Martin Schulz warb in seiner Rede auf dem SPD-Parteitag für die Vereinigten Staaten von Europa. Das dürfte besonders Emmanuel Macron freuen. Aus ökonomischer Sicht sind solche Ideen für Deutschland alles andere als sinnvoll.
Die ungelöste Eurokrise
Zunächst lohnt es sich, daran zu erinnern, warum es überhaupt eine Eurokrise gab, bzw. immer noch gibt. Kurz gefasst passierte Folgendes:
- Mit der Einführung des Euros sanken überall in Europa die Zinsen auf deutsches Niveau.
- Da die Inflationsraten zum Teil noch deutlich höher waren, lohnte es sich, Kredite aufzunehmen. Dieses Geld wurde überwiegend in Immobilien investiert.
- Der dadurch ausgelöste Boom führte zu Konjunkturaufschwung mit steigender Beschäftigung in den heutigen Krisenländern und damit auch zu steigenden Löhnen.
- Als die Blase platzte, stellte sich heraus, dass Immobilienpreise auch fallen können, dass das Bankensystem insolvent und das Lohnniveau vor allem im Vergleich zu Deutschland nicht wettbewerbsfähig ist.
Notwendig wäre in einer solchen Situation, dass:
- die faulen Schulden von Privaten und Staaten restrukturiert werden. Die Größenordnung dürfte bei mindestens 3.000 Milliarden Euro liegen.
- das Bankensystem der Eurozone rekapitalisiert wird, um wieder funktionsfähig zu werden. Der Bedarf dürfte bei rund 1.000 Milliarden liegen.
- die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer (wieder) hergestellt wird oder aber, wenn dies nicht erzielbar ist, Länder, die auf Dauer nicht im Euro bestehen können, aus der Eurozone austreten.
Nichts, aber auch gar nichts davon ist in den vergangenen Jahren erfolgt. Im Gegenteil: Die Schulden von Staaten und Privaten liegen in der Eurozone – und dabei vor allem in den Krisenländern – über dem Niveau von 2007. Die europäischen Banken sitzen weiterhin auf einem Berg fauler Forderungen. Laut Schätzungen sind es bis zu 1.000 Milliarden Euro, die fehlen. Auch die Wettbewerbsfähigkeit hat sich zwischen den Ländern nicht angenähert.
Die deutsche Regierung hat auf Zeit gespielt
Schuld daran trägt gerade auch die deutsche Bundesregierung, die sich konsequent geweigert hat, zu fordern und umzusetzen, was dringend erforderlich wäre: ein Schuldenschnitt, verbunden mit einer Neuordnung der Eurozone.
Der Grund für die Weigerung ist klar: Wo Schulden verschwinden, verschwinden auch die damit im Zusammenhang stehenden Vermögen. Und da wir der größte Gläubiger in der Eurozone sind, würden Deutschlands Kapitalsammelstellen (Versicherungen, Pensionskassen, Banken) die größten Verluste realisieren. Und damit wir alle. Da ist es doch viel bequemer, der EZB die Last zuzuschieben, mit immer mehr und immer billigerem Geld die Illusion der Zahlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Danach über tiefe Zinsen zu klagen, ist mehr als heuchlerisch.
Derweil pflegen wir in Deutschland das Narrativ „Gewinner des Euro“ zu sein. Gemessen wird dieser Nutzen an den erheblichen Exportüberschüssen, die wir im Euroraum erzielen. Vergessen wird dabei allerdings, dass dieser Nutzen innerhalb Deutschlands ungleich verteilt ist und – was viel schlimmer ist – wir im Gegenzug zu unseren Exportüberschüssen entsprechende Forderungen gegen die schon heute überschuldeten Länder aufbauen. Sichtbarstes Symptom sind die Target-2-Forderungen, die mit über 850 Milliarden Euro mehr als 10.000 Euro pro Kopf der Bevölkerung ausmachen. Diesen Kredit gewähren wir zins- und tilgungsfrei, ohne Sicherheit. Ökonomisch betrachtet, könnten wir unsere Autos und Maschinen auch verschenken.
Keine Rettung, sondern Konkursverschleppung
Mit diesem falschen Narrativ machen wir uns anfällig und erpressbar für die (verfehlten) Ideen zur Sanierung der Eurozone über das Budget des deutschen Steuerzahlers. Denn nur darum geht es bei den Überlegungen des französischen Präsidenten, so elegant und eloquent Emmanuel Macron diese Visionen auch vorträgt. Dies wird durch jegliches Fehlen einer eigenen Vision auf unserer Seite erschwert. Bei uns genügt es Politikern wie Martin Schulz, den vermeintlichen Nutzen zu betonen und an die historische Verantwortung zu erinnern, um deutschen Wohlstand im „europäischen Interesse“ zu verschleudern.
Alle Vorschläge Macrons zielen im Kern darauf ab, über eine vermehrte Umverteilung zwischen den Ländern – konkret also von Deutschland nach Italien, Frankreich, Spanien … – die Staatsausgaben zu finanzieren und die Banken zu sanieren. Nichts anderes steht hinter den Begriffen von Eurozonen-Finanzminister, Eurozonen-Budget und Vervollständigen der Bankenunion. Idealerweise noch flankiert von einem Eurozonen-Parlament mit einer strukturellen Mehrheit der Nehmerländer. Das ließe die kühnsten Träume linker Vordenker wie Thomas Piketty und Janis Varoufakis Realität werden.
Doch damit nicht genug. Nicht nur sollen die Schulden perspektivisch vergemeinschaftet und eine anhaltende Umverteilung realisiert werden. Zusätzlich geht es darum, die Verschuldungskapazität zu erhöhen. Die Franzosen erkennen richtig, dass wir den Point of no Return mit Blick auf staatliche und private Verschuldung schon lange hinter uns gelassen haben, und es nur durch eine weiter steigende Verschuldung möglich ist, das System am Laufen zu halten. Deshalb muss Deutschland mit seiner relativ guten Bilanz (geringe offizielle Verschuldung, faktisch allerdings Schulden über dem Niveau von Italien) die Grundlage für weitere Schulden liefern. Noch deutlicher kann man nicht machen, wie dumm es ist, im eigenen Land auf Investitionen zu verzichten, nur um die Früchte der (vordergründig) solideren Bilanz mit Ländern zu teilen, die es wie Frankreich machen.
Gemeinsames Budget bringt nichts
Nun könnte man meinen, dass die finanziellen Folgen für Deutschland keine so große Rolle spielen, wenn es doch darum geht, Euro und EU zu retten. Das Problem ist nur, dass eine Rettung selbst mit den größten Transfers nicht möglich ist.
In den USA liegt der Grad der Umverteilung zwischen den Bundesstaaten deutlich höher als zwischen den Mitgliedsländern der Eurozone. Und auch dort tragen fiskalische Transfers nur wenig dazu bei, finanzielle Schieflagen der Bundesstaaten aufzufangen. So rechnet der IWF vor, dass in den USA bis zu 80 Prozent einer lokalen finanziellen Schieflage über Umverteilung aufgefangen werden. Dieser Risikopuffer ist aber vor allem die Folge privater Kapitalflüsse. Der Bund hat nur einen Anteil von 15 Prozent. Bei uns in Deutschland liegt der Anteil staatlichen Ausgleichs im regionalen Krisenfall gar noch unter dem Niveau in den USA.
In der Eurozone werden nach dieser Studie weniger als 40 Prozent einer lokalen finanziellen Schieflage über Umverteilung aufgefangen, was natürlich innerhalb einer Währungsunion unbefriedigend ist. Dies liegt aber weniger an dem geringen Grad staatlicher „Solidarität“, sondern am Fehlen der privaten Kapitalströme. Selbst wenn wir den Grad der staatlichen Umverteilung auf das US-Niveau verdreifachen, ändert sich an dieser Lage nichts.
Mehr fiskalische Solidarität innerhalb der Eurozone ist nicht nur sinnlos, weil ohne entscheidende Wirkung mit Blick auf das eigentliche Problem, sondern verbraucht erhebliches politisches Kapital. Am Ende stärkt ein solcher Umverteilungsmechanismus nur die antieuropäischen Kräfte.
Erst sanieren, dann reformieren
Die französischen Vorschläge zur Sanierung der Eurozone sind entweder wirkungslos oder aber sie kommen zu spät. In der heutigen Situation kann man mit mehr Umverteilung die gigantischen Probleme nicht mehr lösen. Man sollte aber auch keine Regeln definieren, die genauso wie alle bisherigen Regeln („No-Bail-out“, Bankenabwicklung) im Ernstfall ohnehin über Bord geworfen werden.
Eine funktionierende Währungsunion setzt private Kapitalströme voraus, die in guten wie in schlechten Zeiten funktionieren. Voraussetzung für diese Kapitalströme sind klare Regeln, die für alle gelten. In den USA gibt es unter anderem eine eiserne Regel, dass der Bund nicht für die finanziellen Schieflagen der einzelnen Staaten eintritt. Bei uns in Europa überwiegt die Angst vor den politischen Konsequenzen gepaart mit der gerne verdrängten Tatsache, dass wir nun mal keinen europäischen Bundesstaat haben. Wir haben eine Gemeinschaft souveräner Staaten, die in Zukunft eher mehr als weniger auf ihre Souveränität achten werden.
Es braucht einen geordneten Schuldenschnitt
Wer die Eurozone retten möchte, kommt um einen geordneten Schuldenschnitt und eine Neuordnung der Mitglieder nicht herum. Erst danach können und sollten Reformen, die zu mehr Eigenverantwortlichkeit von Schuldnern und Gläubigern führen, umgesetzt werden. Alles andere erzeugt die Illusion der Rettung oder kauft Zeit.
Nur die EZB hält die Währungsunion am Laufen, womit auch die Frage nach dem Ende der aggressiven Geldpolitik beantwortet ist: erst nach einem solchen Schritt oder niemals. Ich selbst tippe auf eine Flut noch aggressiverer Maßnahmen, sobald die konjunkturelle Zwischenerholung vorbei ist.
Kommt es zu den „Reformen im französischen Sinne“ – und daran kann leider kein Zweifel bestehen, sind sie doch der Preis, den die SPD für eine große Koalition fordert, – wird Frankreich der große Gewinner sein. Nicht nur würden die eigenen Finanzprobleme zulasten Deutschlands gelöst. Viel entscheidender wäre dann der unstrittige Platz Frankreichs als Anführerin einer EU, in der auf Umverteilung und Schuldenmachen gesetzt wird.
Dr. Daniel Stelter / www.think-beyondtheobvious.com