Die Entwicklung der Aktienkurse europäischer Banken deutet darauf hin, dass die Anleger Vertrauen in die Geschäftsmodelle der Euro-Banken verloren haben: Während die Aktienkurse von US-Banken seit Anfang 2006 um 24 Prozent gestiegen sind, ist der Index für die Bankaktien des Euroraums um rund 70 Prozent gefallen; die beiden größten deutschen Banken, die Deutsche Bank und die Commerzbank, haben 85 beziehungsweise 94 Prozent ihrer Marktkapitalisierung verloren.
Die Bilanzsumme der Deutschen Bank in Höhe von knapp 1,5 Billionen Euro per März 2018 entspricht rund 45 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes. Im internationalen Vergleich ist das eine gewaltige, geradezu erschreckende Größenordnung. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Bank im internationalen Kredit- und Investmentbanking-Geschäft nach wie vor stark vertreten ist; die Bank hat allerdings bereits begonnen, ihre Bilanz zu reduzieren.
„Vorsicht vor Großbanken“ – das ist es, was aus der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 zu lernen ist. Großbanken haben das Potenzial, eine ganze Wirtschaft in Geiselhaft zu nehmen: Wenn sie in Schwierigkeiten geraten, können sie quasi alles mit sich in den Abgrund ziehen, besonders die unschuldigen Steuerzahler und, falls und wenn die Zentralbanken beschließen, die Großbanken zu retten, auch diejenigen, die Fiat-Geld und auf Fiat-Geld lautende festverzinsliche Wertpapiere halten.
Wenn man sich fragt, wohin das Bankenproblem im Euroraum noch führen wird, ist es sinnvoll, sich zunächst an die grundlegenden Risiken des Bankgeschäfts zu erinnern, nämlich das Liquiditätsrisiko und das Insolvenzrisiko.
Das Liquiditätsrisiko beschreibt das Risiko, dass eine Bank ihren Zahlungsverpflichtungen nicht vollständig nachkommt. Die meisten Banken haben langfristige Kredite vergeben und refinanzieren sich mit kurzfristigen Einlagen und Krediten. Sie müssen daher fällige Schulden prolongieren. In einer Situation, in der Anleger nicht mehr bereit sind, den Banken neues Geld zu leihen, drohen die Geldhäuser zahlungsunfähig, also illiquide, zu werden.
Im heutigen Fiat-Geldsystem sind die Zentralbanken jedoch in der Lage, das Liquiditätsrisiko zu bannen. Sie können nämlich jederzeit neues Geld schaffen und es nach eigenem Gutdünken an schwankende Banken verleihen. Eine einzelne Bank mag wegen mangelnder Liquidität fallengelassen werden, nicht aber das Bankensystem insgesamt. In einer systembedrohlichen Liquiditätskrise werden die Zentralbanken ihre Kunden, die Geschäftsbanken, stützen.
Das Insolvenzrisiko bezeichnet das Risiko, dass die Aktiva einer Bank nicht ausreichen, um die Schulden der Bank zu bedienen. Dieses Risiko wird zum Beispiel schlagend, wenn die Zahlungseingänge einer Bank aufgrund von Kreditverlusten geringer ausfallen als die gesamten Zahlungsverpflichtungen, die zur Finanzierung des Kredits zu leisten sind. Eine Bank kann dann nicht mehr vollumfänglich den Schuldendienst an ihre Kreditgeber leisten.
Eine Insolvenzkrise kann die Zentralbank, anders als eine Liquiditätskrise, nicht so ohne weiteres lösen. Übersteigen die Verbindlichkeiten das Vermögen, ist das Eigenkapital einer Bank aufgezehrt. Bankeignern, aber auch Kreditgebern droht der Verlust ihres Kapitals. Eine Bank wird in einer solchen Situation versuchen, sich neues Eigenkapital am Markt zu beschaffen. Gelingt das nicht, weil Investoren sich zurückhalten, greift die Regierung ein – meist aus Angst vor „Ansteckungseffekten“.
Das Fiat-Geldsystem
Die Regierung nimmt das Geld der Steuerzahler, und zahlt es als neues Eigenkapital in die strauchelnde Bank ein. Oder sie gibt neue Schulden aus, die von der Zentralbank gegen Herausgabe von neu geschaffenem Geld gekauft werden. Das neu geschaffene Geld wird sodann als neues Bankkapital eingezahlt. Die rekapitalisierte Bank wird also erhalten, indem sie teilweise oder vollständig verstaatlicht wird.
Um das Liquiditäts- und Insolvenzrisiko schon im Keim zu ersticken, haben die Zentralbanken ein „Sicherheitsnetz“ aufgespannt: Die Zentralbankräte haben den Finanzmarktakteuren signalisiert, dass die Geldpolitik die „rettende Hand“ ausstreckt, sollte es erneut zu Erschütterungen im Wirtschafts- und Finanzsystem kommen. Ein Szenario, in dem das gesamte Bankensystem untergeht, soll um jeden Preis verhindert werden.
Doch das setzt einen unheilvollen Prozess in Gang. Das heutige Fiat-Geld verursacht nämlich notwendigerweise einen Boom, der früher oder später in einen Bust umschlägt. Und mit dem Bust materialisiert sich auch das Liquiditäts- und Insolvenzrisiko in der Kreditwirtschaft. Und um das zu verhindern, verfolgen die Zentralbank einen inflationären Kurs: Sie weiten die Kredit- und Geldmenge im Zuge künstlich niedrig gehaltener Zinsen aus.
Die Zentralbank sät die Saat für die Krise, und sobald sich die Krise zeigt, pumpt sie neues Geld zu künstlich niedrigen Zinssätzen in die Wirtschaft, und die Volkswirtschaft ist in der Boom-Bust-Misere gefangen. Ein solcher Kreislauf verursacht wirtschaftliche und soziale Probleme im großen Stil. Er lässt die Kaufkraft des Geldes sinken, sorgt für Kapitalfehllenkungen, und nur wenige profitieren davon, zum Nachteil des Großteils der Bevölkerung.
Inflation ist keine nachhaltige Politik
Dass die Volkswirtschaften des Euroraums aus ihren Bankenproblemen herauswachsen könnten, wäre sicherlich wünschenswert, ist ein angenehmes Szenario, aber es ist leider auch ein recht unwahrscheinliches. Die Rettung strauchelnder Banken mit Steuergeldern und eine inflationsfinanzierte Rekapitalisierung ihres Eigenkapitals stehen für ein weitaus weniger erfreuliches Szenario, es ist aber weitaus wahrscheinlicher.
Denn wenn ein übergroßer Bankapparat zu schrumpfen beginnt, nimmt der ausstehende Kredit- und Geldmengenbestand ab. Und sinkt die Geldmenge, tendieren die Güterpreise auf breiter Front nach unten, es kommt zur Deflation. Deflation aber ist ein Alptraum für die hoch Verschuldeten, denn sinkende Preise erhöhen ihre reale Schuldenlast und leiten das Finanz- und Wirtschaftssystem in eine schmerzliche Abwärtsspirale. Politisch wird daher der Inflationspolitik daher Vorzug gegeben.
Ironischerweise ist dies jedoch genau das, was das Gelddrucken der EZB bewirken wird. Ludwig von Mises (1881 – 1973) stellte in diesem Zusammenhang weise fest:
„Alle Regierungen sind der Politik der niedrigen Zinsen, der Kreditausweitung und der Inflation verpflichtet. Wenn die unvermeidlichen Folgen dieser kurzfristigen Politiken eintreten, kennen sie nur ein Mittel, um ihre inflationären Unternehmungen fortzusetzen.“
Und dieses Mittel ist Inflation, ist Geldmengenvermehrung.
Ohne die exzessive Ausgabe von immer neuem Fiat-Geld durch die EZB hätte der Euro-Bankapparat seine heutige, aufgeblähte Dimension gar nicht erreichen können. Und mit dem Versuch, die Inflationspolitik der Vergangenheit zu korrigieren – den Zusammenbruch des Euro-Bankensektors abzuwenden –, ist die EZB auf dem besten Wege, eine noch umfassendere Inflationspolitik zu verfolgen. Das verheißt nichts Gutes für die künftige Kaufkraft des Euro.
Der Euroraum ist damit ein Musterbeispiel für eine unheilige Allianz zwischen der Zentralbank und den Geschäftsbanken: Sie hat nicht nur einen inflationären Boom- und Bust-Zyklus verursacht. Die unheilige Allianz hat auch einen überdimensionalen und schlecht wirtschaftenden Bankenapparat hervorgebracht. Die Politik, ihn mit allen Mitteln über Wasser zu halten, wird die Mehrheit der Euro-Bürger noch sehr teuer zu stehen kommen.
Diesen Beitrag hat Thorsten Polleit unter dem Titel „Deutsche Bank’s Troubles Raise Worries About the Future of the Euro Zone” am 19. Juni 2018 auf der Website des Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, veröffentlicht. Auf deutsch erschien dieser Beitrag zuerst auf der Seite des Ludwig vom Mises Instituts Deutschland.