So beginnt es: „Die Zukunft liegt links“

Na, wussten wir es nicht schon immer? Wenn die Krise in ihre nächste Phase tritt, werden jene, die die Haupt­schuld an ihr tragen, die Poli­tiker, den „ent­fes­selten Märkten“ die Schuld geben. Dann können sie noch mehr in die Wirt­schaft ein­greifen und noch mehr Schaden anrichten.
Thomas Fricke zeigt bei SPIEGEL ONLINE mal wieder die Argumentation:
  • Zunächst lobt er Lafon­taine und Wagen­knecht: „Für Letz­teres könnte sprechen, dass der Oskar schon öfter Sachen gesagt hat, die keiner hören wollte, und die irgendwann dann doch so wurden, wie der Oskar das gesagt hat. Die Einheit zum Bei­spiel teuer. Und dass Frau Wagen­knecht, bei allem, was man über sie sagen kann, wahr­scheinlich mehr von Öko­nomie ver­steht als 90 Prozent der Abge­ord­neten im Deut­schen Bun­destag.“ – Stelter: Das sehe ich genauso, aller­dings dürfte Wagen­knecht mehr von Wirt­schaft ver­stehen als 99 Prozent der Abge­ord­neten und 95 Prozent der Deut­schen. Ihre Bücher teile ich sogar in weiten Teilen der Analyse, jedoch nicht bei den daraus abge­lei­teten Schlussfolgerungen.
  • „Wenn man die Liste der ganz großen Wirt­schafts­pro­bleme unserer Zeit durchgeht – von Woh­nungsnot bis Reich­tums­ge­fälle –, fällt auf, dass so gut wie keins davon mit den leicht bra­chialen kon­ser­vativ-wirt­schafts­li­be­ralen Rezepten der ver­gan­genen Jahr­zehnte zu lösen sein wird. Also von rechts. Die bes­seren Ant­worten könnten – logisch – dann eher auf der Seite liegen, die nach gän­gigem Ver­ständnis der ver­gan­genen Jahr­zehnte links davon zu ver­orten wäre. Die Frage ist dann nur, ob das im his­to­ri­schen Maßstab links ist – oder einfach: zeit­gemäß.“ – Stelter: Das ist ziemlich starker Tobak und nicht unbe­dingt richtig. Denn ein guter Teil der Pro­bleme, die wir haben, sind auf zu viel staat­liche Ver­zerrung und nicht zu wenig zurückzuführen.
  • „Wenn in Ländern wie den USA, Groß­bri­tannien und Deutschland die Ein­kommen und Ver­mögen so weit aus­ein­an­der­ge­driftet sind, dass es Gesell­schaften zu zer­reißen droht, ist auch das kein Ergebnis irgend­eines sozia­lis­ti­schen Expe­ri­ments – sondern Neben­folge einer immer mäch­tiger gewor­denen Finanzwelt.“ – Stelter: Zum einen sind die Ein­kommen in Deutschland nach Umver­teilung über­haupt nicht so aus­ein­an­der­ge­gangen, wie hier behauptet wird, rechnet auch die OECD vor. Zum anderen ist es doch wohl ein rie­siges sozia­lis­ti­sches Expe­riment, das die Noten­banken – bekanntlich Staats­in­sti­tu­tionen – gerade durch­ziehen. Und sie haben uns mit ihrer asym­me­tri­schen Reaktion in immer größere Blasen geführt. Ja, der Finanz­markt­ka­pi­ta­lismus ist ein rie­siges Problem und gehört begrenzt. Aber man muss auch den Haupt­dealer in dem Spiel bändigen.
  • „Und dann gilt auch hier: Dass es die Sache nur schlimmer machen würde, in urtümlich wirt­schafts­li­be­raler Manier noch mehr dafür zu tun, dass die­je­nigen täglich reicher werden, die ohnehin viel Ver­mögen besitzen. Während etwa 40 Prozent der Leute so gut wie gar keine Erspar­nisse haben.“ – Stelter: Wie wäre es mit einer Umstellung des Geld­systems? Wie wäre es mit klei­neren Banken mit echtem Kon­kurs­risiko? Wer ist denn für die Regu­lierung zuständig? Hier ist der Fehler und hier muss ange­setzt werden, nicht am Ergebnis der Politik. Denn mehr Umver­teilung trifft erfah­rungs­gemäß nicht die „Reichen“, sondern die Mittelschicht.
  • „Wenn seit Jahren immer wieder dia­gnos­ti­ziert wird, dass Schulen und Uni­ver­si­täten bei uns marode sind – oder Straßen und Schienen dringend erneuert werden müssten – oder zu wenig Geld für dies und das da ist, hat auch das mit dem alt­or­tho­doxen Dogma zu tun, wonach sich der Staat am besten aus (fast) allem her­aushält. Und es wich­tiger ist, immer schön eine schwarze Null im Haushalt zu haben. Dann hilft auch hier aber nicht der übliche Ruf von eher rechts, dass jetzt mal ordentlich Geld zu kürzen ist.“ – Stelter: doch. Der Staat nimmt so viel ein wie noch nie und zahlt so wenig Zinsen wie noch nie. Statt zu inves­tieren, wurden die Sozi­al­leis­tungen und Renten erhöht. Was daran ist bitte „rechte“ Politik?
  • „Wenn es heute in fast allen Metro­polen der Welt so desaströs hohe Miet- und Immo­bi­li­en­preise gibt, hat das im Kern eben­falls mit tie­feren Pro­blemen eines ver­un­glückten Libe­ra­lismus zu tun: Dass eben in der Zeit Leute unfassbar reich geworden sind, die ihr Geld jetzt schön anlegen wollen – während in den Zentren der Metro­polen der Welt gar kein Platz mehr ist, noch so viel zu bauen. In der Folge schnellen die Preise hoch – ohne dass das Angebot auch nur ansatz­weise nach­ziehen könnte, wie es im Lehrbuch der schönen Markt­wirt­schaft steht. Ein Fall von Markt­ver­sagen.“ – Stelter: Markt­ver­sagen? Nehmen wir Berlin: Da gibt es viele Brach­flächen, die nicht bebaut werden dürfen. Nehmen wir das Gelände vom Flug­hafen Tem­pelhof. Da könnte man sehr viele Woh­nungen bauen, darf es aber nicht. Oder auch der Ausbau von Dächern. Also, es gibt viele Hemm­nisse. Und was ist mit der Grund­er­werb­steuer? Also, der Staat ist hier alles andere, nur nicht hilfreich!
  • „Last but not least: Wenn es heute so viele Pro­bleme damit gibt, dass Ärzte nicht genug Kapa­zi­täten haben, um Pati­enten ordentlich zu heilen, ist auch das eine Folge zwi­schen­zeitlich for­cierter Effi­zi­enz­suche und Markt­re­li­gio­sität.“ – Stelter: Hm, warum wandern denn unsere Ärzte ins Ausland ab? Weniger Ver­dienst und höhere Abgaben …
  • „Gegen die nächste Finanz­krise hilft nicht per se mehr Staat, aber eine deutlich bessere Regu­lierung: etwa viel höhere Anfor­de­rungen an Banken, Eigen­ka­pital zu halten. Da würden auch Finanz­trans­ak­ti­ons­steuern helfen. Viel­leicht auch wieder besser gesteuerte Wech­sel­kurse.“ – Stelter: Da haben wir doch ekla­tantes Ver­sagen der Politik. Um die Staats­fi­nan­zierung zu sichern, gibt es keine harte Regu­lierung mit mehr Eigen­ka­pital. Wie eine Trans­ak­ti­ons­steuer was bringen soll, wenn man leicht in der Welt aus­weichen kann, ver­schließt sich mir. Ohnehin mindert sie noch mehr den Ertrag für die Sparer. Über Wech­sel­kurse kann man reden, aller­dings müssten wir dann auch mal den Euro neu aufstellen.
  • „Gegen absurd hoch­schnel­lende Immo­bi­li­en­preise braucht es neue Regeln, die das Spe­ku­lieren unat­traktiv machen – egal, ob die Miet­preis­bremse da taugt oder nicht. Im Zweifel auch viel höhere Steuern.“ – Stelter: genau, weil man ja mit Immo­bilien so viel ver­dient. Wie ich schon mal in meiner WiWo-Kolumne erklärt habe, führen diese Maß­nahmen zur Ver­drängung der Ein­zel­in­ves­toren und zu einer Kon­zen­tration auf Groß­un­ter­nehmen, die letztlich schlechter für Mieter sind, weil sie pro­fes­sio­neller vorgehen.
  • „Gegen aus­ge­bliebene öffent­liche Inves­ti­tionen hilft, mehr Geld gezielter und effi­zi­enter in die Zukunft zu stecken, nicht weniger. Dann braucht man in Zukunft auch weniger Geld dafür, die Schäden zu beheben, die aus­ge­bliebene Inves­ti­tionen ver­ur­sacht haben.“ – Stelter: unbe­dingt. Aber die SPD hat doch durch­ge­setzt, dass wir mehr für Soziales aus­geben und weniger inves­tieren. Also brauchen wir hier mehr „rechte“ Politik.

Die Politik hat bei der Regu­lierung versagt und noch mehr bei der Ver­wendung der Steu­er­mittel. Daraus einen Poli­tik­wechsel nach links abzu­leiten ist schon witzig. Denke, Fricke muss so schreiben, damit er bei SPON seinen Job behält.
spiegel.de: „Die Zukunft liegt links“, 7. Sep­tember 2018


Quelle: think-beyondtheobvious.com