Martin Schulz fordert “Ver­ei­nigte Staaten von Europa” und Emmanuel Macron freut sich!

Martin Schulz warb in seiner Rede auf dem SPD-Par­teitag für die Ver­ei­nigten Staaten von Europa. Das dürfte besonders Emmanuel Macron freuen. Aus öko­no­mi­scher Sicht sind solche Ideen für Deutschland alles andere als sinnvoll.

Martin Schulz hat nun also doch die euro­päische Karte gespielt. Die SPD soll unter seiner Führung in die Regierung ein­treten, um endlich eine andere Politik in Europa durch­zu­setzen. Weg von Wolfgang Schäuble (der für Sparen steht), hin zu Emanuel Macron (der fürs Aus­geben steht). Denn nur so ließe sich – so die irrige Meinung – der Euro und die EU retten. Komische Haltung für die Ver­treter eines Landes, welches die Rechnung für diese Ideen bezahlen soll.
Die unge­löste Eurokrise
Zunächst lohnt es sich, daran zu erinnern, warum es über­haupt eine Euro­krise gab, bzw. immer noch gibt. Kurz gefasst pas­sierte Folgendes:
  • Mit der Ein­führung des Euros sanken überall in Europa die Zinsen auf deut­sches Niveau.
  • Da die Infla­ti­ons­raten zum Teil noch deutlich höher waren, lohnte es sich, Kredite auf­zu­nehmen. Dieses Geld wurde über­wiegend in Immo­bilien investiert.
  • Der dadurch aus­ge­löste Boom führte zu Kon­junk­tur­auf­schwung mit stei­gender Beschäf­tigung in den heu­tigen Kri­sen­ländern und damit auch zu stei­genden Löhnen.
  • Als die Blase platzte, stellte sich heraus, dass Immo­bi­li­en­preise auch fallen können, dass das Ban­ken­system insolvent und das Lohn­niveau vor allem im Ver­gleich zu Deutschland nicht wett­be­werbs­fähig ist.

Not­wendig wäre in einer solchen Situation, dass:

  • die faulen Schulden von Pri­vaten und Staaten restruk­tu­riert werden. Die Grö­ßen­ordnung dürfte bei min­destens 3.000 Mil­li­arden Euro liegen.
  • das Ban­ken­system der Eurozone reka­pi­ta­li­siert wird, um wieder funk­ti­ons­fähig zu werden. Der Bedarf dürfte bei rund 1.000 Mil­li­arden liegen.
  • die Wett­be­werbs­fä­higkeit der Kri­sen­länder (wieder) her­ge­stellt wird oder aber, wenn dies nicht erzielbar ist, Länder, die auf Dauer nicht im Euro bestehen können, aus der Eurozone austreten.

Nichts, aber auch gar nichts davon ist in den ver­gan­genen Jahren erfolgt. Im Gegenteil: Die Schulden von Staaten und Pri­vaten liegen in der Eurozone – und dabei vor allem in den Kri­sen­ländern – über dem Niveau von 2007. Die euro­päi­schen Banken sitzen wei­terhin auf einem Berg fauler For­de­rungen. Laut Schät­zungen sind es bis zu 1.000 Mil­li­arden Euro, die fehlen. Auch die Wett­be­werbs­fä­higkeit hat sich zwi­schen den Ländern nicht angenähert.
Die deutsche Regierung hat auf Zeit gespielt
Schuld daran trägt gerade auch die deutsche Bun­des­re­gierung, die sich kon­se­quent geweigert hat, zu fordern und umzu­setzen, was dringend erfor­derlich wäre: ein Schul­den­schnitt, ver­bunden mit einer Neu­ordnung der Eurozone.
Der Grund für die Wei­gerung ist klar: Wo Schulden ver­schwinden, ver­schwinden auch die damit im Zusam­menhang ste­henden Ver­mögen. Und da wir der größte Gläu­biger in der Eurozone sind, würden Deutsch­lands Kapi­tal­sam­mel­stellen (Ver­si­che­rungen, Pen­si­ons­kassen, Banken) die größten Ver­luste rea­li­sieren. Und damit wir alle. Da ist es doch viel bequemer, der EZB die Last zuzu­schieben, mit immer mehr und immer bil­li­gerem Geld die Illusion der Zah­lungs­fä­higkeit auf­recht­zu­er­halten. Danach über tiefe Zinsen zu klagen, ist mehr als heuchlerisch.
Derweil pflegen wir in Deutschland das Nar­rativ „Gewinner des Euro“ zu sein. Gemessen wird dieser Nutzen an den erheb­lichen Export­über­schüssen, die wir im Euroraum erzielen. Ver­gessen wird dabei aller­dings, dass dieser Nutzen innerhalb Deutsch­lands ungleich ver­teilt ist und – was viel schlimmer ist – wir im Gegenzug zu unseren Export­über­schüssen ent­spre­chende For­de­rungen gegen die schon heute über­schul­deten Länder auf­bauen. Sicht­barstes Symptom sind die Target-2-For­de­rungen, die mit über 850 Mil­li­arden Euro mehr als 10.000 Euro pro Kopf der Bevöl­kerung aus­machen. Diesen Kredit gewähren wir zins- und til­gungsfrei, ohne Sicherheit. Öko­no­misch betrachtet, könnten wir unsere Autos und Maschinen auch verschenken.
Keine Rettung, sondern Konkursverschleppung
Mit diesem fal­schen Nar­rativ machen wir uns anfällig und erpressbar für die (ver­fehlten) Ideen zur Sanierung der Eurozone über das Budget des deut­schen Steu­er­zahlers. Denn nur darum geht es bei den Über­le­gungen des fran­zö­si­schen Prä­si­denten, so elegant und elo­quent Emmanuel Macron diese Visionen auch vorträgt. Dies wird durch jeg­liches Fehlen einer eigenen Vision auf unserer Seite erschwert. Bei uns genügt es Poli­tikern wie Martin Schulz, den ver­meint­lichen Nutzen zu betonen und an die his­to­rische Ver­ant­wortung zu erinnern, um deut­schen Wohl­stand im „euro­päi­schen Interesse“ zu verschleudern.
Alle Vor­schläge Macrons zielen im Kern darauf ab, über eine ver­mehrte Umver­teilung zwi­schen den Ländern – konkret also von Deutschland nach Italien, Frank­reich, Spanien … – die Staats­aus­gaben zu finan­zieren und die Banken zu sanieren. Nichts anderes steht hinter den Begriffen von Euro­zonen-Finanz­mi­nister, Euro­zonen-Budget und Ver­voll­stän­digen der Ban­ken­union. Idea­ler­weise noch flan­kiert von einem Euro­zonen-Par­lament mit einer struk­tu­rellen Mehrheit der Neh­mer­länder. Das ließe die kühnsten Träume linker Vor­denker wie Thomas Piketty und Janis Varou­fakis Rea­lität werden.
Doch damit nicht genug. Nicht nur sollen die Schulden per­spek­ti­visch ver­ge­mein­schaftet und eine anhal­tende Umver­teilung rea­li­siert werden. Zusätzlich geht es darum, die Ver­schul­dungs­ka­pa­zität zu erhöhen. Die Fran­zosen erkennen richtig, dass wir den Point of no Return mit Blick auf staat­liche und private Ver­schuldung schon lange hinter uns gelassen haben, und es nur durch eine weiter stei­gende Ver­schuldung möglich ist, das System am Laufen zu halten. Deshalb muss Deutschland mit seiner relativ guten Bilanz (geringe offi­zielle Ver­schuldung, fak­tisch aller­dings Schulden über dem Niveau von Italien) die Grundlage für weitere Schulden liefern. Noch deut­licher kann man nicht machen, wie dumm es ist, im eigenen Land auf Inves­ti­tionen zu ver­zichten, nur um die Früchte der (vor­der­gründig) soli­deren Bilanz mit Ländern zu teilen, die es wie Frank­reich machen.
Gemein­sames Budget bringt nichts 
Nun könnte man meinen, dass die finan­zi­ellen Folgen für Deutschland keine so große Rolle spielen, wenn es doch darum geht, Euro und EU zu retten. Das Problem ist nur, dass eine Rettung selbst mit den größten Transfers nicht möglich ist.
In den USA liegt der Grad der Umver­teilung zwi­schen den Bun­des­staaten deutlich höher als zwi­schen den Mit­glieds­ländern der Eurozone. Und auch dort tragen fis­ka­lische Transfers nur wenig dazu bei, finan­zielle Schief­lagen der Bun­des­staaten auf­zu­fangen. So rechnet der IWF vor, dass in den USA bis zu 80 Prozent einer lokalen finan­zi­ellen Schieflage über Umver­teilung auf­ge­fangen werden. Dieser Risi­ko­puffer ist aber vor allem die Folge pri­vater Kapi­tal­flüsse. Der Bund hat nur einen Anteil von 15 Prozent. Bei uns in Deutschland liegt der Anteil staat­lichen Aus­gleichs im regio­nalen Kri­senfall gar noch unter dem Niveau in den USA.
In der Eurozone werden nach dieser Studie weniger als 40 Prozent einer lokalen finan­zi­ellen Schieflage über Umver­teilung auf­ge­fangen, was natürlich innerhalb einer Wäh­rungs­union unbe­frie­digend ist. Dies liegt aber weniger an dem geringen Grad staat­licher „Soli­da­rität“, sondern am Fehlen der pri­vaten Kapi­tal­ströme. Selbst wenn wir den Grad der staat­lichen Umver­teilung auf das US-Niveau ver­drei­fachen, ändert sich an dieser Lage nichts.
Mehr fis­ka­lische Soli­da­rität innerhalb der Eurozone ist nicht nur sinnlos, weil ohne ent­schei­dende Wirkung mit Blick auf das eigent­liche Problem, sondern ver­braucht erheb­liches poli­ti­sches Kapital. Am Ende stärkt ein solcher Umver­tei­lungs­me­cha­nismus nur die anti­eu­ro­päi­schen Kräfte.
Erst sanieren, dann reformieren
Die fran­zö­si­schen Vor­schläge zur Sanierung der Eurozone sind ent­weder wir­kungslos oder aber sie kommen zu spät. In der heu­tigen Situation kann man mit mehr Umver­teilung die gigan­ti­schen Pro­bleme nicht mehr lösen. Man sollte aber auch keine Regeln defi­nieren, die genauso wie alle bis­he­rigen Regeln („No-Bail-out“, Ban­ken­ab­wicklung) im Ernstfall ohnehin über Bord geworfen werden.
Eine funk­tio­nie­rende Wäh­rungs­union setzt private Kapi­tal­ströme voraus, die in guten wie in schlechten Zeiten funk­tio­nieren. Vor­aus­setzung für diese Kapi­tal­ströme sind klare Regeln, die für alle gelten. In den USA gibt es unter anderem eine eiserne Regel, dass der Bund nicht für die finan­zi­ellen Schief­lagen der ein­zelnen Staaten ein­tritt. Bei uns in Europa über­wiegt die Angst vor den poli­ti­schen Kon­se­quenzen gepaart mit der gerne ver­drängten Tat­sache, dass wir nun mal keinen euro­päi­schen Bun­des­staat haben. Wir haben eine Gemein­schaft sou­ve­räner Staaten, die in Zukunft eher mehr als weniger auf ihre Sou­ve­rä­nität achten werden.
Es braucht einen geord­neten Schuldenschnitt
Wer die Eurozone retten möchte, kommt um einen geord­neten Schul­den­schnitt und eine Neu­ordnung der Mit­glieder nicht herum. Erst danach können und sollten Reformen, die zu mehr Eigen­ver­ant­wort­lichkeit von Schuldnern und Gläu­bigern führen, umge­setzt werden. Alles andere erzeugt die Illusion der Rettung oder kauft Zeit.
Nur die EZB hält die Wäh­rungs­union am Laufen, womit auch die Frage nach dem Ende der aggres­siven Geld­po­litik beant­wortet ist: erst nach einem solchen Schritt oder niemals. Ich selbst tippe auf eine Flut noch aggres­si­verer Maß­nahmen, sobald die kon­junk­tu­relle Zwi­schen­er­holung vorbei ist.
Kommt es zu den „Reformen im fran­zö­si­schen Sinne“ – und daran kann leider kein Zweifel bestehen, sind sie doch der Preis, den die SPD für eine große Koalition fordert, – wird Frank­reich der große Gewinner sein. Nicht nur würden die eigenen Finanz­pro­bleme zulasten Deutsch­lands gelöst. Viel ent­schei­dender wäre dann der unstrittige Platz Frank­reichs als Anfüh­rerin einer EU, in der auf Umver­teilung und Schul­den­machen gesetzt wird. 

 
Dr. Daniel Stelter / www.think-beyondtheobvious.com