Die Party ist zu Ende …

Die Ursache jeder Krise ist der vor­an­ge­gangene Boom: So war es vor der Finanz­krise 2008/2009, so war es vor der Euro­krise mit der aus­ufernden Ver­schuldung von Staaten und Pri­vaten. Und so wird es auch in Deutschland sein, wenn der anhal­tende Auf­schwung sein Ende findet.
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Die Anzeichen für ein Ende der guten Jahre sind nicht mehr zu über­sehen. Immer mehr Branchen und Unter­nehmen geben den Abbau von Arbeits­plätzen bekannt. Die Pro­duktion in den wich­tigsten Indus­trie­sek­toren ist rück­läufig, die Auto­mo­bil­pro­duktion ist gegenüber dem eben­falls schon schwachen Vorjahr im Juni um fast 25 Prozent ein­ge­brochen. Der Auf­trags­eingang in der deut­schen Industrie sinkt seit fast einem Jahr und lag zuletzt fast neun Prozent unter dem Vor­jah­res­niveau. Umfragen zeigen wenig über­ra­schend ein sich rasch ver­schlech­terndes Stim­mungsbild bei den Unter­nehmen. Alle Zeichen stehen auf Rezession. 
Zeit, sich auf den Abschwung ein­zu­stellen. Dazu gehört zwingend, sich die Gründe für den Boom, den wir in den letzten Jahren erlebt haben, genauer anzu­sehen. So sieht man klarer, was auf uns zukommt. 
Künst­licher Boom
Der Boom der letzten Jahre war nur zum Teil unser Ver­dienst. Natürlich ver­fügen wir über her­vor­ra­gende Unter­nehmen, gut aus­ge­bildete und fleißige Arbeit­nehmer und eine unge­bro­chene Inno­va­ti­ons­kraft. Als Lie­ferant von Aus­rüs­tungs­gütern waren wir wie kaum ein anderes Land prä­de­sti­niert, von der Glo­ba­li­sierung und Indus­tria­li­sierung der Welt zu profitieren. 
Wich­tigster Kunde wurde in den letzten Jahren China. Der Roh­stoff­hunger des Landes hat wie­derum zu stei­genden Ein­kommen in anderen Ländern geführt, die dann eben­falls mehr Autos und Maschinen bei uns einzukaufen. 
Chinas Schulden werden zur Gefahr
Pro­ble­ma­tisch ist, dass der Auf­schwung in China mit einer mas­siven Ver­schuldung ein­hergeht, was die Nach­hal­tigkeit dieses Auf­schwungs infrage stellt. Immerhin die Hälfte der welt­weiten Schulden wurde in den letzten zehn Jahren in China gemacht. Dabei nahm die Wirkung der auf­ge­nom­menen Schulden auf das BIP des Landes immer mehr ab, Folge von mas­siven Fehl­in­ves­ti­tionen und Über­ka­pa­zi­täten. Kein Wunder, dass die Wachs­tums­raten in China zurück­gehen, ver­stärkt durch Bemü­hungen der Regierung von der Droge des bil­ligen Geldes weg­zu­kommen. Bisher aller­dings ohne Erfolg. 
Auch die Nach­frage aus anderen Regionen und der Eurozone war nur deshalb so stark, weil die Notenbank in Folge der Finanz- und Euro­krise die Zinsen nach unten getrieben und damit weitere Ver­schuldung gefördert haben. So liegt die welt­weite Ver­schuldung deutlich über dem Niveau von 2008 und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Fort­setzung der Über­schul­dungs­krise beginnt. 
Ein wei­terer wich­tiger Faktor für unsere Export­erfolge war die Schwäche des Euro. Hätten wir noch die Mark, hätte diese ähnlich wie der Schweizer Franken deutlich auf­ge­wertet, die Exporte gebremst und Importe befördert. Statt­dessen sitzen wir in einem Boot mit Ländern wie Italien, die eine deutlich schwä­chere Währung brauchen, um inter­na­tional wieder wett­be­werbs­fähig zu werden. Es war unstrittig das Ziel der EZB, über tiefe Zinsen die Finan­zierung der Staaten zu sichern, den hoch ver­schul­deten Unter­nehmen und pri­vaten Haus­halten zu helfen und den Euro inter­na­tional zu schwächen. Bisher mit Erfolg, wobei davon natur­gemäß Deutschland als tra­di­tionell export­starkes Land besonders profitierte. 
Nur so ist der enorme Anstieg der Exporte in den letzten 20 Jahren zu erklären. Immer mehr wurde Deutschland zu einer Volks­wirt­schaft, die vom Außen­handel domi­niert wird. Die Außen­han­dels­quote stieg von 44,0 Prozent im Jahr 1990 auf 70,8 Prozent im Jahr 2017. Mit dazu bei­getragen hat die Lohn­zu­rück­haltung seit Beginn des Jahr­tau­sends, als die hohe Arbeits­lo­sigkeit, Folge eines über­teu­erten Euro­bei­tritts, mit den Reformen der Agenda 2010 bekämpft wurde. 
Es waren gute zehn Jahre, die wir erlebt haben. Doch waren sie nicht die Folge besonders guter (Wirt­schafts-) Politik hier­zu­lande, sondern getragen von zuneh­menden Ungleich­ge­wichten in der Welt­wirt­schaft. Vieles spricht dafür, dass diese sich nun dem Ende nähern und wir als Land herzlich schlecht darauf vor­be­reitet sind. 
Der Boom der letzten Jahre hat eine gefähr­liche Schwäche der deut­schen Wirt­schaft kaschiert: die Abhän­gigkeit von Indus­trien, die es bereits zu Zeiten des letzten deut­schen Kaisers gegeben hat: Automobil‑, Maschinen- und Anla­genbau, Elek­tro­technik und Chemie als besonders pro­mi­nente Bei­spiele. Branchen, in denen Deutschland eben­falls eine Vor­rei­ter­rolle gespielt hat, werden mitt­ler­weile von anderen Ländern beherrscht, erinnert sei an Unter­hal­tungs­elek­tronik, Foto­grafie und Pharmazeutik. 
Neue Branchen ent­wi­ckeln sich in Deutschland nur schwer, und nur selten gelingt es hie­sigen Unter­nehmen, eine dau­er­hafte Position zu erreichen, wie SAP im Bereich der Unter­neh­mens­software. Die Solar­in­dustrie, mit Mil­li­ar­den­sub­ven­tionen gepäppelt, wird mitt­ler­weile von China domi­niert und den dau­er­haften Erfolg muss die Umwelt­tech­no­logie noch beweisen. 
Wir waren bisher erfolg­reich in der Ver­tei­digung unserer Position in einigen Indus­trien und damit weitaus anpas­sungs­fä­higer als andere Länder. Jedoch macht die Abhän­gigkeit von bestehenden Indus­trien und die geringe Fähigkeit zur Ent­wicklung neuer Indus­trien, anfällig für Schocks und Strukturbrüche. 
Vor einem solchen steht die Auto­mo­bil­in­dustrie, der Bun­des­kanz­lerin Angela Merkel (CDU) räum offenbar keine guten Über­le­bens­chancen ein­räumt. Beim Euro­päi­schen Rat Ende Juni 2017 malte sie die Zukunfts­aus­sichten von Deutsch­lands wich­tigstem Indus­trie­zweig mit rund einer Million Beschäf­tigten in düs­teren Farben. Jeder wisse, dass die Auto­in­dustrie in ihrer heu­tigen Form nicht über­leben werde. Unstrittig ist, dass der Schwenk zu auto­nomem Fahren und Elek­tro­fahr­zeugen der deut­schen Schlüs­sel­in­dustrie jeg­lichen Wett­be­werbs­vorteil nimmt. Die Soft­ware­gi­ganten aus den USA und die Bat­te­rie­lie­fe­ranten aus Asien ver­teilen die Märkte neu. 
Noch können wir hoffen, dass es der Auto­mo­bil­in­dustrie gelingt, den Wandel zu bewäl­tigen und dabei am Standort Deutschland fest­zu­halten. Sicher ist das nicht. 
Auf tönernen Füßen
Deutschland und die Eurozone stehen vor der nächsten Rezession, wenn sie nicht schon mit­tendrin sind. Die EZB, der einzige bisher aktive Akteur, hat aller­dings schon ein Großteil der Munition ver­schossen. Die Zinsen sind bereits negativ, Wert­pa­piere im Bil­lio­nen­vo­lumen wurden erworben. Natürlich kann sie diese Politik noch aggres­siver fort­setzen und sie wird das zwei­fellos unter der Führung von Christine Lagarde tun. Par­allel dazu werden wei­teren Maß­nahmen ergriffen werden, um Aus­weich­re­ak­tionen der Bürger zu ver­hindern, vor allem durch weitere Ein­schränkung der Bargeldnutzung. 
Doch dürften diese Maß­nahmen nicht aus­reichen, um die Eurozone zu sta­bi­li­sieren. Schon bisher war die kon­junk­tu­relle Wirkung eher die Folge der Abwertung des Euro als einer gestärkten Bin­nen­nach­frage. Diesmal wird der Versuch einer wei­teren Schwä­chung des Euro jedoch auf erbit­terten Wider­stand der anderen Länder, namentlich der USA treffen. Nicht zufällig hat Donald Trump unmit­telbar nach der letzten Ankün­digung Mario Draghis, nochmals zu lockern, wütend get­wittert, dass dies nur dazu diene, den Euro weiter „unfair“ zu schwächen. 
Damit dürfte die EZB als Ret­terin aus­fallen. Ihre Maß­nahmen werden relativ zu den Gegen­maß­nahmen der anderen Länder zu klein aus­fallen und zu spät kommen. Für einen Wäh­rungs­krieg ist die Notenbank der Eurozone schlichtweg nicht gerüstet. 
Staat als Retter?
Ange­sichts dieser Aus­sichten wundert es nicht, dass immer mehr Experten nach einer stär­keren Rolle der Staaten rufen. Diese sollten unge­achtet der schon hohen Ver­schuldung mit kre­dit­fi­nan­zierten Kon­junk­tur­pro­grammen die Wirt­schaft beleben und so eine neue Rezession und womöglich exis­tenz­be­dro­hende neue Euro­krise ver­hindern. Passend dazu gibt es immer mehr Vor­schläge für eine direkte Finan­zierung der Staaten durch die Noten­banken, um die Rezession abzu­wenden. Alle Akteure wissen nur zu gut, dass sich unsere über­schuldete Welt keine Rezession leisten kann, zu groß ist die Gefahr eines Ableitens in eine Deflation mit fal­lenden Ver­mö­gens­preisen, Plei­te­wellen und dras­ti­scher Arbeitslosigkeit. 
Es ist schwer vor­stellbar, dass andere Länder Kon­junk­tur­pro­gramme auf­legen, die dazu führen, dass mehr aus Deutschland impor­tiert wird. Wahr­schein­licher ist, dass wir noch mehr pro­tek­tio­nis­tische Maß­nahmen sehen werden, wenn die hiesige Politik nicht bei den schul­den­fi­nan­zierten Pro­grammen mitmacht. 
Dabei spricht aus deut­scher Sicht nichts gegen eine deut­liche Aus­weitung der Inves­ti­tionen des Staates. Der Stau der Inves­ti­tionen in Infra­struktur, Digi­ta­li­sierung, künst­liche Intel­ligenz, Bildung und Bun­deswehr ist offen­sichtlich. Alles Bereiche in denen in den ver­gan­genen zwanzig Jahren gespart wurde, während die Sozi­al­leis­tungen immer weiter anwuchsen. Ohnehin ist die „schwarze Null“ ein Ammen­märchen der Politik, sind doch die Schulden des Staates bei sau­berer Bilan­zierung der gemachten Ver­sprechen für Müt­ter­rente und Rente mit 63 (um nur zwei Bei­spiele zu nennen) deutlich gestiegen. 
Dennoch dürfte es eine Weile dauern, bis sich die deutsche Politik dazu durch­ringt, die Kon­junktur zu fördern. Statt dringend erfor­der­licher Ent­las­tungen für die Bürger denken unsere Poli­tiker bekanntlich über neue Lasten nach. 
Geht es dem Esel …
… zu gut, geht er aufs Eis. So zumindest das Sprichwort. Nach zehn Jahren Auf­schwung – getrieben von bil­ligem Geld und schwachem Euro – kann man nur fest­stellen, dass wir ver­gessen haben, dass es der wirt­schaft­lichen Grund­lagen bedarf, um die poli­ti­schen Pro­jekte von mehr sozialer Gerech­tigkeit bis zu Kli­ma­schutz zu finan­zieren. Ver­mutlich ist dieses Des­in­teresse von Politik und Öffent­lichkeit für die nach­haltige Sicherung unseres Wohl­standes der ein­deu­tigste Indi­kator dafür, dass der Auf­schwung zu Ende geht. 
Während die Politik in den letzten zehn Jahren nichts für die Sicherung des Wohl­stands getan hat und sich statt­dessen auf Umver­teilung und die Ver­wirk­li­chung mehr oder weniger sinn­voller sozialer Pro­jekte kon­zen­triert hat, droht nun das bittere Erwachen. Eine ganze Gene­ration wird fest­stellen, dass es nicht selbst­ver­ständlich ist, dass es Arbeit und Wohl­stand gibt.

Dr. Daniel Stelter – www.think-beyondtheobvious.com