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Wie Russland die Aus­sichten der Welt­wirt­schaft einschätzt

Während im Westen die Sorge vor einer neuen Wirt­schafts­krise wächst, ist man in Russland erstaunlich ent­spannt. Wie kommt das?
Russland macht sich immer unab­hän­giger sowohl vom Dollar und damit auch vom west­lichen Finanz­system. Obwohl das einer der Haupt­gründe für die aggressive Politik der USA gegenüber Russland sein dürfte, wird in Deutschland darüber nicht berichtet.
Die Macht der USA steht und fällt mit dem Dollar. Solange der Dollar den welt­weiten Handel domi­niert, können die USA auf­grund der großen Nach­frage nach Dollar wei­terhin unge­bremst Schulden machen und damit ihren auf­ge­blähten Mili­tär­ap­parat finan­zieren. Die Schulden der USA wachsen immer schneller, gerade erst haben sie die 23 Bil­lionen-Dollar-Grenze durch­brochen. Das sind immerhin 23.000.000.000.000 Dollar Schulden. Die USA sind also de facto pleite, denn ihre Schulden wachsen immer schneller und sind völlig außer Kon­trolle geraten. Aber solange der Dollar auf der Welt gefragt ist, können sie dieses Spiel spielen. Mehr Details dazu finden Sie hier.
Das ist der Grund, warum die USA gegen jedes Land vor­gehen, dass seinen Handel nicht mehr in Dollar abwi­ckeln möchte. Gaddafi zum Bei­spiel wollte eine afri­ka­nische, gold­ge­deckte Währung ein­führen, damit war er zum Abschuss frei­ge­geben. Aber im Falle von China und Russland können die USA nicht einfach die Länder bom­bar­dieren, sie sind zu stark und würden sich wehren. Also geht man gegen diese Länder mit Sank­tionen vor.
Putin hat das immer wieder gesagt, wenn er 2014 von Kri­tikern im eigenen Land auf die Sank­tionen ange­sprochen wurde, die mit der Wie­der­ver­ei­nigung mit der Krim begründet wurden. Putin hat seinen Kri­tikern dann ent­gegen gehalten, dass die Krim nicht der Grund für die Sank­tionen sind, sondern nur ein Vorwand. Nach Putins Meinung wollen die USA Russland, nachdem es wieder auf die Beine gekommen ist und dem Welt­macht­an­spruch der USA im Wege steht, in die Knie zwingen. Wären die Ereig­nisse auf der Krim nicht gewesen, hätten die USA einen anderen Vorwand gefunden.
Und die fol­genden Jahre gaben Putin recht. Die USA ver­hängen immer neue Sank­tionen gegen Russland und längst geht es nicht mehr um die Krim. Die USA (er)finden ständig neue Vor­wände für Sanktionen.
Wer diese These anzweifelt, sollte über fol­gendes Bei­spiel nach­denken: Die USA haben ver­schiedene Sank­tionen wegen der angeb­lichen rus­si­schen Ein­mi­schung in die US-Wahlen von 2016 ver­hängt. Aber als der Mueller-Bericht ergeben hat, dass es diese Ein­mi­schung gar nicht gegeben hat, da haben die USA die Sank­tionen aber nicht wieder abge­schafft, sondern einfach neue Gründe (er)funden, um weitere Sank­tionen zu verhängen.
Dabei sind die USA in einen Teu­fels­kreis hin­ein­ge­raten. Bei dem Versuch, ihren Willen durch­zu­setzen, haben sie gegen immer mehr Länder immer mehr Sank­tionen ver­hängt und diese Länder dadurch gezwungen, sich nach Alter­na­tiven zum Dollar umzu­schauen. Sie gehen dazu über, den Handel in den natio­nalen Wäh­rungen abzu­rechnen, anstatt über den Umweg über den Dollar. Damit sinkt der Anteil des Dollar am Welt­handel und das welt­weite Ver­trauen in den Dollar. Es geschieht also genau das, was die USA eigentlich um jeden Preis ver­hindern müssen.
Die USA sägen also immer kräf­tiger an dem Ast, auf dem sie sitzen. Putin hat immer wieder öffentlich gesagt, dass er nicht nach­voll­ziehen kann, warum die USA eine Politik machen, die ihnen am Ende mehr schaden wird, als allen anderen. Besonders deutlich hat er es Ende November 2018 for­mu­liert, als er dazu sagte:
„Die USA schießen sich nicht nur ins Knie, sie schießen etwas höher.“
Solche Äuße­rungen gibt es von Putin mas­senhaft, wie man auch in meinem Buch über Putin nach­lesen kann. Zuletzt hat er sich dazu im Oktober auf einer Kon­ferenz über Ener­gie­si­cherheit in ähn­licher Weise geäußert.
Und weil die USA auch das inter­na­tionale Zah­lungs­system SWIFT als Druck­mittel ein­setzen, indem sie zum Bei­spiel den Iran de facto davon abge­klemmt haben, machen sich nun die Länder der Welt auf die Suche nach Alter­na­tiven zu SWIFT. Die BRICS-Staaten sind dabei, ihre ver­schie­denen Zah­lungs­systeme zusam­men­zu­schließen, was erstens zu einer Unab­hän­gigkeit von SWIFT und zweitens zu einer Abkehr vom Dollar führen wird.
Russland hat auch reagiert, indem es seine Wäh­rungs­re­serven umge­stellt und den Anteil an Dollar massiv abgebaut hat. Russland setzt auf Gold. Dabei geht es jedoch nicht explizit um den Kampf gegen den Dollar, sondern um defensive Maß­nahmen. Russland will einfach nur ver­hindern, dass die USA den Dollar als Instrument für Sank­tionen ver­wenden können. RT-Deutsch hat Leiter der For­schungs- und Pro­gno­se­stelle der rus­si­schen Zen­tralbank, Alex­ander Morosow, so zitiert:
„Da Russland mit vielen Ländern in ver­schie­denen Wäh­rungen handelt, sind wir natürlich daran inter­es­siert, einen Teil der Fremd­währung in der Struktur unserer Ver­mö­gens­werte zu halten. Wir hatten also nicht das Ziel, den US-Dollar, den Euro oder eine andere Währung voll­ständig loszuwerden.“
Russland gehört zu den Ländern mit den größten Reserven der Welt. Inzwi­schen sind es über 500 Mil­li­arden und Russland hat ein Pro­gramm beschlossen, bei dem Gewinne aus dem Verkauf von Öl, wenn der Ölpreis über 42 Dollar liegt, auto­ma­tisch in die Reserven fließen. Sie wachsen also sehr schnell, denn der Ölpreis liegt um einiges darüber, während im Westen nur die Schulden wachsen.
Der Untergang des Sozia­lismus Ende der 1980er Jahre wird uns immer damit begründet, dass der Sozia­lismus pleite gewesen wäre. Nach dieser Logik müsste das west­liche Wirt­schafts­system heute längst pleite sein und zusam­men­brechen, denn die Ver­schuldung des Westens ist heute ungleich höher, als sie es bei sozia­lis­ti­schen Ländern je war. Heute steht der Westen, was die Schulden angeht, mise­rabel da, während die meisten anderen Länder weit weniger ver­schuldet sind. Die Frage, wie lange das noch funk­tio­nieren kann, ohne dass das west­liche System kol­la­biert, ist eine mehr als berech­tigte Frage, über die Sie hier mehr lesen können.
Am Sonntag hat die rus­sische Sendung „Nach­richten der Woche“ in einem Beitrag auch ein Interview mit der Chefin der rus­si­schen Zen­tralbank gezeigt, wo sie auch zu diesem Thema befragt wurde. Diesen Teil des Bei­trages habe ich hier übersetzt.
Beginn der Übersetzung:
Die Chefin der rus­si­schen Zen­tralbank Elvira Nabiu­llina gab Nile Asker Zade ein großes Interview und teilte ihre Pro­gnosen über die Zukunft der rus­si­schen Wirt­schaft mit. Ist sie gegen externe Her­aus­for­de­rungen gerüstet? Sollte Russland Angst vor neuen Sank­tionen haben?
Die Schlacht der Giganten des Welt­handels, den Ver­ei­nigten Staaten und Chinas, malt das Schreck­ge­spenst der Rezession an die Wand. In Deutschland wird von einer sich abzeich­nenden glo­balen Krise gesprochen. Ana­lysten senken die Pro­gnosen für die Ent­wicklung der Welt­wirt­schaft. Nach Angaben der Zen­tralbank wird sie in diesem Jahr um 3 Prozent wachsen. Für Russland ist es vor diesem Hin­ter­grund wichtig, eigene, interne Impulse für das Wirt­schafts­wachstum zu haben.
„Hat Russland keine Angst vor einer Krise?“
„Sie kann Aus­wir­kungen haben, aber wir haben wirklich fun­da­mentale Grund­lagen für unsere Sta­bi­lität geschaffen. Wir haben lange daran gear­beitet, dass die innere Ent­wicklung Russ­lands nicht so sehr von externen Schocks und externen Schwan­kungen abhängig ist“, ver­si­cherte Elvira Nabiullina.
Mit externen Schocks sind in erster Linie die Sank­tionen gemeint, mit denen Russland seit sechs Jahren lebt. Die USA drohen mit neuen Sank­tionen, vor allem gegen Banken. Ist unser Finanz­system darauf vorbereitet?
„Wir haben uns daran gewöhnt, unter den Sank­tionen und mit stän­digen Dis­kus­sionen über neue Sank­tionen zu leben. Deshalb bereiten wir uns darauf vor, berechnen alle nega­tiven Sze­narien, um dem mög­lichen Sank­ti­ons­druck am besten stand­zu­halten. Wir beob­achten ver­schiedene Aspekte der Finanz­sta­bi­lität, um vor­be­reitet zu sein“, sagte die Zentralbankchefin.
Trotz der Sank­tionen ist der Rubel in diesem Jahr gegenüber dem Dollar und dem Euro sogar stärker geworden.
„Der Haupt­grund für diese Stärkung des Rubel sind Kapi­tal­zu­flüsse. Inves­toren sind auf der Suche nach pro­fi­ta­bleren Wert­pa­pieren und Inves­ti­tionen, daher gab es einen Kapi­tal­zu­strom in viele Schwel­len­märkte, zu denen auch Russland gehört“, sagte Nabiullina.
Inves­toren schicken ihr Geld wieder in unsere Wirt­schaft. Die Zen­tralbank erklärt das damit, dass sie eine Abschwä­chung der Politik der Zen­tralbank erwarten, mit der Sta­bi­lität der makro­öko­no­mi­schen Bedin­gungen in Russland und mit der Tat­sache, dass die Inflation in Russland unter Kon­trolle ist. Im Oktober lag sie bei 3,8% Prozent.
Ende der Übersetzung
Wer sich die reinen Fun­da­men­tal­daten der Wirt­schaft anschaut, kann nicht umhin, sich Sorgen um den Westen zu machen. Die gleichen Wirt­schafts­experten, die uns erklären, der Sozia­lismus sei an seinen Schulden zu Grunde gegangen, erklären uns heute, dass Staats­schulden kein Problem seien. Dieser Logik zu folgen, ist nicht ganz einfach und manchmal klingt sie für mich, wie das Pfeifen im dunklen Walde… 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“