Die Nazi-Keule als letztes “Argument” gegen Öster­reichs neue Regierung

Seit in Öster­reich die Regie­rungs­ko­alition zwi­schen ÖVP und FPÖ an der Macht ist, kommen die wackeren anti­fa­schis­ti­schen Kämpfer in ihren täg­lichen Pos­tings und Kolumnen nicht mehr zur Ruhe: Zu vieles, was von der tür­kis­blauen Regierung ange­dacht wird, ist aus Sicht der dau­er­ent­rüs­teten Antifa-Helden immer irgendwie “Nazi”.
Das kann nur braun sein!
Ob es um die kürzlich dis­ku­tierte Aus­gangs­sperre für Asyl­werber geht oder um die Aus­lesung der Handy-Daten von zunächst ille­galen Migranten, wenn ange­sprochen wird, dass deren Unter­bringung in Groß­quar­tieren am besten wäre oder wenn der Innen­mi­nister vor­schlägt, man müsse Flücht­linge kon­zen­triert an einem Ort halten — es ist ganz egal, welche Lösungs­ideen zum Pro­blem­be­reich Nr. 1 ent­wi­ckelt werden: Alle dies­be­züg­lichen Gedanken kommen von einer Mitte-Rechts-Koalition mit FPÖ-Betei­ligung, also müssen diese Ideen natürlich einen suspekten Hin­ter­grund haben — und der kann nur braun sein.
So lautet zumindest die Logik der eifrig schäu­menden Kom­men­ta­toren in den soge­nannten links­li­be­ralen Medien in Öster­reich und dem Rest Europas. Deren Leser und die Fol­lower in den Social Media machen gehorsam mit und ver­schiedene Alt-Poli­tiker, die sich offenbar im Unru­he­zu­stand statt in der Pension befinden, ver­breiten dazu ihre war­nenden Botschaften.
Sie alle bezeichnen sich selber gerne als “Zivil­ge­sell­schaft”, die zu Höherem, ja zum Höchsten berufen ist: Die Rettung der Republik vor den braunen Horden steht an und es ist die Aufgabe der Anti­fa­schisten jed­weder Pro­ve­nienz, dies zu bewerk­stel­ligen. Die Nazis müssen weg. Bei all diesen Ent­rüs­tungen ist es den sonst immer als Vor­zei­ge­de­mo­kraten auf­tre­tenden Akteuren der Empörung völlig egal, dass die aktu­ellen poli­ti­schen Mehr­heiten durch eine demo­kra­tische Wahl von eta­blierten demo­kra­ti­schen Par­teien zustande gekommen sind. Sie handeln stur nach dem wirk­lich­keits­ver­zer­renden Motto: Na und? Nazi ist Nazi!
Begriffs­de­fi­nition tut not
Aber — was ist ein Nazi eigentlich? In den Zeiten des Natio­nal­so­zia­lismus wurde der Begriff für die­je­nigen gebraucht, die “dabei” waren — also Mit­glieder oder Sym­pa­thi­santen der NSDAP. Nach dem Untergang des NS im Jahre 1945 wurde die Partei ver­boten und die Nazis wurden in langen Pro­zessen und in Umer­zie­hungs­lagern wort­wörtlich ent­na­zi­fi­ziert. Ein echter (ehe­ma­liger) Nazi muss also heute min­destens 90 Jahre alt sein, wenn er zum Ende des Dritten Reichs voll­jährig war und damals noch schnell Mit­glied der NSDAP wurde. Anders gesagt: Die (ehe­ma­ligen) Nazis sind heute Greise oder schon tot. Man ver­wendet somit in den aller­meisten Fällen eine völlig unzu­tref­fende Bezeichnung, wenn man Men­schen, die damals nicht dabei oder noch gar nicht geboren waren, heute als Nazi bezeichnet.
Im Straf­recht angesiedelt
Man gelangt mit dieser fal­schen Nomen­klatur auch in juris­tisch heikle Gefilde: Die NSDAP gibt es zum Glück nicht mehr und jede dekla­rierte Sym­pathie mit der unse­ligen Ideo­logie ist strafbar. Wenn heute jemand wirklich ein (Neo-)Nazi im Sinne der Wie­der­be­tä­tigung ist, dann muss er ange­zeigt und straf­rechtlich ver­folgt werden. So will es das Gesetz. Die Wie­der­be­tä­tigung ist sogar ein Offi­zi­al­delikt, das heisst, der Staats­anwalt muss im Ver­dachtsfall von sich aus tätig werden.
Wer also jemanden als “Nazi!” bezeichnet, sollte tun­lichst Beweise für Rich­tigkeit dieser Bezeichnung haben, denn man wird damit einen juris­ti­schen Prozess ins Rollen bringen. Um die Dimension zu erfassen: Im Jahre 2016 gab es 213 Anklagen wegen des Delikts “Wie­der­be­tä­tigung”. Ins­gesamt wurden im gleichen Zeitraum in Öster­reich ca. 80.000 Straf­ver­fahren abge­wi­ckelt. Das Delikt betraf 2016 somit ca. 0,25% aller Anklagen.  Die Schwur­ge­richte sprachen in 83 Fällen Ver­ur­tei­lungen aus. Ob die 130 Frei­ge­spro­chenen post­wendend die Klage wegen Ruf­schä­digung ein­brachten, geht aus der Sta­tistik nicht hervor.
Das letzte Mittel
Klar ist, dass die Nazi-Keule das letzte und offen­sichtlich auch einzige Argu­men­ta­ti­ons­mittel der­je­nigen Leute ist, die mit der aktu­ellen Mitte-Rechts-Politik nicht ein­ver­standen sind. Freilich: Es ist legitim, eine andere Politik zu wollen — nur sollte man dann halt sagen können, welche genau das sein soll und man sollte rationale Argu­mente dafür finden. Nur “Nazi!” zu schreien ist für die Dar­stellung einer Alter­native ein bisschen zu wenig konsistent.
Wie soll man da noch diskutieren?
Die poli­ti­schen Sach­de­batten, die immer wieder von genau jenen ein­ge­fordert werden, die ständig die abge­dro­schene N‑Keule schwingen, sind im “Nazi!”-Geschrei nicht möglich. Man wird daher den Ver­dacht nicht los, dass die aktuelle Inhalts­leere der linken Ideo­logie und die weit­gehend feh­lenden klaren Ziele im linken poli­ti­schen Spektrum mit dem anti­fa­schis­ti­schen Gebrüll einfach nur über­deckt werden sollen. Und das ist das eigentlich Erschüt­ternde: Die Linke kann sich heute offenbar nur noch über Nega­ti­vismen, Pro­test­hal­tungen und so über­zogene wie künst­liche, dafür aber endlos empörte Antifa-Posi­tionen definieren.