Ooops, he did it again: Michael Win­ter­hoffs neues Buch „Deutschland verdummt“

Seit Jahren bejammern die deut­schen Unter­nehmen den immer weiter sin­kenden Bil­dungs­stand der Schul­ab­gänger. Die meisten haben deut­liche Defizite in den „hard skills“, wie Rechnen (Mathe­matik), Schreiben (zuviele Ortho­gra­phie­fehler und zu kleiner Wort­schatz), All­ge­mein­wissen. Bil­dungs­experten beklagen: „Trotz gestie­gener guter Schul­ab­schlüsse steigt die Anzahl der jungen Men­schen, die gleich zu Beginn einer Berufs­qua­li­fi­kation in Unter­nehmen oder Hör­sälen mit feh­lenden Grund­la­gen­kom­pe­tenzen hin­sichtlich Sprache und Mathe­matik zu kämpfen haben. „Diese Hard­s­kills gelten immer weniger als Ele­mentart­ech­niken in der schu­li­schen Bildung.“
Die logische Folge: Immer mehr Betriebe und Uni­ver­si­täten müssen per Nach­schulung die feh­lenden schu­li­schen Grund­lagen nachbessern.
Auch die Konrad-Ade­nauer Stiftung hat in einer Studie zur „Stu­dier­fä­higkeit und Aus­bil­dungs­fä­higkeit“ der jungen Deut­schen fest­stellen müssen, dass die schönen Zahlen trügen: 53% der Schul­ab­gänger haben Abitur oder eine andere Berech­tigung zum Besuch einer Uni­ver­sität. Doch diese „Inflation der Bil­dungs­ab­schlüsse“ wurde mit einem dras­ti­schen Absturz der Qua­lität erkauft.
Tat­sache ist, dass jeder dritte in der Industrie- und Han­dels­kammer erfasste Betrieb die Aus­zu­bil­denden einem „nach­ho­lenden Schul­un­ter­richt“ unter­zieht, bevor man über­haupt damit anfangen kann, den hoff­nungs­vollen Eleven, die man aus dem Pulk an Schul­ab­gängern noch für brauchbar hält, einen Beruf bei­zu­bringen. Auf den Uni­ver­si­täten sieht es nicht anders aus. Das Zeugnis der all­ge­meinen Hoch­schul­reife bezeugt gerade diese Reife nicht. Die jungen Erwach­senen brauchen eine Nach­schulzeit, in der sie richtig Rechnen, Schreiben und das Erfassen und Ver­ständnis eines Textes erlernen müssen. Die Konrad Ade­nauer-Stiftung stellt ernüchtert fest, dass „neue und ver­bind­liche Min­dest­stan­dards“ unbe­dingt nötig seien, um die jungen Erwach­senen und jugend­lichen über­haupt ins Arbeits­leben und in den Stu­dier­be­trieb auf­nehmen zu können.
Ein wach­sender Teil der Schul­ab­gänger bringe schlicht die Kom­pe­tenzen nicht mit, die ihnen in den Zeug­nissen attes­tiert werden“, stellt die Studie der Konrad-Ade­nauer-Stiftung fest. (…) Große Schwächen bestünden selbst bei Ger­ma­nis­tik­stu­denten in der Recht­schreibung und der sprach­lichen Aus­drucks­fä­higkeit. Und in den Inge­nieur­wis­sen­schaften wiesen die „Ergeb­nisse von Eig­nungs­prü­fungen ekla­tante Mängel in Bereichen der Mathe­matik auf, die in der Ober­stufe von allen gelernt worden sein müssten.“
Die Zeit“ berichtet geschockt von der Senkung der Anfor­de­rungen an den Schul­ab­schluss und zitiert einen Lehrer, Herrn Frese, der seiner Frus­tration Aus­druck verleiht:
Mit der Ein­führung des Zen­tral­ab­iturs sei das vorbei gewesen. Von nun an habe für das ganze Land nur noch der Min­dest­standard gegolten. Die Zahl der erfolg­reichen Abitu­ri­enten sollte ja nicht sinken, sondern steigen. Der Gym­na­siast aus dem reichen Vorort, mit jah­re­langer Nach­hilfe auf Spit­zen­noten gedrillt, sollte die Prüfung ebenso bestehen wie der Gesamt­schüler im Pro­blem­bezirk. Also ori­en­tierte man sich am unteren Ende des Leis­tungs­spek­trums. ‘Wir mussten sicher­gehen, dass alle das hin­be­kommen’, sagt Herr Frese. (…) Allen Betei­ligten sei klar gewesen, dass die ganzen Reformen sinnlos gewesen wären, wenn all die neuen Abitu­ri­enten durch die Prüfung gerasselt wären. Also seien in vielen Runden mit Dezer­nenten aus den Schul­be­hörden die Stan­dards ‘her­un­ter­ge­kocht’ worden.“ 
Das war schon vor einigen Jahren so, und es ist eher schlimmer als besser geworden. Die­selbe „Zeit“ ver­öf­fent­lichte vor ein paar Tagen eine Bespre­chung des neuen Buches von Michael Win­terhoff, einem Kinder- und Jugend­psych­iater, der schon einige Bücher über die Themen Kinder und Jugend­liche, Erziehung und Psyche geschrieben hat. Diesmal nimmt er die Bil­dungs­misere auf‘s Korn. Sehr zum Unwillen des Rezen­senten Martin Spiewak. Dieser pickt sich die – mög­li­cher­weise etwas dras­tisch for­mu­lierten – Dia­gnosen Win­ter­hoffs heraus:
Unsere Kinder ver­fügen ‘über keine Frus­tra­ti­ons­to­leranz und meiden jede Anstrengung’. Jeder ‘zweite Azubi hat eine Psyche wie ein Kleinkind’, in den Grund­schulen hinken gar ’70 bis 80 Prozent der Kinder ihrer Ent­wicklung weit hinterher’.“
Das Schlimmste scheint dem Herrn Spiewak zu sein, dass Dr. med. Win­terhoff schon mehrfach auf diesem Thema her­um­ge­ritten ist. Und er wirft dem Autor „immer neu zusam­men­ge­setzte Text­bau­steine“ zu diesem The­men­kreis vor. Leicht süf­fisant kom­men­tiert der Herr Kri­tik­aster die Fest­stel­lungen des Kinder- und Jugend­psych­iaters auf eine Weise, die aber eher ver­muten lässt, dass er selber offenbar keine Kinder hat und sich mit den Schul- und Lern­pro­blemen theo­re­tisch aus­ein­an­der­setzt. Eine Ver­mutung, die sich durch seine Autoren­seite bei der Zeit und dem Beitrag über ihn auf Wiki­pedia verdichtet.
Es geht aber nicht nur um erlernte „Hard Skills“, sondern auch um die Ent­wicklung und Formung der kind­lichen Per­sön­lichkeit, kurz: Erziehung. Win­ter­hoffs Vorwurf an die Eltern, sie hätten es ver­lernt, die Kinder zu erziehen, ist nämlich etwas, was man schon seit ziemlich langer Zeit beob­achten kann, wenn man mit echten Familien, echten Kindern, Jugend­lichen, Eltern und Groß­eltern öfter zu tun hat. Bei den Kleinsten wird schon mit Ver­handeln und Erklä­rungen ver­sucht, irgend­etwas zu erreichen, was erwar­tungs­gemäß schiefgeht und bei den Groß­eltern nur resi­gnie­rendes Kopf­schütteln erzeugt. Natürlich geben die lieben Kleinen einen Sch… auf Ver­hand­lungen und Vor­schläge der Eltern, wenn sie etwas partout wollen oder nicht wollen. Kinder ver­suchen, sich durch­zu­setzen und brauchen lie­be­volle, aber strin­gente Auto­rität. Fehlt diese, darf man sich nicht wundern, wenn Kinder ihre Eltern für schwach und mani­pu­lierbar halten und mit ihnen „den Molli“ machen. Kinder wollen sich aber beschützt fühlen und starke Eltern haben. Papa ist ein Held und Mama eine Göttin für alles. Punkt. Alles andere bedeutet für das Kind Ent­täu­schung und Ver­un­si­cherung. Es braucht klare Grenzen, klare Gebote und viel, viel Liebe.
Win­terhoff beschreibt in seinem Buch aber nicht nur die falsch erzo­genen und falsch aus­ge­bil­deten Kinder. Sein neues Buch ist – und genau das stört Leute wie Herrn Spiewak – eine Abrechnung mit der ver­kopften, linken Ideo­logie, die sich in der Bil­dungs­po­litik durch­ge­setzt hat. Dabei, so seine, Win­ter­hoffs, Kritik, wurden die Lehrer wie auch die Schüler und Eltern einfach vom D‑Zug des päd­ago­gi­schen Zeit­geistes über­rollt. Es wurde einfach von oben pos­tu­liert, dass Kinder sich pro­blemlos selbst orga­ni­sieren, sich frei­willig an Arbeit und Lernen setzen und sich die Lern­in­halte autonom aneignen.
Das funk­tio­niert natürlich nicht und warum nicht, erklärt Win­terhoff in einem Interview mit dem Deutsch­landfunk:
Psyche, Leistung, also zum Bei­spiel soziale Fähig­keiten oder Arbeits­haltung, das sind Fähig­keiten, die müssten von klein auf ein­geübt und abver­langt werden, also sie kommen nicht von alleine. Wenn ich aber Kinder auf sich gestellt lasse, dann leben sie quasi wie Klein­kinder in der Vor­stellung: Ich kann alles bestimmen, ich kann alles steuern, ich muss mich auf nie­manden ein­stellen und ich lebe nach Lust­im­pulsen. Und deshalb bleiben die da stehen.“
Das führt dann auch dazu, dass, wenn der Lust­impuls zum Rechnen lernen fehlt, eben auch nicht frei­willig gelernt und erar­beitet wird. Dazu kommt, dass bereits in der Kita die „Erzie­he­rinnen“ nicht mehr erziehen, sondern sich mehr oder weniger auf einen Beob­ach­ter­status zurück­ziehen und die Kinder ent­scheiden lassen, was sie spielen und wo, was sie essen wollen und was nicht „und ob und wann sie gewi­ckelt werden“. Und auch später, beob­achtet Win­terhoff, setzt sich das in vielen Schulen fort: Die Jungen und Mädchen lümmeln sich auf Puschel­tep­pichen oder Sitz­säcken herum und „greifen nach Lust und Laune mal zu einer Hör-CD, mal zu einem Lern­video. Wagt der Lehrer doch einmal, einen Hinweis für alle zu geben, ver­stehen die Kinder das kaum“.
Die Lehrer über­nehmen nicht mehr die Füh­rungs­rolle, erteilen keine klaren Anwei­sungen mehr, was jetzt ansteht und dass nun alle diesen oder jenen Stoff lernen müssen, sondern – gemäß der „Ideo­logie des offenen Unter­richts“, erhalten die Kinder Auf­ga­ben­zettel, mit denen sie dann ohne Anleitung und Hilfe allein gelassen werden. Mit diesem so wun­der­baren „auto­nomen Arbeiten“ seien die Kinder aber über­fordert, lavieren sich durch, machen irgendwas, was sie meinen, eine Qua­litäts- oder Erfolgs­kon­trolle erfolgt nicht. Die Kinder haben keine Chance, wirklich etwas Brauch­bares zu lernen. Sie können das, was sie sich so selbst bei­bringen, nicht wirklich bewerten und ein­schätzen und sich nicht entlang klarer Maß­stäbe ent­wi­ckeln und ihren eigenen Stand des Könnens objektiv feststellen.
Die Früchte dieser Lern­me­thode zeigen sich heute schon bei jungen Erwach­senen. Das kann jeder fest­stellen, der öfter mit ihnen zu tun hat. Ich mache Filme und Dokus und hatte des öfteren Prak­ti­kanten. Film und Internet sind beliebte Gebiete für Schul­praktika und Vor­praktika für Stu­di­en­gänge, wie Medi­en­ge­stalter und Film­hoch­schule. Da kamen einige junge Leute, die eine restlos unbe­gründet hohe Meinung zu ihren eigenen Fähig­keiten hatten. Die Selbst­ein­schätzung stand des öfteren in keinem Ver­hältnis zum vor­han­denen Können. Ganz einfach, weil es keine objektive Mess­latte für sie gab. Schüler, die noch eine relativ „tra­di­tio­nelle“ Aus­bildung haben, sind sich im Klaren darüber, wo sie mit ihrem Können stehen, sie haben eine höhere Frus­tra­ti­ons­to­leranz, sind eher bereit, aus Fehlern zu lernen, akzep­tieren leichter Chef-Ansagen und sind beharr­licher und kon­zen­trierter beim Lösen und Abar­beiten einer Aufgabe.
Um aus den Irr­tümern des totalen Laissez-Faire und des „Auto­nomen Arbeitens“ her­aus­zu­kommen, positive Ansätze davon zu wahren, die guten Seiten der klas­si­schen Erzie­hungs­me­thoden gleich­zeitig wieder offen anzu­nehmen, bedarf es einer groß ange­legten Bil­dungs­of­fensive, sagt Autor Michael Win­terhoff. Das erfordert aber auch Stel­lung­nahme der Lehrer. Win­terhoff sieht gerade hier ein Problem: Die Into­leranz der linken Ideologien.
In dem Interview mit der Deut­schen Welle weist Michael Win­terhoff darauf hin, dass auf den Lehrern ein immenser Druck lastet:
Die Lehrer haben einen Maulkorb auf­be­kommen. Ein Lehrer, der heute klar sagen würde, wie die Ver­hält­nisse an seiner Schule sind, in der Klasse sind, bei den Kindern sind, der wird danach sehr, sehr viel Druck erfahren, und deshalb: Ich habe sehr viele Lehrer, die bereit waren, mir Material zu geben, auch zum Interview zur Ver­fügung zu stehen, aber immer darauf bestanden haben, dass sie anonym bleiben.“