Sejm RP - 23. posiedzenie Sejmu - 4. dzień - fot. Paweł Kula - https://www.flickr.com/photos/sejmrp/28366433582 - CC BY 2.0

Polen: Streit mit der EU um Jus­tiz­reform eska­liert – Brüssel eher machtlos

2019 sind in Polen Par­la­ments­wahlen. Brüssel droht im Vorfeld dem Land EU-Gelder zu kürzen und will einen Regie­rungs­wechsel erzwingen. Das gab der Kan­didat für den War­schauer OB-Sessel Trz­as­kowski offen zu. Die Dimen­sionen der deutsch-pol­ni­schen Wirt­schafts­be­zie­hungen und die Mög­lich­keiten War­schaus auf die deutsche Wirt­schaft Druck aus­zuüben, sprechen jedoch gegen Brüssels Sieg. In ihren Vor­ur­teilen und Selbst­herr­lichkeit glauben viele Deut­schen, es sei umge­kehrt und Polen immer noch das Armenhaus Europas.
Ost­europa ist tat­sächlich der EU-Nettozahler
Fol­gende Zahlen sprechen für sich: Polen bekommt von der EU jährlich 7 Mrd. €, was etwa ein Viertel des BIP-Wachstums von 4% aus­macht. Deutschland trägt dazu ein Drittel bei. Die Brüssel-Mil­li­arden sind ein schöner Geld­batzen, ohne ihn geht es aber wirt­schaftlich voran. Zum Ver­gleich: Deutschland gibt für seine „Migranten“ zehnmal mehr aus. Zudem handelt es sich hier um ein tem­po­räres Finanz­aus­gleichs­system, ver­gleichbar dem deut­schen Lan­des­fi­nanz­aus­gleich. Bayern ist heute Net­to­zahler, war früher lange Zeit Nutz­nießer. Gleich­zeitig führen EU-Kon­zerne aus dem Ostland Mil­li­ar­den­ge­winne aus. Der Pariser Star-Ökonom Thomas Pickettys hat errechnet, dass im Zeitraum 2005–2016 der Gewinn­transfer gen Westen die jähr­lichen Sub­ven­ti­ons­gelder um durch­schnittlich 5 Mrd. € übertraf. In Ungarn, der Slo­wakei und Tsche­chien fiel diese Dis­pro­portion noch höher. Seine Kon­klusion: Ost­europa ist de facto der EU-Net­to­zahler. Wer glaubt, die EU „füttere Polen durch“, irrt.
Das Land hat heute eine starke Wirt­schaft, zieht Groß­in­ves­toren an und hat im deut­schen Außen­handel mit über­schrit­tenen 100 Mrd.€ Öster­reich und die Schweiz überholt. Die falsche EU-Politik kenn den starken Hin­ter­grund, nutzt dennoch frech das Sub­ven­ti­ons­ar­gument aus um gegen die unlieb­samen Ost-Popu­listen Stimmung zu machen. Das kommt beim unin­for­mierten deut­schen Michel gut an, der seit seiner Kindheit (auch in der DDR) ständig von der „pol­ni­schen Wirt­schaft“ gehört hat und noch die Hilfs­pakete aus den 80er Jahren während der Soli­darnosc-Revolte in Erin­nerung hat. Er glaubt, Polen sei noch immer das Armenhaus Europas.
Das Anziehen der Steu­er­schraube wäre für deutsche Kon­zerne ein schmerz­licher Akt
Die Top-Gewinne haben deutsche Groß­kon­zerne in Polen neben den her­vor­ra­genden Margen auch dem (noch) groß­zü­gigen und lücken­haften Steu­er­system zu ver­danken. Bei nied­rigen Steu­er­sätzen voll­zieht sich eine geduldete Gewinn­ver­la­gerung in den Westen wegen der Aner­kennung vieler „weicher Kosten“ als Betriebs­aus­gaben (Con­sultig, unechte Lizenzen). Solche Ver­güns­ti­gungen lassen sich aber schnell abschaffen. Die PIS-Regierung kann Ent­schlos­senheit zeigen, wenn sie will. Das hat sie zuletzt bei der Schließung der Umsatz­steuer-Schlupf­löcher gezeigt, die die Brüssel-freund­liche Vor­gän­ger­re­gierung im Zeitraum 2010 – 2015 massiv zuließ. Das könnte dem Land bis zu 200 Mrd. Zloty (48 Mrd. €) einbringen.
Vor allem die Deut­schen wie die Deutsche Telekom, Volks­wagen, viele Super­markt­ketten, Verlage oder Banken wären von einem Anziehen der Steu­er­schraube unan­genehm betroffen. Sie könnten den Polen nicht mit Stand­ort­ver­la­ge­rungen drohen, weil sie als Konsum- und Dienst­leis­tungs­an­bieter eher etwas Ver­kaufen und nicht pro­du­zieren. Käme es dennoch zu Abwan­de­rungen zöge die Kon­kurrenz schnell nach. Chi­nesen und Koreaner fassen zuse­hends Fuß.
Tim­mer­manns darf mit Art. 7 solange her­um­spielen, wie es ihm die Wirt­schaft erlaubt
Vor dem starken Wirt­schafts­hin­ter­grund ist zu fragen, wie lange Berlin & Brüssel die „Werte-Attacken“ ris­kieren wird. Warum lässt man den Kom­mis­saren diese Spiel­wiese? Kaum zu glauben, dass die obersten Demo­kra­tie­ver­tei­diger so wenig die Geschichte des rebel­li­schen Volkes kennen und die Mög­lichkeit der Oppo­sition so über­schätzen. Wegen paar lum­piger Mil­li­arden wird sich Polen wohl kaum erpressen lassen. Nach Frans Tim­mer­manns, – dem die Vor­sit­zende des Ver­fas­sungs­ge­richtes Gersdorf, trotz dem Erreichen des Ruhe­stands­alters nicht zurück­treten möchte, ein Denkmal bauen will –  reichen die Zuge­ständ­nisse Polens in Sachen Jus­tiz­reform nicht aus. Es geht alles in Richtung Eskalation.
Der nächste Schritt sieht die Akti­vierung des Art. 7 des EU-Ver­trages und den Stimm­rechts­entzug vor. Das schreckt die des­il­lu­sio­nierten Polen wenig ab. „Selbst wenn der pol­nische Außen­mi­nister in den Zähnen… die Dekla­ration brächte, Polen werde jeden Migranten aus Deutschland auf­nehmen, das würde nichts ändern. Denn im Streit um die Justiz geht es weder um die Rechts­staat­lichkeit, noch um die Ver­fassung oder gar die Migranten. Es geht um das gewünscht Wahl­er­gebnis. Konkret darum, dass die Polen bevor sie wieder eine neue Regierung wählen und sich ein Gesetz aus­denken, erst in Berlin fragen, ob sie das dürfen. Erst dann haben wir die wirk­liche Rechts­staat­lichkeit“ – schreibt M. Rachon in der kon­ser­va­tiven „Gazeta Polska“ vom 27.Juni.
Tim­mer­manns-Dro­hungen sind die beste „Lebens­ver­si­cherung“ für den PIS-Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen
Die Beklagten scheinen am län­geren Hebel zu sitzen. War­schau spielt klar auf Zeit. Echte Bud­get­kür­zungen wegen der „Ver­let­zungen der Rechts­staat­lichkeit“ kann es vor 2021 nicht geben. Auch das pas­sende Gesetz muss noch ver­ab­schiedet werden. Die näher lie­gende Stimm­rechts­entzug lassen die Polen gelassen auf sich zukommen. Ungarn hat sein Veto ange­kündigt. Tim­mer­manns-Dro­hungen sind die beste „Lebens­ver­si­cherung“ für den PIS-Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen.
Sollte die EU in aktu­eller Form über­leben und den Polen in drei Jahren wirklich an das Porte­monnaie gehen, werden sich die Oppo­nenten den Ausfall sicher von den deut­schen Kon­zernen holen. Spä­testens zu diesem Zeit­punkt dürfte Telekom-Chef in Berlin bei der deut­schen Regierung anrufen und sich beklagen.