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Der Schach­spieler Christian Lindner – Springer schlägt Königin, Schachmatt

Als guter Schach­spieler weiß man, es gibt Situa­tionen, in denen ein defen­sives Spiel um eine gute Position wich­tiger sein kann als ein direkter Angriff, das gilt gerade dann, wenn man einem erfah­renen Meister gegenüber sitzt. Christian Lindner ist ein guter Schach­spieler, er weiß, wann man sich besser defensiv posi­tio­niert, um den Gegner aus seinen Linien in den offenen Kampf zu locken. Das hat er auch während der Koali­ti­ons­ge­spräche zu Jamaika tak­tisch klug getan.

Wer die Ver­hand­lungen auf­merksam ver­folgt hat, der ist über das Ergebnis der ver­gan­genen Nacht nicht über­rascht. Die FDP hatte von Anfang an stark auf ihren Themen beharrt. Lindner ging in Berlin sogar lächelnd auf die vor den Ver­hand­lungs­stand­orten ver­sam­melten Demons­tranten für die Abschaffung des Solis zu und gab jedem die Hand. „Wir kämpfen dafür“ soll er ihnen gesagt haben. Doch sein wohl wich­tigster Schachzug war seine Stand­haf­tigkeit beim Knack-Thema “Fami­li­en­nachzug”. Im Gegensatz zu CSU-Chef Horst See­hofer – von dem wir aller­dings auch nichts anderes gewohnt sind – blieb Lindner hart und bestand auf der FDP-Idee eines Ein­wan­de­rungs­ge­setzes nach Punkten. Die deutsche Presse titelte dar­aufhin: „FDP überholt die Union rechts“.

Lindner pokert nun darauf, dass Kanz­lerin Merkel es nicht schaffen wird, die SPD doch noch zu einer Erneuerung der großen Koalition zu über­reden. Das klingt mutig, jedoch werden auch die Sozi­al­de­mo­kraten ihre Chance wittern, die sich für sie bei Neu­wahlen ergeben könnten. Außerdem hat man sich die Oppo­si­ti­ons­rolle im Willy-Brandt-Haus ja zur eigenen Genesung selbst ver­schrieben – als Erholung von der Regie­rungszeit mit Merkel sozusagen.

Was nun vor uns liegt, ist ein büro­kra­ti­scher Akt. Bis der Bun­des­prä­sident den Bun­destag auf­lösen kann, liegen noch einige Wochen und Pro­ze­duren vor uns, doch dann wird es zu Neu­wahlen kommen.

CDU/CSU und die Grünen haben sich während der Jamaika-Ver­hand­lungen ver­bogen, wie es nur eben ging, dadurch haben sie sich selber geschadet und ihrer Partei. Die Basis-Mit­glieder der Grünen werden mit aller­größter Wahr­schein­lichkeit nicht erfreut sein über die Zuge­ständ­nisse, die ihre Führung in den letzten Wochen an die anderen Par­teien hätte geben wollen. Es ist zu erwarten, dass die Grünen-Führung merklich geschwächt in den nächsten Son­der­par­teitag gehen wird – und viel­leicht in einigen Fällen sogar ohne Amt dort herauskommt.

Und die CDU? In deren Basis sollte spä­testens jetzt darüber dis­ku­tiert werden, ob es schlau ist, mit einer Angela Merkel als Kanz­ler­kan­di­datin in die Neu­wahlen zu gehen. Und auch Christian Lindner wird genau darauf spe­ku­lieren, denn eine Koalition mit der FDP unter einer Kanz­lerin Merkel weckt sicherlich in vielen Köpfen der FDP-Mit­glieder böse Erinnerungen.

Einer CDU ohne Angela Merkel kann man gute Chancen für eine Neuwahl ein­räumen, Experten sprechen von 40%+ für eine von Merkel befreite Union. Dazu gewinnen dürfte auch der stand­hafte Lindner mit seiner FDP, durch sein Hart­bleiben beim Thema Fami­li­en­nachzug dürfte er viel­leicht sogar den einen oder anderen Wähler der AfD von sich über­zeugt haben. Rech­ne­risch könnte das im neuen Jahr zu einer soliden Schwarz-Gelben Koalition führen.

Ob Christian Lindner dieses Spiel von Anfang an so geplant hat, kann man nicht sagen. Sollte dies so sein, ziehe ich meinen Hut vor ihm als Meister-Schachspieler.