Angela Merkel: "Der Staat bin ich!" © RMN (Château de Versailles) / Réunion des Musées Nationaux

Jamaika — Die Stern­stunde für Merkels Machiavellismus

Dass Merkel nun schon 12 Jahre lang regiert ist vor allem Aus­druck der Tat­sache, dass sie immer dra­ma­tisch unter­schätzt wurde. Wird sie jetzt wieder unterschätzt?

(Von Dr. Rainer Zitelmann)

Die Geschichte der Angela Merkel ist die Geschichte ihrer Unter­schätzung. Selbst aus­ge­fuchste Macht­po­li­tiker wie Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble haben sie unter­schätzt. Kohl hätte nie geglaubt, dass „sein Mädchen“ in einer für ihn schwie­rigen Situation im Dezember 1999 skru­pellos die Gele­genheit packt, um ihm nach der Par­tei­spen­den­affäre den letzten Stoß zu ver­setzen – und nur vier Monate später selbst die Macht in der Union zu erringen. Schäuble kam schließlich zu dem Schluss, der einzig mög­liche Umgang mit Merkel, der ihm das eigene Über­leben sichert, sei die voll­ständige Unter­werfung. Poli­tische Talente wie Friedrich Merz haben Merkel ebenso unter­schätzt wie die SPD und Guido Wes­ter­welles FDP.

Über­zeu­gungen stehen nicht im Weg

Merkel hat bislang jeden Koali­ti­ons­partner klein­ge­macht, weil jeder Partner sie unter­schätzt hat. Merkels Waffe ist ihre scheinbare Harm­lo­sigkeit. Die Unfä­higkeit, sich gut aus­drücken zu können, das voll­ständige Fehlen von Cha­risma, die scheinbare Beschei­denheit und Selbst­lo­sigkeit machen sie zu einem machia­vel­lis­ti­schen Wolf im Schafspelz. Manche Men­schen ent­wi­ckeln sehr ein­seitige Talente. Zu ihren gehört die Macht­po­li­tikern Merkel. Da sie kei­nerlei Ziele hat, außer der Macht um der Macht willen, kann sie sich neuen Gege­ben­heiten leicht anpassen. Gerät sie in die Kritik, dann heu­chelt sie Ein­sicht und macht einen Schritt zurück, aber nur, um unter ver­än­derten Bedin­gungen wieder ihren alten Kurs fort­zu­setzen und ihren Kri­tikern ent­ge­gen­zu­werfen, sie habe alles richtig gemacht. Es stehen ihr weder irgend­welche Über­zeu­gungen noch andere Hin­der­nisse im Wege, da sie sich auch an Recht und Gesetz nicht gebunden fühlt (wie ihr Agieren in der Euro-Ret­tungs­po­litik, der Ener­gie­po­litik und der Flücht­lings­krise belegen). Wenn Merkel nicht wüsste, dass ihr dies die eigene Partei nicht ver­ziehe, dann wäre auch ein Bündnis mit Sarah Wagen­knecht für Merkel kei­nerlei Problem. Ihre Grund­über­zeu­gungen, wenn es so etwas über­haupt gibt, beschränken sich auf ein besonders hohes Maß poli­ti­scher Kor­rektheit, weil sie nach dem Ende der DDR gelernt hat, dass dies im Über­le­bens­kampf in West­deutschland ebenso wichtig ist wie es das Bekenntnis zum Mar­xismus-Leni­nismus in der DDR war. Jen­seits dessen gibt es aber keine Über­zeu­gungen, die der Macht­po­li­tikern Merkel im Wege stünden.

Gefahr für CSU und FDP

Merkel gibt sich emo­ti­onslos. In Wahrheit ist sie hoch emo­tional, was in jeder grö­ßeren Krise sichtbar wurde. Eine Emotion Merkels ist die aus­ge­prägte Rach­sucht. Merkel ver­gisst nichts. Nie. Wer glaubt, dass sie die Demü­tigung durch Horst See­hofer auf dem CSU-Par­teitag ver­gessen hat, der hat einfach schlechte Men­schen­kenntnis. Es wäre Merkel mit Sicherheit eine große Genug­tuung, die CSU in einer erneuten Koalition zu zer­stören – womit ich ein Wahl­er­gebnis von 30 Prozent bei den Land­tags­wahlen in Bayern im kom­menden Jahr meine. Und natürlich hätte sie auch kei­nerlei Skrupel, die FDP zu ver­nichten. Dank der Nai­vität der FDP im Jahre 2009, die es Merkel ermög­lichte, Guido Wes­ter­welle über den Tisch zu ziehen, wurde die FDP schon einmal fast ver­nichtet. Vor vier Jahren wettete kaum ein Beob­achter auf ihr Über­leben. Ich denke, Christian Lindner, der gegen jede Wahr­schein­lichkeit die FDP wieder groß gemacht hat, hat diese Lehre verstanden.
Falls See­hofer (oder Söder) und Lindner sich jedoch selbst über­schätzen sollten und glauben, sie seien Merkel diesmal gewachsen, dann werden sie diese Unter­schätzung so bezahlen wie bislang alle anderen Gegner von Merkel. Die FDP hat ihre zweite Chance bekommen. Aber nach wie vor trauen ihr viele Men­schen nicht und sie steht unter dem Gene­ral­ver­dacht des prin­zi­pi­en­losen Oppor­tu­nismus. Dieser Ver­dacht kann nicht durch Worte, sondern nur durch Taten aus­ge­räumt werden, also dadurch, dass sie ihre Posi­tionen zum Thema EU-Transfers, Flücht­lings­po­litik, Wirt­schafts- und Steu­er­po­litik kon­se­quent ver­tritt. Das würde jedoch mit Sicherheit zum Scheitern der Koali­ti­ons­ge­spräche führen. Die CSU hat bei der Bun­des­tagswahl die gelbe Karte bekommen. Wenn sie – so wie vor den Wahlen – wieder Anpas­serei an Merkel betreibt, statt in der Flücht­lings­po­litik kon­se­quent ihren Stand­punkt zu ver­treten, dann wird sie das nächste Opfer von Merkels Machiavellismus.

Jamaika: Stern­stunde für Merkels Machiavellismus

Jamaika würde jeden­falls zur Stern­stunde für Merkels Machia­vel­lismus. Schöner kann sie es sich nicht vor­stellen, denn hier kann sie das Prinzip „divide et impera“ in der Reinform durch­ex­er­zieren, indem sie wahl­weise Grüne gegen FDP, FDP gegen CSU und CSU gegen Grüne aus­spielt. Vor allem in den Grünen hat sie eine starke Ver­bündete, denn auch bei denen ist die Machtgier noch größer als die ideo­lo­gische Verbohrtheit.

 

Bild: Collage von Hanno Vol­lenweider / Angela Merkel auf dem Körper von Ludwig XIV zu Pferde — Gemälde von Pierre Mignard

Artikel: TheEuropean.com