Frank­reichs Zusammenbruch

US-Prä­sident Donald Trump und der fran­zö­sische Prä­sident Emmanuel Macron trugen kurz vor Trumps Besuch in Frank­reich in diesem Monat einen öffent­lichen diplo­ma­ti­schen Kon­flikt aus. Der Streit begann, als Macron in einem Radio­in­terview vor­schlug, dass Europa eine Armee brauche, um sich vor den USA zu schützen. “Wir müssen uns in Bezug auf China, Russland und sogar die USA schützen”, sagte Macron.
Frank­reich vor den Ver­ei­nigten Staaten schützen? In einer Rede vom 11. November zum Gedenken an den Ersten Welt­krieg atta­ckierte Macron in einem diplo­ma­ti­schen Will­kom­mensgruß an seinen Gast den “Natio­na­lismus”. Prä­sident Trump hatte sich weniger als drei Wochen zuvor stolz als “Natio­nalist” bezeichnet.
Macron, so scheint es, nutzte den 1918 unter­zeich­neten Waf­fen­still­stand, um zu ver­gessen, was 2018 in Frank­reich vor sich geht.
Gérard Collomb, bis letzten Monat fran­zö­si­scher Innen­mi­nister und derzeit Bür­ger­meister von Lyon, ist offenbar pes­si­mis­tisch hin­sichtlich der Situation in seinem Land, so die von Valeurs Actu­elles berich­teten Kom­mentare. “Die Men­schen wollen nicht zusam­men­leben”, beklagte Collomb und fuhr fort, dass die Ver­ant­wortung für die Sicherheit während der jüngsten Ein­wan­de­rungs­welle “enorm” war. Collomb warnte auch davor, dass es nur “wenig Zeit” gibt, um die Situation zu ver­bessern. “Es ist schwer ein­zu­schätzen, aber ich würde sagen, dass die Situation in fünf Jahren unum­kehrbar werden könnte. Ja, wir haben fünf, sechs Jahre Zeit, um das Schlimmste zu ver­hindern”, fügte er hinzu.
Und das Schlimmste wird eine “Sezession” sein, wie Gilles Kepel, der fran­zö­sische Islamist, sie nannte: “Die Fraktur” (der Bruch).
Macron scheint jedoch nicht besonders emp­fänglich für die Warnung von Collomb zu sein. Berichten zufolge hat ein Mann, der “Allahu Akbar” schrie, diese Woche in Brüssel auf einen Poli­zisten ein­ge­stochen, während eines Staats­be­suchs von Macron in der bel­gi­schen Haupt­stadt — dem ersten eines fran­zö­si­schen Prä­si­denten seit Mit­terrand in den 80er Jahren. Macron ging auch in den Brüs­seler Stadtteil Molenbeek, den er als “ein vom Bild des Ter­ror­dramas geprägtes Gebiet und auch als Ort der Initia­tiven, des Teilens und der Inte­gration” bezeichnete. Teilen und Integrieren?
Acht Per­sonen wurden in Molenbeek bei einer Anti-Terror-Razzia im März 2018 ver­haftet. Ein ver­trau­licher Bericht ent­hüllte letztes Jahr, dass die Polizei im gleichen Brüs­seler Bezirk 51 Orga­ni­sa­tionen auf­ge­deckt hat, die mut­maß­liche Ver­bin­dungen zum dschi­ha­dis­ti­schen Ter­ro­rismus haben. Viele der an den Ter­ror­an­schlägen von Paris und Brüssel betei­ligten Ver­däch­tigen lebten oder ope­rierten in Molenbeek. Wie Julia Lynch in der Washington Post in Bezug auf Molenbeek schrieb:
“Als eine von 19 ‘Gemeinden’ im Brüs­seler U‑Bahn-Bereich war dieses Viertel die Heimat von einem der Angreifer bei den S‑Bahn-Bom­ben­an­schlägen von 2004 in Madrid und des Fran­zosen, der im August 2014 im Jüdi­schen Museum in Brüssel vier Men­schen erschossen hat. Der marok­ka­nische Schütze im Zug Brüssel-Paris, Thalys, im August 2015, wohnte dort bei seiner Schwester.”
Wenn es einen Ort gibt, an dem Col­lombs Erklärung über “Sezession” nicht nur eine Warnung, sondern bereits eine Rea­lität ist, dann ist dieser Ort Molenbeek. Roger Cohen von der New York Times, nannte es den “isla­mi­schen Staat Molenbeek”. Und solche Bezirke sind nicht auf ein bel­gi­sches Phä­nomen aus­ge­richtet. “Heute wissen wir, dass es in Frank­reich 100 Viertel gibt, die poten­zielle Ähn­lich­keiten mit dem haben, was in Molenbeek pas­siert ist”, sagte der damalige fran­zö­sische Minister für Jugend und Sport, Patrick Kanner, 2016. Eines davon ist die Stadt Trappes, die nicht nur für den inter­na­tio­nalen Fuß­ballstar Nicolas Anelka bekannt ist, sondern auch für die Zahl der Dschi­ha­disten, die von dort aus nach Syrien oder in den Irak kämpfen gegangen sind.
In Frank­reich sind dieses Jahr sechs geplante Ter­ror­an­schläge ver­eitelt worden, wie der Staats­se­kretär des Innen­mi­nisters Laurent Nunez mit­teilte. “Seit November 2013 wurden 55 geplante isla­mis­tische Angriffe dank der Aktionen der Geheim­dienste ver­eitelt, dar­unter sechs in diesem Jahr”, sagte Nunez.
In den letzten Monaten wurde das aktuelle fran­zö­sische Sze­nario nicht von neuen großen Ter­ror­an­schlägen domi­niert, sondern von einem täg­lichen Regen von Ein­schüch­te­rungen. Ein Franzose um die 60 ging letzte Woche mit ein­ge­packten Weih­nachts­ge­schenken eine Pariser Straße entlang, als ein Fremder ihm seine Brille vom Kopf schlug, bevor er auf ihn ein­drosch. “So behandeln wir die Ungläu­bigen”, sagte der Angreifer zu dem Mann. Wenige Tage zuvor wurde auch ein fran­zö­sisch-jüdi­scher Bürger von drei Männern auf der Straße ange­griffen.
An der ideo­lo­gi­schen Front tritt “Macron in die Fuß­stapfen von Prä­si­denten, die ver­sucht haben, einen ‘fran­zö­si­schen Islam’ zu eta­blieren”, berichtete Politico. Laut dem Wall Street Journal:
“Jetzt erwägt die Regierung von Prä­sident Emmanuel Macron, Eltern eine säkulare Alter­native zu dieser Ver­flechtung von Ara­bisch und Islam zu geben, indem sie mehr öffent­liche Schulen in Frank­reich anstößt, Kindern ab 6 Jahren Ara­bisch­un­ter­richt anzubieten…”
Robert Ménard, der Bür­ger­meister der süd­lichen Stadt Béziers, erklärte, dass “der Ara­bisch­un­ter­richt mehr Ghettos schaffen wird”. Die fran­zö­si­schen Behörden scheinen zu igno­rieren, dass die über­wie­gende Mehrheit der Ter­ro­risten aus Frank­reich fran­zö­sische Staats­bürger sind, die ein per­fektes Fran­zö­sisch sprechen und im Gegensatz zu ihren Eltern in Frank­reich geboren wurden. Sie waren perfekt “inte­griert”. Sie lehnten es ab.
Die Bestä­tigung der isla­mis­ti­schen Welle erfolgte im ver­gan­genen Sep­tember in einem scho­ckie­renden Bericht des Instituts Mon­taigne mit dem Titel “Die Isla­mis­ten­fabrik”. Sie beschreibt den extremen Grad der Radi­ka­li­sierung der fran­zö­si­schen mus­li­mi­schen Gesell­schaft. Laut ihrem Direktor Hakim El Kharoui schaffen extre­mis­tische Muslime in Frank­reich “eine alter­native Gesell­schaft, par­allel, getrennt. Mit einem Schlüs­sel­konzept: Halal”. Macron hat prak­tisch nichts getan, um diese Expansion zu stoppen.
“Zwei oder drei sala­fis­tische Moscheen wurden in 18 Monaten geschlossen, doch die aus­län­dische Finan­zierung von Moscheen wurde nicht ver­boten”, sagte die Par­tei­chefin des Front National, Marine Le Pen, kürzlich. Das Ziel der Aus­lands­fi­nan­zierung hat der ehe­malige Vor­sit­zende der Christlich-Demo­kra­ti­schen Partei, Jean-Fré­déric Poisson, in seinem neuen Buch “Islam, Eroberung des Westens” beschrieben. “Die Expansion des Islam im Westen ist Teil eines stra­te­gi­schen Plans, der von den 57 Staaten ent­wi­ckelt wurde, aus denen sich die Orga­ni­sation der isla­mi­schen Zusam­men­arbeit zusam­men­setzt — eine Art mus­li­mische Ver­einte Nationen -, die die Ver­breitung der Scharia in Europa theo­re­tisch behandelt haben”, sagte Poisson diesen Monat in einem Interview. “Sie erklärten offen den Ehrgeiz, eine ‘Ersatz­zi­vi­li­sation’ im Westen zu etablieren.”
Es gibt jedoch mehr als nur die kul­tu­relle Ebene. Philippe De Vil­liers, ein Poli­tiker und Essayist, der Macron nahe steht, hat kürzlich einen Satz erwähnt, der von seinem Bruder, General Pierre de Vil­liers, dem ehe­ma­ligen Chef des fran­zö­si­schen Militärs, geprägt wurde. General de Vil­liers hatte Macron vor einer mög­lichen inneren Implosion in den vola­tilen Pariser Vor­orten gewarnt: “Die dunk­leren Seiten der Stadt des Lichts”. Laut Philippe De Vil­liers habe sein Bruder zu Macron gesagt: “Wenn die Vororte revol­tieren, wären wir nicht in der Lage, damit umzu­gehen, wir können es uns nicht leisten, uns ihnen ent­ge­gen­zu­stellen, wir haben nicht die Männer dazu.”
Zwei Jour­na­listen der Main­stream-Zeitung Le Monde, Gérard Davet und Fabrice Lhomme, ver­öf­fent­lichten kürzlich ein Buch mit dem Titel Inch’allah: l’is­la­mi­sation à visage découvert (“So Allah will: Das offen­barte Gesicht der Isla­mi­sierung”), eine Unter­su­chung der “Isla­mi­sierung” des großen Pariser Stadt­teils Seine-Saint-Denis. Dort und in vielen anderen Vor­orten nimmt der Anti­se­mi­tismus zu. Laut dem fran­zö­si­schen Pre­mier­mi­nister Eduard Philippe stiegen die regis­trierten anti­jü­di­schen “Hand­lungen” in den ersten neun Monaten 2018 um 69%. Francis Kalifat, Prä­sident des offi­zi­ellen Gre­miums, das die fran­zö­si­schen jüdi­schen Gemeinden ver­tritt, hat den Anti­se­mi­tismus als “Krebs” bezeichnet.
In einem Bericht aus Paris in diesem Sommer hat die New York Times den jüdi­schen Exodus aus den mul­ti­kul­tu­rellen Vor­orten beschrieben: “Mehr als 50.000 sind seit 2000 nach Israel gezogen, ver­glichen mit etwa 25.000 fran­zö­si­schen Juden, die zwi­schen 1982 und 2000 gegangen sind”. Es gibt auch einen internen Exodus:
“In Aulnay-sous-Bois sank die Zahl der jüdi­schen Familien von 600 im Jahr 2000 auf 100 im Jahr 2015; in Le Blanc-Mesnil auf 100 Familien von 300; in Clichy-sous-Bois gibt es jetzt 80 jüdische Familien von 400; und in La Cour­neuve gibt es 80 Familien von 300.”
“Wir leben viel­leicht das Ende einer Zivi­li­sation — unserer”, sagt Philippe de Vil­liers, ein fran­zö­si­scher Poli­tiker und Schriftsteller.
“Es gibt zwei Gemein­sam­keiten zwi­schen dem Zerfall des Römi­schen Reiches und unserem eigenen Zerfall. Der römische Senatsadel, der nur daran denkt, seinen Bade­wannen eine Schicht Porphyr hin­zu­zu­fügen, betrachtet den Limes, die Grenze des Reiches, nicht mehr als einen Notfall, den es zu sichern gilt.”
Es scheint, dass Macron nur damit beschäftigt gewesen ist, der fran­zö­si­schen “Grandeur” eine Schicht Porphyr hinzuzufügen.
Letztes Jahr prä­sen­tierte sich Macron als der Kan­didat, der einen “Bruch mit dem System” macht. In fünf Jahren wird sein Prä­si­di­al­mandat beendet sein. Nach Angaben seines ehe­ma­ligen Innen­mi­nisters Gérard Collomb werden dies wahr­scheinlich die letzten Jahre sein, bevor der eigent­liche “Bruch” unum­kehrbar werden könnte. Nicht nur für Frank­reich, sondern auch für Europa.
 


Gatestone Institut — Giulio Meotti, Kul­tur­re­daktor für Il Foglio, ist ein ita­lie­ni­scher Jour­nalist und Autor.