Bevor mich regelÂmäßige Leser meiner MeiÂnungsÂMacher-BeiÂträge an dieser Stelle fĂĽr verÂrĂĽckt erklären: Nein, ich glaube immer noch nicht, dass Italien seine StaatsÂschulden in den Griff bekommt und innerhalb des Euros eine Zukunft hat. Ohne einen SchulÂdenÂschnitt und einen AusÂtritt aus dem Euro, wird das Land nicht wieder auf die Beine kommen. Die WirtÂschaftsÂleistung liegt deutlich unter dem VorÂkriÂsenÂstand, die ArbeitsÂloÂsigkeit vor allem der JugendÂlichen bleibt hoch, und die Schulden wachsen trotz eines PriÂmärÂĂĽberÂschusses im StaatsÂhaushalt – das bedeutet, dass ein Teil der Zinsen wirklich aus den StaatsÂeinÂnahmen bezahlt werden – immer noch schneller als die Wirtschaft.
Italien im Euro nicht sanierbar
Immer mehr Stimmen sehen in einem EuroÂausÂtritt und einer Umstellung der itaÂlieÂniÂschen StaatsÂschulden auf Lira eine Lösung fĂĽr die ProÂbleme des Landes. Die OppoÂsiÂtiÂonsÂparÂteien, allen voran die Cinque-Stelle-Bewegung um Beppo Grillo fordern immer lauter einen solchen Schritt. Die itaÂlieÂnische InvestÂmentbank MedioÂbanca hat in einer Studie vorÂgeÂrechnet, dass die Zeit dafĂĽr drängt, da immer mehr StaatsÂanÂleihen nicht mehr so einfach umgeÂstellt werden dĂĽrfen – wobei fraglich ist, wie die GläuÂbiger ihre AnsprĂĽche durchÂsetzen wollten.
EZB-Chef Mario Draghi warnt nicht zufällig, dass im Falle eines EuroÂausÂtrittes die Target2-VerÂbindÂlichÂkeiten vollÂumÂfänglich zu bedienen sind, wobei die mehr als 300 MilÂliÂarden Euro Italien endÂgĂĽltig in den Konkurs treiben wĂĽrden. Wie groĂź das Risiko mittÂlerÂweile ist, zeigt auch eine Studie der EZB, die vorÂrechnet, dass die KapiÂtalÂmärkte das „RedeÂnoÂmiÂnaÂtiÂonsÂrisiko“, also das Risiko, das der Euro durch eine neu einÂgeÂfĂĽhrte Währung ersetzt wird, im Falle ItaÂliens auf immerhin 20 Prozent schätzen.
Die Skepsis der Märkte ist nachÂvollÂziehbar, ist es doch schwer vorÂstellbar, wie das Land der SchulÂdenÂspirale entÂkommen soll. Allen BemĂĽÂhungen zum Trotz bleibt das WirtÂschaftsÂwachstum gering. Die Folge ist neben der ArbeitsÂloÂsigkeit, ein zunehmend marodes BanÂkenÂsystem, welches wieÂderum das WirtÂschaftsÂwachstum dämpft. Rund 360 MilÂliÂarden Euro an KreÂditen, die itaÂlieÂnische Banken verÂgeben haben, sind Not leidend. Werden die Banken, wie es die RegeÂlungen der EU eigentlich vorÂsehen, unter BeteiÂligung der GläuÂbiger abgeÂwiÂckelt, droht ein ErdÂrutschsieg der EU- und EuroÂgegner bei den nächsten Wahlen. Werden sie vom Staat gerettet, wird die SchulÂdenlast endÂgĂĽltig untragbar.
NatĂĽrlich könnte Italien weiÂterÂmachen, so wie auch Japan immer mehr Schulden aufÂnimmt. Doch setzt dies voraus, dass die EuroÂpäische ZenÂtralbank (EZB), wie die Bank of Japan immer mehr zum Finanzier wird. Noch fehlt der poliÂtische Konsens in der Eurozone, in diese Richtung zu gehen. AusÂzuÂschlieĂźen ist es trotz vorÂderÂgrĂĽnÂdiger ProÂteste aus Deutschland nicht, dĂĽrften doch unsere PoliÂtiker, vor die AlterÂnative gestellt, einen Zerfall der Eurozone zuzuÂlassen, die EZB gewähren lassen.
Italien hat weniger Schulden als Deutschland
Diese sehr ernĂĽchÂternde EinÂschätzung zur itaÂlieÂniÂschen StaatsÂverÂschuldung darf jedoch ĂĽber eine TatÂsache nicht hinÂwegÂtäuÂschen: Sauber gerechnet hat Italien deutlich weniger Schulden als Deutschland und diese Schulden sind perÂspekÂtiÂvisch weitaus tragÂfäÂhiger. Das hat damit zu tun, dass Staaten nicht wie UnterÂnehmen bilanÂzieren. Die offiÂziÂellen Zahlen zur VerÂschuldung sind die ausÂsteÂhenden Kredite und SchuldÂverÂschreiÂbungen der Staaten, nicht hinÂgegen die Zusagen fĂĽr kĂĽnftige LeisÂtungen. UnterÂnehmen mĂĽssen beiÂspielsÂweise fĂĽr kĂĽnftige PenÂsiÂonsÂleisÂtungen entÂspreÂchende RĂĽckÂstelÂlungen und RĂĽckÂlagen bilden und laufend Geld fĂĽr diese VerÂpflichtung zurĂĽckÂlegen. Staaten machen dies nicht.
Doch gerade mit Blick auf die zunehÂmende Alterung der GesellÂschaft ist in den komÂmenden Jahren mit erhebÂlichen BelasÂtungen zu rechnen. Studien zeigen, dass Italien bei der expliÂziten StaatsÂschuld mit 132 Prozent vom BrutÂtoÂinÂlandsÂprodukt (BIP) den zweiten Platz in Europa nach GrieÂchenland besetzt, bei der GesamtÂschuld jedoch mit 107 Prozent vom BIP zu den soliÂdesten Staaten gehört.
Italien ist neben Kroatien das einzige Land, in dem die NachÂhalÂtigÂkeitsÂlĂĽcke – also die zu erwarÂtenden Defizite entÂspreÂchend der heuÂtigen GesetÂzeslage zu EinÂnahmen und AusÂgaben – negativ ist. In Italien sind also in der Zukunft ĂśberÂschĂĽsse zu erwarten, was vor allem daran liegt, dass das Land schon vor Jahren eine Reform der AltersÂsiÂcheÂrungsÂsysteme durchÂgeÂfĂĽhrt hat. Das RenÂtenÂeinÂtrittsÂalter wurde erhöht und das LeisÂtungsÂniveau gesenkt.
Ganz anders sieht es bei dem vorÂgebÂlichen MusÂterÂschĂĽler Deutschland aus: Wir liegen wir mit einer ausÂgeÂwieÂsenen StaatsÂschuld von 71 Prozent des BIP und 161 Prozent inklusive der verÂdeckten Schulden im soliden MitÂtelfeld. Dennoch stehen wir längst nicht so gut da, wie es unsere PoliÂtiker gerne signaÂliÂsieren. Dabei dĂĽrften die wahren AusÂsichten noch schlechter sein, sind doch steiÂgende GesundÂheitsÂausÂgaben fĂĽr die alternde GesellÂschaft, die in den SoziÂalÂkassen anfallen werden und auch irgendwie finanÂziert werden mĂĽssen, nicht in den Zahlen enthalten.
Schon vor Jahren mahnte die Bank fĂĽr InterÂnaÂtioÂnalen ZahÂlungsÂausÂgleich eine drasÂtische KehrtÂwende in den öffentÂlichen Finanzen an. VerÂgeblich. So wuchs die NachÂhalÂtigÂkeitsÂlĂĽcke DeutschÂlands weiter an, vor allem dank der völlig fehlÂgeÂleiÂteten RenÂtenÂreÂformen der letzten Jahre, die zu einer deutÂlichen MehrÂbeÂlastung in der Zukunft fĂĽhren.
Lasst uns mehr Schulden machen
Mit der SteuÂerÂschätzung kam es in der letzten Woche in Deutschland zur ĂĽblichen reflexÂhaften DisÂkussion. Die einen forÂderten SteuÂerÂsenÂkungen, die anderen mehr InvesÂtiÂtionen, die anderen mehr SoziÂalÂleisÂtungen, wieÂderum andere höhere Steuern fĂĽr Reiche, und alle gemeinsam betonten die NotÂwenÂdigkeit, die StaatsÂschulden zu senken. Alles richtig und falsch zu gleich.
Wir verÂfolgen eine merkÂwĂĽrdige Politik. Alles wird darÂanÂgeÂsetzt, die explizite StaatsÂschuld zu senken, während gleichÂzeitig die implizite StaatsÂschuld immer mehr aus dem Ruder läuft. Dabei sollten wir genau das UmgeÂkehrte machen und damit ein klein wenig Italien folgen. Wir mĂĽssen die implizite StaatsÂschuld senken und die explizite erhöhen.
Der HauptÂgrund fĂĽr ein gröÂĂźeres expliÂzites Defizit des Staates liegt in unserer AuĂźenÂhanÂdelsÂbilanz. Wie an dieser Stelle ausÂfĂĽhrlich erläutert, gibt es einen zwangsÂläuÂfigen ZusamÂmenhang zwiÂschen dem Niveau der inlänÂdiÂschen Ersparnis und dem AuĂźenÂhanÂdelsÂĂĽberÂschuss. In Deutschland sparen die priÂvaten HausÂhalte, die UnterÂnehmen und der Staat, was zu einer gesamtÂwirtÂschaftÂlichen SparÂquote von rund zehn Prozent und damit zwangsÂläufig einem entÂspreÂchend groĂźen HanÂdelsÂĂĽberÂschuss fĂĽhrt.
Unseren HanÂdelsÂĂĽberÂschĂĽssen steht also immer auch ein KapiÂtalÂexport in gleicher GröÂĂźenÂordnung entÂgegen. Nicht erst seit der Wahl Donald Trumps stehen unsere HanÂdelsÂĂĽberÂschĂĽsse im KreuzÂfeuer der Kritik. Mit der Wahl von Emanuel Macron wird auch innerhalb der EU die Kritik deutlich zunehmen. Um proÂtekÂtioÂnisÂtiÂschen MaĂźÂnahmen vorÂzuÂgreifen, ist es in unserem eigenen Interesse, die ĂśberÂschĂĽsse zu senken, was per defiÂniÂtionem weniger inlänÂdische Ersparnis bedeutet. Wir mĂĽssen mehr Geld im eigenen Land ausÂgeben. Das ist ohnehin smarter, als in einer ĂĽberÂschulÂdeten Welt immer mehr ForÂdeÂrungen aufÂzuÂbauen, die ohnehin nicht vollÂumÂfänglich bedient werden können.
Da die priÂvaten HausÂhalte mit Blick auf die AltersÂvorÂsorge in der Tat sparen sollen, bleibt nur eine Reduktion der Ersparnis der UnterÂnehmen durch entÂspreÂchende InvesÂtiÂtiÂonsÂanÂreize oder eine höhere Besteuerung und ein Defizit des Staates. Eine zusätzÂliche Belastung der priÂvaten HausÂhalte verÂbietet sich von selbst, weshalb die ganze SteuÂerÂerhöÂhungsÂdisÂkussion grundÂfalsch ist.
Wir brauchen einen Staat, der mehr ausgibt
Wir brauchen keine höhere Steuer fĂĽr „Reiche“, wir brauchen keine Abschaffung der AbgelÂtungsÂsteuer, keine höhere ErbÂschaftsÂsteuer und auch keine VerÂmöÂgensÂsteuer. Wir brauchen UnterÂnehmen die mehr invesÂtieren – oder eben, wenn sie es nicht tun, mehr Steuern zahlen – und einen Staat, der mehr ausgibt. Und zwar fĂĽr alles:
- fĂĽr eine breite EntÂlastung der Steuerzahler
- fĂĽr eine InvesÂtiÂtiÂonsÂofÂfensive in InfraÂstruktur von StraĂźen bis schnelles Internet
- fĂĽr eine BilÂdungsÂofÂfensive, um die nächste GeneÂration fit zu machen fĂĽr die Industrie 4.0
- fĂĽr die KorÂrektur sozialer ProÂbleme, vor allem wieÂderum der VerÂbesÂserung der ChanÂcenÂgleichheit durch bessere Bildung fĂĽr alle.
Das Geld dafĂĽr ist da und es ist allemal besser, es im Inland ausÂzuÂgeben, als es im Ausland zu verlieren.
Runter mit der impliÂziten Staatsschuld
Damit wĂĽrden wir das nachÂhaltige WachsÂtumsÂpoÂtenzial DeutschÂlands stärken und auch die implizite StaatsÂschuld reduÂzieren und besser tragbar machen. GenĂĽgen wĂĽrde es allerÂdings nicht. Die PoliÂtiker mĂĽssten sich an eine echte Reform machen, um die verÂdeckten StaatsÂschulden in Form von unfiÂnanÂzierÂbaren VerÂsprechen fĂĽr Renten, PenÂsionen und GesundÂheitsÂverÂsorgung zu reduÂzieren. Deutlich höhere RenÂtenÂeinÂtrittsÂalter, geringere RenÂtenÂniÂveaus, mehr EigenÂbeÂteiÂligung bei der VorÂsorge sind die Stichworte.
UnpoÂpulär, aber ohnehin unabÂdingbar, sind diese EinÂgriffe. EntÂlastet der Staat die BĂĽrger heute und legt zugleich die GrundÂlagen fĂĽr kĂĽnfÂtigen WohlÂstand, indem er invesÂtiert, wäre die Chance gegeben, diese Reformen auch poliÂtisch durchÂzuÂsetzen. Heute kasÂteien wir uns mit den lauÂfenden AusÂgaben und laden uns untragbare Lasten fĂĽr die Zukunft auf. In der Zukunft sollten wir das Gegenteil machen.
Dr. Daniel Stelter / www.think-beyondtheobvious.com