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Vera Lengsfeld: Alle Bürger sind gleich, aber Poli­tiker sind gleicher?

In der „Farm der Tiere“ von George Orwell haben die Tiere das Joch des betrun­kenen Bauern Jones abge­schüttelt und seine Farm über­nommen. An die Rückwand der großen Scheune haben sie die „Sieben Gebote des Ani­ma­lismus“ geschrieben, nach denen sich alle Tiere richten sollen. Gebot 7 lautet: Alle Tiere sind gleich.

Wir kennen den Ausgang der Geschichte. Am Ende herr­schen die Schweine über alle Tiere und sind gleicher.  Inter­pre­tiert wurde die Dys­trophie als Parabel auf die Geschichte der Sowjet­union, aber, wie uns aktuell vor Augen geführt wird, gibt es auch in einem demo­kra­ti­schen Rechts­staat durchaus die Tendenz in der Politik, sich selbst von den Ver­ord­nungen aus­zu­nehmen, die man für die Bevöl­kerung ersinnt und exe­ku­tiert. Gesund­heits­mi­nister Spahn hat das schon mehrmals öffentlich vor­ge­führt, zum Bei­spiel, als er im Frühjahr letzten Jahres vor lau­fender Kamera einen mit seiner Entourage voll­be­setzten Fahr­stuhl bestieg, ohne auf die Abstands­regeln zu achten, die ein­zu­halten waren, um die Pan­demie zu bekämpfen. Oder als er morgens im Radio an die Bevöl­kerung appel­lierte, doch auf Reisen zu ver­zichten, am Abend sich aber nach Leipzig begab, um mit Spon­soren zu dinieren, die dafür 9.999,00 € auf sein Wahl­kampf­konto über­wiesen. Genau 1 Euro weniger, als anzei­ge­pflichtig gewesen wäre.

Nun saß Spahn am Sonn­tag­abend in der Sendung von Anne Will, um den Zuschauern zu erklären, dass die neueste Schlam­perei seines Hauses, die Begüns­tigung mas­sen­haften Abrech­nungs­be­trugs bei Corona-Tests, so etwas wie Peanuts wären. Wörtlich: “Wo jemand betrügen will, wird jemand betrügen.“ Dass die offenbar mit glühend heißer Nadel gestrickte Ver­ordnung seines Minis­te­riums den Betrug offenbar begünstigt hat, darüber ver­liert der Minister kein Wort. Er konnte sich darauf ver­lassen, dass die Alt-Medien ihm diese Imper­tinenz durch­gehen lassen. Die berichten brav, dass Spahn jetzt nach einem neuen Abrech­nungs­system und mehr Kon­trolle rufe.

Auch eine andere Frage wird in den Alt­medien nicht gestellt. Wie kann es sein, dass Spahn, der noch am Freitag im hoch­ri­si­ko­reichen Virus­va­ri­anten-Gebiet Süd­afrika war, zwei Tage später in Wills Studio sitzt, als wäre er nie weg gewesen? Es gelten doch strengste Regeln für Rück­kehrer aus diesen Gebieten, besonders in Berlin. Der Regie­rende Bür­ger­meister Müller hat ange­ordnet, dass sich solche Rück­kehrer unver­züglich in eine 14-tägige Qua­rantäne zu begeben hätten. Eine Ver­kürzung dieser Zeit wäre nicht möglich.

Dass Spahn trotzdem unbe­sorgt bei Will plaudern konnte, liegt daran, dass sich die Poli­tiker selbst von ihren Ver­fü­gungen aus­ge­nommen haben. In § 6 der Coro­naschutz­ver­ordnung heißt es unter „Aus­nahmen“ bei Punkt vier: Wer „als Teil einer offi­zi­ellen Dele­gation über das Regie­rungs­ter­minal des Flug­hafens Berlin-Bran­denburg oder über den Flug­hafen Köln-Bonn“ nach Deutschland zurück­reist und sich „weniger als 72 Stunden in einem Risi­ko­gebiet auf­ge­halten hat“ zählt dazu.

Wie heißt es bei Orwell? Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher. Der gehorsame Staats­virus kann Regie­rungs­mit­glieder nicht infi­zieren. Ist das gut so?


Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de