grund des rechten Bildes) bereits die Bereit­schaft Wiens zum Ver­zicht auf Süd­tirol über­mittelt. Fotos: Archiv Golowitsch

Dass das Duo Figl/Moser damit Grubers Akti­vi­täten kon­ter­ka­rierte, dürfte auch dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass die beiden ÖVP-Poli­tiker Figl und Gruber ein­ander sozu­sagen „in herz­licher Abneigung“ zugetan waren. Dass es dem Kanzler primär um gut­nach­bar­schaft­liche poli­tische (und wirt­schaft­liche) Bezie­hungen Wiens zu Rom sowie viel­leicht mehr noch um freund­schaft­liche Ver­bin­dungen zwi­schen seiner ÖVP mit De Gas­peris DC zu tun war und dass er damit der alldem ent­ge­gen­ste­henden Sache Süd­tirols – wider alle öffent­lichen Bekun­dungen und Ver­laut­ba­rungen — schadete, spricht Bände.

Wider­sprüch­liches Gebaren

Dieses wider­sprüch­liche poli­tische Gebaren sollte sich, wie die von dem ober­ös­ter­rei­chi­schen For­scher Helmut  Golo­witsch erstellte Doku­men­tation zeigt, unter allen auf Figl fol­genden ÖVP-Kanzlern bis in die für das öster­rei­chisch-ita­lie­nische Ver­hältnis äußerst schwie­rigen 1960er Jahre fort­setzen, unter der ÖVP-Allein­re­gierung unter Josef Klaus ihren Kul­mi­na­ti­ons­punkt erreichen  und darüber hinaus – wie man als Beob­achter spä­terer Phasen hin­zu­fügen muss — gleichsam eine poli­tische Kon­stante bilden, der in aller Regel die bean­spruchte Schutz(macht)funktion  Öster­reichs für Süd­tirol unter­ge­ordnet worden ist. Allen damals füh­renden ÖVP-Granden stand Rudolf Moser als emsig bemühtes,  lautlos  wer­kendes und wir­kendes Fak­totum zur Seite: Sei es als Orga­ni­sator kon­spi­rativ ein­ge­fä­delter Spit­zen­treffen inko­gnito – mehrmals in seinem Haus in Sach­senburg — , sei es als Emissär, mal als besänf­ti­gender Schlichter, mal ope­rierte er als anspor­nender Impuls­geber. Mit­unter war er ver­deckt als Capo einer geheimen ÖVP-Son­die­rungs­gruppe unterwegs oder auch gänzlich unver­deckt als Mit­glied einer offi­zi­ellen ÖVP-Dele­gation auf DC-Par­tei­tagen zugegen. Und nicht selten nahm er die Rolle eines Beschwich­tigers von ÖVP-Poli­tikern und ‑Funk­tio­nären wahr.

Geheime Treffen

So regte er die erste geheime Begegnung Figls mit De Gasperi an, wie aus einem mit Briefkopf des Kanzlers ver­se­henen Schreiben vom 16. Juli 1951 an Moser  her­vorgeht. Das „inof­fi­zielle Zusam­men­treffen“  fand im August 1951 – der genaue Tag ließ sich nicht rekon­stru­ieren — im Hin­ter­zimmer eines Gast­hauses am Karerpass in Süd­tirol statt, wohin der in Matrei (Ost­tirol) som­mer­fri­schende öster­rei­chische und der in Borgo (Valsugana) urlau­bende ita­lie­nische Regie­rungschef reisten, um sich „auf halbem Wege“ und „nach außen hin zufällig“ zu treffen. Über Inhalt und Ergebnis dieses ersten Geheim­treffens, worüber es keine Auf­zeich­nungen gibt — und wei­terer kon­spi­ra­tiver Begeg­nungen mit anderen Per­sön­lich­keiten — wurden weder  Süd- noch Nord­ti­roler Poli­tiker infor­miert. Während des gesamten Zeit­raums, für die Golo­witschs Doku­men­tation steht, agierten ÖVP-Kanzler und ÖVP-Par­tei­führung unter gänz­lichem Umgehen der dem süd­lichen Lan­desteil natur­gemäß zuge­tanen Tiroler ÖVP.

 

Als der Nord­ti­roler Lan­des­hauptmann Eduard Wallnöfer (Foto) erkennen musste, dass die Tiroler ÖVP von der Wiener Par­tei­zen­trale in Süd­tirol-Ange­le­gen­heiten ständig über­gangen wurde, plante er eine Abspaltung der Lan­des­partei von der „Mut­ter­partei“ nach CSU-Vorbild.                          Foto: Archiv Golowitsch

Das ging sogar so weit, dass der legendäre Lan­des­hauptmann Eduard Wallnöfer wegen „wach­sender Unstim­mig­keiten mit der Wiener Par­tei­zen­trale“  — ins­be­sondere während der Kanz­ler­schaft des Josef Klaus, zu dem er ein „unter­kühltes Ver­hältnis“ gehabt habe (Michael Gehler  –  eine „Unab­hängige Tiroler Volks­partei“ (nach Muster der baye­ri­schen CSU) ernsthaft in Erwägung zog. Indes war der aus dem Vinschgau stam­mende Wallnöfer   – nicht allein wegen der Süd­tirol-Frage, aber vor allem in dieser Ange­le­genheit  –  dem  Außen­mi­nister und nach­ma­ligen Kanzler Bruno Kreisky (SPÖ) aus­ge­sprochen freund­schaftlich verbunden.

Delikate Besuche

Für das zweite  Geheim­treffen Figls mit De Gasperi am 18. und 19. August 1952 sorgte Moser, der es arran­giert hatte, auch eigens dafür, den Minis­ter­prä­si­denten inko­gnito über den Grenz­übergang Win­nebach nach Ost­tirol zu schleusen und von dort aus auf sein Anwesen in Sach­senburg (Bezirk Spittal/Drau)  zu geleiten. Während zweier Tage unter­hielten sich De Gasperi und Figl bei aus­ge­dehnten Spa­zier­gängen unter vier Augen, niemand sonst war zugegen.

 

Moser (links im linken Bild) begrüßt den ita­lie­ni­schen Minis­ter­prä­si­denten De Gasperi bei dem Geheim­treffen vor seinem Haus in Sach­senburg. Anschließend finden bei aus­ge­dehnten Spa­zier­gängen ver­trau­liche Unter­re­dungen zwi­schen De Gasperi und Figl statt.        Fotos: Archiv Golowitsch

In einem spä­teren Rück­blick, ange­fertigt zu Weih­nachten 1973, ver­merkte  Moser: „Seit 1949 gab es in meinem Kärntner Landhaus gar viele Zusam­men­künfte, Bespre­chungen, Bera­tungen und Kon­fe­renzen, aber nicht selten wurden auch in fröh­lichem Zusam­mensein weit­rei­chende Beschlüsse gefaßt. Im Gäs­tebuch dieses ‚Hauses der Begegnung‘, wie es vielfach genannt wurde, gibt es von den deli­katen Besuchen fast kei­nerlei Ein­tra­gungen, weil ja jedwede Doku­men­tation ver­mieden werden sollte.“

 

Moser (rechts im Bild) begrüßt Bun­des­kanzler Julius Raab  in Sach­senburg.  Foto: Archiv Golowitsch

Auf Figl folgte Julius Raab. Auch er war in Sach­senburg zu Gast, bediente sich Mosers Diensten hin­sichtlich Ita­liens aber kaum. Das war auch gar nicht erfor­derlich, denn die poli­ti­schen Prio­ri­täten Wiens waren während Raabs Ägide vor­nehmlich auf das Aus­ver­handeln des Staats­ver­trags (1955) und damit das Wie­der­erlangen der Sou­ve­rä­nität gerichtet. Was dazu führte, dass es –  worüber  in Bozen und Inns­bruck Unmut herrschte  –  in der Süd­tirol-Politik zu keinen nen­nens­werten Akti­vi­täten oder Initia­tiven mehr kam.

Hand­rei­chung für Folterer

Nach De Gasperi, mit dem sich Moser auch wei­terhin freund(schaft)lich aus­tauschte, wech­selten in Italien die Regie­rungs­chefs beinahe jährlich; bis 1981 war das Amt des „Pre­si­dente del Con­siglio dei Ministri“ stets  sozu­sagen  ein „Erbhof“ der DC. Bis zum Abschluss des Süd­tirol-Pakets 1969 unter Mario Rumor, der zwi­schen 1968 und 1970 drei wech­selnden, DC-geführten und domi­nierten (Koalitions-)Regierungen vor­stand, hatten sieben DC-Regie­rungs­chefs 14 Kabi­netten vor­ge­standen. Mit allen pflegte(n) Moser (und die ÖVP) mehr oder weniger enge Kontakte.

Den ita­lie­ni­schen Minis­ter­prä­si­denten und spä­teren Innen­mi­nister Mario Scelba (DC), der Süd­ti­roler foltern ließ, nannte Moser seinen „guten Freund“.              Foto: Archiv Golowitsch

Zu Mario Scelba, der später   traurige Berühmtheit erlangte, weil unter seiner  Bil­ligung 1961 in Cara­bi­nieri-Kasernen  poli­tische Häft­linge aus den Reihen des „Befrei­ungs­aus­schusses Süd­tirol“ (BAS) gefoltert worden waren und er  als dama­liger Innen­mi­nister den Fol­ter­knechten dazu „freie Hand“ („mani libere“) gelassen hatten, waren sie ebenso intensiv wie zu Fer­nando Tam­broni, Antonio Segni, Amintore Fanfani und Aldo Moro. 1962 hatte Moser ein  geheimes Treffen zwi­schen dem stell­ver­tre­tenden DC-Gene­ral­se­kretär Gio­vanni Bat­tista Scaglia sowie der DC-Frak­ti­ons­vi­ze­chefin  Eli­sa­betta Conci und ÖVP-Gene­ral­se­kretär Hermann Withalm sowie Außen­amts­staats­se­kretär Ludwig Steiner ein­ge­fädelt, das in seinem Beisein am 12. Mai in der am Comer See gele­genen „Villa Bellini“ der mit ihm befreun­deten Papier­fa­bri­kantin Anna Erker-Hocevar  stattfand. Ein­mü­tiger Tenor des Treffens: Süd­ti­roler „Frie­dens­störer“ seien „gemeinsame Feinde“ und als solche „unschädlich zu machen“.

In dieser Villa am Lago di Como fand 1962 das von Moser arran­gierte Geheim­treffen öster­rei­chi­scher ÖVP-Poli­tiker und ita­lie­ni­scher DC-Poli­tiker statt.         Foto: Archiv Golowitsch

Moser bekundete stets, man müsse, wie er selbst, beseelt sein vom Willen „engster ver­trau­licher Zusam­men­arbeit …mit den auf­rechten Euro­päern und jenen Christen, welche den Mut haben, solche der Tat zu sein“  sowie bei­tragen zur „gemein­samen Ver­ur­teilung jeder Äußerung von unzeit­ge­mäßem Natio­na­lismus und unchrist­lichen Gewalt­taten“ und mit­helfen, jene Kräfte zu iso­lieren und aus­zu­schalten,  „die unbe­dingt Gegner einer Einigung, einer Ver­söhnung sind“.  An Scelba schrieb er am 16. Sep­tember 1961, er möge „im Alto Adige jene wahn­sin­nigen Radi­kalen iso­lieren, welche mit ver­bre­che­ri­schen Taten sich als Hand­langer des Bol­sche­wismus erweisen“.

ÖVP-Geheim­di­plo­matie

Mosers Enga­gement ging so weit, dass er sich nicht scheute, daran mit­zu­wirken, hinter dem Rücken des dama­ligen Außen­mi­nister Kreisky (SPÖ) sozu­sagen „christ­de­mo­kra­tische Geheim­di­plo­matie“ zu betreiben und dessen mit Giu­seppe Saragat aus­ge­han­deltes „Auto­nomie-Maß­nah­men­paket“  zu des­avou­ieren, welches die Süd­ti­roler Volks­partei (SVP) dann auch am 8. Januar 1965  für „zu mager“ befand und infol­ge­dessen ver­langte, es müsse nach­ver­handelt werden. Schon am 6. Januar 1962  hatte er in einer an zahl­reiche ÖVP-Poli­tiker und ‑Funk­tionäre ver­schickten „Süd­tirol-Denk­schrift“ bemerkt, Kreisky betreibe „eine dilet­tan­tisch geführte Außen­po­litik.“  Das bezog sich just auf den seit den ver­hee­renden Aus­wir­kungen des Gruber-De Gasperi-Abkommens ersten ziel­füh­renden und erfolg­reichen Schritt der Wiener Süd­tirol-Politik, nämlich der Gang Kreiskys 1960 vor die Ver­einten Nationen. Die Welt­or­ga­ni­sation zwang mittels zweier Reso­lu­tionen Italien zu „sub­stan­ti­ellen Ver­hand­lungen zur Lösung des Streit­falls“ mit Öster­reich, womit der Kon­flikt zudem inter­na­tio­na­li­siert und der römi­schen Behauptung, es handele sich um eine „rein inner­ita­lie­nische Ange­le­genheit“ die Grundlage ent­zogen worden war.

Ludwig Steiner und Kurt Waldheim

In den Rom-freund­lichen Kreisen der Bundes-ÖVP war dies jedoch mit Unwillen regis­triert  worden. Zunächst hatte ÖVP-Staats­se­kretär Ludwig Steiner ver­sucht, Kreisky zu bewegen, „die öster­rei­chische UNO Initiative zurück­zu­nehmen“,  denn „seiner Meinung nach  habe Italien in einer UNO Debatte d[er]z[ei]t. eine bessere Stellung und im übrigen solle man  nicht die west­lichen Freunde Öster­reichs stra­pa­zieren.“ Kreisky ver­merkte über Steiner : „Seit seinem Ein­tritt als Staats­se­kretär haben die Intrigen gegen die gemeinsame Außen­po­litik in hohem Maße zuge­nommen.“ Ebenso ver­geblich wie Steiner hatten auch (der spätere ÖVP-Außen­mi­nister)  Kurt Waldheim und der damalige Leiter der Poli­ti­schen Abteilung des Außen­mi­nis­te­riums, Heinrich Hay­merle, ver­sucht, Kreisky, wie dieser fest­hielt,  „in stun­den­langem Gespräch zu über­reden, dass wir uns jetzt aus der Affäre ziehen sollten … Andern­falls würde Öster­reich als ein Stö­ren­fried betrachtet werden, und dies wäre uns kei­neswegs zuträglich“.

 

Rudolf Moser (links) mit Außen­mi­nister Dr. Kurt Waldheim (rechts)     Foto: Archiv Golowitsch

Mosers viel­fäl­tiges und nicht eben ein­flusslos geblie­benes Wirken beschränkte sich indes nicht auf die eines Kon­takt­knüpfers oder Ver­bin­dungs­mannes zwi­schen ÖVP und DC. Er betä­tigte sich auch auf inter­na­tio­nalem  Parkett und vertrat die ÖVP auf den seit 1947 statt­fin­denden jähr­lichen Par­tei­kon­gressen der DC sowie auf den Jah­res­ta­gungen der „Nou­velles Équipes Inter­na­tio­nales“ (NEI), die sich 1965 in  „Union Euro­péenne des Démo­crates-Chré­tiens“ (EUDC) / „Euro­päische Union Christ­licher Demo­kraten“ (EUCD) umbe­nannte. Die von Gegnern als „Schwarze Inter­na­tionale“ ver­un­glimpfte EUCD ging 1998 in der Euro­päi­schen Volks­partei (EVP) auf.

Josef Klaus beugt sich römi­schem Druck

Der italo­phile Moser  ist nicht selten als poli­ti­scher Stich­wort­geber aus­zu­machen, wenn es um den Versuch der in Wien Regie­renden – ins­be­sondere der von der ÖVP gestellten Bun­des­kanzler  der ersten 25 Nach­kriegs­jahre – ging, sich des mehr und mehr als lästig emp­funden Süd­tirol-Pro­blems zu ent­le­digen. Dies trifft in Son­derheit auf die „Ära Klaus“ zu. Rudolf  Moser fun­gierte just in der Süd­tirol-Causa als dessen enger Berater und wirkte, wie stets zuvor, als graue Eminenz.  Die Regierung Klaus ließ sich — von Rom in der von Wien ange­strebten  EWG-Asso­zi­ierung  massiv unter Druck gesetzt — auf (verfassungs)rechtlich äußerst frag­würdige (bis uner­laubte) Händel ein, so bei­spiels­weise auf die auf sicher­heits­dienst­licher Ebene mit ita­lie­ni­schen Diensten ins­geheim ver­ab­redete Wei­tergabe poli­zei­licher Infor­ma­tionen über Süd­ti­roler, obwohl dies für poli­tische Fälle unzu­lässig war. Das Wiener Jus­tiz­mi­nis­terium und die für Rechts­hilfe zustän­digen Insti­tu­tionen wurden dabei kur­zerhand über­gangen. Für all dies und einiges mehr gab Klaus, der hin­sichtlich der Süd­tirol-Frage ähnlich dachte wie sein dekla­rierter Freund Rudolf Moser, allen For­de­rungen der ita­lie­ni­schen Seite bereit­willig nach. Moser hatte alles getan, um sowohl 1965 in Taormina, wo ein UECD-Kon­gress stattfand, als auch im Sommer 1966 ein geheimes Treffen in Pre­dazzo, wohin Klaus im Anschluss an seinen üblichen Urlaub (in Bonassola an der Ligu­ri­schen Küste) reiste, mit Aldo Moro zustande zu bringen.

Josef Klaus (ÖVP) und  Aldo Moro (DC) 1965  in Taormina.      Foto: Archiv Golowitsch

Aus dem Dunkel ans Licht

Mosers kon­spi­ra­tives Wirken endete 1969/70. Bevor er sich als Pen­sionist aufs Altenteil in seine Geburts­stadt Wien zurückzog, hin­terließ er seine gesamten Auf­zeich­nungen, Doku­mente und Pho­to­gra­phien  einem Kärntner Nachbarn. Begünstigt von einem glück­lichen Zufall war es Helmut Golo­witsch nach lang­wie­rigen Recherchen  gelungen, an den zeit­ge­schichtlich wert­vollen Fundus zu gelangen, in den zuvor noch nie ein His­to­riker ein Auge geworfen hatte.

Fotos: Archiv Golowitsch

Ergänzt durch Material aus dem im nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Lan­des­archiv ver­wahrten Nachlass Figls sowie durch einige Doku­mente aus dem Öster­rei­chi­schen Staats­archiv und dem Tiroler Lan­des­archiv hat er ihn umsichtig auf­be­reitet, aus­ge­wertet  und nunmehr in dieser volu­mi­nösen Doku­men­tation publi­ziert, worin er die für die Gesche­hens­er­hellung bri­san­testen Notizen Mosers erfreu­li­cher­weise fak­si­mi­liert wie­dergibt. Alle Moser’schen Doku­mente hat  Golo­witsch zudem zu jeder­manns Ein­blick und Nutzung dem Öster­rei­chi­schen Staats­archiv über­geben. Seiner Publi­kation, die ein bisher im Dunkel ver­bor­genes wich­tiges Kapitel der mit­tel­eu­ro­päi­schen Nach­kriegs­ge­schichte ins Licht hebt und, wie der Salz­burger His­to­riker Reinhard Rudolf Hei­nisch zurecht in seinem Vorwort schreibt, „durch dessen Ergeb­nisse die tra­gische Geschichte Süd­tirols nach 1945 in vielen Bereichen umge­schrieben werden muss“, ist weite Ver­breitung zu wünschen.

 

 

 

Helmut Golo­witsch: Süd­tirol – Opfer für das west­liche Bündnis. Wie sich die öster­rei­chische Politik ein unlieb­sames Problem vom Hals schaffte, Graz (Stocker-Verlag) 2017, Hard­cover, 607 Seiten,  ISBN 978–3‑7020–1708‑8,  Preis 34,80 €

 

Foto: Aus­schnitt des Buchcovers