Eva Herman: Der defor­mierte Mann

Die Tabui­sierung der eigenen Männ­lichkeit – männ­liche Rituale und selbst harmlose männ­liche Macken ein­ge­schlossen – lässt in Männern das Gefühl ent­stehen, sie seien grund­sätzlich Ver­sager. Sie zweifeln an sich und sie zweifeln noch mehr daran, die Wider­sprüche auch noch innerhalb einer Familie zu ertragen. Auch der Mann braucht Freiheit – nicht nur die Frauen, die Eman­zi­pation als nahezu gren­zenlose per­sön­liche Freiheit verstehen.
(Von Eva Herman)
Besonders abwegig ist es, dass die öffent­liche Dis­kussion über Männer Ein­zel­er­schei­nungen zu Trend­settern hoch­jubelt. Lässt sich David Beckham mit einem Haar­reifen auf dem Fuß­ball­platz sehen, wird sofort ein neues Män­nerbild her­bei­ge­redet, die so genannte Metro­se­xua­lität, ein Wech­sel­spiel zwi­schen Mann und Frau. Wenn Robbie Wil­liams in seinen Musik­videos anstößige Posen und auf­reizend gekleidete Mädchen vor­führt, wird gleich darüber dis­ku­tiert, ob Männer wieder »bad boys«, also böse Jungs sein dürfen. Und wenn Günther Jauch sich zu preu­ßi­schen Tugenden und zum Tisch­gebet bekennt, scheint der Patriarch wieder in Mode zu kommen.
Dauernd wird also am Mann her­umer­zogen, ständig werden neue Rollen und neue Regeln erfunden, als sei er ein wildes Gewächs, das erst beschnitten werden muss, um in den Garten zu passen.
Es ist höchste Zeit, das Kriegsbeil zu begraben. Selbst einstmals män­ner­feind­liche Femi­nis­tinnen wie die Ame­ri­ka­nerin Susan Faludi, die die Männer dämo­ni­siert hatte, lenken mitt­ler­weile ein. Und Betty Friedan, alt­ge­diente Vete­ranin des ame­ri­ka­ni­schen Femi­nismus, betont heute, dass ein­seitige Schuld­zu­wei­sungen an die Männer uns nicht wei­ter­brächten. In Bezug auf bessere Lebens­be­din­gungen verriet sie schon vor mehr als einem Jahr­zehnt dem Spiegel (3/1995): »Wir können das nicht gegen die Männer aus­kämpfen, nur gemeinsam mit ihnen.«
Und, wich­tiger noch: Sie räumte auch gleich auf mit dem Mythos des Mannes als bedroh­lichem Über­men­schen. Während deutsche Femi­nis­tinnen Männer immer noch gern als gewalt­be­reite Sex­monster ver­teufeln, bemerkt Friedan schlicht: »Er muss wett­be­werbs­fähig sein, den Potenz­normen genügen, und das ist ver­flixt schwierig.«
Viel zu lange wurde der Mann im Krieg der Geschlechter als Supermann gesehen. Doch auch er hat Pro­bleme, sucht Aner­kennung, hat Ängste, fühlt sich von Normen bedrängt. Kei­nes­falls ist er nur der sou­veräne Despot. Und noch weniger ist er Urheber allen Übels. Die ver­schie­denen Rol­len­bilder und Ansprüche zerren an ihm nicht weniger als an den Frauen. Der Psych­iater Peter Rie­desser beschreibt die Situation im Juni 2006 in der Zeit so: »Die Männer sind zer­rissen zwi­schen dem Wunsch, eine Frau zu finden, die sie lieben und eine gute Beziehung zu ihren Kindern zu haben und dem Bedürfnis, der Arbeitswelt mit ihren Kar­rie­re­mustern gerecht zu werden. Den Frauen geht es nicht anders. So treffen also innerlich zer­rissene Männer auf innerlich zer­rissene Frauen.«
Rie­desser betont, dass »die her­ge­brachten Begriffe von Müt­ter­lichkeit und Väter­lichkeit« neu defi­niert werden müssten. »Der Hausmann der sieb­ziger Jahre, der in Latzhose ver­suchte, die bessere Mutter abzu­geben, war doch eine belä­chelte Figur.« Statt­dessen müsse es darum gehen, die gleich­be­rech­tigte Eltern­schaft zu leben – jedoch auf der Basis kon­tu­ren­scharfer Unter­schiede zwi­schen Frau und Mann. »Der Vater ist Vorbild und Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur für den Jungen, und für das Mädchen ist er der erste männ­liche Mensch, von dem es sich ermutigt oder abge­wiesen fühlt.«
In Umfragen nimmt er schon Gestalt an, der »neue Mann«, der trotz des Berufs Kin­der­er­ziehung und Haus­arbeit als selbst­ver­ständlich ansieht. Doch das könnten zeit­geistige Absichts­er­klä­rungen sein, wie Was­silios Fthe­nakis betont, lang­jäh­riger Direktor des Staats­in­stituts für Früh­päd­agogik in München. Es handele sich dabei um ein »sub­jek­tives Konzept«. Was bedeutet, dass der Mann gern wollen würde, dann aber doch nicht danach handelt. Dafür sollte er nicht abge­ur­teilt werden; es wird noch ein langer Weg sein, bis wir lie­be­volle, inter­es­sierte Väter erleben werden, die trotzdem in ihrer männ­lichen Rolle zu Hause sind.
Lassen wir also den Mann Mann sein. Hören wir auf, an ihm her­um­zu­er­ziehen, als seien wir Gou­ver­nanten. Respekt und Akzeptanz können wir nur erwarten, wenn wir auch die Männer respek­tieren und akzep­tieren! Ja, es mag viel­leicht albern aus­sehen, wenn ein erwach­sener Mann seinen Fan-Schal umlegt und sich mit seinen Kumpels in die Süd­kurve begibt. Richtig, ein Mann könnte auch Gemüse putzen, statt im Keller an seinem fern­ge­steu­erten Flugzeug her­um­zu­basteln. Doch wollen wir das wirklich? Und lohnt sich der Streit um diese Dinge? Sollen wir wirklich den Fami­li­en­frieden diesem lächer­lichen Klein­krieg opfern?
»Ich würde keinem Mann seinen Porsche aus­reden wollen, solange das Geld noch für die Familie reicht und er nicht zu schnell damit fährt«, sagt der Ber­liner Män­ner­for­scher und Män­ner­be­rater Eberhard Schäfer. Ob wir das noch erleben werden, einen gefühls­be­tonten, ver­träg­lichen »rich­tigen Mann« ohne Neben­wir­kungen? Schön wäre es.
 
Auszug aus dem Best­seller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006