Israelischer Fighterjet F-16s

Der Kon­flikt Israel – Iran: Brennt die nächste Lunte am Nahost-Pulverfass?

Es ist etwa zwei Wochen her, dass eine Drohne aus dem Iran über israe­li­schem Hoheits­gebiet abge­schossen wurde. Die israe­lische Luft­waffe holte aber nicht nur die Drohne vom Himmel, sondern griff auch eine ira­nische Basis auf syri­schem Gebiet an und zer­störte sie weit­gehend. Dabei wurde angeblich etwa ein Drittel der syri­schen Luft­abwehr ver­nichtet. Israel selbst verlor bei dem kurzen Schlag­ab­tausch einen Fighter-Jet.

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War die Ent­sendung der Drohne einfach ein Test? Was war der Zweck dieser Pro­vo­kation? Die dras­tische Antwort Israels war ein Statement, das keine der Par­teien in Nahost miss­ver­stehen konnte. Dabei for­derte der Angriff auf die syrische Luft­waf­fen­basis Tiyas äußerste Prä­zision: Auch die Russen nutzen das Gelände und Netanjahu durfte den lebens­wich­tigen und gut funk­tio­nie­renden Kontakt zu Russland nicht beschä­digen. Diesem „heißen Draht“ ist es zu ver­danken, dass es im nahen Osten noch zu keiner direkten Kon­fron­tation zwi­schen Russland und Israel gekommen ist. Und Israel weiß, dass die USA wenig Lust hat, bei einem direkten Waf­fengang gegen Russland dabei zu sein.
Ande­rer­seits ist die in Israel hoch respek­tierte Luft­waffe nicht mehr die unüber­wind­liche Waffe, die sie einmal war. Zu viele Flie­ger­basen sind in der Region ent­standen. Der Iran, wie dieser Fall gut zeigt, hat seine Luft­streit­kräfte erheblich ver­bessert und moder­ni­siert. Ab 2002 begann der Iran außerdem, chi­ne­sische Hoch­ge­schwin­dig­keits­ra­keten anzu­schaffen. Die ira­nische Ghadr-Rakete hat eine Reich­weite von 1800 Kilo­metern, die etwa 100 Shahab Raketen auf Basis der nord­ko­rea­ni­schen Nodong‑1 Raketen sollen bis zu 2000 Kilo­meter weit reichen. Da diese Raketen eine hohe Geschwin­digkeit von Mach 6 bis 7 erreichen, könnten die Abwehr­systeme Israels inef­fektiv sein. Im Sep­tember 2017 testete der Iran erfolg­reich die neue, bal­lis­tische Rakete „Cho­ramschahr“, die eine Reich­weite von 2000 Kilo­meter hat und mehrere Spreng­köpfe tragen kann.
Damit wird sichtbar, dass Israel, je länger es abwartend zusieht, sich selbst immer tiefer in eine schwierige Situation treiben lässt: Die Vor­warn­zeiten werden zu kurz. Die glor­reiche, israe­lische Luft­waffe hat kaum Zeit, zu einem Gegen­schlag auf­zu­steigen und könnte in naher Zukunft schon am Boden zer­stört werden. Super­schnellen Flug­körpern haben die ame­ri­ka­ni­schen Rake­ten­ab­wehr­systeme Patriot und Arrow nicht viel ent­ge­gen­zu­setzen. Der Krieg fände blitz­schnell direkt auf israe­li­schem Boden statt.
Israel kann also zur Zeit keine andere Stra­tegie fahren, als jeden Versuch eines Angriffes mit dras­ti­schen Ver­gel­tungs­ak­tionen zu bestrafen und sich gleich­zeitig mög­lichst aus der Gemengelage um Syrien her­aus­zu­halten. Schon am Anfang der Syri­en­krieges fasste der damalige israe­lische Ver­tei­di­gungs­mi­nister Mosche Yaalon das in einem Satz zusammen: „Lasst sie bluten“.
Der Iran ist eine Macht in der Region. Auch der Iran kann es sich nicht leisten, den Gescheh­nissen tatenlos zuzu­sehen. Er ist im Übrigen auf der Erle­di­gungs­liste der USA für Umstürze im Nahen Osten der dickste und wich­tigste Brocken am Ende der ganzen Destabilisierungskampagne.

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Man muss kein Geo­po­litik-Genie sein um zu sehen, dass der Iran ein Scheitern Syriens unter allen Umständen ver­hindern musste und eine Stra­tegie ent­wi­ckeln, wie sein Umland „Naher Osten“ unter Kon­trolle zu halten ist. Fallen die Länder vor der Haustür des Irans, erobert die USA im Verbund mit Israel eine wesentlich aus­sichts­rei­chere Position, um den Iran „zu knacken“.
Daher rekru­tierte der Iran die aus dem Libanon stam­mende His­b’ollah, um auf Seiten Assads zu kämpfen, trai­nierte sie und stattete sie mit hoch­mo­dernen Waffen aus. Die Zeiten, in denen die His­b’ollah mit selbst­ge­bas­telten Raketchen aus Eisen­rohren kleine Kra­terchen in den israe­li­schen Stra­ßen­asphalt sprengen konnte, sind vorbei. Ihr Rake­ten­ar­senal ist auf etwa 100.000 gestiegen, die Reich­weiten sind eben­falls wesentlich höher, die Bedrohung für die israe­lische Bevöl­kerung wächst. Israel ver­sucht zur Zeit, im Klein­krieg gegen die His­b’ollah, deren Waf­fen­trans­porte zu zer­stören und fliegt zu diesem Zweck auch Luft­waf­fen­ein­sätze über Syrien. Nicht, ohne nach Damaskus zu signa­li­sieren, dass diese Ein­sätze sich nicht gegen die Assad-Regierung rich­teten und damit keine Ein­mi­schung in den Syrien-Krieg seien.
Das Fatale an der Gesamt­si­tuation ist, dass sich keine Partei leisten kann, nicht die eigenen Inter­essen durch­zu­setzen. Zur Zeit hat die Allianz zwi­schen Russland, Syrien, dem Iran (und China) offenbar die bes­seren Karten und die USA können nicht offen aggressiv vor­gehen. Dass die USA aller­dings kei­nes­falls ihren Lang­zeitplan auf­geben werden, ist auch allen Betei­ligten klar. Während die genannte Allianz um Syrien ver­sucht, die Region zu befrieden und zu sta­bi­li­sieren, zündelt die USA/CIA an allen Ecken und Enden, um die Kriegs­ma­schine wieder in Gang zu bringen.
Für den Iran bedeutet das, er wird gebraucht und gewinnt im Verbund mit Syrien und Russland ständig mehr Ein­fluss in der Region und kann seine Struk­turen im Umland auf­bauen. Für Israel bedeutet das, dass der Iran um Israel herum das Feld bereitet, seine Macht festigt und viel­leicht zusammen mit der durchaus kopf­starken und kampf­erprobten His­b’ollah die Aus­ein­an­der­setzung mit dem ver­hassten „Juden­staat“ sucht.
Sollte also der Droh­nenflug ein „Test­ballon“ des Irans sein, blieb Net­anyahu nicht viel anderes übrig, als eine unmiss­ver­ständ­liche Antwort zu senden. Das könnte den Ame­ri­kanern durchaus zupass kommen. Die USA haben sich sofort demons­trativ auf die Seite ihres Ver­bün­deten Israel gestellt. Putin dagegen rief alle Seiten auf, sich zurück­zu­halten. Ver­ständlich: Russland will seine Erfolge im Nahen und Mitt­leren Osten nicht auf’s Spiel setzen. Putin weiß nur zu genau, dass die USA größtes Interesse an einer neu­er­lichen Desta­bi­li­sierung hat. Das Problem behandelt Putin auf seine Art:
Nach dem ersten Luft­schlag der israe­li­schen Luft­waffe gegen den Stütz­punkt in Tiyas kün­digte die israe­lische Regierung an, weitere Mili­tär­ak­tionen in Syrien gegen ira­nische Kräfte zu starten. Dar­aufhin griff Prä­sident Wla­dimir Putin zum Telefon und konnte Pre­mier­mi­nister Ben­jamin Net­anyahu davon über­zeugen, dass dies keine gute Idee sei.
Das eng­lisch­spra­chige, israe­lische Medium „Haaretz“ ver­öf­fent­lichte dazu eine Analyse. Kurz und bündig berichtete die Online-Seite:
On Saturday afternoon, after the second wave of bom­bard­ments by the Israel Air Force against Syrian targets and Iranian instal­la­tions in Syria, senior Israeli offi­cials were still taking a militant line and it seemed as if Jeru­salem was con­sidering further military action. Dis­cussion of that ended not long after a phone call between Putin and Prime Minister Ben­jamin Netanyahu.“
Über­setzung: Am Sams­tag­nach­mittag, nach einer zweiten Bom­bar­die­rungs­welle der israe­li­schen Luft­waffe gegen syrische Ziele und ira­nische Ein­rich­tungen in Syrien, hatten sich israe­lische Regie­rungs­beamte wei­terhin sehr krie­ge­risch geäußert und es schien, dass Jeru­salem weitere Mili­tär­ak­tionen erwog. Die Dis­kussion darüber endete, kurz nach dem Tele­fon­ge­spräch zwi­schen Putin und Pre­mier­mi­nister Ben­jamin Netanyahu.
Und weiter:
The quiet after the Net­anyahu-Putin call shows once again who’s the real boss in the Middle East. While the United States remains the region’s present absentee – searches are con­ti­nuing for a coherent Ame­rican foreign policy – Russia is dic­tating the way things are going. Moscow has invested too much effort and resources in saving Syrian Pre­sident Bashar Assad’s regime in recent years to allow Israel to foil its stra­tegic project. One can assume mes­sages of this nature were con­veyed during the phone call with Netanyahu.“
Über­setzung: Die Stille nach dem Net­anyahu-Putin-Tele­fon­ge­spräch zeigt wieder einmal, wer der wirk­liche Boss im Mitt­leren Osten ist. Während die Ver­ei­nigten Staaten der gegen­wärtig Abwe­sende der Region bleiben – die Suche nach einer kohä­renten Ame­ri­ka­ni­schen Außen­po­litik geht weiter – dik­tiert Russland, was läuft. Moskau hat in den letzten Jahren viel zu viele Anstren­gungen in die Rettung des syri­schen Prä­si­denten Bashar Al Assad inves­tiert, um Israel zu erlauben, sein Stra­te­gie­projekt zu ver­eiteln. Man kann davon aus­gehen, das Bot­schaften dieser Art während des Tele­fon­ge­spräches mit Net­anyahu über­mittelt wurden.“
Wahr­scheinlich hat Prä­sident Putin Minis­ter­prä­sident Net­anyahu überdies klar­ge­macht, dass die israe­li­schen Angriffe auf syri­sches Gebiet Russland dazu zwingen würden, sich an die Seite des Irans zu stellen.
Jetzt ist eigentlich der Iran am Zuge. Die Mullah-Regierung wird die Bot­schaft aus Tel Aviv wohl ver­standen haben. Wird man das Ergebnis des Drohnen-Tests kühl aus­werten und in die weitere Stra­tegie ein­ar­beiten, oder zum Angriff über­gehen, indem man die gut bewaffnete, Israel has­sende His­b’ollah Israel an den Hals hetzt? Gegen die exzellent aus­ge­bil­deten Kämpfer, die sich in den ara­bi­schen Dörfern und Städten wie Fische im Wasser bewegen, kommt man mit Kampfjets schlecht an. Das ist mühsame Spezial-Einsatzkräfte-Arbeit.
Unei­gentlich könnte aber Prä­sident Putin auch mal kurz in Teheran anrufen, falls er das nicht schon getan hat.