Putin im O‑Ton über ein neues Wett­rüsten und die Bezie­hungen zu den USA

Vor seiner anste­henden Reise nach Saudi-Arabien hat Putin den ara­bi­schen TV-Sendern Al Arabia, Sky News Arabia und RT Arabic ein ein­stün­diges Interview gegeben, aus dem ich die inter­es­san­testen Teile über­setzt habe. 
In diesem Teil des Inter­views ging es um die Bezie­hungen zwi­schen den USA und Russland vor dem Hin­ter­grund, dass die USA prak­tisch alle Abrüs­tungs­ver­träge gekündigt haben und nun ein neues, ato­mares Wett­rüsten droht. Da die deut­schen Medien über solche Inter­views gar nicht berichten, zeige ich hier, was Putin zu dem Thema zu sagen hat.
Beginn der Übersetzung:
Jour­nalist: Lassen Sie uns nun den Nahen Osten und den Per­si­schen Golf für eine Weile ver­lassen. Sie sagen regel­mäßig, dass sich die ame­ri­ka­nisch-rus­si­schen Bezie­hungen ver­bessern sollten, denn andern­falls, wenn es eine Art „Zusam­men­bruch“ der Bezie­hungen gibt, wird das wirklich ein ungüns­tiges Umfeld für die ganze Welt erzeugen.
Sehen Sie heute mit Blick auf die Trump-Admi­nis­tration die Hoffnung, dass wir wirklich Schritte zur Ver­bes­serung der bila­te­ralen Bezie­hungen erleben können? Schauen Sie sich Donald Trumps Twitter-Posts an? Sie beob­achten wahr­scheinlich, was der ame­ri­ka­nische Prä­sident sagt.
Putin: Es tut mir leid, ich habe selbst kein Twitter, ich folge ihm nicht. Natürlich berichten meine Mit­ar­beiter von Zeit zu Zeit darüber. Die Meinung des Prä­si­denten der Ver­ei­nigten Staaten ist immer wichtig, wichtig für die ganze Welt. Aber ich lese es nicht selbst.
Jour­nalist: Nehmen wir an, dass Prä­sident Donald Trump im nächsten Jahr wie­der­ge­wählt wird. Glauben Sie, dass er während der nächsten Prä­si­dent­schaft mutiger in der Frage einer echten Ent­spannung der Bezie­hungen zu Moskau sein wird? Und wird Moskau bereit sein, den Dialog wieder aufzunehmen?
Putin: Ent­schul­digen Sie, Sie arbeiten für Russia Today?
Dank Leuten wie Ihnen werden sie wieder Russland beschul­digen, sich in die Wahl ein­zu­mi­schen, weil Sie jetzt eine Wie­derwahl von Trump ins Spiel gebracht haben. Sie werden sagen: Ja, das ist ein Element der rus­si­schen Ein­mi­schung in den Wahl­kampf. (Putin lacht)
Aber im Ernst, wir wissen, wir alle wissen, was und wie der Prä­sident der Ver­ei­nigten Staaten, Herr Trump, über die ame­ri­ka­nisch-rus­si­schen Bezie­hungen sagt. Wir wissen, dass er sich schon im Wahl­kampf für eine Nor­ma­li­sierung aus­ge­sprochen hat, aber leider ist dies bisher nicht geschehen. Aber das werfen wir ihm nicht vor, weil wir sehen, was im innen­po­li­ti­schen Leben der Ver­ei­nigten Staaten geschieht. Und die innen­po­li­tische Agenda erlaubt es dem amtie­renden Prä­si­denten nicht, Schritte zur dras­ti­schen Ver­bes­serung der rus­sisch-ame­ri­ka­ni­schen Bezie­hungen zu unternehmen.
Wir jeden­falls werden mit jeder Regierung so eng oder nicht eng zusam­men­ar­beiten, wie sie will. Aber wir können nicht anders, als uns über die Situation der inter­na­tio­nalen stra­te­gi­schen Sta­bi­lität und Sicherheit Sorgen zu machen. Das ist offensichtlich.
Im Jahr 2002 – und damit hatte Trump nichts zu tun – zogen sich die Ver­ei­nigten Staaten aus dem Anti-Bal­listic Missile Treaty (ABM-Vertrag) zurück, der, wie ich noch einmal betonen möchte, der Eck­pfeiler des gesamten welt­weiten stra­te­gi­schen Sicher­heits­systems war, weil er die Mög­lich­keiten für eine Rake­ten­abwehr für beide Staaten ein­schränkte. Was war der Sinn? Der Sinn war, dass keine Seite Illu­sionen haben konnte, dass sie einen Atom­krieg gewinnen könnte. Darum geht es. Sie zogen sich aus diesem Vertrag zurück und ver­suchten, sich klare, stra­te­gische Vor­teile zu sichern, weil sie glaubten, dass sie einen solchen Rak­ten­ab­wehr­schirm bauen könnten und Russland nicht. Und dann wäre Russland sehr ver­wundbar gewesen, während die Ver­ei­nigten Staaten Schutz durch ein Rake­ten­ab­wehr­system haben.
Ich habe unseren ame­ri­ka­ni­schen Kol­legen damals gesagt, dass wir noch nicht wissen, wie gut dieses System funk­tio­nieren wird und dass wir keine zig Mil­li­arden für so etwas aus­geben werden. Aber wir müssen das stra­te­gische Gleich­ge­wicht bewahren. Das bedeutete, dass wir an Angriffs­ra­keten arbeiten mussten, die jedes Rake­ten­ab­wehr­system sicher über­winden können. Und wir haben das getan, jetzt ist das offen­sichtlich, weil das Rake­ten­ab­wehr­system gegen bal­lis­tische Raketen arbeitet, das heißt Raketen, die auf einer bal­lis­ti­schen Flugbahn fliegen. Wir aber haben, zusätzlich zu der Tat­sache, dass wir unsere bal­lis­ti­schen Raketen mehrfach ver­bessert haben, auch andere Waffen ent­wi­ckelt, wie sie noch niemand sonst auf der Welt hat. Das sind Rake­ten­systeme, die nicht auf einer bal­lis­ti­schen Flugbahn fliegen, sondern auf einer anderen Flugbahn, und das mit Hyper­schall­ge­schwin­digkeit. Noch hat niemand auf der Welt eine Hyper­schall­waffe. Aber natürlich werden in den füh­renden Armeen der Welt früher oder später sicherlich solche Waffen auf­tauchen. Nun, wir werden bis dahin auch etwas Neues haben. Ich weiß bereits, woran unsere Wis­sen­schaftler, Kon­struk­teure und Inge­nieure arbeiten. Leider hat all dies auf die eine oder andere Weise zu einem Wett­rüsten geführt. Das ist leider eine unbe­streitbare Tat­sache. Leider ist das so.
Zuletzt zogen sich die Ver­ei­nigten Staaten aus dem Inter­me­diate-Range Missile Limi­tation Treaty (INF-Vertrag) zurück. Meiner Meinung war das ein fal­scher Schritt, man hätte die Pro­bleme auch auf eine andere Art und Weise lösen können. Und in der Tat ver­stehe ich die Bedenken der Ver­ei­nigten Staaten. Ich habe dafür Ver­ständnis. Andere Länder ent­wi­ckeln diese Art von Waffen, nur Russland und die Ver­ei­nigten Staaten haben sich dabei Beschrän­kungen auf­erlegt. Aber meiner Meinung war es das nicht wert, deshalb den Vertrag zu ver­lassen, es gab andere Optionen, die Situation weiterzuentwickeln.
Jetzt haben wir nur noch ein letztes Instrument, das das Wett­rüsten begrenzt, ein wirklich ernstes Wett­rüsten, das ist der NEW-START-Vertrag. Das ist der Vertrag über die Begrenzung stra­te­gi­scher Offen­siv­waffen, das heißt den gesamten Komplex, die gesamte Triade stra­te­gi­scher Waffen: land‑, see- und luft­ge­stützte Rake­ten­systeme. Er endet 2021. Um ihn zu ver­längern, müssen wir jetzt daran arbeiten. Wir haben Vor­schläge gemacht, sie liegen bei der ame­ri­ka­ni­schen Regierung auf dem Tisch. Es gibt keine Antwort. Wir ver­stehen das so, dass sie noch nicht ent­schieden haben, ob sie dieses Abkommen ver­längern wollen, oder nicht. Aber wenn es weg fällt, wird es auf der Welt nichts mehr geben, was die Offen­siv­waffen begrenzt und das ist schlecht. Es wird eine andere Welt sein. Sie wird sicherlich gefähr­licher und weniger bere­chenbar werden, als die, in der wir jetzt leben.
Jour­nalist: Kehren wir zur Frage der Abrüstung zurück. Glauben Sie, Herr Prä­sident, dass ein neues Wett­rüsten uns in einen zweiten Kalten Krieg zurück­führen kann?
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Putin: Das wäre nicht wün­schenswert. Auf jeden Fall wird Russland am wenigsten davon betroffen sein, denn, wie ich bereits sagte, haben wir viel­ver­spre­chende Waf­fen­typen, die noch niemand auf der Welt hat. In diesem Sinne haben wir bereits ein Stück auf dem vor uns lie­genden Weg vor hinter uns gebracht. Jetzt denken wir über die Per­spek­tiven nach und arbeiten ruhig weiter.
Und was noch wich­tiger ist, sind die Ver­tei­di­gungs­aus­gaben. Ich werde Ihnen wahr­scheinlich kein Geheimnis ver­raten, aber viel­leicht werde ich Sie auch über­ra­schen, ich weiß es nicht. Aber Russland ran­giert bei den Ver­tei­di­gungs­aus­gaben auf Platz sieben in der Welt. Saudi-Arabien liegt an dritter Stelle hinter den Ver­ei­nigten Staaten, soweit ich mich erinnere, 716 Mil­li­arden aus­geben und 750 für das nächste Jahr bean­tragt haben. Danach kommt China, es gibt etwas über 177 Mil­li­arden aus. Dann kommt Saudi-Arabien, wie viel die aus­geben, weiß ich jetzt nicht, 59, meiner Meinung nach. Dann kommen Groß­bri­tannien und Frank­reich, dann Japan mit 48,1 Mil­li­arden, nach meinen Infor­ma­tionen. Und dann dann erst kommt Russland, auf dem siebten Platz, mit 48 Mil­li­arden. Und doch haben wir Waffen, die sonst keiner auf der Welt hat.
Wie kann das sein? Es ist das Ergebnis von ziel­ge­rich­teter Arbeit in den wich­tigsten Bereichen. Ich muss hier unsere Spe­zia­listen loben, ihre Fähigkeit, diese Bereiche zu defi­nieren und die nötigen Res­sourcen zu kon­zen­trieren. Es geht um Bildung, um Schulen, wis­sen­schaft­liche Schulen, Pro­duk­ti­ons­schulen, um Grund­kennt­nisse und Kompetenzen.
Ein Wett­rüsten ist schlecht und es ver­heißt nichts Gutes für die Welt. Aber wir werden keine exor­bi­tanten Summen dafür aufwenden.
Jour­nalist: Trotzdem hat die NATO, die Allianz, begonnen, vor­an­zu­rücken. Fühlen Sie sich nicht durch diese Bewegung in Richtung Ihrer Grenzen bedroht? Und wie werden Sie darauf reagieren?
Putin: Natürlich fühlen wir uns bedroht. Wir haben es immer gespürt, immer darüber gesprochen. Und uns wurde immer gesagt: Habt keine Angst, es ist nicht gegen euch gerichtet und daran ist nichts Schreck­liches, denn die NATO ist trans­for­miert, es ist keine mili­tä­rische Orga­ni­sation, sie ist nicht aggressiv und so weiter. Aber niemand hat den NATO-Vertrag geändert. Es gibt dort einen Artikel, der spricht – ich erinnere mich jetzt nicht, es ist, glaube ich, Artikel fünf – über die mili­tä­rische Unter­stützung von Mit­gliedern der Orga­ni­sation und so weiter. Die NATO ist ein mili­tä­ri­scher Block. Und wenn sich die Infra­struktur eines Mili­tär­blocks unseren Grenzen nähert, bereitet uns das natürlich keine Freude.
Was ist denn der Trick? Ich denke, niemand zweifelt daran, dass die NATO nur ein Instrument der US-Außen­po­litik ist. Das ist es, worüber sie in Europa sprechen. Schauen Sie, was der Fran­zö­sische Prä­sident gesagt hat. Ich muss mir hier nicht einmal etwas aus­denken. Welchen Trick sehen wir noch? Länder werden Mit­glieder der NATO und dann fragt sie prak­tisch niemand mehr, wenn die USA dort bestimmte Arten von Waffen sta­tio­nieren. So ent­stand das Rake­ten­ab­wehr­system in Rumänien. Jetzt wird es bald auch in Polen stehen. Das liegt sehr nah an unseren Grenzen. Das stellt natürlich eine Bedrohung für uns dar, denn es ist der Versuch, unsere stra­te­gi­schen, nuklearen Fähig­keiten zu neu­tra­li­sieren. Der Versuch ist zum Scheitern ver­ur­teilt, das ist bereits offen­sichtlich. Ich denke, es ist auch für die Experten offen­sichtlich. Aber solche Systeme im Dienst zu haben, ist eine Bedro­hungen für uns, egal wie wirksam oder unwirksam sie sind. Daran ist trotzdem nichts Gutes. Ja, wir glauben, dass dies eine destruktive Akti­vität ist, sie ver­schärft die Situation und das ist nicht gut.
Ende der Übersetzung
Wenn Sie sich dafür inter­es­sieren, wie Russland auf die Fragen der inter­na­tio­nalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und unge­kürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse. 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“