Es ist etwa zwei Wochen her, dass eine Drohne aus dem Iran über israelischem Hoheitsgebiet abgeschossen wurde. Die israelische Luftwaffe holte aber nicht nur die Drohne vom Himmel, sondern griff auch eine iranische Basis auf syrischem Gebiet an und zerstörte sie weitgehend. Dabei wurde angeblich etwa ein Drittel der syrischen Luftabwehr vernichtet. Israel selbst verlor bei dem kurzen Schlagabtausch einen Fighter-Jet.
War die Entsendung der Drohne einfach ein Test? Was war der Zweck dieser Provokation? Die drastische Antwort Israels war ein Statement, das keine der Parteien in Nahost missverstehen konnte. Dabei forderte der Angriff auf die syrische Luftwaffenbasis Tiyas äußerste Präzision: Auch die Russen nutzen das Gelände und Netanjahu durfte den lebenswichtigen und gut funktionierenden Kontakt zu Russland nicht beschädigen. Diesem „heißen Draht“ ist es zu verdanken, dass es im nahen Osten noch zu keiner direkten Konfrontation zwischen Russland und Israel gekommen ist. Und Israel weiß, dass die USA wenig Lust hat, bei einem direkten Waffengang gegen Russland dabei zu sein.
Andererseits ist die in Israel hoch respektierte Luftwaffe nicht mehr die unüberwindliche Waffe, die sie einmal war. Zu viele Fliegerbasen sind in der Region entstanden. Der Iran, wie dieser Fall gut zeigt, hat seine Luftstreitkräfte erheblich verbessert und modernisiert. Ab 2002 begann der Iran außerdem, chinesische Hochgeschwindigkeitsraketen anzuschaffen. Die iranische Ghadr-Rakete hat eine Reichweite von 1800 Kilometern, die etwa 100 Shahab Raketen auf Basis der nordkoreanischen Nodong‑1 Raketen sollen bis zu 2000 Kilometer weit reichen. Da diese Raketen eine hohe Geschwindigkeit von Mach 6 bis 7 erreichen, könnten die Abwehrsysteme Israels ineffektiv sein. Im September 2017 testete der Iran erfolgreich die neue, ballistische Rakete „Choramschahr“, die eine Reichweite von 2000 Kilometer hat und mehrere Sprengköpfe tragen kann.
Damit wird sichtbar, dass Israel, je länger es abwartend zusieht, sich selbst immer tiefer in eine schwierige Situation treiben lässt: Die Vorwarnzeiten werden zu kurz. Die glorreiche, israelische Luftwaffe hat kaum Zeit, zu einem Gegenschlag aufzusteigen und könnte in naher Zukunft schon am Boden zerstört werden. Superschnellen Flugkörpern haben die amerikanischen Raketenabwehrsysteme Patriot und Arrow nicht viel entgegenzusetzen. Der Krieg fände blitzschnell direkt auf israelischem Boden statt.
Israel kann also zur Zeit keine andere Strategie fahren, als jeden Versuch eines Angriffes mit drastischen Vergeltungsaktionen zu bestrafen und sich gleichzeitig möglichst aus der Gemengelage um Syrien herauszuhalten. Schon am Anfang der Syrienkrieges fasste der damalige israelische Verteidigungsminister Mosche Yaalon das in einem Satz zusammen: „Lasst sie bluten“.
Der Iran ist eine Macht in der Region. Auch der Iran kann es sich nicht leisten, den Geschehnissen tatenlos zuzusehen. Er ist im Übrigen auf der Erledigungsliste der USA für Umstürze im Nahen Osten der dickste und wichtigste Brocken am Ende der ganzen Destabilisierungskampagne.
Man muss kein Geopolitik-Genie sein um zu sehen, dass der Iran ein Scheitern Syriens unter allen Umständen verhindern musste und eine Strategie entwickeln, wie sein Umland „Naher Osten“ unter Kontrolle zu halten ist. Fallen die Länder vor der Haustür des Irans, erobert die USA im Verbund mit Israel eine wesentlich aussichtsreichere Position, um den Iran „zu knacken“.
Daher rekrutierte der Iran die aus dem Libanon stammende Hisb’ollah, um auf Seiten Assads zu kämpfen, trainierte sie und stattete sie mit hochmodernen Waffen aus. Die Zeiten, in denen die Hisb’ollah mit selbstgebastelten Raketchen aus Eisenrohren kleine Kraterchen in den israelischen Straßenasphalt sprengen konnte, sind vorbei. Ihr Raketenarsenal ist auf etwa 100.000 gestiegen, die Reichweiten sind ebenfalls wesentlich höher, die Bedrohung für die israelische Bevölkerung wächst. Israel versucht zur Zeit, im Kleinkrieg gegen die Hisb’ollah, deren Waffentransporte zu zerstören und fliegt zu diesem Zweck auch Luftwaffeneinsätze über Syrien. Nicht, ohne nach Damaskus zu signalisieren, dass diese Einsätze sich nicht gegen die Assad-Regierung richteten und damit keine Einmischung in den Syrien-Krieg seien.
Das Fatale an der Gesamtsituation ist, dass sich keine Partei leisten kann, nicht die eigenen Interessen durchzusetzen. Zur Zeit hat die Allianz zwischen Russland, Syrien, dem Iran (und China) offenbar die besseren Karten und die USA können nicht offen aggressiv vorgehen. Dass die USA allerdings keinesfalls ihren Langzeitplan aufgeben werden, ist auch allen Beteiligten klar. Während die genannte Allianz um Syrien versucht, die Region zu befrieden und zu stabilisieren, zündelt die USA/CIA an allen Ecken und Enden, um die Kriegsmaschine wieder in Gang zu bringen.
Für den Iran bedeutet das, er wird gebraucht und gewinnt im Verbund mit Syrien und Russland ständig mehr Einfluss in der Region und kann seine Strukturen im Umland aufbauen. Für Israel bedeutet das, dass der Iran um Israel herum das Feld bereitet, seine Macht festigt und vielleicht zusammen mit der durchaus kopfstarken und kampferprobten Hisb’ollah die Auseinandersetzung mit dem verhassten „Judenstaat“ sucht.
Sollte also der Drohnenflug ein „Testballon“ des Irans sein, blieb Netanyahu nicht viel anderes übrig, als eine unmissverständliche Antwort zu senden. Das könnte den Amerikanern durchaus zupass kommen. Die USA haben sich sofort demonstrativ auf die Seite ihres Verbündeten Israel gestellt. Putin dagegen rief alle Seiten auf, sich zurückzuhalten. Verständlich: Russland will seine Erfolge im Nahen und Mittleren Osten nicht auf’s Spiel setzen. Putin weiß nur zu genau, dass die USA größtes Interesse an einer neuerlichen Destabilisierung hat. Das Problem behandelt Putin auf seine Art:
Nach dem ersten Luftschlag der israelischen Luftwaffe gegen den Stützpunkt in Tiyas kündigte die israelische Regierung an, weitere Militäraktionen in Syrien gegen iranische Kräfte zu starten. Daraufhin griff Präsident Wladimir Putin zum Telefon und konnte Premierminister Benjamin Netanyahu davon überzeugen, dass dies keine gute Idee sei.
Das englischsprachige, israelische Medium „Haaretz“ veröffentlichte dazu eine Analyse. Kurz und bündig berichtete die Online-Seite:
„On Saturday afternoon, after the second wave of bombardments by the Israel Air Force against Syrian targets and Iranian installations in Syria, senior Israeli officials were still taking a militant line and it seemed as if Jerusalem was considering further military action. Discussion of that ended not long after a phone call between Putin and Prime Minister Benjamin Netanyahu.“
Übersetzung: Am Samstagnachmittag, nach einer zweiten Bombardierungswelle der israelischen Luftwaffe gegen syrische Ziele und iranische Einrichtungen in Syrien, hatten sich israelische Regierungsbeamte weiterhin sehr kriegerisch geäußert und es schien, dass Jerusalem weitere Militäraktionen erwog. Die Diskussion darüber endete, kurz nach dem Telefongespräch zwischen Putin und Premierminister Benjamin Netanyahu.
Und weiter:
„The quiet after the Netanyahu-Putin call shows once again who’s the real boss in the Middle East. While the United States remains the region’s present absentee – searches are continuing for a coherent American foreign policy – Russia is dictating the way things are going. Moscow has invested too much effort and resources in saving Syrian President Bashar Assad’s regime in recent years to allow Israel to foil its strategic project. One can assume messages of this nature were conveyed during the phone call with Netanyahu.“
Übersetzung: Die Stille nach dem Netanyahu-Putin-Telefongespräch zeigt wieder einmal, wer der wirkliche Boss im Mittleren Osten ist. Während die Vereinigten Staaten der gegenwärtig Abwesende der Region bleiben – die Suche nach einer kohärenten Amerikanischen Außenpolitik geht weiter – diktiert Russland, was läuft. Moskau hat in den letzten Jahren viel zu viele Anstrengungen in die Rettung des syrischen Präsidenten Bashar Al Assad investiert, um Israel zu erlauben, sein Strategieprojekt zu vereiteln. Man kann davon ausgehen, das Botschaften dieser Art während des Telefongespräches mit Netanyahu übermittelt wurden.“
Wahrscheinlich hat Präsident Putin Ministerpräsident Netanyahu überdies klargemacht, dass die israelischen Angriffe auf syrisches Gebiet Russland dazu zwingen würden, sich an die Seite des Irans zu stellen.
Jetzt ist eigentlich der Iran am Zuge. Die Mullah-Regierung wird die Botschaft aus Tel Aviv wohl verstanden haben. Wird man das Ergebnis des Drohnen-Tests kühl auswerten und in die weitere Strategie einarbeiten, oder zum Angriff übergehen, indem man die gut bewaffnete, Israel hassende Hisb’ollah Israel an den Hals hetzt? Gegen die exzellent ausgebildeten Kämpfer, die sich in den arabischen Dörfern und Städten wie Fische im Wasser bewegen, kommt man mit Kampfjets schlecht an. Das ist mühsame Spezial-Einsatzkräfte-Arbeit.
Uneigentlich könnte aber Präsident Putin auch mal kurz in Teheran anrufen, falls er das nicht schon getan hat.