In der Falle: Bil­liges Geld bringt hohe Verschuldung

Adair Turner, ehe­ma­liger Chef der bri­ti­schen Finanz­markt­auf­sicht und Vor­sit­zender der Denk­fabrik Institute for New Eco­nomic Thinking, hat wohl am besten erkannt, in was für einer Krise wir uns befinden und auch die einzig mög­liche Lösung in die Dis­kussion gebracht: die Mone­ta­ri­sierung über die Noten­bank­bilanz. Seither prä­sen­tiert er diese Lösung auf allen Kanälen. Hier in einem sehr inter­es­santen Interview mit der NZZ:

  • „Die Finanz­branche hat sich in zwei Punkten ver­bessert. Die tiefer lie­genden Pro­bleme des Kapi­ta­lismus sind hin­gegen nicht gelöst. Erstens sind die gesell­schaftlich nutz­losen Akti­vi­täten geringer geworden. (…) Zweitens,: das Finanz­system ins­gesamt ist wider­stands­fä­higer geworden. Wir haben jetzt viel höhere Kapi­tal­an­for­de­rungen für die Banken und bei Han­dels­ak­ti­vi­täten. Der Deri­va­te­handel läuft über zen­trale Gegen­par­teien. Wir haben die Wahr­schein­lichkeit einer grossen Krise im Finanz­system ver­ringert. Es kann natürlich erneut in 20 Jahren pas­sieren, wenn wir all die Lehren wieder ver­gessen haben.“
    Fazit: Das würde ich anders sehen, weil der Leverage ins­gesamt deutlich zuge­nommen hat.
  • „Ich würde höhere Kapi­tal­an­for­de­rungen für die Banken ein­führen. Eine Kapi­tal­quote von 20% würde gut funk­tio­nieren. Ich würde auch ver­stärkt makro­pru­den­zielle Instru­mente ein­setzen, um Kre­dit­booms, vor allem im Immo­bi­li­en­be­reich, zu dämpfen. Es reicht nicht aus, sich auf die Ver­än­derung von Leit­zinsen zu ver­lassen. Der Schutz vor den makro­öko­no­mi­schen Folgen von Kre­dit­zyklen müsste im Vor­der­grund stehen und nicht der Schutz der Finanzstabilität.“
    Fazit: Das sehe ich eben­falls so. Es bedarf einer wei­teren Krise, bis so etwas umge­setzt wird.
  • „Ein Ban­ken­system kann die Sta­bi­lität auf zwei ver­schiedene Arten lädieren: Erstens, es geht bankrott, und der Steu­er­zahler muss ein­schreiten. Zweitens kann auch das Problem auf­tauchen, dass das Kre­dit­vo­lumen und die Preise von Ver­mö­gens­werten stark zulegen. Dies kann zu einem Crash führen und in der Folge zu einer Rezession. Selbst wenn keine Bank bank­rottgeht, besteht die Mög­lichkeit einer Über­schuldung in einer Gesellschaft.“
    Fazit: Und genau in einer solchen Lage befinden sich immer noch zu große Teile der Weltwirtschaft.
  • „Man muss miss­trauisch gegenüber der Meinung sein, dass die nächste Finanz­krise wie die vor­an­ge­gangene aus­sehen wird. Man kann aber sagen, dass die Ver­gan­genheit uns lehrt, woher die grössten Pro­bleme für ein Finanz­system kommen. Grob gesagt: Stei­gende Immo­bi­li­en­kredite und ‑preise sind nicht nur Teil der Geschichte, sondern 90 % der Geschichte von Finanz­krisen. Es ist aus diesem Grund ver­nünftig, zu sagen, dass die nächsten Pro­bleme wieder im Immo­bi­li­en­be­reich auf­tauchen könnten. Deshalb sind makro­pru­den­zielle Instru­mente eine gute Sache.“
    Fazit: Ich könnte mir aber denken, dass es nicht nur die Immo­bi­li­en­märkte Mün­chens, Torontos und Sydneys sind, die in eine Krise
    stürzen. Dazu ist der Leverage im System zu hoch.
  • Zur Bilanz­re­zession die bekannte Erkenntnis nochmals: „Wenn wir eine Ent­schuldung in einem Bereich schaffen, erhöht sich die Ver­schuldung anderswo. In manchen Indus­trie­staaten wurden die pri­vaten Schulden abgebaut, was zu einer gerin­geren Gesamt­nach­frage führte, die von staat­lichen Aus­gaben wieder sti­mu­liert wurde. Dadurch erhöhten sich die öffent­lichen Schulden. Die Ent­schuldung im Pri­vat­sektor in den Ver­ei­nigten Staaten im Jahr 2009 liess die chi­ne­si­schen Behörden sagen, dass dies eine Bedrohung für das export­ge­triebene Wirt­schafts­modell sei. Um die Wirt­schaft am Laufen zu halten, wurde in China ein Kre­ditboom ent­facht. Das Ver­hältnis Schulden zu Wirt­schafts­ak­ti­vität auf inter­na­tio­naler Ebene blieb aber ins­gesamt nicht gleich über die Jahre, sondern ver­schlech­terte sich.“
    Fazit: die globale Schuldenparty.
  • „Die deutsche Wirt­schaft ist abhängig von Schulden, aber von Schulden im Ausland für ihre Exporte. Wenn man für längere Zeit einen grossen Leis­tungs­bi­lanz­über­schuss hat, muss man sich fragen, wie nach­haltig die Nach­frage in den Import­ländern ist. Dazu muss man sich auch die finan­zielle Situation anschauen. Ohne diesen enormen chi­ne­si­schen Kre­ditboom hätte es kein deut­sches Export­wunder gegeben.“
    Fazit: Hinzu kommt noch, dass wir unser Geld den schlechten Schuldnern leihen.
  • „Wir befinden uns in einer Art Falle. Wir brauchen niedrige Zinsen wegen des Schul­den­über­hangs, die nied­rigen Zinsen führen aber auch dazu, dass sich die Leute mehr ver­schulden. Das ist ein fun­da­men­tales Problem.“
    Fazit: Der Beton soll das Fun­dament des Schul­den­turmes sta­bi­li­sieren, gleich­zeitig bauen wir oben noch neue Stock­werke dazu. Das ist der Wahnsinn.
  • „Ich habe den für manche Leute scho­ckie­renden Vor­schlag gemacht, Haus­halts­de­fizite von den Zen­tral­banken finan­zieren zu lassen, um genügend Nach­frage zu sti­mu­lieren. Ob man dies mag oder nicht, es ist genau das, was die Japaner machen. Die japa­nische Zen­tralbank kauft wei­terhin japa­nische Staats­an­leihen. Der Staat hat hohe Haus­halts­de­fizite. In 20 Jahren werden wir sagen, das war eine per­ma­nente monetäre Finan­zierung.“
    Fazit: Das sagen wir doch schon heute. Wobei Japan damit nicht aus der Krise gekommen ist.
  • „Es ist aber meine Über­zeugung, dass es im Jahr 2009 besser gewesen wäre, eine monetär finan­zierte Fis­kal­po­litik zu betreiben; besser als die Politik des Auf­kaufs von Anleihen («quan­ti­tative easing») durch die Noten­banken, was vor allem die Preise der Ver­mö­gens­werte steigen liess. Dies ist gut für die bereits Wohl­ha­benden, die dann viel­leicht mehr ausgeben.“
    Fazit: und schafft damit erheb­liche soziale Spannungen.
  • „Eine per­ma­nente monetäre Finan­zierung ist aber wohl auf­grund der poli­ti­schen Öko­nomie innerhalb der Euro-Zone unmöglich. Vor allem die Ver­tei­lungs­frage – welches Land gewinnt, und welches Land ver­liert – ist hin­derlich. In diesem Umfeld wäre die Kunst des Mög­lichen gefragt. Man könnte in die Nähe einer Mone­ta­ri­sierung rücken, ohne das deutsche Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt auf den Plan zu rufen. Dies wäre eine Art Juncker-Plan für Infra­struk­tur­aus­gaben, finan­ziert von der Euro­päi­schen Inves­ti­ti­onsbank (EIB). Die Euro­päische Zen­tralbank kauft dann diese Anleihen der EIB. Das könnte etwas sein, was nicht eine Mil­lionen Meilen von einer Mone­ta­ri­sierung ent­fernt ist. In 3 bis 4 Jahren könnte über solche Optionen wieder dis­ku­tiert werden.“
    Fazit: Und ich denke, dass es schon früher so weit ist; sobald die nächste Rezession da ist.
  • „Was in den letzten 30 Jahren pas­siert ist, ist vor allem ein signi­fi­kanter Anstieg der Ungleichheit. (…) Bis vor 5 bis 10 Jahren war eine Arroganz der glo­balen Elite Es hiess, dass Glo­ba­li­sierung, Migration, freier Kapi­tal­verkehr und tech­ni­scher Fort­schritt für alle gut sei. Lang­fristig würden alle pro­fi­tieren. Aber die lange Frist kann sehr lange sein. Wir haben nicht genug berück­sichtigt, dass es in diesem Prozess Gewinner und Ver­lierer gibt.“
    Fazit: wozu natürlich das Geld­system und die Noten­banken einen erheb­lichen Beitrag geleistet haben.
  • „Wir werden aber wohl in Zukunft mehr Ein­kommen aus Boden­renten Aber auch aus Renten, die durch den Besitz von Netz­werk­ef­fekten wie bei Google oder Facebook erzielt werden. In diesem Umfeld müssen wir darauf schauen, nicht nur den Faktor Arbeit zu besteuern. Bin ich der Über­zeugung, dass das Problem hoher Immo­bi­li­en­preise in London mit einer Boden­wert­steuer gelöst werden soll, damit die Preise fallen? Nein. Dies würde wieder die Steu­er­basis ver­ringern. Aber könnte die Steu­er­be­lastung für Boden in Gross­bri­tannien pro­gres­siver aus­ge­staltet werden? Ja. Für manche ist eine radikale Lösung für eine per­fekte Welt reizvoll. Man sollte aber die Imper­fek­tionen erkennen und schritt­weise in die richtige Richtung gehen.“
    Fazit: Da haben wir sie wieder, die Immo­bi­li­en­steuer. Dabei ist klar, dass ein Kollaps der Ver­mö­gens­preise in Folge der Steuer zu einer echten Krise führen kann.

Turner hat in diesem Interview die Mone­ta­ri­sierung erneut als eine Mög­lichkeit der ele­ganten Lösung für das Problem der Über­schuldung posi­tio­niert. Ich sehe das bekanntlich genauso. Alle Alter­na­tiven sind ver­glichen damit noch verheerender.

NZZ: „Wir befinden uns in einer Falle bil­ligen Geldes und hoher Schulden‘“, 17. November 2017

Dr. Daniel Stelter / www.think-beyondtheobvious.com