Putin im O‑Ton: West­licher Libe­ra­lismus und Migra­ti­ons­krise hängen zusammen

Putin hat vor einiger Zeit in einem Interview mit der Financial Times das liberale Gesell­schafts- und Wirt­schafts­modell scharf kri­ti­siert. Auf der Podi­ums­dis­kussion bei der „Russia Energy Week“ wurde er danach gefragt und er hat seinen Stand­punkt noch einmal erklärt.
Das Interview mit der Financial Times fand Ende Juni statt und Putins Aus­sagen zum west­lichen Libe­ra­lismus haben damals einige Schlag­zeilen gemacht. Lesen Sie zuerst die Frage, die Putin nun zu dem Interview gestellt wurde, und seine Antwort. Danach, am Ende des Artikels, finden Sie dann einen Link zu dem Interview, dass ich damals wörtlich über­setzt habe und Sie können selbst über­prüfen, was Putin damals gesagt hat und ob die Unter­stellung von Keir Simmons, dem Mode­rator der Dis­kussion auf der „Russia Energy Week“, der Wahrheit entspricht.
Beginn der Übersetzung:
Simmons: In einem Interview mit der Financial Times haben Sie das Ende der libe­ralen Demo­kratie, also letztlich das Ende der west­lichen Lebens­weise und des west­lichen libe­ralen Wirt­schafts­systems, prognostiziert.
Putin: Das ist eine falsche, sehr beliebige Inter­pre­tation dessen, was ich gesagt habe. So inter­pre­tieren es die­je­nigen, die glauben wollen, dass wir unsere Politik auf diese Weise auf­bauen, basierend auf dem, was Sie gerade gesagt haben. Ich habe nicht gesagt, was Sie gerade behauptet haben. Woher haben Sie das? Das sehen wir oft: Den Aus­tausch dessen, was tat­sächlich gesagt wurde, durch etwas anderes. Zuerst wird etwas aus­ge­tauscht und dann wird diese falsche Aussage verurteilt.
Ich habe in dem Interview mit der Financial Times gesagt, dass das liberale Modell kein Recht hat, alles zu domi­nieren und dass es kein Recht hat, zu glauben, dass es das einzige Modell auf der Welt ist. Ich habe gesagt, dass die Welt viel viel­fäl­tiger ist, dass sie sich komplex ent­wi­ckelt. Und man kann nicht ein Modell allen als das einzige Wahre auf­zwingen, dem alle folgen müssen. Darüber habe ich gesprochen. Und ich bin auch jetzt bereit, diese These zu wiederholen.
Nehmen wir Asien, wie es sich ent­wi­ckelt, wie es wächst. Schauen Sie sich die Geschichte der asia­ti­schen Länder, ihre Kul­turen an. Ist es möglich, west­liche Ideen aus den Ver­ei­nigten Staaten oder Europa auf das Ent­wick­lungs­modell asia­ti­scher Länder zu stülpen? Nein, natürlich wird sich so dort nichts ent­wi­ckeln. Wahr­scheinlich wird dann dort einfach Chaos herr­schen. So wie in Libyen oder im Irak, als man diesen Länder ver­suchte, die libe­ralen Werte auf­zu­zwingen. Es hätte noch schlimmer kommen können. Das ist es, worüber ich spreche. Nicht, dass das liberale Modell kein Exis­tenz­recht hat. Habe ich das gesagt? Nein, natürlich nicht. Und wo es funk­tio­niert, bitte. Aber selbst dort, wo es funk­tio­niert, erschöpft es sich bereits, denn das Auf­zwingen dieses Modells stößt selbst in Ländern, in denen dieses Modell seit vielen Jahren weit ver­breitet ist, oft auf Widerstand.
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Nehmen wir einige Länder in Europa. Warum wird immer wieder über die Migra­ti­ons­krise gesprochen? Die Migra­ti­ons­krise ist auch das Ergebnis dieses libe­ralen Modells, das in allem über­trieben ist. Es wäre besser, Geld in Ent­wick­lungs­länder zu inves­tieren, um die Aus­breitung der Armut zu stoppen. Lassen Sie uns die Welt­han­dels­or­ga­ni­sation dazu nutzen. Lassen Sie uns auf­hören, die west­liche Land­wirt­schaft zu sub­ven­tio­nieren, öffnen wir statt­dessen unsere Märkte für land­wirt­schaft­liche Pro­dukte aus Ent­wick­lungs­ländern, inves­tieren wir die not­wen­digen Res­sourcen dort, geben wir den Men­schen dort eine Chance, damit sie in ihrer Heimat arbeiten können, dort bleiben und Geld ver­dienen können, um ihre Familien zu ernähren. Das wollen Sie nicht? Dann bekommen Sie Migranten. Und das liberale Modell hat keine Mög­lichkeit, diesen Strom auf­zu­halten. Bitte, es ist ange­richtet: Die lokale Bevöl­kerung in Europa wird immer unzu­frie­dener, extreme Ansichten nehmen zu und rechte Bewe­gungen werden stärker. Das ist es, worüber ich spreche. Und ich bleibe bei diesem Standpunkt.
Ende der Übersetzung
Und hier der Link zu dem frag­lichen Interview mit der Financial Times, falls Sie Putins wört­liche Aussage von damals mit der heu­tigen ver­gleichen möchten.
Wenn Sie sich dafür inter­es­sieren, wie Russland auf die Fragen der inter­na­tio­nalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und unge­kürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse. Dort gibt es auch ein Kapitel über die Migra­ti­ons­krise in Europa, wo sie erfahren können, was Putin dazu sagt. Putins Lösungs­vor­schläge unter­scheiden sich in über­ra­schender Weise von denen der west­lichen Politiker.

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“