Die Auferstehung der Zensur in Europa

“Fake News” und Zensur waren gestern: Ist die Ver­hin­derung von unlieb­samen Nach­richten die Zukunft?

Seit dem Wahl­kampf Donald Trumps ist das Unwort in der Welt und jeder schlägt es dem jeweils Anders­den­kenden um die Ohren. Eigentlich war es eine „Erfindung“ des Trump-Lagers während der heißen Wahl­kampf­phase, als die US-Medien alles her­aus­kramten, was nur irgendwie negativ über „the Donald“ klang: Ein Sex­monster (mehr als unge­betene Anmache konnte aber nicht her­vor­ge­kramt werden), das hart­nä­ckige Gerücht der „bösen Rus­sen­ein­mi­schung“ (längst als falsch ent­larvt) und, als gar nichts mehr half, Gerüchte über seine Haartracht.
„Fake-News“ kam über den großen Teich und wurde hier erstaun­li­cher­weise sofort von den Main­stream­m­edien besetzt als Gene­ral­vorwurf gegen die freien Medien – sozu­sagen als Retour­kutsche für „Lügen­presse“ — übrigens ein Wort, das in den Staaten von Deutschland über­nommen und auf Papp­schildern von Trump-Anhängern durch die Straßen getragen wurde. „Ljuugen­prässe!“ skan­dierten die Deplo­rables (Bemit­lei­dens­werten), wie Hillary Clinton Trumps Anhänger nannte.
„Fake News“ ist hier längst zum Kampf­be­griff geworden und wird haupt­sächlich von der „Qua­li­täts­presse“, rechtlich bedenk­lichen Zen­sur­in­sti­tu­tionen und frag­wür­digen, selbst­er­nannten Läden mit ebenso frag­wür­digen Geld­gebern wie „cor­rectiv!“ als Dis­kri­mi­nie­rungs­fanfare her­aus­ge­trötet, während sie selbst Fal­sch­nach­richten, schlampig zusam­men­ge­na­gelte Halb­wahr­heiten bis hin zu bewussten Lügen verbreiten.
Offenbar haben aber die Flut der Demas­kie­rungen durch die Alter­na­tiven, der Nie­dergang des Renommées der Qua­li­täts­medien und der Zuwachs für die Alter­na­tiven Medien, die Pro­teste gegen die aus­ufernden Zen­sur­maß­nahmen und die Bedenken von rechts­wis­sen­schaft­lichen Experten doch eine gewisse Unsi­cherheit bei den EU-Granden her­vor­ge­rufen. So bestellte die EU eine Gruppe von Wis­sen­schaftlern und Fach­leuten (HLEG), ihre Exper­ten­meinung samt Emp­feh­lungen zum Thema „Wie man Fake News ent­ge­gen­treten kann“ in einem Bericht zusam­men­zu­fassen. Der Bericht wurde vor wenigen Tagen vor­gelegt.
Geht man durch den Bericht, bleibt der in seinen Schluss­fol­ge­rungen teil­weise unscharf. Was aller­dings gleich zu Anfang pos­tu­liert wird ist, dass der Ter­minus „Fake News“ unge­eignet, ein­schränkend und irre­führend sei. Er sei zu ersetzen durch „Des­in­for­mation“. Des­in­for­mation, so steht in der Zusam­men­fassung des Berichtes zu lesen, gehe wesentlich weiter als der Begriff Fake News. Mariya Gabriel, die EU-Digi­tal­kom­mis­sarin gab bekannt, sie werde für­derhin aus­schließlich das Wort „Des­in­for­mation“ benutzen.
Die Defi­nition hierfür lautet, dass das Ziel aller Maß­nahmen gegen Fake News/Desinformation der Kampf gegen falsche, irre­füh­rende und unpräzise, ver­öf­fent­lichte Infor­ma­tionen ist, deren Sinn und Absicht es ist, der „Öffent­lichkeit“ zu schaden oder Profite auf­grund von dieser Des­in­for­mation zu generieren:
Dis­in­for­mation as defined in this Report includes all forms of false, inac­curate, or mis­leading infor­mation designed, pre­sented and pro­moted to inten­tio­nally cause public harm or for profit.“ 
Inter­es­san­ter­weise fährt die Zusam­men­fassung fort, indem sie auch klar abgrenzt:
„It does not cover issues arising from the creation and dis­se­mi­nation online of illegal content (notably defa­mation, hate speech, inci­tement to vio­lence), which are subject to regu­latory remedies under EU or national laws, nor other forms of deli­berate but not mis­leading dis­tor­tions of facts such a satire and parody.“
Sie (die Des­in­for­mation) deckt jedoch weder Tat­be­stände aus der Erstellung und Online-Ver­breitung von rechts­wid­rigen Inhalten (ins­be­sondere Ver­leumdung, Hassrede, Auf­sta­chelung zur Gewalt), die den behörd­lichen recht­lichen Maß­nahmen — unter EU und natio­nalem Recht – unter­liegen, noch fallen dar­unter andere Formen absicht­licher, jedoch nicht irre­füh­render Ver­zerrung von Tat­sachen wie bei­spiels­weise Satire oder Parodie.
Kurz: Hassrede, Ver­leundung und Auf­sta­chelung zur Gewalt sind Fälle für den Straf­richter und keine Des­in­for­mation, eben­so­wenig wie Comedy, Satire oder Par­odien. Damit wird den Ver­suchen gewisser Zensur-Insti­tu­tionen, die alles, was dem System nicht passt, gleich unter Fake News sub­sum­mierten und ent­spre­chend dagegen zu Felde zogen, der Wind etwas aus den Segeln genommen. Und, wie um das noch einmal all­gemein und ver­ständlich zu formulieren:
„Das HLEG rät der Kom­mission von ein­fachen Lösungen ab. Jedwede Form der Zensur, sowohl öffentlich als auch privat, sollte klar ver­mieden werden.“
(The HLEG advises the Com­mission against sim­plistic solu­tions. Any form of cen­sorship either public or private should clearly be avoided.)
Die dann fol­genden Vor­schläge sind meis­terlich for­mu­lierte, schon in die Nähe von All­ge­mein­plätzen abdrif­tende Emp­feh­lungen wie, echten Qua­li­täts­jour­na­lismus zu stärken, eine „Medi­en­bildung“ (was immer das auch sei) zu fördern und die Social-Media-Platt­formen, wie Facebook, Twitter und Youtube „stärker in die Ver­ant­wortung zu nehmen“. Dazu werden eine Reihe von Werten und Maß­nahmen vor­ge­schlagen, die diese Platt­formen beachten und beher­zigen sollen.
Hier werden die Experten dann doch explizit. Facebook & Co soll seine Algo­rithmen offen­legen, wie und warum die sei­ten­ei­genen Algo­rithmen bestimmte Infor­ma­tionen aus dem Wust her­aus­filtern und bevorzugt ver­breiten. Man müsse besser nach­voll­ziehen können, auf welchen Wegen die Nach­richten ver­breitet werden und was die Algo­rithmen dazu bei­tragen. Ände­rungen dieser Algo­rithmen sollen im Voraus öffentlich gemacht werden. Gemeint sind hier die Vor­schläge und Emp­feh­lungen, die diese Platt­formen ihren Besu­chern präsentieren.
Jeder kennt das: Man schaut sich ein Video auf Youtube an, und rechts in der Vor­schlags­leiste erscheinen viele andere Videos, die teil­weise (nach­voll­ziehbar) das­selbe Thema behandeln und nahe ver­wandt sind, teil­weise aber auch in ganz andere The­men­kreise führen. Und das hat nicht immer was mit den Zugriffs­zahlen zu tun. Man will also offen­sichtlich Ein­blick in die Emp­feh­lungs­ma­schinen der Platt­formen bekommen.
Ein wei­terer Punkt des Berichtes beschäftigt sich mit den Geld­ge­ne­rie­rungs­mo­dellen der Platt­formen. So wird Trans­parenz bei den Wer­be­ein­nahmen gefordert. Was das mit Des­in­for­mation zu tun hat, erschließt sich nicht auf Anhieb. Sogar Zugang zu internen Daten der Platt­formen fordern die Experten. Natürlich nur für For­schungs­zwecke, denn man müsse ja die Wege der Ver­breitung von Des­in­for­ma­tionen zu ver­stehen lernen.
Wer denn eigentlich diese gefor­derte Trans­parenz nutzen dürfen soll, um all diese Infor­ma­tionen und Ein­blicke zu bekommen und zu ver­ar­beiten, bleibt ungewiss. Man fragt sich schon, ob den Damen und Herren Experten über­haupt klar ist, dass die­je­nigen, die ihre Nase tief in die Daten­ein­ge­weide der Platt­formen stecken, eine umfas­sende Schulung darüber erhalten, wie man Nach­richten und Infor­ma­tionen ent­weder schon vor Ver­breitung abwürgt oder sie massiv pusht.
In diesem Zusam­menhang bekommt die Emp­fehlung „Das HLEG rät der Kom­mission von ein­fachen Lösungen ab. Jedwede Form der Zensur, sowohl öffentlich, als auch privat, sollte klar ver­mieden werden.“ doch plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Wer braucht dann noch die plumpe und weithin sichtbare Keule der Zensur an bereits ver­öf­fent­lichten und damit wahr­ge­nom­menen Inhalten, wenn er die unlieb­samen Inhalte schon im stadium nas­cendi hin­ter­rücks, unbe­merkt und ohne dass jemand sie erfahren konnte, abwürgen kann?
Da kann Frau EU-Kom­mis­sarin Gabriel noch so freundlich flöten, dass die Vor­schläge erst­einmal auch nur Vor­schläge bleiben und die EU-Kom­mission VORERST keine neuen Gesetze gegen Des­in­for­mation plant. Und auch die Vor­sit­zende dieser Exper­ten­gruppe, Made­leine Cock Buning, beschwichtigt, dass ihre Vor­schläge kei­nes­falls auf eine Form der Zensur von Inhalten hin­aus­laufen sollen. Da läuten doch bei jedem, der noch drei lebende Gehirn­zellen hat, die Alarm­glocken. Wer keine bren­nenden Streich­hölzer in der Hand hat, muss auch nicht ver­si­chern, dass er kein Feuer legen will.