China-Besuch von FDP-Chef Lindner — Wie west­liche Arroganz an ihre Grenzen stößt

FDP-Chef Lindner wurde in China sehr unter­kühlt emp­fangen und der Spiegel ist ent­rüstet. Was ist passiert?
Um zu ver­stehen, was in China vor­ge­fallen ist, müssen wir uns fol­gende Situation vor­stellen: In Sachsen demons­trieren rechte Gruppen gegen die Regierung. Und dann kommt ein Poli­tiker aus China nach Deutschland, der nicht etwa zuerst nach Berlin fährt, sondern nach Dresden und dort die Ver­treter der rechen Gruppen trifft und sie ermuntert, mit ihren Pro­testen fortzufahren.
Wie würde wohl die Bun­des­re­gierung in Berlin reagieren?
Genau das ist in China geschehen. Lindner fuhr zuerst nach Hongkong, wo seit Wochen Demons­tranten gegen ein Gesetz demons­trieren, das auf­grund der Pro­teste längst zurück­ge­stellt wurde. Trotzdem gehen die Demons­tra­tionen begleitet von wohl­wollend unter­stüt­zenden Kom­men­taren von west­lichen Medien und Poli­tikern weiter. Der Spiegel, der auf­grund des Ver­haltens der Chi­nesen gegenüber Lindner ganz ent­rüstet berichtet, schreibt in seinem Artikel dazu:
„Lindner und die FDP-Dele­gation hatten bei ihrem Abstecher nach Hongkong vor­ver­gangene Woche nicht nur eine Depen­dance der FDP-nahen Naumann-Stiftung eröffnet (in China unterhält sie kein Büro). Sie trafen sich auch mit dem dor­tigen Wirt­schafts­mi­nister und meh­reren Oppo­si­ti­ons­ver­tretern aus dem Stadt­par­lament. Seit Wochen gibt es in Hongkong Mas­sen­pro­teste gegen ein – mitt­ler­weile auf Eis gelegtes – Aus­lie­fe­rungs­ab­kommen der Son­der­region mit dem kom­mu­nis­ti­schen Festland, Demons­tranten hatten Anfang Juli sogar das Par­lament gestürmt.“
Wie gesagt: Man stelle sich vor, ein chi­ne­si­scher Poli­tiker würde sich mit „Oppo­si­ti­ons­ver­tretern“ in Deutschland treffen, die nicht nur demons­trieren, sondern ran­da­lieren und das Par­lament stürmen, und würde denen seine Unter­stützung signa­li­sieren. Die Begeis­terung in Berlin würde sich in sehr engen Grenzen halten, man würde sich im Gegenteil eine solche Ein­mi­schung in inner­deutsche Ange­le­genheit verbitten.
Der Spiegel ist aber ehrlich ent­rüstet, wie man schon an der Über­schrift sehen kann: „Wegen Hongkong-Besuch – Wie Chinas Kom­mu­nisten FDP-Chef Lindner brüs­kierten”. Wer hier wen brüs­kiert hat, ist eine gute Frage, wie man leicht erkennen kann, wenn man sich die Situation einmal anders herum vor­stellt. Die Ent­rüstung des Spiegel ist auch daran zu erkennen, dass die ursprüng­liche Über­schrift des Artikels der Redaktion wohl zu harmlos war. Man kann die ursprüng­liche Über­schrift noch in der Internet-Adresse des Artikels sehen. Sie lautete: „Christian Lindner in China – FDP-Chef wird Hand­schlag verweigert“.
Das war der Spiegel-Redaktion offen­sichtlich zu neutral und objektiv. Also wurden zwei emo­tional auf­ge­ladene Worte ein­gebaut, die den Leser emo­tional und unter­be­wusst so richtig gegen China auf­bringen sollen. Und so kann man dort nun lesen, wie die bösen „Kom­mu­nisten“ den FDP-Chef „brüs­kieren“.
Der Westen ist so von seiner angeb­lichen mora­li­schen Über­le­genheit über­zeugt, dass man sich wundert, wenn Gesprächs­partner auf Ein­mi­schungen in innere Ange­le­gen­heiten unfreundlich reagieren. Bei sich jedoch ver­bittet man sich jede Kritik aus dem Ausland. Und zwar sogar unter engen Freunden, wie man kürzlich bei einer hand­festen diplo­ma­ti­schen Krise zwi­schen Italien und Frank­reich beob­achten konnte.
Und so war Lindner angeblich ganz über­rascht über die sehr kühle Reaktion, die er bei seinem Besuch in Peking erlebte:
„Vor dem Hin­ter­grund dieser ange­spannten Lage hatte Lindner in Hongkong seine Gespräche geführt. Doch sein Besuch missfiel der Führung in Peking, wie sich anschließend her­aus­stellen sollte. Termine, die (…) ange­setzt waren, wurden in der vor­ver­gan­genen Woche wieder abgesagt – wenige Stunden vor Beginn. Und bei jenem Treffen, das dennoch stattfand, ließ man die FDP-Rei­se­gruppe deutlich spüren, dass man den Besuch in Hongkong als Affront betrachtete.“
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Über das Treffen kann man im Spiegel lesen:
„Schon zur Begrüßung habe die chi­ne­sische Seite auf Höf­lich­keiten ver­zichtet, wie aus der schrift­lichen Schil­derung eines anderen Teil­nehmers her­vorgeht. Sie liegt dem SPIEGEL vor. Vize-Minister Yezhuo habe „aus­schließlich“ über die Situation Hong­kongs gesprochen und Gewaltakte ver­ur­teilt. Die öffent­liche Anteil­nahme in Deutschland und die Gewährung von Asyl für Dis­si­denten aus Hongkong hätten zum gewalt­samen Ein­dringen in das Par­lament in Hongkong angestachelt.“
Das Gespräch ist dann wohl in wirklich fros­tiger Atmo­sphäre ver­laufen. Trotzdem war Lindner der Meinung, sich nichts vor­werfen lassen zu müssen:
„Lindner ver­tei­digte seine Reise nach Hongkong. Die FDP respek­tiere die inneren Ange­le­gen­heiten Chinas, ihr sei an guten Bezie­hungen gelegen. „Aber wir ver­folgen nicht nur wirt­schaft­liche Inter­essen, uns liegen genauso liberale und demo­kra­tische Werte am Herzen. Rei­se­routen und Gesprächs­partner kann man uns daher nicht ernsthaft vor­schreiben“, sagte Lindner dem SPIEGEL.“
Dürfen eigentlich poli­tische chi­ne­sische Dele­ga­tionen in Deutschland, der EU oder den USA ihre Rei­se­routen frei wählen? Oder werden die in der Regel mit dem Gast­geber abgestimmt?
Wie Frank­reich auf ein Treffen des ita­lie­ni­schen Innen­mi­nisters Salvini reagiert hat, ist bekannt. Der hatte sich mit Ver­tretern der Gelb­westen getroffen und ihnen seine Sym­pathie bekundet, wor­aufhin Frank­reich seinen Bot­schafter aus Italien abge­zogen hat, das ist der letzte Schritt vor dem Abbruch diplo­ma­ti­scher Bezie­hungen, ein ein­ma­liger Vorfall innerhalb der EU.
Bleibt meine ein­gangs gestellte Frage: Wie würde Deutschland reagieren, wenn chi­ne­sische Poli­tiker bei einem Deutsch­land­besuch ihre „Rei­se­routen und Gesprächs­partner“ frei wählen und bei der Pegida vor­bei­schauen und ihr Unter­stützung zusagen würden?

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“