Der Kampf gegen den Klimawandel bietet den idealen Ansatz für Notenbanken, Staaten direkt zu finanzieren, um so das ökonomische Problem von Stagnation und Überschuldung zu lösen. Nun hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) eine neue Studie veröffentlicht, die sich mit den Folgen des Klimawandels für das Finanzsystem und die Rolle der Notenbanken beschäftigt. In dem sehr lesenswerten Paper werden die besonderen Risiken des Klimawandels – aber auch der Maßnahmen dagegen – für das Finanzsystem intensiv beleuchtet.
Risiken für das Finanzsystem
Ausführlich geht die BIZ auf die Risiken für das Finanzsystem ein. Dabei stehen zwei Arten von Gefahren im Vordergrund:
- Die „physischen Risiken“, also tatsächliche Schäden durch Sturm, Überschwemmung, Hitze. Diese reichen von Zerstörung von Vermögenswerten und Leben bis hin zu geringerer Arbeitsproduktivität und einer Verschiebung von Ressourcen von der Investition in die Zukunft zur Behebung von Schäden.
- Die „Übergangsrisiken“, zum Beispiel durch einen schneller als erwarteten Umstieg von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien, der zu einer Abwertung der Vermögen der Unternehmen führt, die fossile Brennstoffe fördern und nutzen.
Beide Arten von Risiken sind deshalb so gefährlich, weil das Weltfinanzsystem auch zehn Jahre nach der Krise, wie bereits von mir hier erläutert, immer noch mit geringem Eigenkapital und hohem Risiko operiert. Kommt es beispielsweise zum Konkurs eines großen Ölproduzenten, führt dies zu erheblichen Kreditausfällen, die die Kreditgeber nicht verkraften würden. Der scheidende Chef der Britischen Notenbank, Marc Carney, spricht in diesem Zusammenhang von einem „grünen Minsky-Moment“. Als Minsky-Moment bezeichnet man den Zeitpunkt, an dem kreditfinanzierte Blasen platzen, es also zum ultimativen Margin Call kommt. Ein weltweiter Crash wäre die unvermeidliche Folge. Leider wäre dieser umso wahrscheinlicher, je schneller wir Fortschritte in Richtung einer klimaneutralen Wirtschaft machen.
Damit nicht genug. Selbst ohne Crash sehen die Experten der BIZ das Risiko steigender Rohstoffpreise, weil Lieferketten zusammenbrechen und es damit wahrscheinlich zu unerwarteten und starken Preisschüben bei wichtigen Vorprodukten käme. Alternativ könnten die Preise für CO2 in Folge von Naturkatastrophen und politischen Reaktionen explodieren. „Dramatische“ Verteilungskonflikte zwischen, aber auch innerhalb von Ländern wären die Folge, so die BIZ.
Ausführlich diskutieren die Experten mögliche Ansatzpunkte durch bessere Regulierung, Modellierung von Szenarien und Änderung der Rechnungslegung von Unternehmen, um diese Risiken in den Griff zu bekommen. Doch auch nach der Lektüre dieser denkbaren Maßnahmen bleibt der ungute Eindruck, dass die nächste Finanzkrise hier ihren Ursprung haben könnte.
Eigentlich müssten höhere Eigenkapitalquoten und geringere weltweite Verschuldung durchgesetzt werden. Die BIZ diskutiert dies – wenig verwunderlich – nicht, denn schon der Versuch, die Schulden im System zu reduzieren, würde ausreichen, um den Crash, der vermieden werden soll, auszulösen. Hier rächt sich, dass wir uns um das Bereinigen der Exzesse vor der Finanzkrise bis heute herumgedrückt haben.
CO2-Preis genügt nicht
Auch in anderer Hinsicht ist das Papier der BIZ ernüchternd. Während die meisten Ökonomen – ich zähle mich ausdrücklich dazu – in einem weltweit einheitlichen und steigenden CO2-Preis die ökonomisch beste Variante zur Reduktion des CO2-Ausstoßes sehen, befürchten die Experten der BIZ, dass dies nicht genügen wird.
Sie sprechen gar von einem „Marktversagen“. Zwar erwarten sie auch, dass Unternehmen und Haushalte bei einem CO2-Preis die richtigen Entscheidungen treffen, die den CO2-Ausstoß verringern. Doch dies genügt nach Auffassung der Experten nicht, die dafür zwei wesentliche Ursachen sehen:
- Dieser Ansatz wird zwar seit Jahrzehnten diskutiert, aber gehandelt wird nicht in ausreichendem Umfang. Die Regierungen haben schlichtweg darin versagt, entsprechende Preise durchzusetzen. (Was ich allerdings nicht „Marktversagen“, sondern „Politikversagen“ nennen würde). Aufgrund dieses Versäumnisses steigt die Gefahr von Klimaereignissen mit entsprechenden Verlusten.
- Die Unsicherheit ist für Unternehmen und Haushalte so groß, dass sie die Szenarien nicht bewerten können. Deshalb trifft die nötige tief greifende Änderung auf Widerstand und die Kosten einer Verhaltensänderung für den Einzelnen stehen letztlich einem abstrakten und unsicheren Nutzen für die Weltbevölkerung gegenüber. Folge: Es passiert nichts.
Aus diesem Grunde kommt die BIZ zu der Schlussfolgerung, dass es ohne stärkere staatliche Einmischung nicht geht. So sollten die Staaten durch mehr Investitionen in die Infrastruktur den Umstieg auf alternative Technologien fördern.
Bevor unsere eher interventionistischen Politiker in Berlin sich jetzt bestärkt sehen, erlaube ich mir den Hinweis, dass wohl niemand ernsthaft das deutsche Vorgehen beim Thema Klimaschutz als Vorbild ansehen kann. Im Irrglauben, es besser zu wissen als die Märkte, hat unsere Politik in den letzten Jahren Milliarden in eine Energiewende gesteckt, ohne einen positiven Effekt für das Klima zu erzielen. Als Beispiel mag die Förderung der Photovoltaik dienen, die bisher 82 Milliarden gekostet hat, ungefähr zu einer Einsparung von zwei Prozent des hiesigen CO2-Ausstoßes beiträgt und zum Aufbau einer Photovoltaik-Industrie in China geführt hat. Wenn wir so weitermachen, kostet es 4.000 Milliarden Euro, um klimaneutral zu werden. Wenn schon staatliche Hilfe, dann bitte intelligent.
Intelligent wäre beispielsweise – wie es auch die BIZ vorschlägt –, Grundlagenforschung, Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und private Investitionen zu fördern. Was genau dann gemacht wird, sollte aber der Markt entscheiden und nicht Politiker oder Bürokraten.
Geld- und Fiskalpolitik Hand in Hand?
Damit stellt sich die Frage nach der Finanzierung dieses gigantischen Umbaus. Ein Problem vor dem nicht nur Ursula von der Leyen steht, die zwar eine Billion versprochen, aber noch nicht aufgetrieben hat.
Hier kommt die BIZ mit einem für diese Institution doch sehr überraschenden Gedanken um die Ecke: Es wäre nötig, über eine engere Abstimmung von Geld- und Fiskalpolitik nachzudenken. Klartext: Die BIZ sieht ausdrücklich den Weg, über den ich in meinem Beitrag am Montag nachgedacht habe.
Dabei spielt es keine Rolle, dass die Statuten der Notenbanken den Kampf gegen den Klimawandel nicht beinhalten. Die EZB hat offiziell nur ein Ziel: Preisstabilität. Die BIZ zeigt sich da flexibel. Schon in der Vergangenheit hätte sich das Mandat der Notenbanken je nach Umständen flexibel entwickelt und in der Finanzkrise wäre es ja auch nicht um Preisstabilität, sondern um Systemrettung gegangen. Vorschläge für „grüne Geldpolitik“ wären demnach nur ein Erweitern der Verantwortlichkeiten der Notenbanken.
Die Autoren verweisen auf die „schnell wachsende Literatur“, die eine bessere Koordination von Geld- und Fiskalpolitik fordert. Vor allem aus den USA kommen Stimmen, die einen „Green New Deal“ vorschlagen und die direkte Finanzierung des Staates ausdrücklich fordern. Führende Vertreterin ist Stephanie Kelton, die in der „Modern Monetary Theory“ (MMT) die Lösung aller Probleme sieht. Diese ist weder „monetär“ noch „modern“, da es letztlich um höhere Staatsausgaben über die Notenpresse geht – ein schon in der Weimarer Republik bekanntes Vorgehen. Dennoch findet sie zunehmend Gehör bei Politikern, die nicht nur angesichts der finanziellen Herausforderungen des Klimawandels, sondern auch der oft leeren Kassen, zu gern nach neuen Geldquellen suchen. Die BIZ sieht die Risiken und betont: „(…) numerous experiments in the history of hyperinflation in advanced economies and mostly in developing countries show that, while outright default in a country’s own central bank currency might be avoided, the value of domestic assets including money could be reduced to almost zero.”
Ganz so weit sollen die Notenbanken demnach nicht gehen. Doch könnten sie durch anhaltend billiges Geld sicherstellen, dass die Zinsen unter der nominalen Wachstumsrate liegen, was nicht nur die bestehenden Schulden stabilisiert, sondern es auch erlaubt, sich immer höher zu verschulden. Statt der direkten Finanzierung also die Garantie, dass die Zinsen nie mehr steigen und wenn nötig, wieder gesenkt werden, sollte das Wachstum weiter zurückgehen. Letztlich ist es nichts anderes als die direkte Staatsfinanzierung über Umwegen. Der Unterschied zum offenen MMT liegt darin, dass die Notenbanken entscheiden, wie viel Geld sie zur Verfügung stellen und nicht die Politik. Ein wohl nur theoretischer Unterschied, steht die Unabhängigkeit der Notenbanken doch schon länger und nicht nur durch Donald Trump in Frage.
Ganz nebenbei könnte – so die BIZ – der Kampf gegen den Klimawandel dabei helfen, das andere „Rätsel“ in den Industrieländern zu lösen: das geringe Wachstum und die geringe Inflation trotz deutlich gesunkener Arbeitslosigkeit. Gelingt es, Wachstum und Inflation durch den Kampf gegen den Klimawandel nach oben zu bringen, wäre das allemal besser als andere Versuche, die auf mehr Konsum der privaten Haushalte setzen, so die BIZ. Genau die Doppelstrategie, die sich für Europa bereits abzeichnet, wie ich am Montag darlegte.
Damit ist die BIZ die letzte der namhaften Institutionen nach IWF, OECD und Weltbank, die das Tor aufmacht zum großen monetären Endspiel. Ausgang: offen.
Dr. Daniel Stelter –www. think-beyondtheobvious.com
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